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Haus der Hilfe

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15.08.2003
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Haus der Hilfe

Der Schnee knirschte leise unter seinen Sohlen. Herr Wasilowski schloss das Tor hinter sich und betrat den schmalen Kiesweg, der zum Hauptgebäude führte. Diese frühen Minuten des Tages waren die schönsten; die wenigen Minuten, in denen er ganz in Ruhe das Haus betrachten und seine Schönheit bewundern konnte.

Im Gegensatz zu anderen mochte Herr Wasilowski das Haus. Die Menschen der Stadt waren anderer Meinung, sie sprachen verächtlich vom „Irrenhaus“, das voller „Geistesgestörter“ wäre, die eine „Bedrohung“ darstellten. Solche Einstellungen widerten Herrn Wasilowski an. Er zog es vor, von einem „Haus der Hilfe“ zu reden; einem Haus, in dem arme, bemitleidenswerte Menschen, die mit ihren Leben nicht zurecht kamen, seinen Trost und Beistand fanden. Er war erst nach einer Weile zu dieser Erkenntnis gelangt, und sie beflügelte ihn. Mittlerweile hatten selbst solch angeblich objektive Bezeichnungen wie „geschlossene Anstalt“ oder „Psychiatrie“ einen aggressiven Unterton. Aggressivität war schrecklich. Herr Wasilowski bevorzugte Harmonie in seinem Leben.

Er gab seinen fünfstelligen Zugangscode in die Tastatur ein, die seit Monaten das Schloss ersetzte, und ging zu seinem Büro. Krämer würde dort auf ihn warten, wie schon seit Jahren. Dieser kleine, schmierige Mann war einfach eines Tages aufgetaucht und nicht mehr weggegangen, und Herr Wasilowski duldete ihn in seiner Nähe. Im Gegensatz zum Personal hatte Krämer irgendwie – Persönlichkeit. Er war keiner dieser namenlosen Pfleger, die alle gleich aussahen und sich nach ein paar Jahren eine besser bezahlte Arbeit suchten. Herr Wasilowski konnte die Pfleger nicht leiden. In seinen Gedanken nannte er sie alle Müllermeierschulz, weswegen er jedesmal, wenn er einen von ihnen ansprach, erneut auf ihr Namensschild schauen musste.

Krämer wartete wie immer auf der rechten Seite des Schreibtischs. Ohne ihn zu grüßen, nahm Herr Wasilowski Platz und blätterte ein bisschen in seinen Unterlagen. Ein beschäftigter Eindruck war wichtig. Krämer sollte nicht glauben, er habe nichts zu tun. Wie üblich ging Krämer jedoch genau davon aus und schob sein rattenähnliches Gesicht direkt vor Herrn Wasilowskis Nase.
„Sie sollten eine Versammlung einberufen und den Müllermeierschulzes zeigen, wie man jemanden respektiert, Chef“, schnarrte er.
Herr Wasilowski kicherte. Aus dieser Perspektive schien Krämer zwei lange Nagezähne zu haben. Sie wuchsen förmlich aus seinem Gesicht heraus.
„So, wie ich Sie respektiere, tut das hier keiner“, fuhr Krämer fort. „Die sehen in Ihnen keinen Vorgesetzten, sondern einen Deppen für alles, dem sie wie Ratten auf der Nase herum tanzen können!“
Ausgerechnet Krämer sprach von Ratten. Herr Wasilowski lachte laut auf. Vor seinen Augen wurde sein Assistent immer kleiner und haariger, bekam einen langen Schwanz und hopste dann vom Schreibtisch. Und weg war er.
„Entschuldigung?“
Die Stimme kam von der Tür. Immer noch lachend blickte Herr Wasilowski auf und winkte den Pfleger herein. Dieser schaute ihn leicht verwirrt an. Herr Wasilowski seufzte. Aus irgendeinem Grund wirkten die Pfleger oftmals ein bisschen merkwürdig, wenn sie mit ihm sprachen. Dieser hier legte jedoch sofort wieder ein freundliches Lächeln auf und brachte sein Anliegen vor.
Herr Wasilowski nickte ein paar mal angemessen, warf hier und da ein „Jaja...“ ein und schaute gelangweilt aus dem Fenster. Draußen im Schnee begann Knolle gerade, ein paar Purzelbäume zu schlagen. Er trug seine roten übergroßen Schuhe und hatte heute die grünen Locken auf. Herr Wasilowski vermutete, dass Knolle zu den Pflegern gehörte, aber sicher war er sich nicht. Knolle munterte ihn immer wieder auf, wenn das Personal ihn zu nerven begann. Als Herr Wasilowski anfing, leise zu kichern, zog sich Müllermeierschulz endlich wieder zur Tür zurück. Er ging dabei langsam rückwärts und ließ Herrn Wasilowski nicht aus den Augen.

