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Guardian Angel
"Hast du schon gehört? Dieser Guardian Angel soll jemanden getötet haben!"
"Wirklich? Wen denn?"
"Eine Glatze."
"Na, dann tut es mir nicht wirklich Leid. Was ist denn passiert?"
"Offenbar haben ihn vier Neonazis in einer Friedensdemo geschnappt."
"Ist er in der Zeitung?"
"Ein Bild vom Gerichtssaal, er ist nicht drauf. Man sieht nur eine zierliche Gestalt."
"Glaubst du, er wird freigesprochen?"
"Bestimmt. Immerhin war es Notwehr."
"Na, dann werden wir sein Bild bestimmt noch in den Medien sehen."
Aber dazu kam es nicht. Guardian Angel, wer auch immer es war, blieb ein Unbekannter. Er kannte das Recht am eigenen Abbild. Er weigerte sich, seinen Namen in den Zeitungen drucken zu lassen. "K. Müller", soviel wussten die Neugierigen in und um diese Stadt. Aber das war nicht viel.
Niemand erinnerte sich an K. Müller, der auf einer Friedensdemo von einigen Skins um eine Ecke gezerrt worden war und einen von ihnen aus Notwehr erstochen hatte.
Er wurde tatsächlich frei gesprochen. Die Gerüchteküche brodelte. Wer war diese schmächtige Gestalt in Schwarz, die es so einfach mit vier stadtbekannten Skinheads aufgenommen hatte? Vermutlich ein Metaller, denn dass Metaller spinnen, wussten sowieso alle. Gefährliche Leute, solche Leute. Hatten komische Aufnäher von komischen Bands auf ihren Ledermänteln, trugen Buttons mit Bandsymbolen, wirbelten mit ihren langen Haaren durch die Luft.
Die Szeneelemente hatten damit keine Probleme. Die Punks wie die Skins hatten Verbindungen im riesigen, brodelnden Schmelztiegel der Metaller-Szene, und so wurde Guardian Angel stillschweigend dort angesiedelt. Natürlich hätten die Nazis gern behauptet, er sei eine linke Zecke, die es zu vernichten galt, aber ihn umgab eine Aura des Mystischen. Wer war K. Müller, der seinen Vornamen, sein Gesicht und vor allem seine Identifikation in einer so kleinen Stadt wie unserer so lange geheim gehalten hatte?
Die Linken vergötterten Guardian Angel eine Zeitlang, die Rechten pinnten das Bild aus der Zeitung an ihre Dartscheiben und warfen mit Pfeilen auf die verpixelte Silhouette. Einer von ihnen erzählte, dass Guardian Angel ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf dem Arm tragen würde...
Dann geriet Guardian Angel wieder in Vergessenheit, bis zu dem Tag, als...
Er ist fast zwei Meter groß, langhaarig, trotzdem gehen die Kinder auf Konfrontationskurs. "Heil Satanas Abraxas", rufen sie, und offenbaren dabei eine bemerkenswert genaue Kenntnis der verschiedenen Namen des Antichristen. "Opferst du nachher wieder ein paar Kinder?"
Er bleibt stehen, guckt sie aus dunklen Augen an. "Heil Satan", grüßt er. "Habt ihr nachher Zeit?"
Schreiend verschwinden die Kinder im Eingang des Mietshauses, schlagen die Tür hinter sich zu. Ich sehe seine Schultern vor unterdrücktem Lachen beben, als er langsam weiter geht. Sein langer Mantel, der über und über von Bandstickern bedeckt ist, weht hinter ihm her.
Direkt auf dem Rücken ist ein Manowar-Sticker aufgenäht, direkt neben dem Schriftzug "Blind Guardian", darüber prangt ein durchgestrichenes Hakenkreuz.
Da weiß ich, dass ich ihm folgen werde, um zu sehen, was passiert.
Er ist mit seinen zwei Metern keine unauffällige Gestalt, und als er die gepflasterten Straßen in Richtung Innenstadt geht, ist es einfach, ihm in genügend Abstand zu folgen. Er wird mich nicht bemerken, das tun die Leute nie.
Er ist in der Fußgängerzone, als er auf die Glatzen trifft. Er trägt noch ein durchgestrichenes Hakenkreuz, auf dem rechten Arm, als Parodie einer SS-Armbinde.
Natürlich werden die Neonazis auf ihn aufmerksam, und aus anfänglichem Lächeln, als sie die Hakenkreuz-Binde sehen, wird ein Stirnrunzeln.
"Hee, was is'n das da auf deinem Arm?"
"Da, auf dem Rücken hat er noch eins!", sagt der zweite.
"Was auf meinem Arm meint ihr? Den Hammerfall-Sticker, den "Denken hilft"-Button oder die Binde mit dem durchgestrichenen Hakenkreuz?"
"Die Armbinde natürlich, du Scheiß-Zecke! Bist du dieses Engel-Ding?"
Ich fühle Gewalt, die in der Luft liegt. Die kenne ich, die sind imstande und stechen ihn ab. Das will ich nicht, ich mag langhaarige Metaller mit vielen Buttons auf dem Ledermantel.
Ich ziehe das Springermesser, postiere mich schräg hinter dem Metaller. Die drei Nazis zucken zurück.
"Scheiße, das ist doch die, die Werner abgestochen hat!", erkennt einer von ihnen. Sie nehmen die Beine in die Hand.
Der Metaller dreht sich um...
Die Frau ist klein und schmächtig. Sie hat ein Springermesser in der Hand, das sie gerade zusammenklappt und dann in die Tasche schiebt.
Sie trägt eine schwarze Lederhose, Springerstiefel mit neonfarbenen Schnürsenkeln, ein schwarzes Netzoberteil. Darunter sehe ich ein Shirt mit der Aufschrift "Vorsicht, Gefahr".
Sie zieht ihren Jeansmantel zurecht, auf seinem Arm blitzt ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf.
"Bist du... Guardian Angel?", fragt er ein wenig ungläubig.
"Du bist nicht von hier, oder?", erwidert sie. Er schüttelt den Kopf.
Sie dreht sich um und geht, der Wind weht ihre hüftlangen schwarzen Haare weg. Ihr Mantel trägt einen Engel auf dem Rücken, quer durch den Engel zieht sich ein Schnitt. Unter dem Schnitt ist ihr Netzhemd kaputt, ihr Shirt zerschnitten, einen BH trägt sie nicht.
Er kann die lange, gezackte Narbe auf ihrem Rücken sehen. Wie von einem Messer.