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- 30.06.2004
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Hüterin des Sommers
Hüterin des Sommers
Der Abend, bevor die Fremden nach Jontor kamen, war lau und angenehm gewesen. Eine leichte Brise hatte die Sommerluft in die Stadt getragen. Doch mit den Fremden fand sich die Kälte ein, schlich lautlos über die Stadtmauern und überzog den Brunnen mit einer dünnen Eisschicht. Als die Sonne über der Ebene aufging, schimmerten die Rüstungen der Fremden wie Kristall. Dann zog der Sturm herauf und mit ihm griffen die Fremden an.
Die Kälte schmerzte. Sie biss sich durch die Kleidung und fraß sich in die Körper. Die Eisschicht auf dem Brunnen wurde so dick, dass man sie selbst mit Äxten nicht mehr aufbrechen konnte.
Es war schwierig, Gräber in den gefrorenen Boden zu hacken. Auf Geheiß des Hauptmannes hin wurden leerstehende Häuser geplündert und aus den Möbeln Scheiterhaufen für die Gefallenen errichtet. Der Gestank von Leichen und brennendem Fleisch lag schwer über der Stadt, dennoch blieben die meisten Bürger in der Nähe der Feuer. Die Kälte war schlimmer als der Geruch.
Hunderte verließen die Stadt und zogen nach Süden. Die Fremden ließen sie gehen. Die kahlen Ebenen dehnten sich scheinbar endlos vor ihnen. Raureif bedeckte die Gräser und knirschte unter ihren unsicheren Schritten. Es fiel kein Schnee. Die Kälte hatte ihn vertrieben.
***
Fijara saß unter den tiefhängenden Zweigen einer Trauerweide und starrte in das dunkle Wasser des Teichs zu ihren Füßen. Nichts schien sich unter der Oberfläche zu rühren, ein paar Blätter trieben darauf, so träge, dass sie die Bewegung kaum wahrnehmen konnte. Fijara saß jetzt schon mehrere Stunden hier, und seitdem war dieses eine silbergrüne Blatt höchstens eine Handbreit auf das Ufer zu getrieben. Nicht, dass das wichtig gewesen wäre. Nichts war wichtig.
„Prinzessin!“ Die Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken hoch. Lennias eilte durch das lichte
Birkenwäldchen am Ufer auf sie zu.
„Prinzessin, hier seid Ihr! Dem Lichten sei Dank, dass ich Euch gefunden habe. Ihr müsst Euch doch noch ankleiden, für das Fest nachher.“ Fijara starrte wieder auf das Wasser. Lennias’ Schritte hatten den Boden unmerklich zum Beben gebracht und das silberne Blatt war noch ein kleines Stück weiter geschwommen.
„Warum tun wir das, Lennias?“ Fijaras Stimme klang glockenrein durch die milde Abendluft. Der Haushofmeister, der neben ihr stehen geblieben war, sah sie verwirrt an.
„Warum tun wir was, Prinzessin?“
„Diese Feierlichkeiten immer, die Feste des Abends, zur Nacht, die Dichterlesungen, den Gesang, die Poesie, die Turniere, die immerwährenden Intrigen, warum?“ Der Haushofmeister wirkte einen Moment lang beinahe schockiert, dann breitete sich auf seinen Zügen Verständnis aus. Er ließ sich neben Fijara auf den Boden sinken und legte einen Arm um ihre schmalen Schultern.
„Jetzt verstehe ich, Prinzessin! Ihr leidet unter dem Kummer der Jugend. Das passiert uns allen, früher oder später. Ihr werdet sehen, es geht vorbei. Aber jetzt lasst uns gehen, wir haben nicht viel Zeit, bis zum Fest. Die Feierlichkeiten werden Euch aufmuntern.“
Fijara bezweifelte das, doch sie erhob sich und ließ sich von Lennias zurück zum Lager geleiten.
Sonnensegel und farbige Tücher wehten im aufkommenden milden Wind, leuchtend in der Abendsonne. Die Häuser bestanden aus beschnitzten Holzstangen mit bunten, luftigen Planen dazwischen. Glöckchen klangen leise in den Zweigen der Bäume. Strickleitern schwangen von machtvollen Baumriesen und überall in der Luft lag der Klang von Flöten und Handharfen. Das Lager war so bezaubernd wie stets und schaffte es, Fijaras Laune zumindest ein wenig zu heben. Am nächsten Morgen sollten sie weiterziehen, nach Süden, der Sonne nach, bis sie den Wald von Kalihijn erreichten, den Wendepunkt ihrer jährlichen Reise. Dieser Anlass forderte immer ein besonders ausgelassenes Fest. Willig ließ sie sich in das große weißgoldene Zelt des Königs führen und von den Hofdamen einkleiden. Die Magier hatten ihr ein wunderschönes, Seidenkleid in dem tiefen Blau ihrer Augen geschaffen, die Silberstickereien darauf passten hervorragend zu ihren langen blonden Haaren. Sie wartete geduldig, bis ihr Haar geflochten, ihre Arme mit Schmuck verziert und ihre Haut mit Duftöl eingerieben war, dann trat sie mit Lennias wieder aus dem Zelt, Sie mischte sich unter die singenden, tanzenden, musizierenden und dichtenden Elfen und lächelte, wie es einer Prinzessin angemessen schien.