Auf seinem allmorgendlichen Rundgang hatte Herr Wasilowski eine neue Idee. In diesen Mauern lag doch soviel Material für Filme oder ein gutes Buch! Prompt stellte er sich einen Drehbuchautoren vor, der hier zu Besuch war. Er konnte den Mann praktisch vor sich sehen, mit seiner dicken Brille und seinem Notizblock, wie er verzweifelt nach einer Geschichte suchte. Herr Wasilowski erbarmte sich und beschloss, den Herrn Drehbuchautor ein bisschen herumzuführen.
„Hier kommen wir zum Zimmer von einem jungen Herrn, sechzehn Jahre alt... der gute Kornelius. Erschrecken sie nicht wegen seiner Narben, die hatte er schon, bevor er herkam. Haha!“
Herr Wasilowski stellte die beiden einander vor. Der gute Kornelius weigerte sich, dem Herrn Drehbuchautoren die Hand zu reichen, aber dieser machte sich ja ohnehin Notizen.
„Die Eltern vom guten Kornelius wollten ihn nur erziehen, das haben sie ja nicht böse gemeint“, erklärte Herr Wasilowski. Er freute sich. Vielleicht würde er im Titelvorspann erwähnt werden.
„Sie waren allerdings ein bisschen ruppig, hätten ihn fast zu sehr erzogen – verzogen, verstehen sie? Haha! Irgendwie meint der gute Kornelius seitdem, er könne fliegen... ist ein paarmal von einigen Dächern gehüpft... Das Leben schreibt doch die schönsten Geschichten. Ist es nicht so, guter Kornelius?“
Der Junge starrte teilnahmslos in eine Ecke. Herr Wasilowski blickte in die selbe Richtung, aber dort gab es beim besten Willen nichts zu sehen. Mit beiden Händen fuchtelte er dem guten Kornelius vor dem Gesicht herum, aber dieser regte sich nicht. Von so wenig gutem Willen enttäuscht beschloss Herr Wasilowski, seinen Rundgang fortzusetzen und dem Jungen Johanna, das Kindermädchen, vorbei zu schicken.

Johanna befand sich immer auf der Kinderstation. Sie trug ihr blondes Haar zu langen Zöpfen und strickte immer den gleichen rosafarbenen Socken. Ihr massiver Körper füllte ein hellblaues Dirndl, und auf ihrem Kopf befand sich eine überdimensional große Schleife. Trotz ihres Gewichts schwebte sie immer zehn Zentimeter über dem Boden. Herr Wasilowski musste zugeben, dass er sich hin und wieder über ihren Anblick lustig gemacht hatte; aber da keiner der Müllermeierschulzes jemals mitmachte oder sich Mühe gab, den Witz zu verstehen, hatte er es bald wieder aufgegeben.
Immerhin war Johanna gleich bei der Sache und ging geradewegs durch die geschlossene Tür in das Zimmer. Herr Wasilowski schaute ihr belustigt zu. Er mochte es, wenn seine Mitarbeiter sich solch amüsante Einlagen einfallen ließen.

