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Hinter dem Antlitz des Mondes

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10.08.2004
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Hinter dem Antlitz des Mondes

Adele stolperte schnellen Schritts durch die Abenddämmerung. In der kleinen Burgstadt war es schon sehr still. Nur in den Schenken vernahm man lautes Grölen und oftmals ein Kichern. Die Gassen wurden von dem Dunkel schon fast gänzlich aufgefressen, sodass sie schon beinah Furcht einflössend wirkten. Adele wusste wie gefährlich es war, sich in dieser späten Stund noch in den Strassen aufzuhalten. Normalerweise wagte sie sich um diese Zeit nicht mehr hinaus, denn die Nacht war Nährboden für manch zwielichtige Gestalt. Schon seit geraumer Zeit fühlte sie sich beobachtet. Als würde sie von einem Augenpaar angestarrt, welches sie nicht orten konnte.
Plötzlich stand er vor ihr. Ein Vagabund, vermummt in einer schwarzen Kutte. Er hatte die Grösse eines Hünen, die ihn noch bedrohlicher erscheinen liess. Doch auf den zweiten Blick sah man, wie gebrechlich er zugleich war, ein alter Mann. Silberne, strähnige Haare lugten aus seiner Kapuze und zwei eisigblaue Augen, deren kalter Blick einen erschaudern liess.
Adele erschrak und machte einen Schritt zurück, als wolle sie fliehen.
„Habt keine Angst junges Fräulein!“, sagte er mit einer unerwartet sanften, aber auch tiefen Stimme. „Ich bin ein betagter Greis und nicht mehr Herr meiner einstigen Kräfte, nicht mal einem Kind könnt ich etwas antun.“
Adele zögerte kurz, blieb aber doch stehen.
„Was will denn ein Lump wie du von mir?“, zischte sie verängstigt.
„Ich ein Lump?! Was bist denn du, wenn ich ein Lump sein soll? Sieh dich doch mal an! Das was du trägst kann man nur im entferntesten Sinne ein Kleid nennen, ein schmutziger Fetzen ist das!“

Er legte eine kleine Pause ein, zu sehr hatten ihn ihre Worte aufgeregt. Diese freche Göre! Ihn einen Lump zu nennen!
„Ich will nur, dass du einen Brief, einem alten Freund von mir bringst. Er wartet beim Eschentor auf dich, also eigentlich auf mich. Es ist das Tor vor dem Eschenplatz. Dafür geb ich dir drei Goldmünzen, kauf dir damit etwas Anständiges zum anziehen!“
Er drückte ihr Brief und Geld in die Hände.
„Doch jetzt muss ich schnell fort von hier, bevor die Stadttore schliessen! Ich dürfte nicht mal hier sein, gesucht werd ich.“
Dies waren seine letzten Worte. Denn so schnell er gekommen war, war er auch verschwunden. Nun stand sie da, die Adele, etwas verwirrt und mit reichlich Herzklopfen. Was sollte sie denn nun tun? Das Geld hatte sie nun ja, wieso sollte sie den Brief dann noch überbringen? Die Angelegenheit war ihr sowieso nicht sehr geheuer. Ein Mann der gesucht wird, dem konnte man sicher nicht vertrauen. War er etwa ein Gauner oder ein Verbrecher? Doch würde sie ihren Auftrag nicht erfüllen, wäre sie eine Betrügerin! Das wollte sie um Gotteswillen nicht sein. Und da ihr, ihr Seelenheil wichtiger war, als die Angst vor der Person am Eschentor, machte sie sich schleunigst auf den Weg.