Savolin hielt zum wiederholten Male um ihre Hand an und zum wiederholten Male schenkte sie ihm einen geheimnisvollen Blick und sagte, sie werde es sich überlegen. Auch dieses Spiel hatte für sie schon länger seinen Reiz verloren. Erilane, die erst im vorigen Monat zur Magierin geweiht worden war, trug ihr neustes Gedicht vor.
Ewig ist der Sommer,
Wenn man ihm nach Süden folgt.
Ewig der Winter,
Wenn man es ihm gestattet.
Was bin ich?
Ich bin die Hüterin des Sommers,
Die nach dem Leben sucht.
Wer ist der Hüter des Winters,
Der den Tod bringt?
Wer kann den Kreis schließen,
Der Leben und Tod verbindet?
Fijara lauschte höflich. Das Gedicht war wieder einmal anders als alle vorherigen, und doch so ähnlich, dass es sie nicht aufheitern konnte. Sie sah den jungen Männern bei ihrem Duellen zu und klatschte folgsam, wenn einer gewann. Der Sommerabend floss träge dahin. Schließlich löste Fijara sich aus dem ausgelassenen Treiben und ging zu ihrem See zurück, wo sie still saß und ihr Blatt beobachtete. Lennias’ Empörung darüber, dass sie das Fest verlassen hatte, war ihr gleichgültig.
Das Theaterstück zog sich über den ganzen Abend hin. Stunde um Stunde saß Fijara an der Seite ihres Vaters und beobachtete, wie Erilane Savolin schöne Augen machte. Der junge Krieger rückte immer wieder ein Stück von der Dichterin fort, senkte seinen Blick, so dass die dunklen Haare über seine Augen fielen, und spähte dann doch wieder darunter hervor, in Richtung Erilanes.
„Er ist doch mit dir verlobt?“
Die Stimme ihres Vaters drang nur sehr langsam in ihr Bewusstsein. Fijara versuchte vergeblich, in seinem Tonfall ein Anzeichen von Sorge zu entdecken. Sie zuckte nur mit den Schultern.
„Wir sind nicht verlobt.“ Und selbst wenn..., dachte sie, aber es fiel ihr nicht ein, was dann sein würde.
Das Stück auf der kleinen Bühne neigte sich dem Ende zu. Fijara hatte nicht aufgepasst, wovon es handelte. Trotzdem klatschte sie folgsam mit den anderen, als die Magier ihr Bestes gaben, um ein Feuerwerk von Formen und Farben hervorzurufen. Die Schauspieler fielen in einen wilden Tanz, die bunten Lichter flackernd auf ihren Körpern. Erilane und Savolin schlossen sich den Tanzenden an. Immer wieder fühlte Fijara Savolins Blick auf sich ruhen, doch sie sah nicht hin. Statt dessen wandte sie sich Lennias an ihrer linken Seite zu und lehnte sich an ihn. Der Haushofmeister war nicht im geringsten überrascht, legte den Arm um ihre Schulter und zog sie etwas näher zu sich. Fijara war sich sicher, dass Savolin sie genau beobachtete. Es gehörte alles zum Spiel.
Es war sicher zweihundert Jahre her, dass Fijara zum letzten Mal Menschen gesehen hatte, damals war sie fast noch ein Kind gewesen. Sie hatte undeutliche Erinnerungen an massige, plumpe Körper und einen unangenehmen Geruch.
Die Menschen ritten eines Abends auf ihr Lager zu. Der Vorderste schwenkte ein weißes Tuch, das nachlässig an eine Stange geknotet worden war. Sie ritten Pferde, was Fijara veranlasste, angewidert den Mund zu verziehen. Packtiere!
Die jungen Männer sprengten den Menschen entgegen, mit wehenden Haaren und flatternden bunten Gewändern, aufrecht auf ihren Gazellen, die kurzen Speere in die Luft gereckt. Etwa eine Meile vom Lager entfernt trafen die Gruppen aufeinander, zügelten ihre Reittiere und redeten. Fijara verrenkte sich den Hals, um mehr erkennen zu können und hob schon zu einem Zauber an, der ihre Stimmen zu ihr tragen sollte, da setzte sich die ganze Gruppe schon wieder alle in Bewegung, auf das Lager zu.
Die Menschen wollten mit ihrem Vater sprechen.
Fijara saß in seinem Zelt auf ihrem Kissen an seiner Seite und hielt den Kopf gesenkt, wie es sich gehörte. Doch unter dem Vorhang ihrer Haare hervor betrachtete sie die kleine Gruppe mit einer Mischung aus Neugier und Ekel. Sie rochen tatsächlich streng, nach Schweiß und Staub, und ihre Kleidung war stumpf braun oder schwarz oder staubgrau. Sie trugen Bärte und ihre Haare waren verfilzt. Es war ihr unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Der größte und muskulöseste unter ihnen war anscheinend der Wortführer. Er sprach ihre Sprache, doch aus seinem Mund klang sie rau, unmelodisch und abgehackt, wie Kieselsteine, die aneinander rieben. Es schmerzte in ihren Ohren.