Im Zimmer nebenan wohnte Calla, ein siebenjähriges Mädchen. Sie war noch nicht lange im Haus, und außer Herrn Wasilowski interessierte sich keiner so richtig für sie. Die beiden jungen Ärzte, Doktor Brandhorst und Doktor Kienz, schienen ohnehin immer nur mit sich selbst beschäftigt zu sein.
Der strenge Geruch im Zimmer verriet Herrn Wasilowski, dass Calla wieder einmal die Toilette nicht gefunden hatte. Er beschloss, ihr den Weg zum Bad mit Filzstift auf den Boden zu malen. Als Calla ihn jedoch erblickte, begann sie panisch zu kreischen und wollte beim besten Willen nicht aufhören. Herr Wasilowski beschloss, sie zu beruhigen und fing an zu tanzen. Auf Hochzeiten hatte er schließlich auch immer getanzt, und dazu brauchte man eine Partnerin. Er hob Calla hoch und begann, sie herumzuwirbeln. Ihre Schreie taten ihm jedoch bald in den Ohren weh. Beleidigt verließ er ihr Zimmer und ignorierte Schwester Müllermeierschulz, die ihn wütend anbrüllte und ihm irgend etwas von einem „armen misshandelten Mädchen“ auftischen wollte. Aber Herr Wasilowski hatte keine Zeit für Geschichten. Er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Büro, wo Krämer, der sich wieder in einen Menschen verwandelt hatte, schon wartete.

Nach dem Mittagessen ging Herr Wasilowski los, um Doktor Kienz zu sprechen. Hin und wieder musste er sich mit den Ärzten abstimmen, um einen harmonischen Ablauf zu gewährleisten. Aber anstatt zuzuhören, redete Doktor Kienz ihm ständig ins Wort. Er regte sich schrecklich auf, und alles nur, weil Herr Wasilowski Calla besucht hatte.
„Sie können das Kind doch nicht einfach so überfallen! Was haben Sie sich dabei denn gedacht?“
Herr Wasilowski schwieg.
„Und dann die Schmiererei auf dem Boden. Das können Sie schön selbst wegputzen.“
Herr Wasilowski versuchte, nicht laut loszulachen. Knolles Grimassen im Hintergrund waren einfach zu lustig.
„Halten Sie sich bitte von den Patienten fern! Die brauchen unbedingt Ruhe.“ Doktor Kienz drehte sich um und ging. Herr Wasilowski wartete, bis er außer Hörweite war, und traute sich dann endlich zu lachen. Erst als sich Knolle mit einem „Blubb“ in eine Wolke aus blauem Nebel aufgelöst hatte, fasste er sich wieder und ging in sein Büro zurück.

Krämer regte sich schrecklich auf.
„Das ist Ihr Haus, Chef. Da können Sie machen, was Sie wollen. Außerdem meinen Sie’s ja nur gut. Die Kleine kann doch froh sein, wenn sie mal Besuch bekommt.“
Herr Wasilowski nickte. „Und der Kienz kann froh sein, wenn ich ihn nicht rauswerfe.“
„So ist es richtig, genau so, Chef. Lassen Sie sich nicht immer alles bieten.“

Herr Wasilowski besuchte Frau von Stein, die alte Dame aus dem obersten Stockwerk. Er mochte sie. Alles war immer blitzblank in ihrem Zimmer, und Frau von Stein hörte auch immer zu, wenn er von seinen Freunden erzählte.
„Purzelbäume hat er geschlagen, Frau von Stein, im Schnee! Das ist schon ein verrückter Kerl, der Knolle, das können Sie mir glauben.“
„Gewiss doch“, erwiderte die alte Dame. „Das hat mein Enkelchen auch immer getan. Und sich dreckig gemacht dabei, einfach grausig war das. Dieser ganze Schmutz!“
Frau von Steins Wecker klingelte. Sie verschwand kurz im Bad, um sich die Hände zu waschen. Herr Wasilowski, der der Hygiene wegen auf einer Zeitung saß, sprach einfach lauter weiter.
„Johanna geht es auch gut, Frau von Stein. Sie hat vielleicht bald den Socken fertig gestrickt. Dann frag ich sie mal nach einem Paar für mich.“
„Tun Sie das, Herr Wasilowski“, tönte es neben lautem Plätschern aus dem Badezimmer. Dann kam Frau von Stein zurück.
„Wie geht es denn eigentlich ihrer Familie, Frau von Stein? Sind alle gesund?“
Die alte Dame blickte ihn entsetzt an.
„Ich habe keine Familie, Herr Wasilowski. Oder meinen Sie die Dreckspatzen? Die waren furchtbar, alle waren so blutig, ganz scheußlich. - Schlimm war das.“
Frau von Stein rieb sich nervös die Hände. „Sauberkeit ist doch wichtig, Herr Wasilowski. Sehr wichtig. – Es musste doch sauber sein, verstehen Sie? Ich... ich wollte doch nur, dass es sauber ist.“
Verzweifelt blickte sie zur Tür und holte tief Luft. Sie schaute ihn flehend an und flüsterte: „Sind... sind sie noch rot, Herr Wasilowski?“ Sie hielt ihm ihre zitternden Hände vors Gesicht.
„Nein“, versicherte er nach eingehender Untersuchung, „Alles sauber, Frau von Stein.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ach, ich – ich sollte sie vielleicht doch noch einmal waschen...“ Sie erhob sich und ging wieder ins Bad.
Nach einer Viertelstunde wurde es Herrn Wasilowski langweilig. Leise schloss er die Tür hinter sich, während der Wecker wieder schrillte.

