Herbstwind
Herbstwind
Neun lange Monate hatte er darauf gewartet – es war endlich wieder Herbst.
Er liebte es, von einem starken Herbstwind durch die Felder getrieben zu werden.
Denn er läuft gerne einfach mal querfeldein.
Aber am schönsten ist es im Herbst. Manchmal auch im Frühling, wenn gerade alles wieder grün wird, aber am besten im Herbst.
Die vielen bunten Farben will er am liebsten für immer festhalten.
Aber sie sind vergänglich, das hat er längst begriffen.
Auch heute läuft er über die Wiesen. Das Gras unter seinen Stiefel gibt nach, es ist noch grün und trotz des langen Sommers sieht es noch saftig aus.
Er liebt Gras. Im Sommer lag er stundenlang auf einer Wiese und schaute den blauen Himmel an, den Geruch des Grases in der Nase.
Immer weiter weg treibt ihn der Herbstwind. Kleine Regentropfen streichen über sein Gesicht, Perlen an seinem Regenmantel herab, als hätten sie Angst, zu schnell, zu hart auf den Boden aufzuschlagen.
Es wird dunkel. Er dreht nicht um, hat keine Lust. Zuhause ist niemand, der ihn erwartet.
Die ersten Sterne erscheinen hinter der großen Mondsichel. Nur ab und zu verschwindet ein kleiner Stern hinter einer vorbeieilenden Wolke.
„Warum so schnell?“, fragt er die Wolken.
„Siehst du nicht, wie wir vom Herbstwind fortgetragen werden?“
Stimmt. Daran hat er nie gedacht.
Lange sinnt er darüber nach.
Es gibt Dinge, die unter dem Herbstwind, den er sich so herbeigewünscht hat, leiden.
Blätter werden durch die Luft geschleudert, Wolken müssen ziehen, ein Ast wird gegen andere Äste geschlagen.
Der Herbstwind schlägt ihm ins Gesicht. Er duckt sich unter den starken Hieben.
Nachdenklich, voller Schuldgefühle läuft er nach Hause. Er hat sich auf eine Qual gefreut, bei der sich die Natur 365 Tage im Jahr, in jeder Jahreszeit, selbst schmerzen zufügt und versucht, diese mit ihrer Schönheit zu überdecken.