„Großer König des Elfenvolkes. Ihr habt einst geschworen, dass ihr unserem Volk in der Not beistehen werdet. Unglück ist über uns gekommen. Dunkle Horden aus dem Norden fallen in unser Land ein, schleifen unsere Dörfer, besetzen unsere Städte. Sie tragen den Winter mit sich. Finstere Magie ist am Werk, gegen die wir uns nicht wehren können. Ich bitte euch, König der Lichten, sendet uns Hilfe, nur eure Magie ist in der Lage, die Angreifer zurück zu werfen!“
Fijara sah ihren Vater weise lächeln. Dann erhob er sich, ohne ein Wort zu sagen und trat aus dem Zelt ins Freie. Eine große Gruppe Elfen hatte sich versammelt, neugierig auf die Menschen und ihr Anliegen.
„Unsere Freunde erbitten Hilfe in ihrem Kampf. Möchte sich jemand ihnen anschließen?“ Einfache Worte, doch der Erfolg war überwältigend. Fijara sah die Augen vieler der versammelten Elfen aufleuchten, einige der jüngeren Krieger brachen in Jubel aus, Schwerter und Speere reckten sich in die herabsinkende Dämmerung.
Das Fest an diesem Abend war besonders ausgelassen. Fijara sah die Gäste wie betäubt durch das Lager wandern, mit großen Augen, zwischen Harfenklängen und Gesang gefangen. Sie verspürte einen gewissen Stolz. So etwas gab es bei den Menschen wahrscheinlich nicht. Als Savolin, der am nächsten Tag mit den anderen jungen Kriegern ausziehen würde, dieses Mal um ihre Hand bat, willigte sie ein und gab sich dann voller Freude den Verlobungsfeierlichkeiten hin.
Die Tage vergingen und die Krieger kamen nicht zurück.
Sie hatten die ewigen Wälder von Kalihijn erreicht und am Waldrand ihre Zelte aufgeschlagen. Das Leben verlief ruhig, wie immer, doch zumindest gab es etwas Abwechslung für Fijara dieses Jahr. Weil viele ihrer jungen Männer mit den Menschen gezogen waren, durften einige der Frauen mit auf die Jagd. Es war wie in Fijaras Kindertagen, als man sie dies alles gelehrt hatte. Sie flog auf ihrer Gazelle durch Ebenen und Wälder, ließ den Sperber steigen und die Pfeile von ihrer Sehne schnellen. Die Sommerluft war süß von Blütenduft und Regen war eine Erlösung.
***
Eis hatte die grünen Blätter des Baumes überzogen, sodass sie im leichten Wind leise klingelten, wie die Glöckchen, die zu Hause an den Bäumen hingen. Savolin sah sie an und lächelte. Sie sahen hübsch aus, so zerbrechlich. Schnee fiel in seine Augen und schmolz dort. Er blinzelte ein- zweimal. Er war sich sicher, dass der vermummte Schatten, der sich über ihn beugte, auch lächelte. Vielleicht fand er den Baum auch schön.
***
„Prinzessin, ich bitte Euch, Ihr wisst, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe!“
Der Rat war zusammengetreten, um über Lennias zu urteilen. Erilane hatte ihn angezeigt, da er „ein zu enges Verhältnis zu der Prinzessin pflegt – Ihr versteht, was ich meine“. Fijara sah dem Haushofmeister nicht ins Gesicht. Ihre Rolle war es, nichts zu sagen.
Das Urteil fiel hart aus. Der Rat hatte sich etwas Neues einfallen lassen. Da die Königsfamilie Göttern gleichzusetzen war, sei eine Annährung Ketzerei und sollte mit Verbrennung geahndet werden. Lennias flehte vor dem Rat um Milde. Auch Fijara setzte sich für ihn ein. Doch der König zeigte sich hart. Die Magier erhielten die Anweisung, das Ritual vorzubereiten. Jeder, wie es ihm zusteht, dachte Fijara.
Die Verbrennung war das Ereignis des Jahres. Der Scheiterhaufen, auf dem sie ihn festbanden, war aus dem Gestänge seines eigenen Zeltes errichtet. Die Magier ließen blendende Flammen empor schlagen, flackernd, zuckend, den Körper des Elfen beinahe verhüllend. Hitze schlug den Zuschauern entgegen, Lennias’ Schreie hallten über die kleine Lichtung. Die Wangen der Elfen waren gerötet vor Hitze und vor freudiger Erregung, als die Magier das Feuer schließlich wieder löschten. Lennias wurde losgebunden und Fijara persönlich half ihm, sein Zelt wieder aufzubauen. Lachende Elfen umringten die Magier. Alle waren sich einig, dass es eine ganz hervorragende Illusion gewesen sei.
***
Zuerst war Regen gefallen. Die Feuchtigkeit hatte sich in den Mauerritzen festgesetzt und gefror nun in der zunehmenden Kälte. Cord konnte die Mauer unter seinen Füßen knacken hören, als das Eis sich ausdehnte. Die letzten verbliebenen Elfen schienen nicht zu frieren. Blass und abwesend saßen sie auf dem Kasernenhof. Einige sattelten ihre Gazellen. Einer von ihnen war zu Cord auf die Mauer gestiegen und sah mit verlorenem Blick nach Norden.
Ob vielleicht ein Ausfall eine gute Idee wäre? Es konnte sich sowieso nur noch um Stunden handeln, bis die Mauern Berengards barsten.
„Hauptmann?“
Langsam wandte Cord sich um und sah in das bleiche Gesicht seines Fahnenjungen.