Der Ostflügel war Herrn Wasilowski unsympatisch. Hier lagen alle immer nur im Bett, und keiner stand jemals auf. Vielleicht schliefen sie ja, so wie Dornröschen. Hin und wieder spähte er in eine Tür, aber die Leute lagen wirklich nur im Bett herum.
Plötzlich hörte er, wie Doktor Brandhorst und Doktor Kienz den Gang entlang liefen und verschwand schnell in einem der Zimmer.
In diesem Bett lag ein Mann in seinem Alter. Herr Wasilowski setzte sich neben ihn und betrachtete interessiert die Gurte, die den Mann am Bett hielten. Dann schaute er ihm direkt in die Augen und beschloss, sich vorzustellen.
„Wasilowski, sehr erfreut. Und Sie sind?“
Der Mann schaute ihn schweigend an und musterte ihn von oben bis unten. Nach einer halben Ewigkeit fragte er: „Sind Sie ein Pfleger?“
Herr Wasilowski schüttelte den Kopf.
„Ich bin hier der Chef“, sagte er nicht ohne einen gewissen Stolz.
Wieder dauerte es eine Weile, bis der Mann antwortete.
„Und wie halten Sie das hier aus?“
Herr Wasilowski überlegte. Was aushalten? Hier war es doch nicht schlimm. Was meinte der Mann nur? Seitdem Knolle und Johanna und Krämer hier waren, hatte er jeden Tag Spass gehabt. Und davor...
Herr Wasilowski konnte sich ganz schwach an vereinzelte unharmonische Dinge erinnern. Es war ihm lange kalt gewesen. Keine Heizung hatte etwas geholfen... Und er war einmal eine Zeit lang jede Nacht schreiend aufgewacht, hatte Bauchschmerzen gehabt und Alpträume...
Plötzlich fühlte sich Herr Wasilowski schlecht. Wütend blickte er auf den Mann im Bett. Er hatte es geahnt, der Mann war böse.
„Geschieht Ihnen recht, dass Sie hier im Bett liegen“, sagte er angriffslustig. „Sie bringen die Harmonie aus dem Gleichgewicht. Harmonie ist aber wichtig.“
Mit diesen Worten verließ Herr Wasilowski den Raum.
Er musste immerhin seine Pflicht erfüllen.

Unterwegs kam er jedoch auf der Kinderstation vorbei, wo Johanna gerade aus der Wand geschwebt kam.
„Schauen Sie mal nach der kleinen Calla, Herr Wasilowski! Sie hat sich verirrt!“
„Findet sie die Toilette wieder nicht?“ fragte Herr Wasilowski und ignorierte die versteckten Blicke eines Müllermeierschulzes.
„Sie müssen ihr helfen!“, drängte Johanna.
Herr Wasilowski schloss die Türe auf und holte tief Luft. Das Mädchen lag auf dem Boden in einer Lache aus – Herr Wasilowski wollte nicht einmal genau hinsehen, was das eigentlich war. Hinter ihm drängte sich ein empörter Müllermeierschulz ins Zimmer, aber seine Vorwürfe blieben ihm im Halse stecken. Beide blickten auf das kleine blonde Mädchen, das in seinen Exkrementen lag und schlief.
Herr Wasilowski begann zu zittern, drehte sich um und erbrach.

Knolle heiterte ihn wieder auf. Auch als er am Abend durch die Gänge lief und nach dem Rechten sah, musste er hin und wieder einfach laut loslachen. Die beiden Ärzte, die ihn dabei beobachteten und sich untereinander beratschlagten, fielen ihm nicht auf.

