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Höllentour überarbeitet!
Es bedurfte einiger Wochen Vorbereitung, um ihrem Ziel, der Besteigung der Zugspitze, näher zu kommen. Günter, das älteste Expeditionsmitglied und „Zugspitzenexperte“, wählte die Route aus. Axel und sein Freund Rainer, beide noch sehr jung und unerfahren, kümmerten sich um das Anfahrtsproblem. Für fünf Personen reichte ein PKW, den Rainer seiner Mutter abschwatzte. Klaus, den sie zu dieser Hochgebirgstour erst überreden mussten, nicht weil er keine Kondition hatte, sondern weil er unter Höhenangst litt, wartete bis die Organisation abgeschlossen war. Sie meinten, es würde eine nette Wanderung werden. Mitte August war es so weit. Das Wochenende, welches sie sich ausgesucht hatten, war vorbildlich. Los ging es.
Nach ca. fünf Stunden Autobahnfahrt kamen sie in Garmisch Partenkirchen an. Auf dem Parkplatz, der ihr Ausgangspunkt war, ließen sie das Auto am Freitagnachmittag stehen.
Es trieb sie in Richtung Höllentalangerhütte, die ihr erstes Ziel sein sollte, vorwärts. Die ersten Meter, den Kopf voll von Gedanken, was wohl auf sie alle zukommen würde, Fuß vor Fuß, na mal sehen. Langsam veränderte sich das Wetter. Leichter Regen begleitete sie die nächste Zeit. Die ersten Höhenmeter waren geschafft. Das Höllental bahnte sich langsam an. Die Pforte, der Einstieg in die Höllentalklamm, ein Wegzollhäuschen. Typisch: für alles Schöne – zahlen! Durch tiefe mit wunderschönen Efeu- und Schlingpflanzen bewachsene Schluchten, in denen hellblaues Gebirgswasser sich sturzbachartig unter den befestigten Wegen hindurchspülte. Bei dem gewaltigen Getöse war es ihnen nur durch Handzeichen möglich sich zu verständigen.
Nach einiger Zeit mussten sie sich durch einen sehr schmalen, nur einzeln begehbaren dunklen Tunnel, der durch ein Felsmassiv geschlagen war, zwängen. Die kleinen Lampen, welche an der Tunneldecke angebracht waren, gaben nur so viel Licht, um die schemenhaften Umrisse der Felswände zu erleuchten. Nun fehlten nur noch Fledermäuse, um die bizarre Stimmung noch zu verstärken. Am Ende dieses Tunnels erwarteten sie einzelne, manchmal nur durch ein paar Querverbindungen tragende Brücken, die sich wie eine Schlange die Klamm hinaufwanden. Den unbefestigten Pfad schmückten rechts und links die seltensten Blumen wie die großblütige Gämswurz oder die Alpenkratzdistel welche zwischen Sternmoos ihren Platz gefunden haben. Unter Felsvorsprüngen hindurch, wo sich der Hahnenfuß, berieselt von ewig sprühendem Gebirgswasser, verbreitete. Am Ausgang der Klamm erwartete die Wanderer eine wunderschöne Bergwiese, die in allen Farben erstrahlte. Durch den feinen Regen zeichnete sich an jedem einzelnen Grashalm ein kleiner Tropfen ab, der die Wiese zum Funkeln brachte. Auf Schotterwegen gelangten sie bis Einbruch der Dunkelheit zur Berghütte. Inzwischen völlig durchnässt, sich auf ein kaltes Bier, trockene Hosen und ein warmes Abendessen freuend, dankten sie sich noch mit Handschlag für die bisher wunderschöne Wanderung und gingen hinein. "War doch nicht schlimm Klaus, siehste und Morgen gehts genau so weiter." meinte Axel.
Am anderen Morgen erwachte Klaus, der kaum geschlafen hatte, weil im Matratzenlager links neben ihm, unter einer dünnen, leicht muffigen Decke, ein etwas korpulenter Mann lag, dessen Nasenflügel bei jedem Ein- und Ausatmen seltsame, pfeifende Töne von sich gab. Günter der Bergerfahrenste von allen, drängte ohne Wiederspruch zu dulden zum Aufbruch, obwohl die anderen gern noch länger geschlafen hätten. Nach einem leider sehr spärlichen Frühstück machten sie sich kurz nach Morgengrauen auf den Weg Richtung Gipfel. Klaus sah man die Strapazen des ersten Tages an. Die ersten Meter von der Hütte weg, mit am Körper klebenden Hosen, die über die Nacht nicht schnell genug trockneten. Die Anderen hatten sich vorsorglich Ersatzhosen mitgenommen, sie wussten wohl was auf sie zukommen könnte. Stumm und frierend, trottenten sie hintereinander her. Nach einigen Minuten verengte sich der sichere, breite Weg zu einem schmalen, mit Wurzeln durchzogenen, unebenen Pfad. Der Nebel, der sich langsam und schemenhaft durch die Tannenwipfel schlich, begleitete sie wie ein guter Freund. „Jetzt einen heißen Glühwein, der langsam meine trockene Kehle hinunterläuft und sich im Magen durch wohlige Wärme verbreitet!“, dachte Rainer.