„Was gibt es?“
„Hauptmann Kaleb von Ystein schickt seine Antwort.“ Der Junge zögerte, weiter zu sprechen. Cord seufzte. Er konnte sich schon denken, wie die Antwort lautete.
„Und?“
„Sie schicken niemanden.“ Der Junge ließ den Kopf hängen. „Sie ziehen nach Süden.“
„Wahrscheinlich das Klügste, was sie tun können.“ Cord drehte sich wieder zur Mauer um und versuchte, seine Enttäuschung vor dem Jungen zu verbergen. Seine Entscheidung war gefallen.
„Lauf nach unten, Sarik! Sag ihnen, sie sollen die Pferde satteln!“
***
Die Dunkelheit senkte sich bereits und Fijara lenkte ihre Gazelle in Richtung des Lagers. Sie war spät dran, hatte einige Strauße weit über die Ebenen verfolgt, aber schlussendlich keinen erwischt. Sie war müde und enttäuscht. Es war kühl geworden und Fijara fröstelte in der frischen Abendluft.
Den Menschen bemerkte sie erst, als ihre Gazelle urplötzlich stehen blieb. Zu ihren Füßen lag eine massige Gestalt reglos am Boden, ein Pferd, jedoch nach Menschenart gesattelt. Halb darunter eingeklemmt lag der Mann, seine ledernen Hosen und das stumpfgraue Kettenhemd und die dicke Pelzjacke darüber waren blutverkrustet, teilweise auch zerrissen. Es roch nach Schweiß und Blut.
Fijara schwang sich von ihrem Tier und trat vorsichtig an den Mann heran. Das Pferd schien tot zu sein, doch sie sah, wie sich die Brust des Menschen schwach hob und senkte.
Ein Blick in die Umgebung sagte ihr, dass keiner der anderen Jäger in der Nähe war, der ihr helfen könnte. Kurz entschlossen packte sie das Pferd und versuchte, es von dem Körper herunter zu ziehen. Es gelang ihr erst, als sie einen leichten Zauber anwendete, der die Last etwas anhob. Dann drehte sie den Mann auf den Rücken. Es war einer von denen, die bei ihnen gewesen waren, erkannte sie. Sie erinnerte sich an den struppigen roten Bart. Es kostete sie sehr viel Mühe, ihn auf die Gazelle zu befördern. Das Tier keuchte und stolperte unter dem ungewohnten Gewicht. Auf keinen Fall konnte es auch noch Fijara selber tragen. So griff sie nach den Zügeln und führte die Gazelle den ganzen Weg zum Lager zurück.
„Sie haben uns einfach überrannt.“
Fijara und die anderen Frauen hatten Heilzauber auf den Mann gewirkt und die Magier hatten ihm neue Gewänder geschaffen, nun saß er sauber und gesund bei ihrem Vater im Zelt und berichtete von der Schlacht.
„Es war furchtbar. Eure Krieger taten, was sie konnten, mit Waffen und Magie, doch es war, als tötete die Kälte einfach die Magie. Nichts schien die Fremden verletzen zu können. Eure Krieger stürmten nach vorne, so wild und schön, dass wir vor ihnen zurückwichen. Nicht so die Anderen. Sie lachten nur und bohrten ihre kristallenen Schwerter in ihre Herzen, ließen ihre Pfeile fliegen und schwangen ihre schimmernden Äxte. Die Elfen fielen wie Korn unter der Sense!“ Der Mensch sah zu Boden. Fijara saß still an der Seite ihres Vaters und starrte den Mann mit großen Augen an. Tod. Blut. Angst. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen. Die Männer würden nie zurück kehren? Das war so fremd, so beängstigend. Sie sah, dass auch ihr Vater bleich war.
„Warum seid Ihr zurück gekehrt?“, fragte er schließlich leise. Der Mann sah auf. Fijara sah Tränen in seinen Augen. Seltsam.
„Ich bin geflohen. Jemand musste Euch doch berichten, was mit Eurem Volk geschah!“ Er schien sich dafür zu schämen, dass er das Schlachtfeld verlassen hatte. Fijara sah, dass mit ihrem Vater eine Veränderung vorging, wie sie es noch nie gesehen hatte. Er richtete sich plötzlich und ruckhaft auf.
„Schweigt nun, Unglücksbote! Am besten kehrt Ihr zurück dahin, wo Ihr her gekommen seid. Euer Volk soll für sich selber kämpfen.“, damit drehte er sich um und eilte aus dem Zelt. Der Mann sah ihm einen Moment lang nach, dann bohrte er seinen Blick in Fijaras.
„Versteht er nicht, dass ich Euch warnen möchte? Die Fremden werden nicht Halt machen, wenn sie die Menschen vernichtet haben. Der Krieg wird auch zu Euch kommen. Ich kann nicht dorthin zurückkehren, woher ich gekommen bin, denn dort ist nichts mehr.“
„Wir verstehen nichts von Blut und Leiden“, antwortete Fijara leise. „Er möchte Euch nicht hören.“
Der Mann schwieg, sah sie nur weiter mit seinen dunklen Augen an. Fijara erwiderte seinen Blick offen. Sie wusste nicht genau, wie sie sich fühlen sollte. Sie hatte etwas Angst und war auch traurig, wegen der gefallenen Männer, wegen Savolin, aber da war auch noch etwas Anderes. Eine dunkle Erregung hatte sie ergriffen, als der Mann davon sprach, dass der Krieg zu ihnen kommen würde.