Um achtzehn Uhr verabschiedete sich Herr Wasilowski von Krämer. Er würde morgen wieder in seinem Büro warten. Herr Wasilowski mochte Menschen, auf die man sich verlassen konnte, weil sie die Harmonie nicht aus dem Gleichgewicht brachten.
In der Eingangshalle begegnete er Doktor Brandhorst, der gerade einen Brief ins Postfach warf. Den schuldbewussten Blick in dessen Gesicht wusste er nicht zu deuten.

Herr Wasilowski verließ das Gebäude durch den Hinterausgang und betrachtete noch einmal sein Haus der Hilfe, bevor er sich endgültig abwandte und durch den Schnee nach Hause stapfte.

Zwei Tage später funktionierte sein Zugangscode nicht mehr. Herr Wasilowski hatte ein gutes Gedächtnis, aber er testete noch einige Variationen. Vergeblich. Verzweifelt versuchte er, auf andere Weise in das Gebäude zu gelangen. Nach Stunden in der Kälte gab er auf. Zutiefst beunruhigt trat er schließlich wieder den Heimweg an.

Einen Tag später fand Herr Wasilowski ein Seil und vollbrachte, wovon im Haus der Hilfe nur geträumt werden durfte. Die Kündigung seines Hausmeisterpostens lag auf dem Tisch.

 

Hmmm...
Fragmentarisch gehalten... in Ordnung...
Die beschriebenen Zustände klingen sehr nach Klischee, obwohl sie durchaus real sein könnten.
Eine Momentaufnahme??? Gut, warum nicht... es sind aber zu viele Momentaufnahmen, um sich auf die entscheidende zu konzentrieren...dennoch berührt es mich noch nicht wirklich, und sein langsames hinüberdriften??? Warum dadurch? Oder besser: Wodurch??? Warum gerade an diesem Tag?
Der entschluß, das "Haus der Hilfe" mittels eines Seiles um seinen Hals zu verlassen geht in Ordnung, der Innere, tatsächliche Grund fehlt mir aber dennoch.
l.G. Lord

 

Hallo Lord,

Momentaufnahmen sind dabei. Für mich ist es jedoch eher eine (wohl zu ausführliche) Charakterisierung eines Mannes, der für und durch seine Arbeit lebt und ohne nicht kann, auch wenn sie ihn kaputt macht.
So ganz glücklich bin ich übrigens auch nicht, kam aber nicht mehr weiter, also wenn du Verbesserungsvorschläge hast, leg los!

lg Anea

 

Hallo Anea,


also, ich habe die Geschichte so verstanden, dass der Hausmeister seinen Job zwar liebt, aber im Laufe der Zeit selbst verrückt geworden ist und zunächst niemand diesen Wandel bemerkt hat bzw. ernstnimmt.
Als sie den Wandel bemerken, werfen sie ihn raus. Den Titel: „Haus der Hilfe“ finde ich genial, schön böse. Das Haus, das dazu da ist, Psychisch Kranken zu helfen, hilft seinem Angestellten nicht, sondern stürzt ihn in Verzweiflung.

Es sind viele schöne Stellen in deiner Geschichte, Feinheiten, die alles plastisch werden lassen, z.B.: „In seinen Gedanken nannte er sie alle Müllermeierschulz, weswegen er jedesmal, wenn er einen von ihnen ansprach, erneut auf ihr Namensschild schauen musste.“

An manchen Stellen wird es mir etwas zu direkt, z.B.: „Aus irgendeinem Grund wirkten die Pfleger oftmals ein bisschen merkwürdig, wenn sie mit ihm sprachen. Als ob er nicht ganz richtig sei.“

Viele andere, vor allem, wenn du erzählst, statt zu beschreiben, sind toll. Wenn sich Krämer in den Augen des Prot in eine Ratte verwandelt, z.B., oder der Satz:
„Herr Wasilowski vermutete, dass Knolle zu den Pflegern gehörte, aber sicher war er sich nicht“ - nachdem Knolle als Clown beschrieben wird.

Klasse auch der Einstieg in den Rundgang, der böse Monolog über den Jungen Kornelius.