Auf dem Tor hatte sich ein junger Herr nieder gelassen und es sich bequem gemacht. Er hatte dichte Wimpern und seine Augen niedergeschlagen oder geschlossen. Seine langen braunen Haare waren gelockt und sein Gesicht fein geschnitten. Er schien nicht gerade von adeliger Abstammung zu sein. Dies liess sich durch seine simple, etwas bäuerliche Kleidung vermuten. Ob er tief schlummerte oder nur ein wenig in sich gekehrt war, vermochte Adele nicht zu sagen.
Das zweite traf wohl eher zu. Denn ehe sie sich versah, war der Fremde leichtfüssig und flink wie eine Katze vom dreimeterhohen Torbogen gesprungen. Er musterte sie von allen Seiten und fragte neckisch:
„Welch schöne Jungfrau hat sich denn um diese Uhrzeit an einem solch düsteren Ort verirrt?“
Er nahm ihre zarte Hand und küsste sie. Adele errötete und räusperte sich anschliessend. „Werter Herr, ich fühle mich ja sehr geschmeichelt, ich bin aber nicht hier um mir von ihnen den Hof machen zu lassen. Im Auftrag ihres Freundes bin ich gekommen“, stotterte sie. Schnell holte sie die Pergamentrolle hervor und übergab sie ihm mit zittriger Hand. Im Laufschritt entfernte sie sich danach vom Schauplatz.
Er konnte ihr noch gerade nachrufen:
„Bitte triff dich morgen Nacht hier erneut mit mir!“
So kam es, das Adele und der Jüngling, der übrigens den Namen Kain trägt, sich Nacht für Nacht heimlich trafen. Es war die grosse Liebe. Noch nie hatte Adele solch intensive Gefühle für jemanden gehegt. Es war Schicksal, dass sie zueinander gefunden hatten. Für Adele existierte so etwas wie Zufall nicht. Gott hatte sie zusammengeführt, dies war ihre feste Überzeugung.

Doch diese idyllische Liebe sollte schon bald getrübt werden. Eines schönen Abends ereignete sich eine unerwartete Schicksalswendung.
Adele wartete wie gewohnt an ihrem geheimen Treffpunkt. Schon bald hörte sie schnelle Schritte näher kommen, es war Kain. Doch anstatt sie herzlich zu begrüssen, wie er es üblicherweise tat, rief er ihr mit gedämpfter Stimme zu:
„Schnell, komm mit, sie sind mir schon dicht auf den Fersen!“ Etwas Schreckliches musste passiert sein, denn er machte einen sehr verstörten Eindruck. Er packte sie am Handgelenk und zerrte sie mit sich. Er schluckte hörbar.
„Liebste!“, begann er, „ich bin nicht der, den ich vorgebe zu sein. Ich bin kein Kind der Unschuld. Meinen Lebensunterhalt verdien ich nicht auf ehrliche Art und Weise, ein Dieb bin ich! Doch das, was ich für dich empfinde, ist von ehrlicher Natur.“
Er wagte nicht ihr in die Augen zu blicken. Ein Ausdruck des Erstaunens zeichnete sich auf Adeles Gesicht ab.
„Heute hat man mich auf frischer Tat ertappt, als ich etwas aus der höfischen Speisekammer entwenden wollte.“, fuhr er fort; „vorerst konnte ich meine Verfolger abschütteln, aber ich weiss nicht wie lange noch! So schnell es geht muss ich die Stadt verlassen, bitte begleite mich!“
Mit flehenden Augen sah er sie an. Ein kurzer Moment verging bis sie, zwar noch etwas verdutzt, ihm mit einem kurzen Nicken ihre Zustimmung gab.

Sie schlängelten sich hastig durch die schmalen Gässchen und Seitenstrassen der mittelalterlichen Stadt. Schon seit einiger Zeit wussten sie nicht mehr wo sie sich befanden. Sie waren im Häusermeer untergegangen. Noch nie hatte sich Adele in ein solch heruntergekommenes Quartier getraut. Schon nur der Anblick der verrotteten, vor sich her gammelnden Hütten, erfüllte sie mit einem Gefühl des Unwohlseins.
„Ich glaube, es ist besser wenn wir uns hier trennen“, flüsterte er plötzlich, „ich möchte dich nicht in diese ganze Sache hineinziehen. Wir finden uns später beim Stadttor wieder ein!“
Bevor sie etwas erwidern konnte, küsste er sie leidenschaftlich zum Abschied und stürmte in nördlicher Richtung davon. Einige Sekunden lang sah sie ihm nach.