Auf etwa 1800 Metern Höhe fing es dann auch noch an zu schneien, was das Weiterkommen der Gruppe sehr erschwerte. Die Berglandschaft veränderte ihr Gesicht. Durch den feinen Niederschlag erhöhte sich die Gefahr des Abrutschens. Wie von einer dünnen Gelatineschicht überzogen lagen die zu erklimmenden Felsen vor ihnen. Die Vegetation sah einer Mondlandschaft sehr ähnlich. Der Pfad verlief in immer steiler werdenden Serpentinen. Plötzlich ein Abgrund am Ende des Weges! Es galt, das „Brett“, eine Schieferwand, an der in etwa 50 cm Abständen Stahlbolzen herausragten zu überwinden. Die Kletterer mussten sich trotz vor Kälte inzwischen klammen Fingern an dem Drahtseil haltend hinüberhangeln. Für Klaus war es eine Überwindung, sie sahen es ihm an. Nur ein Gedanke im Kopf: Ein Fehltritt und es geht unaufhaltsam in die endlose Tiefe. Schweißperlen bildeten sich trotz bitterer Kälte auf seiner Oberlippe. Vorsichtig wagte er den ersten Schritt, zaghaft und langsam vortastend den zweiten, auf wackligen Beinen, immer weiter dem Ende zu. Mit angehaltenem Atem beobachteten sie jede seiner Bewegungen. Geschafft! Der Gesichtsausdruck von Klaus ähnelte dem eines kleinen Jungen, der zu Weihnachten die sehnlichst gewünschte Rennbahn geschenkt bekommen hat.
Nun war das erste Hindernis bezwungen. Nach wiederum einigen Höhenmetern gelangten sie zu einem Gletscherfeld durch das sie ihren Weg finden mussten. Es folgte eine Felswand, deren Pfad entlang einer ausgesetzten Kante verlief. Die parallel dazu angebrachten Sicherungsseile waren auch nicht die besten. Axels Hände waren von Kälte und Regen durchfroren und so taub, dass er nicht spürte, wie sich ein Drahtstück in sein Fleisch bohrte. Es tat nicht weh. Alles gefühllos. Klaus schaute erschöpft gegen die Wand, das erste Mahnmal, ein Zeichen um zu erinnern, dass es bitterer Ernst war. „Abgestürzt am ...“ - Gedenkminuten. So. Das war es. Sie konnten nicht mehr zurück. Die von Feuchtigkeit und Schnee rutschigen Felsen ließen ein Umdrehen nicht mehr zu. Vor ihnen das Ungewisse und die Angst.
Günter und Wolf waren zurückgefallen. Rainer, Axel und Klaus liefen monoton dem Grat entgegen. Gesprochen hatten sie schon lange nicht mehr miteinander. Der Gedanke, endlich anzukommen, trieb sie weiter. Nach etlichen Minuten standen sie vor dem nächsten Problem: Das Halteseil, das ihnen die letzte Sicherheit vor dem drohenden Absturz geben sollte, war von Schnee und Eismassen verschüttet. Es galt, ein ca. fünfzehn Meter breites, verharschtes, steil abfallendes Schneefeld zu überwinden. Klaus versuchte, die Panik, die sich in ihm verbreitete, zu unterdrücken. Hilfesuchend und auf seine Atmung achtend, um nicht zu hyperventilieren, schaute er Rainer an, der rechts von ihm stand. Ihm schauderte bei dem Gedanken, das Seil loslassen zu müssen. In diesem Moment verlor sein rechter Fuß den noch sicheren Halt - vor lauter Schreck ließ er das Seil los. In einer endlos langen Sekunde, wie in Zeitlupe nahm sein Gehirn wahr, wie Rainer mit der linken Hand, um den Absturz seines Freundes zu verhindern, nach seinem Rucksack griff und ihn zurück gegen die Wand stieß. Seine Arme griffen suchend nach dem rettenden Seil. So nah kann man dem Tod sein. Mit seinen kalten Klauen greift er erbarmungslos nach einem. Alles aus. Keine langen Spaziergänge in nach nassem Moos duftenden Kieferwäldchen mehr. In letzter Sekunde bekam Klaus das Seil zu fassen und zog sich mit letzter Kraft zurück gegen die Felswand. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, wie von Geisterhand vermischten sich gebildete Sätze zu Wortfragmenten die keinen Sinn mehr gaben. Er begann durchzudrehen. Zitternd, mit weit aufgerissenen Mund, die Hände an dem Sicherungsseil umklammern, wie Schraubstöcke, die nie wieder loslassen wollten. Mit dem eben erst geschehenen Erlebnis im Kopf sollte er nun ohne weitere Sicherung das Schneefeld durchqueren. Axel zwang ihn zur Ruhe, ließ sich auf alle Viere hinunter und krabbelte vor Klaus her. Nach kurzem Zögern, ihm blieb ja keine Wahl, nahm Klaus seinen restlichen Mut zusammen und folgte Axel Zentimeter um Zentimeter, bis er die andere Seite erreichte. Es waren die bisher schlimmsten Minuten in seinem Leben. Mit der Gewissheit, es hätte jetzt aus sein können, stand er mit vor Kälte schlotternden Beinen im Schnee und weinte wie ein kleines Baby.
Körperlich am Ende, musste Klaus von Axel und Rainer gestützt werden, um die letzten Höhenmeter zu überwinden. Am Gipfel angekommen, Kopf und Körper leer, saßen sie schweigend am Eingang des Zugspitzhauses und warteten auf Wolf und Günter, die problemlos kurz nach Ihnen das Ziel erreichten. "Na, siehst du, Klaus, jetzt hast du deine Höhenangst auch überwunden. Haha." meinte Günter. Klaus wird wohl nie mehr einen Berg besteigen, egal wieviel Kondition er hat.
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Höllentour, erste Version