Dann allerdings beginnt sich das Ganze leicht zu ziehen. Patient für Patient wird abgehandelt, hier droht wirklich, wie Lord Arion schon erwähnte, das Klischee, denn Patienten in Kliniken wurden schon so oft beschrieben. Wichtig in dieser Geschichte ist aber - wie ich das sehe - das Verhältnis vom Prot zu Patienten und Ärzten. Dafür reicht es aber auch, wenn du den Rundgang nur anreißt. Drei Patienten beschreibst, den Streit mit dem Arzt über den bemalten Boden - den fand ich gut - den Rest würde ich über Bord schmeißen, es bringt die Geschichte nicht weiter, und manchmal kommt der Prot auch gar zu blöd rüber, wie bei:

„Frau Wilhelm erinnerte ihn nämlich an die heilige Jungfrau; die wurde schließlich auch von alleine schwanger. Schon zweimal hatte Doktor Brandhorst einen Kollegen bestellt, um das Baby zu holen. Herr Wasilowski verstand das nicht, wurden die Kinder vom lieben Gott nicht in Ställen geboren? ...“

Hier weicht das Wolkig-Unbestimmte, das sonst in der Geschichte vorherrscht, schon dem Holzhammer.

Klasse das Ende, der Satz:
“Einen Tag später fand Herr Wasilowski ein Seil und vollbrachte, wovon im Haus der Hilfe nur geträumt werden durfte.“

Die Einleitung zum Schluss erscheint mir allerdings etwas unrealistisch. Da wird dem Prot anscheinend fristlos gekündigt, und schon zwei Tage danach das Schloss ausgewechselt.
Vielleicht kann man das irgendwie realistischer machen, ihn in Pension schicken, und er schleicht tags drauf zum Haus der Hilfe, fragt, ob man ihn braucht, wird abgewiesen und erhängt sich tags darauf. Okay, es wäre weniger böse, dafür lebensnäher. Ein Hausmeister, ein wenig wunderlich geworden mit den Jahren, und keiner merkt, was wirklich mit ihm los ist.

Ist natürlich nur eine Idee.

Viele Grüße
Pischa

 

Hallo anea,

bevor ich den Schluss deiner Geschichte und die Kommentare gelesen habe, bin ich davon ausgegangen, dass dein Prot nicht der Hausmeister ist sondern ein psychisch Kranker, der sich einbildet der Chef des Ganzen zu sein. Aber offenbar handelt es sich tatsächlich um einen Angestellten, der nach und nach sich dem Klientel des Hauses anpasst.
Deine Beschreibungen sind schön, die Patienten kommen deutlich symphatischer rüber als die Ärzte und Pfleger, das passt.
Dennoch fand auch ich deine Geschichte ein wenig zu lang. Eine Person wird an die andere gereiht, zu viele Bruchstücke ohne klare Linie. Vielleicht kürzt du die Beschreibungen einfach etwas und versuchst, das für dich zentrale Thema, den roten Faden noch stärker herauszuarbeiten?
Eine Kleinigkeit noch:

Einen Tag später fand Herr Wasilowski ein Seil

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Anea,
die Geschichte ist flüssig geschrieben, gut zu lesen mit lustigen Einlagen. In dem Moment als " sein Assistent immer kleiner und haariger" wurde, ahnte ich, was mit deinem Prot los war, aber das hat den Spaß nicht geschmälert. Gestört hat mich das zu einseitige Erscheinen der Charaktere, sowohl die einzelnen Patienten; als auch dein Prot, selbst ein Hausmeister hat nicht die Zeit den ganzen Tag Patienten zu besuchen; und die Ärzte, wenn sie gemerkt haben, was mit ihm los ist, hätten sie doch ihre Pflicht als Arzt tun müssen, aber dass sein Schlüssel nicht passt, statt einer ordentlichen Kündigung, hm, vielleicht passt die Geschichte so in die Rubrik Satire. Hast du eigentlich recherchiert, d. h. weißt du in etwa, wie es in einer Psychiatrie zugeht? Freunde von mir arbeiten da und die Patienten sind meist nicht so extrem.