Gerade als sie in entgegengesetzter Richtung loseilen wollte, erblickte sie im Augenwinkel ein halbes dutzend Soldaten. Sie erschienen aus dem Nichts und versperrten dem Jüngling den Weg. Vor Angst vergass Adele beinah zu atmen und versteckte sich im schützenden Schatten eines hölzernen Schuppens. Zwei mächtige Soldaten packten Kain grob und drehten ihm die Arme so hinter dem Rücken, das es schmerzte. Ein Bär von einem Mann, vermutlich der Hauptmann, stellte sich vor ihm auf und verkündete mit lauter, rauer Stimme:
„Verhaftet seiest du im Namen des Königs und verurteilt zum Tode durch den Galgen! In drei Tagen wird dies vollzogen. Auf dem Ratshausplatz versteht sich, damit jeder Bürger sieht was er besser lassen soll… Dies ist die einzig gerechte Strafe, die ein Langfinger wie du verdient hat!“
Er lachte noch hämisch und befahl:
„Führt ihn ab!“
Zu seiner Überraschung brachte man ihn jedoch nicht in einen dunklen, unterirdischen Kerker, sondern zu einem, von Mauern umarmter Hof hinter dem Gefängnis. An Bauch und Handgelenken wurde er mit Stricken an einem Holzgebilde, welches einem Kreuz ähnelte, festgebunden. Wobei es eigentlich kein Kreuz war, da der obere Arm des Kreuzes fehlte. Kains Füsse konnten noch gerade den Boden berühren.
Er sah aus wie die Ingeburt des Heilands, die auf dem Hügel Golgatha auf die Erlösung seines erbärmlichen Daseins wartet. In dieser ungemütlichen Stellung verharrte er nun zwei Tage der Tortur, ohne Essen, ohne Trinken. Es war eine Schmach für einen solch stolzen Menschen in seinem eigenen Dreck stehen zu müssen, am Tage von der heissen Sonne versengt zu werden und unter seinem dünnen Leinenkleid zu schlottern bei der nächtlichen Kälte.

Eines Abends dachte er im Traum, eine wunderschöne Frau zu sehen. Sie war ihm wohl vertraut, es handelte sich um niemand geringeres als Adele. Und als eine Hand sanft seine Wange streichelte, realisierte er, dass es kein Traum war.
„Adele! W-Was tust du hier?“, stiess er noch etwas benommen hervor. „Du törichtes Weib, du begibst dich in grosse Gefahr!“
„Ich bin hier um dir zu helfen“, flüsterte sie, „doch nun schweig! Nicht, dass man mich noch entdeckt.“
Sie küsste und streichelte ihn, sie hatte ja eine solch grosse Sehnsucht nach ihm gehabt. Auf einmal hörten sie ein verrostetes Tor so grässlich knarren, dass es ihnen das Blut in den Adern gefrieren liess. Einige Soldaten erschienen, es waren keine sehr freundlich aussehenden Burschen. Sie waren wohl auf Streife. Denn es war Zeit für den nächtlichen Rundgang, bei dem sie begutachteten ob alles in Ordnung war. Nebenbei quälten sie die Insassen schadenfreudig und auf gemeinster Art und Weise. Es machte ihnen sichtlich Spass dieses wehrlose Gesindel zu peinigen.
Für Adele war es nun längst zu spät noch über die Mauer zu klettern. Sie verschanzte sich hinter dem hölzernen Kreuz, in der Hoffnung, in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden. Und das Schicksal schlug erneut zu. Denn auf dem gleichen Wege wie Gott zwei Menschen einen kann, kann er sie auch entzweien. Laute Schritte näherten sich dem Liebespaar. Adele hielt den Atem an, die Zeit schien nur noch in Zeitlupe zu verlaufen.