„Die Elfen haben an unserer Seite gekämpft, aber nicht mit uns.“ Seine Stimme schnitt so plötzlich durch ihre Gedanken, dass sie zusammen zuckte.
„Wie meint Ihr das?“
„Sie waren immer so fremd, so fern, so schön. Nicht wie wir. Wir sind Barbaren, gegen Euch. Sie ritten an unserer Seite auf ihren eleganten Gazellen, aber sie sprachen nicht mit uns. Jedenfalls nicht oft. Und wisst Ihr, was ich am Merkwürdigsten fand?“ Der Mann sah Fijara aufmerksam an. Sie schüttelte den Kopf.
„Wie sie aussahen, als sie starben. Ich glaube, sie waren glücklich“. Müde erhob er sich und verließ ihr Zelt. Fijara starrte ihm noch lange hinterher.
Cord verließ am nächsten Morgen das Lager der Elfen unter den klingenden Bäumen. Sie hatten ihm eines ihrer Pferde überlassen, die sie nur als Packtiere verwendeten. Das Tier war so elegant und zart, wie Cord noch keines besessen hatte, und reinweiß. Er wusste nicht recht, wohin er sich wenden sollte. Seine Heimat war erobert. Vielleicht konnte er über die Ebenen weiter nach Süden ziehen. Vielleicht war dort noch nicht alles verloren. Er glaubte nicht, dass es eine Chance gegen die Fremden aus dem Norden gab, aber er konnte einfach nicht aufhören, zu hoffen. Er zog den Gurt mit dem neuen Elfenschwert fester, lenkte sein Pferd gen Süden und ließ es in einen leichten Trab fallen.
Schnelle, leichte Hufschläge hinter ihm ließen ihn innehalten. Er wandte sich im Sattel um. Leichtfüßig trabte hinter ihm eine schwarze Gazelle. Ihre Reiterin, in leichten silbernen Hosen und einem meergrünen Hemd, die Haare zu einem Zopf geflochten, zügelte das Tier an seiner Seite und sah zu ihm auf.
„Nehmt mich mit“, bat sie.
Er ließ den Blick an ihr herab wandern, von dem langen Bogen über ihrer Schulter zu dem kurzen Schwert und der Packtasche an ihrem Sattel. Er zögerte. Sie war so klein, so zart und so schön. So hilflos in ihrer kindlichen Art. Und doch war da etwas in ihrem Blick.
Er streckte ihr seine Pranke entgegen. Ihre Hand verschwand beinahe darin.
„Ich bin Cord.“
„Fijara.“
„Seht mal, da kommt Hauptmann Cord mit seiner Elfe!“
Der Söldner grinste Fijara breit an. Sie senkte den Kopf und heftete ihren Blick konzentriert auf den Sattelknauf vor sich.
„He, Cord, wie ist sie denn so?“ Der Kamerad des Söldners machte eine eindeutige Hüftbewegung.
„Hör’ nicht auf sie.“ Cord sprach leise.
„Liebesgeflüster?“ Der dritte Söldner hatte da offensichtlich etwas falsch verstanden. Alle Drei brachen jetzt in Gelächter aus. Fijara währe am liebsten vor Scham im Boden versunken.
Man sollte meinen, dass ich mich daran gewöhnt hätte, dachte sie. Aber das hatte sie nicht. Genauso wenig wie an das Pferd unter ihr, und an den groben Stoff des Waffenrocks.
Sie waren stetig nach Süden geritten, durch die ewigen Wälder von Kalihijn, durch die Berge von Jaquim, bis sie schließlich eine Menschenstadt erreicht hatten, von der Cord sich Sicherheit versprach.
„Selbst diese Wesen werden Schwierigkeiten haben, über die Berge zu kommen, zumindest noch vor dem Winter!“, hatte er gesagt. Es hatte sich gut angehört. Leider hatte es sich als Irrtum heraus gestellt.
Cord zügelte sein Pferd an der Stirnseite des Platzes, wo die gesamte Armee versammelt war. Fijara hielt ihre Stute hinter ihm. Sie hatte nicht gewusst, dass er Hauptmann war, bis sie in die Stadt gekommen waren.
„Hört zu, Männer!“ Cords Stimme trug weit über den Platz. Einige der Männer blickten zu ich, die meisten tuschelten noch, oder lachten. Fijara sah, wie sie auf sie zeigten und senkte wieder den Blick.