So, jetzt habe ich die anderen Kritiken gelesen, die Vorschläge von Pischa gefallen mir auch, wenn du keine Satire schreiben willst, muss er ordentlich entlassen werden.
Ich gehe mal die einzelnen Patienten durch:
Der von seinen Eltern geschlagene Sohn sitzt verstört in der Ecke, ok.
Dass Johanna auch eine Einbildung von ihm ist, habe ich erst beim zweiten Lesen verstanden, als ich die geschlossene Tür kapiert habe. Mach das deutlicher.
Das mit dem misshandelten Mädchen ist deutlich, aber da finde ich sein Verhalten übertrieben, vielleicht könnte er ihr nur ein Bonbon schenken oder versuchen ihr eine Geschichte zu erzählen oder so.
Warum der Psychiater einen Arzt zu der eingebildeten Schwangeren schickt, habe ich nicht kapiert, sollte wohl ein Witz mit der heiligen Maria sein, würde ich streichen.
Hat die Frau mit dem Waschzwang Kinder umgebracht? Habe ich auch nicht verstanden und der Teil war mir ehrlich gesagt zu einfach gestrickt.
Dann soll wohl die geschlossene Abteilung kommen, aber ich bezweifle, dass alle da in Betten liegen, außerdem hat mich hier das Wort "blöd im Bett herum" liegen wirklich gestört, finde ich zu hart. Dass ein Patient ihn fragt, wie er es aushält, ist erstaunlich, aber das ermöglicht dir eine geschickte Rückblende und Erklärung, was mit deinem Prot passiert ist.
Sollte das eine Magersüchtige sein, die von Steaks träumt? Das tun die nie!
Ich hoffe, das hilft dir!
lieben Gruß
Charlotte

 

Hallo ihr alle,

vielen Dank für eure Kommentare und wertvollen Tips, sie helfen wirklich weiter. Morgen werde ich mich dransetzen und das ganze gründlich überarbeiten. Ich weiß jetzt auch, wo ich streichen kann, mit der Länge war ich auch nicht zufrieden.
Übrigens: ja, ich habe recherchiert. Und mir diesmal Krankheiten und Verhaltensweisen rausgesucht, die bekannt sind (Mukoviszidose ist nämlich nicht sehr bekannt, wurde mir beim Leo klar), werde aber auch da noch einmal kürzen. Und die Patientin mit Ess-Brechsucht kann durchaus von einem Steak träumen, da sie ja nicht zu denen gehören muss, die sich zu Tode hungern, sondern eher zu denen, die essen, bis es nicht mehr geht, und sich dann übergeben, weil sie ein schlechtes Gewissen haben (andere Form der Magersucht).
Ein großes Danke an euch alle! Ihr habt mir sehr weitergeholfen.

Liebe Grüße,
Anea

 

Hi Anea.
Noch ein Tip: Das mit dem Schlösser auswechseln ist so ne Sache. In Kliniken werden ausschließlich Schließanlagen verwendet, deren Austausch dauert Tage, und kostet ca. 50.000 € das würde keine Klinik machen, wegen eines Hausmeisters den sie entlässt.
Sie sollten ihm eher die Schlüssel wegnehmen, und ihm eine halbe Stunde zeit geben, seine Sachen in einen Karton zu packen... unter "bewachung " selbstverständlich.

Vielleicht könnte auch ein Hinweis auf seine Verbundenheit mit der Arbeit eines Arztes damit begründet werden, dass er an einem Psychologiestudium gescheitert ist, und dann den Posten des Hausmeisters bekommen hat, das würde erklären, warum er sich so viel klüger dünkt, als die Ärzte und Pfleger.

Ess-Brechsucht ist bekannt als Bulimie.
L.G. Lord

 

Die bisher angesprochenen Kritikpunkte haben m.E. ihre Berechtigung und fordern eine Überarbeitung. Ich habe auch darüber nachgedacht, ob man dem Leser wirklich bis zum Schluß vorenthalten muß, daß es sich um den Hausmeister handelt. Könnte es nicht sogar den Lesegenuß steigern, wenn man von anfang an darum weiß?

Die Idee und die Geschichte an sich haben mir außerordentlich gut gefallen. Eine schöne Geschichte, so wie ich schöne Geschichten mag: wenn sie gleichzeitig auch ein wenig traurig sind. Oder sogar sehr.

Vielleicht läßt sich als Abschluß auch denken, daß man ihm (aus Verbundenheit) ein Zimmer anbietet. Dann kann er sich entweder immer noch das Leben nehmen, oder die Maßnahme umdeuten.