Jäh tauchte ein Schatten mächtiger Statur vor ihr auf und griff nach ihrem Schopf.
„Nein!!“, schrie sie, „lass mich los!“
Doch er zog nur noch erbarmungsloser an ihren Haaren, so dass sie sich gezwungenermassen aufrichten musste. Darauf hin schleuderte er sie mit einem harten Fusstritt auf den staubigen Boden. Mit dem Kopf schlug sie stark auf zwei Schuhspitzen auf. Als sie in die Richtung des Firmamentes blickte, erkannte sie eine Person, die sie bisher nur aus weiter Ferne hatte betrachten können. Es war der despotische König. Er würdigte sie keines Blickes und befahl einem Gefolgsmann:
„Töte sie! Ich dulde keine Eindringlinge.“
Der Soldat sah ihn fassungslos an.
„Aber Hoheit, dies ist doch nur eine arme junge Frau! Ich habe sie doch schon zurechtgewiesen, sie hat ihre Lektion bestimmt gelernt…“
Das Gesicht des Königs wurde rot vor Zorn.
„Wie kannst du es wagen mir zu widersprechen!! Wenn du nicht sofort meinem Befehl folge leistest, seiest du derjenige, der an ihrer Stelle bestraft wird!“

Er konnte ihr nicht mehr helfen. Der Preis, den er dafür hätte zahlen müssen, war einfach zu hoch. Adele wurde in die Knie gezwungen. Mit einer raschen Bewegung zog er sein Säbel aus der Scheide und hauchte ihr, mit einem einzigen Hieb in den Herzen, alles Leben aus den Gliedern. Ein Faden roten Bluts rann aus ihrem Mund.
Die weit aufgerissenen Augen wurden glasig und ermatteten, das feurige Glühen war aus ihnen entwichen. Als sie schliesslich zusammenbrach, schrie Kain vor Entsetzen und Schmerz. Sein schönes Gesicht wurde zu einer Grimasse verunstaltet, die mit etlichen Tränen übergossen wurde. Einige Minuten verstrichen. Schlagartig richtete er seinen Kopf auf, den blanken Hass in seinen Augen.
„Ihr Bastarde! In der Hölle sollt ihr schmoren!!“
Als Antwort darauf, kam plötzlich eine Faust in seinen Blickwinkel und einige Sekunden später breitete sich ein explodierender Schmerz in seinem Gesicht aus. Leider beliess es der Hauptmann nicht bei einem Schlag. Kain fiel es schwer bei Besinnung zu bleiben. Alles drehte sich um ihn und jedes Geräusch verstummte. Seine Umgebung verschwamm als hätte man einen Schleier auf seine Pupillen gelegt, alles wurde schwarz. Sein Körper erschlaffte.

Als er seine Augen wieder öffnete, sah er sattes Grün und dazwischen einige blaue Fetzen. Rücklings lag er auf dem feuchten, erdigen Waldboden einer Lichtung. Etwas weiter entfernt von ihm, hatte sich ein Mann in einer schwarzen Kutte, an einer Tanne angelehnt. Sein alter Freund Sergej!
„Na Kumpel, wieder bei Sinnen?“, fragte dieser und lächelte freundlich. „Eigentlich ein Wunder, das ich dich bis hier herschleppen konnte bei meinen müden, alten Knochen. Doch weniger wunderlich, wenn man bedenkt wie stark abgemagert du bist. Du armer Kerl siehst aus wie ein gerupftes Huhn!“
Er lachte herzlich mit einem etwas spöttischen Unterton. Sergej war ein bemerkenswerter Mann. Er hatte Kain in einer Nacht und Nebel Aktion von seinen Fesseln befreit und ihn mit grossem Kraftaufwand über die Mauern des Gefängnishofes, bis in ein Wäldchen, ganz in der Nähe der Stadt, getragen.
Dieses Gehölz war der beste Versteck, den man in der Gegend überhaupt finden konnte. Niemand traute sich schon nur einen Fuss in dieses Gewirr von Bäumen zu setzen. Die Menschen in der Region waren sehr abergläubisch. Viele Gruselgeschichten und schreckliche Ereignisse wurden mit dem Forst in Verbindung gebracht. Wie das Gerücht, das dort eine Hexe hausen solle, welche einen bei lebendigem Leibe, mit Haut und Haaren, verspeisen würde. Doch Kain und Sergej schenkten solchen Ammenmärchen keinen Glauben. Nur dumme Bürger und kleine, leicht zu erschreckende Kinder glaubten daran.