„Ruhe jetzt, das ist wichtig! Heute morgen hat uns ein Bote aus Elam erreicht.“ Jetzt horchten doch mehrere auf. Wahrscheinlich hatten sie Familie in Elam, das nur zwei Tagesritte von hier lag. „Er berichtete, die Eiskrieger hätten den Pass des Wahnsinns überquert. Sie lagern nun im Windtal, kaum zehn Meilen von Elam entfernt!“ Auf dem Platz war es beinahe schlagartig ruhig geworden. Die Soldaten sahen einander beunruhigt an. Fijara sah die Sorge auf ihren Gesichtern. „Die Stadt ist vom Schnee eingeschlossen. Die Eiskrieger werden sie in den nächsten Tagen dem Erdboden gleich machen. Ich weiß, viele von euch haben Verwandte und Freunde in Elam. Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder wir fliehen weiter nach Süden, in der Hoffnung, einen Ort zu finden, wohin die Eiskrieger uns nicht folgen können, oder wir brechen jetzt auf und greifen die Armee im Windtal an. Das Gelände liegt günstig für uns, wir können sie von oben angreifen. Und – glaubt mir – diese Mauern hier würden sie sowieso nicht aufhalten!“
Cord hielt inne und ließ seinen Blick über die versammelten Soldaten schweifen. Fijara wusste, dass er viel weniger Hoffnung hatte, als er sich anmerken ließ. Doch den Soldaten schien das nicht aufzufallen. „Nach Elam!“ rief der Erste, und weitere schlossen sich ihm an. „Nach Elam! Für die Freiheit!“
Für den Sommer!, dachte Fijara, als sie ihr Pferd hinter Cords aus dem Stadttor lenkte.
***
Die bunten Tücher waren steif gefroren und schlugen hart gegen die Rinde der Bäume. Die Glocken waren mit Eis gefüllt und klangen nicht mehr. Sie stand in der Mitte des Lagers und weinte. Die Tränen gefroren ihr auf den Wangen.
„Warum weinst du?“ Die Stimme, sanft und eindringlich an ihrem Ohr. „War das nicht, was du wolltest?“
Sie sah auf. Der Wind trieb Schneeflocken in ihr Gesicht. Sie schmolzen nicht, als sie ihre Wangen berührten.
„Ich will das nicht mehr“, flüsterte sie in den Wind. „Mach, dass es aufhört!“ Die Stimme an ihrem Ohr lachte klar und sanft.
„Du kannst es nicht beenden“, hauchte sie dann. „Denn du bist alleine.“ Ein weiteres Lachen verwehte im Wind.
***
Sie bezogen ihre Stellung auf den Hängen über dem Windtal. Ihr Atem stand in weißen Wolken in der Luft und Fijara wunderte sich, dass er nicht sofort zu Schnee gefror. Niemals zuvor hatte sie eine solche Kälte erlebt. Die Pferde stampften unruhig im niedergetretenen Schnee. Sie hatten rasten wollen, vor dem Angriff, doch es war viel zu kalt dafür. Sie wären vermutlich erfroren. Nun zogen die Sterne herauf und brachten den Schnee zum Leuchten.
„Hauptmann, alle Abteilungen sind an ihrer Position!“ Das Gesicht des Adjutanten war unter der Kapuze aus Vielfraßfell kaum zu erkennen.
„Gut! Die Hörner sind eingefroren. Geh und sag den Kommandanten, wir greifen an, wenn der Kelch eine Handbreit über dem Horizont steht!“ Der Junge nickte und eilte davon.
Fijara sah ins Tal hinunter auf die vagen Schemen, die sich von dem hellen Schnee abhoben.
„Wie sollen wir sie besiegen?“
„Gar nicht!“ Cord ignorierte ihren verwunderten Blick und starrte auf die Krieger herunter. „Wir können sie nicht besiegen. Sie sind die Kälte. Der Winter. Der Tod. Alles, was ich tue, ist, den Männern einen schnellen Tod zu schenken. Es hat ohnehin keinen Sinn mehr, sich Hoffnungen zu machen“ Er fixierte Fijara mit einem langen Blick. „Ich habe an die Elfen gedacht!“, sagte er dann. „Sie haben richtig gewählt. Besser mit Stolz sterben, als ewig fliehen!“
Du hast keine Ahnung, wie lange wir schon fliehen!, dachte Fijara, sagte aber nichts.
Der Kelch stieg höher, langsam und unaufhaltsam. Die Kälte kroch Fijara in die Glieder, in ihre Handschuhe und Stiefel und unter den Waffenrock. Dann, plötzlich, richtete Cord sich neben ihr im Sattel auf.
„Es ist soweit!“
Zuerst langsam, dann immer schneller werdend setzten sich die Pferde hangabwärts in Bewegung. Schnee stob um sie herum und die Hufe hämmerten wie Kriegstrommeln, ansonsten war der Angriff erstaunlich ruhig. In weniger als fünf Minuten hatten sie die Talsohle erreicht.
Die Eiskrieger schienen nicht im Mindesten überrascht zu sein. Ihre Schwerter und Rüstungen glitzerten und schimmerten im Mondlicht. Eis, dachte Fijara, bevor sie auf den ersten Gegner stieß.
Sie hatte kämpfen gelernt, in ihrer Jugend, aber sie hatte es nie tun müssen. Vieles hatte sie bereits wieder vergessen. Sie zog ihr Schwert und streckte es weit vor, in der Hoffnung, irgend etwas zu treffen. Die Spitze des Metalls schrammte über Eis und verursachte ein grässliches Kreischen, das in ihren Ohren schmerzte. Ihr Arm glitt zur Seite weg und irgend etwas sehr Kaltes traf ihre Hüfte mit solcher Wucht, dass sie aufschrie und beinahe den Halt im Sattel verloren hätte.
Sie ließ ihr Schwert fallen und klammerte sich an den Sattelknauf. Ihr Pferd hatte sie an dem Angreifer vorbei getragen und raste nun führerlos durch die feindlichen Reihen. Fijara warf einen hastigen Blick auf ihre Hüfte. Aus einer klaffenden Wunde lief Blut über die Flanke ihres Pferdes und gefror dort sofort. An den Wundrändern saßen Eiskristalle, Kälte schien von innen durch Fijaras Körper zu kriechen.