Setz Dich noch einmal an den Text, der verspricht nämlich, richtig gut zu werden.

Vorschläge/ Detailanmerkungen:

  • "Knolle munterte ihn öfters auf; immer dann, wenn das Personal damit begann, ihn zu nerven." - 'immer wieder' statt "öfters"; Einige Sätze lesen sich durch diese Infinitiv-Konstruktionen holperig. An dieser Stelle schlage ich 'wenn das Personal ihn zu nerven begann' vor.
  • "Enttäuscht von so wenig gutem Willen" - 'Von so wenig gutem Willen enttäuscht'
  • "Geschichten.Er" - Leerzeichen fehlt
  • "" Das hat mein Enkelchen auch immer gemacht. Und sich dreckig gemacht dabei, ein" - Leerzeichen nach dem Anführungszeichen zuviel; Wortwiederholung "gemacht"

@Lord Arion:
Ich denke der Hausmeister dünkt sich viel klüger als die Ärzte, weil er das Haus und seine Bewohner liebt, auch wenn das schwülstig klingt. Und ich bin der Ansicht, daß der Text das auch sehr gut herausstellt.

 

@ cbrusher
Stimmt schon, wäre aber eine gute zusätzliche Erklärung, auch, wenn es derer deiner Ansicht nach nicht mehr bedarf...
mfg. Lord

 

Als letzte Amtshandlung, bevor mein PC den Geist aufgab, habe ich hier einiges verändert. Kam dann jedoch nicht mehr dazu, irgendjemandem zu antworten... tut mir leid...

Lord: Die Bulimiepatientin fiel der Kürzung zum Opfer. Leider, ich mochte die Stelle, aber: Kill your darlings. Objektiv gesehen, war es eine unnötige Länge, und hat die Geschichte nicht vorangebracht.
Du hast natürlich recht mit der Schlüsselanlage (wie peinlich, ich arbeite selber in einem Krankenhaus und sollte das wissen :Pfeif: ). Ich modernisiere die Klinik, sie bekommt jetzt einen dieser Eingänge, die sich nur mit dem richtigen Zugangscode öffnen lassen. Der lässt sich ja auch leichter ändern.
Die Verbundenheit kann er auch so empfinden. Er arbeitet dort wohl schon eine Weile und es ist oft nichts ungewöhnliches, in seiner Arbeit voll und ganz aufzugehen. Da halte auch ich eine weitere Erklärung für unnötig.

Claus: Interessanter Vorschlag, werde ich eventuell in einer zweiten Version umsetzen. Ich denke drüber nach. Nachdem ich jetzt mal die kleineren Details behoben habe, werde ich mich aber noch einmal so dransetzen und die größeren Zusammenhänge durcharbeiten...

LG Anea

 

Hi Anea,

ich fand es ganz interessant, an dem Tagesablauf eines Hausmeisters teilzuhaben. Dazu noch in einem solchen Haus. :shy:

Natürlich hättest du dir zwei drei Charaktere herausnehmen und mit dem Hausmeister verbinden können.
Doch dann wäre es eine andere Geschichte geworden.

Das dein Prot schon "angesteckt" war, ist schnell klar. Ich dachte auch zuerst, er wäre ein Patient.
Das er mit dem kleinen Mädchen einen Tanz aufführt? Naja, wenn er "geistig" schon so fortgeschritten war, kein Wunder.

Doch das er dann so schnell realisiert, dass ihm gekündigt wurde?
Obwohl, vielleicht hatte er ja hin und wieder einen lichten Moment?

Auch wenn deine Figuren an der Oberfläche blieben, habe ich die Geschichte gerne gelesen.

lieben Gruß, coleratio

 

@Anea: Das mit dem Zugangscode ist eine gute Idee, obwohl ich es immer noch für unrealistisch halte, dass man nicht mit ihm redet, ihm kündigt, ihn untersucht. So ist deine Geschichte eher eine Satire, auch schön. Es liest sich jetzt flüssiger, obwohl ich nicht mehr genau weiß, was du geändert hast.
liebe Grüße
tamara

 

Vielleicht steht er eh die ganze Zeit schon unter "beobachtung" und man sucht nur noch nach dem "Finalen Grund" ihn zu kicken?

 

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