Es dauerte gut eine Woche bis Kain wieder einigermassen zu Kräften gekommen war. Eines schönen Morgens, als gerade die Sonne aufgegangen war und die Vögel begannen zu zwitschern, verabschiedete sich Kain von seinem treuen Weggefährten.
„Werter Freund“, begann er, „ich danke dir für meine Rettung, ich stehe tief in deiner Schuld! Ich wüsste nicht was ich täte, gäbe es dich und die Gilde der Diebe nicht. Doch nun trennen sich unsere Wege erneut…“
Verdutzt unterbrach ihn Sergej:
„Was?! Du begleitest mich nicht nach Trondheim, zum Sitz unserer Sippe?“
Er war fassungslos und etwas enttäuscht zugleich.
„Es tut mir Leid. Doch ich habe noch eine wichtige Sache ins reine zu bringen. Wenn ich es nicht tue, werd ich mich ewig verfluchen und nie zur Ruhe finden.“
Bei diesen, noch viele Fragen aufwerfenden Worten beliess es Kain, umarmte seinen Kumpel noch freundschaftlich und marschierte entschlossenen Schrittes davon. Davon in die Ungewissheit.

Ein eleganter Maskenball im Rittersaal des Königshauses, viele Persönlichkeiten hohen Ranges und bedeutenden Namens waren anwesend. Sowie auch der Gebieter und seine Gemahlin. Jongleure und Feuerschlucker sorgten für Belustigung, Flöten-, wie Mandolinenspieler für eine ausgelassene Stimmung. Es wurde gelacht, getanzt und sich die Bäuche voll geschlagen.
Der König grinste vor Genugtuung.
„Wirklich ein gelungenes Fest!“, schmatzte er mit einer Hammelkeule in der Hand.
Doch er ahnte nicht, dass sich in der Festgesellschaft auch Gesindel herumtrieb. Wie der Kavalier unter dem roten, pompösen Wandteppich. Die Maske, die seine Identität unerkenntlich machte, war die eines Mondgesichtes, dessen Mundwinkel bis ins Bodenlose heruntergezogen zu sein schienen. Niemandem war er bisher besonders aufgefallen. Kein einziges Wort konnte aus seinem Mund entlockt werden und überhaupt hielt er sich nur im Hintergrund auf.
Zur Krönung des Abends richtete sich der beleibte König mit Ach und Not auf, um das notwendige Übel, einer Dankesrede zu halten. Die Gäste hielten mit dem feiern inne und schenkten ihrer Exzellenz alle Aufmerksamkeit.
„Meine treuen Untertanen…“, spuckte er aus seinem grotesken Maul heraus.

