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Hausfrau? Niemals.
Ich niemals
Essen kochen, Wäsche waschen und bügeln. Kinder bekommen, sie aufziehen und erziehen. Das Haus sauber und ordentlich halten, den Ehemann begrüßen, ihm die Hausschuhe bringen, seine Jacke aufhängen und ihm seine Zeitung holen. Das warme Essen servieren, genauso zubereitet wie es dem Ehegatten gefällt. Und dabei selber immer wie aus dem Ei gepellt wirken - Haare perfekt, Make-up dezent aber Wirkungsvoll, Ausschnitt hochgeschlossen, Rock oder Hose mindestens bis über die Knie. Nur Abends für den Ehemann werden die Hüllen fallen gelassen, wenn dieser es wünscht.
So sollte das Leben einer Hausfrau sein, laut Tessas Mutter. So sollte ein zufriedenes und erfülltes Leben für eine Frau aussehen, an der Seite eines wohlhabenden Mannes, versteht sich.
Das ihre jüngste Tochter jedoch nichts von diesem Lebensstil hält – auch nicht nach Tessas Unfall - hat der 50-jährigen Ehefrau eines Chirurgen und Mutter von drei Töchtern und zwei Söhnen bisher immer auf den Magen geschlagen. Tessa war das egal. Auch wenn sie ihre Mutter liebte - immerhin hatte Tessa nur eine einzige Mutter - konnte und wollte sie kein Leben im Schatten eines Mannes fristen, den sie bloß geheiratet hat, weil sie sonst keiner haben will und dem sie wie eine Art Haussklavin zu Diensten wäre.
Tessa atmet tief durch und beschleunigt ihre Schritte. Ganz sicher nicht - niemals wird sie ihre eigenen Träume denen eines anderen unterordnen. Heiraten bedeutet ja nicht, aufzuhören als eigenständiges Wesen zu existieren. Höchstens, dass man auf das Wohl einer weiteren Person zu achten hat. Und das noch jemand auf einen selber achtet.
Das sollte ¨Ehe¨ bedeuten. Sich gleichermaßen um den anderen zu Sorgen, wie dieser sich um einen selber sorgt. Beiden Partnern sollte es Möglich sein, sich zu verwirklichen, ohne sich gezwungenermaßen dem anderen unterzuordnen.
Ein letztes Mal zieht Tessa ihr Tempo an. Runde acht, 4,6 Kilometer, noch 0,56 bis zum Ziel.
Tessas Mutter hat einen Tobsuchtsanfall bekommen, als sie gehört hat, das Tessa den Antrag von Georg abgelehnt hat. Dem Sohn eines erfolgreichen Kollegen von Tessas Vater. Georg ist immer in teure Anzüge gekleidet, fährt teure Autos, unternimmt Reisen zu den exklusivsten Orten und ist mit den Besitzern der renommiertesten Restaurants der Stadt per Du. Und genauso erstklassig wie seine Schulbildung, ist seine Abhängigkeit von seiner Mutter.
Schnaubend erinnerte Tessa sich an ihr erstes und letztes Date mit ihm. Keine Ahnung was sie sich davon versprochen hat, musste wohl ein Augenblick der geistigen Umnachtung gewesen sein.
Zuerst kam der Typ eine halbe Stunde zu spät und dann redete er mindestens eine geschlagene Stunde über seine neue Jacht. Das auftauchen von Tessas Kollegen, der seine Frau zum Hochzeitstag gebührlich ausführte, war eine willkommene Abwechslung gewesen - die aber nicht lange dauerte. Kaum war Georg nicht mehr der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, verscheuchte er Tessas Kollegen mit einigen ruppigen Worten und erklärte dann langatmig, dass eine Frau, die mit ihm leiert war, nicht arbeiten würde.
Als Tessa nachfragte, was er damit meinte, argumentierte er damit; Seine Mutter hätte ihn gut erzogen. Und seine Mutter würde es nicht dulden, dass seine Freundin oder gar Frau, arbeiten würde. Sie bräuchte nur noch für ihn da sein, so wie seine Mutter.
Ab diesem Moment war der Abend endgültig für Tessa gelaufen. Sie war aufgestanden und hatte das Restaurant verlassen. Ohne ein einziges Wort zu sagen - auch wenn ihr tausende durch den Kopf schossen.
Und dann kam der Autounfall. Ein halbes Jahr lag sie im Krankenhaus, danach Reha und monatelang Termine bei der Krankengymnastik.
Schwer atmend wird Tessa langsamer. Ein Schauer läuft über ihre erhitzte Haut. Die Abendluft hat sich während ihres Lauftrainings abgekühlt. Erschöpft wischt Tessa sich mit der Rückseite ihrer Hand über ihre verschwitze Stirn.
Fünf Kilometer - die hatte sie vor ihrem Unfall mit Leichtigkeit abgelaufen.
Fünf Kilometer, die ihr zeigten, wie Unrecht ihre Mutter hatte.
Tessa brauchte niemanden der für sie sorgt. Der Unfall hatte ihr Leben nicht beendet. Nur etwas zurückgeschleudert und verlangsamt.
Sie muss nicht auf den Heiratsantrag eines über-finanzierten Muttersöhnchens eingehen. Sie braucht auch nicht wieder bei ihren Eltern einziehen, damit sich jemand um sie kümmert. Das konnte sie auch ganz gut alleine. Und der Psychologe, den ihr Arzt ihr empfohlen hat, den hatte sie nach ihrem zweiten Termin nicht wieder getroffen. Sie braucht niemanden, der ihr einredet, dass sie keine Schuld am Unfall hat. Oder das sie sich nicht bedauern braucht, wegen ihres Verlustes.
Tessa weiß genau, dass sie immer noch eine schöne Frau ist. Und das nicht nur im Bodenlangen Abendkleid.
Als sie sich streckt, um ihre vom Laufen angespannten Muskeln zu lockern, fallen ihr zum ersten Mal an diesem Abend einige junge Leute auf, die in der Nähe der Umkleideräume stehen und sie beobachten. Tessa schätzt sie alle auf Anfang Zwanzig, auf alle Fälle ein paar Jahre jünger als sie selber. Und nach der Aufschrift auf ihren Trikots, kommen sie von der Nahe gelegenen Universität.
Sie schauen eilig beiseite, als ihnen Tessas Blick auffällt - Tessa war das bereits von den Menschen in ihrer Umgebung gewohnt. Sollten sie doch starren, bis sie tot umfallen.
Mit sicheren Schritten geht sie auf die Tür der Damenumkleide zu. Nur einer aus der Gruppe - ein junger Mann mit blonden Haaren und haselnussbraunen Augen - blickt sie weiter an, gleitet kurz über ihren Körper und bleibt wenige Sekunden an ihrem rechten Bein und gleitet direkt wieder zu ihren Augen. Eine Neuheit für Tessa - die meisten starrten ewig auf die Prothese, die sie seit dem Unfall trägt. Kaum ein Mann schaute ihr danach noch ins Gesicht. Er lächelt. Und geht einige Schritte auf sie zu.
Niemals würde Tessa eine langweilige Hausfrau werden. Niemals würde sie ihre Träume einem anderen unterordnen. Sie brauchte niemanden, der für sie sorgt. Das kann sie ganz gut alleine.
Aber das heißt nicht, das sie auf ewig alleine sein will. Oder sein muss.