Ein weiterer Krieger kam auf sie zu. Die Axt schimmerte so hell, dass sie beinahe geblendet wurde. Wie hypnotisiert starrte sie darauf. Dies also sollte ihr Tod sein. Auch recht. Schließlich hatte sie lange genug gelebt. Die Axt schoss auf ihren Kopf zu. Sie erwartete den Schmerz.
Irgend etwas traf ihr Pferd an der Hinterhand. Es wieherte schrill auf und stieg. Fijara verlor den Halt und wurde zu Boden geschleudert. Knapp über ihr zischte die Axt vorbei.
Während sie durch den Schnee rollte, bemerkte sie verwundert, dass sie nicht sterben wollte. Jetzt noch nicht!, schrie etwas in ihr, während ein andere, leisere Stimme ihr zuflüsterte: Warum nicht? Was hast du denn noch vor?
Sie hörte nicht auf sie, sprang auf ihre Füße und sah sich nach einer Waffe um. Sie wollte um ihr Leben kämpfen.
Neben ihr lag ein toter Soldat. Sie wand ihm seinen Morgenstern aus den steifgefrorenen Fingern, hob ihn mit Mühe an und suchte nach einem Gegner. Der mit der Axt hatte sich nicht weiter um sie gekümmert, sondern machte gerade einem weiteren Söldner den Garaus. Niemand schien sie zu beachten.
Fijara schleppte sich an die Seite eines verwundeten Soldaten und schwang ihre Waffe. Ein Eiskrieger prallte zurück, taumelte etwas, gewann aber schnell wieder sein Gleichgewicht und kam mit erhobenem Schwert auf sie zu. Seine Rüstung und der Helm waren aus durchscheinendem Eis, doch das Visier spiegelte das Mondlicht so stark wieder, dass Fijara keine Gesichtszüge ausmachen konnte.
Wieder hob sie den Morgenstern. Die Waffe war viel zu schwer für sie und ihre Muskeln schmerzten. Oder war es die Kälte, die in ihre Arme vordrang?
Das Schwert sauste herab und prellte ihr die Waffe auf der Hand. Ein tiefer Schnitt lief von ihrer Schulter bis zum Handgelenk. Er blutete nicht. Das Blut war in der Wunde gefroren. Entsetzt beobachtete Fijara, wie sich eine Eisschicht auf dem bloß liegenden Knochen bildete. Dann drang der Schmerz in einer Welle auf sie ein und sie verlor das Bewusstsein.
Irgend etwas zwang sie wieder in die Wirklichkeit zurück, sie konnte nicht sagen, was es war. Sie war so furchtbar müde. Warum konnte sie nicht einfach liegen bleiben und schlafen? Es war auch überhaupt nicht kalt. Eine angenehme Schwere erfüllte all ihre Glieder. Wahrscheinlich könnte ich gar nicht aufstehen, selbst, wenn ich wollte!, dachte sie. So lag sie nur mit geschlossenen Augen da und genoss das Gefühl der Ruhe um sich herum. Sie hörte den Wind um sie herum wispern und spürte sanfte Berührungen, wie streichelnde Finger, auf ihren Wangen.
Es ist wie früher, dachte sie. Unter einem Baum liegen und den Gesängen und Gedichten lauschen. Der Wind kämmte ihr Haar und sang für sie. Tonlos, wortlos zuerst, doch dann immer eindringlicher. Wollte er ihr etwas sagen? Es war so schwer, sich zu konzentrieren. Was sprach der Wind? Wenn sie sich nur an die Worte erinnern könnte, die einen den Wind verstehen ließen. Was immer er ihr sagen wollte, es schien wichtig zu sein.
Mit Mühe drängte sie das dumpfe Gefühl in ihrem Kopf zurück, dann schließlich kamen die Worte wieder zu ihr. Sie versuchte, den Mund zu öffnen, doch ihre Lippen waren aneinander fest gefroren. Beinahe hätte sie aufgegeben. Doch der Wind drängte. Sie biss sich auf die Lippen, bis das warme Blut das Eis schmolz. Es tat sehr weh und das Blut gefror beinahe sofort wieder. Aber sie konnte sprechen. Leise flüsterte sie die Worte in den wispernden Wind.
Und er sang für sie, raunte ihr mit seiner tonlosen Stimme ein Gedicht ins Ohr.
Ewig der Winter,
Wenn man es ihm gestattet.
Was bin ich?
Immer und immer wieder. Es gab keinen Sinn. Fijara verstand nicht, was er meinte. Warum fragte er sie überhaupt? Konnte er sie denn nicht schlafen lassen?
Dann, leise, bahnten sich Worte in ihrem Kopf einen Weg. Wenn sie dem Wind antwortete, dann würde er sie in Ruhe lassen, bestimmt. Noch leiser als zuvor gab sie ihm seine Antwort.
Ich bin die Hüterin des Sommers,
Die nach dem Leben sucht.
Wer ist der Hüter des Winters,
Der den Tod bringt?
Er trug ihr den Namen zu.
Beruhigt schlief Fijara ein.