Dies war das Stichwort!
Der geheimnisvolle Fremde stürmte wider aller Erwartung nach vorne. Mit einer schnellen Bewegung bekam er das Breitschwert unter seinem Umhang zu fassen und brachte es zum Vorschein.
„Dies ist die Vergeltung für das Liebste, das du mir genommen hast!!“, schrie er erzürnt. Der König erstarrte vor Schreck, stand da wie versteinert. Mit der Schwertspitze zielte er auf den Hals des Herrschers. Sie bohrte sich mit kaum Widerstand durch das Fleisch seiner Gurgel und zerbarst ein Genick mit dem Klang eines trockenen Astes, der zerbricht.
Der pfundige Kopf rollte die wenigen Stufen des Thronpodestes herunter. Gleichzeitig kippte der enthauptete Leib nach hinten und hinterliess eine grosse, schmierige Blutlache am Boden. Panik brach aus. Die Menschen irrten ziellos herum und schrieen vor Entsetzen. Alles verlief nach Plan. Unter einem solchen Tumult war es eine Leichtigkeit vom Schauplatz zu entkommen.

Der Mondgesichtige war Nirgends mehr zu sehen. Ganz unbemerkt war er durch das offene Fenster auf die Palisaden geschlichen. Draussen war es still, kaum wahrnehmbar hörte man das Krächzen einer Eule. Ein kühler Wind wehte und umspielte seine braunen Locken. Leise setzte er einen Fuss vor den anderen. Doch seine Vorsicht reichte nicht aus.
Schemenhafte Gestalten näherten sich von beiden Seiten. Die Wachposten hatten ihn bemerkt und Alarm geschlagen. Soldaten umringten ihn wie Wölfe, die ein Lamm in die Enge treiben um es zu zerfetzen. Alle Speere wurden auf den Unbekannten gerichtet. Mit einem Satz sprang dieser jedoch auf das schmale Mäuerchen, gleich daneben der tiefe, gähnende Abgrund. Er demaskierte sich und wie ein Falke seine Schwingen, breitete er seine Arme aus.
„Darf ich mich vorstellen?“, er grinste breit, „ich heisse Kain. Merkt euch diesen Namen!“
Mit flatterndem Umhang drehte er sich um und stürzte sich engelsgleich in die Tiefe.
„Ich bin nur ein fallender Engel“, dachte er, „fang mich wenn du kannst! Begrüss mich mit offenen Armen, damit ich mich wieder geborgen fühlen kann…“

Zwischen hohen Grashalmen und bunten Wiesenblumen lag ein Körper. Alles Leben, das einmal in ihm gewesen war, hatte ihn verlassen. Das schwache, weisse Mondlicht schien auf sein anmutiges Gesicht. Man hätte denken können er wäre friedlich eingeschlafen und nie wieder aus seinem Traum erwacht, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Nun endlich war sie sein, für immer…

Ende​

 

hi

Liebe Aliesa!
erst mal ein herzliches willkommen hier!

Zu deiner Geschichte:
Ich finde die Idee, die Handlung in weiter Vergangenheit zu schreiben wirklich gut, und du hast dir viel Mühe gegeben, die Sprache und Ausdrücke so zu formulieren, dass man sich meistens sehr gut in die Zeit zurückversetzt fühlt!
Erst mal ein paar Kleinigkeiten:
Ich hätte es an deiner Stelle so gehalten, dass ich in wörtlicher Rede, wenn nicht gerade die Liebenden miteinander sprechen, immer die Höflichkeitsanrede verwende.
So zum Beispiel hier:

„Was will denn ein Lump wie du von mir?“, zischte sie verängstigt.
„Ich ein Lump?! Was bist denn du, wenn ich ein Lump sein soll? Sieh dich doch mal an! Das was du trägst kann man nur im entferntesten Sinne ein Kleid nennen, ein schmutziger Fetzen ist das!“

"Nun stand sie da, die Adele, etwas verwirrt und mit reichlich Herzklopfen."
Empfinde dieses "die adele" als nicht besonders schön. Vielleicht könntest du den Satz etwas umstellen, oder es einfach weglassen.
Das ist natürlich Geschmackssache!