***
Sie lag im Schnee, so wunderschön und ruhig, als würde sie schlafen. Doch ihre Wunden waren so tief, dass Cord befürchtete, sie wäre nicht mehr am Leben. Besorgt beugte er sich über sie und sah, wie ihre Lippen sich bewegten. Sie sprach, aber kein Ton war zu hören. Behutsam hob er sie auf und trug sie zu seinem Pferd hinüber. In der Stadt könnte man sie vielleicht gesund pflegen.
***
Fijara hielt ihr Pferd auf der Passhöhe an und blickte in die Ebenen hinunter. Sie war nur leicht bekleidet, Hemd und Hose aus sommergrünem Leinen, ihre Waffen hatte sie abgelegt. Unter ihr breitete sich ein unberührtes Schneefeld aus, so weit sie blicken konnte.
Sie machte sich nichts mehr aus Eis und Schnee.
In dem Moment, als sie dem Wind, der Stimme des Sommers, ihre Antwort gegeben hatte, war sie zur Hüterin des Sommers geworden. Es war wie ein Vertrag, ein Versprechen, den Winter zu vertreiben.
Den Kreis schließen.
Sie lächelte traurig. Wenn doch nur jemand vor ihr auf den Wind gehört hätte. Wie viele Leben hätte das retten können?
Sie war schnell gesund geworden, in der Stadt jenseits der Berge. Und noch bevor die Horden des Winters auch diese Zuflucht überrannten, war sie aufgebrochen.
Die Wintergöttin hatte ihr Bestes gegeben, sie aufzuhalten, aber sie war nun gefeit gegen die Kälte. Ihr Pferd schien ebenfalls unter dem besonderen Schutz zu stehen, den der Sommergott gewährte. Es trug sie willig und ohne zu straucheln in die Berge, hinauf zum Pass des Wahnsinns. Cord dagegen, in dicke Pelze gehüllt, hatte mit dem Winter weitaus mehr Schwierigkeiten. Aber er hatte sich nicht davon abhalten lassen, sie zu begleiten.
„Wenn du es beendest, will ich dabei sein“, hatte er gesagt.
Sie trieben die Pferde in die Ebenen hinab, ließen die ewigen Wälder von Kalihijn links liegen und trabten durch den frischen Schnee nach Norden.
Nach zwei Wochen erreichten sie den Waldrand. Fijara konnte sich noch genau an den Weg erinnern, obwohl die Landschaft unter ihrer weißen Decke so verändert aussah. Mit einem leichten Schenkeldruck lenkte sie ihr Pferd nach Hause. Cord folgte ihr schweigend.
Das Lager war still, nur der Schnee knirschte leise unter den Hufen ihrer Pferde, als sie hindurch ritten. Fijara betrachtete still die bunten Zelte, die Männer und Frauen, mit einer dicken Eisschicht bedeckt, die Gesichter beinahe noch lebendig. Sie standen unter den kahlen Bäumen aufgereiht wie Statuen. Fijara weinte still, ihre Tränen fraßen kleine Trichter in den Schnee.
Erilane saß auf einem Baumstumpf und sah ihr stumm entgegen. Als Fijara ihr Pferd vor ihr zügelte, erhob sie sich.
„Du trägst Menschenkleider!“ Ekel stand in ihrem Gesicht.
„Das tue ich.“ Sie fügte nicht hinzu, dass sie auch eingewilligt hatte, die Frau eines Menschen zu werden. Erilane würde es nicht verstehen.
„Sag der Wintergöttin, sie soll ihre Krieger zurückrufen. Sie haben genug Leiden gebracht.“ Ihre Stimme war ganz ruhig.
Erilane begann zu weinen.
„Ich habe das nicht gewollt. Wirklich. Ich wusste nicht, dass diese alte Beschwörung so mächtig ist. Und dann, dann war ich alleine. Ich wollte sie aufhalten, aber... “
„Genug davon. Ich bin hier. Können wir beide es beenden?“
Erilane nickte beinahe unmerklich. Fijara streckte ihre Hand aus. Erilane trat zögernd zu ihr, zog ihr Messer aus dem Gürtel und schnitt tief in die Handfläche. Fijara biss die Zähne zusammen. Blut lief in den jungfräulichen Schnee.
„Die Hüterin des Winters bittet die Wintergöttin einzuhalten!“ Erilane klang müde und heiser. "Der Kreis muss sich wieder schließen! Nayana ilarin. Kehrt wieder, wenn es Eure Zeit ist!"
Ein Wind erhob sich zwischen den Bäumen und ließ Schnee von den Ästen rieseln. Er war kalt, aber es lag ein unbestimmbarer Geruch nach Erde darin.
„Wintergöttin! Die Hüterin des Sommers fordert Euch auf, zu weichen. Mein Blut für deine Gnade." Fijaras Stimme war fest und ruhig.
Der Wind wurde stärker, wirbelte Schnee auf und ließ die gefrorenen Äste knirschen. Der Geruch nach Erde war nun überwältigend und es schien wärmer zu werden. Einige Eiszapfen an einem nahen Ast begannen zu tropfen.
Fijara wendete ihr Pferd, ohne Erilane nochmals anzusehen. Cord jedoch lenkte sein Tier neben die traurige Hüterin des Winters.
„Warum hast du es getan?“
Mit tränenverhangenen Augen sah Erilane zu ihm auf.
„Mir war so langweilig.“