"Er schien nicht gerade von adeliger Abstammung zu sein"
Auch hier etwas, was mir persönlich nicht so gefällt: dieses „nicht gerade“. Vielleicht würde ich das einfach streichen?!

"Dies ließ sich durch seine simple, etwas bäuerliche Kleidung vermuten"
Hier würde ich vielleicht eher schreiben: „ließ sich daraus schließen“

"Das zweite traf wohl eher zu. "
Vielleicht besser "letzteres"

"So kam es, dass Adele und der Jüngling, der übrigens den Namen Kain trägt, sich Nacht für Nacht heimlich trafen."
Dieses "der übrigens den Namen Kain trägt" würde ich nicht schreiben. Würde etwas wie: "so kam es, dass Adele und der Jüngling namens...“ schreiben

Schon nur der Anblick der verrotteten, vor sich her gammelnden Hütten, erfüllte sie mit einem Gefühl des Unwohlseins.
„Vor sich hergammeln“ habe ich noch nie gehört...vielleicht eher: die vermoderten“ oder etwas in der art...

„Auf dem Ratshausplatz versteht sich, damit jeder Bürger sieht was er besser lassen soll…“
Diesen Satz finde ich nicht ganz passend in diese Zeit...wie wäre es mit „ auf dass es allen eine Lehre sei“?!

Zu seiner Überraschung brachte man ihn jedoch nicht in einen dunklen, unterirdischen Kerker, sondern zu einem, von Mauern umarmter Hof hinter dem Gefängnis
Hier ist nicht ganz klar zu wessen Überraschung

Wobei es eigentlich kein Kreuz war, da der obere Arm des Kreuzes fehlte.
Würde ich einfach streichen, finde ich irrelevant.
In dieser ungemütlichen Stellung verharrte er nun zwei Tage der Tortur, ohne Essen, ohne Trinken.
Einer Tortur verharren?! Habe ich noch nie gelesen...“verharrte er in dieser Stellung“, oder „ertrug er diese Tortur“ fände ich passender

Sie küsste und streichelte ihn, sie hatte ja eine solch große Sehnsucht nach ihm gehabt.
Dieses „ja“ gefällt mir wieder nicht so gut...

Denn auf dem gleichen Wege wie Gott zwei Menschen einen kann, kann er sie auch entzweien.
Würde eher „ vereinen“ sagen...

Jäh tauchte ein Schatten mächtiger Statur vor ihr auf und griff nach ihrem Schopf.
Hört sich ein bisschen so an, als würde der Schatten nach ihrem Schopf greifen...

Sein schönes Gesicht wurde zu einer Grimasse verunstaltet, die mit etlichen Tränen übergossen wurde
Würde hier nicht im Passiv schreiben...
„Sein schönes Gesicht wurde zu einer Grimasse, übergossen von etlichen Tränen“

„Eigentlich ein Wunder, dass ich dich bis hier herschleppen konnte bei meinen müden, alten Knochen.“

Dieses Gehölz war das beste Versteck, den man in der Gegend überhaupt finden konnte

Doch ich habe noch eine wichtige Sache ins Reine zu bringen.

Es wurde gelacht, getanzt und sich die Bäuche voll geschlagen.
Klingt etwas seltsam... Würde vielleicht schreiben „ geschmaust“ oder „gegessen“

Zur Krönung des Abends richtete sich der beleibte König mit Ach und Not auf, um das notwendige Übel, eine Dankesrede zu halten.
„Mit Ach und Not“ klingt für mich ein bisschen fremd.

Das sieht jetzt viel aus, sind aber nur Kleinigkeiten und auch viel „Geschmackssache“ 

An sich würde ich die Geschichte gerne etwas gestrafft sehen...finde sie an machen Stellen etwas langatmig. Ich würde an deiner Stelle einfach versuchen, alles was nicht wirklich wichtig für den Handlungsablauf ist, zu streichen!
ABER bitte, bitte, keine Beschreibungen, denn die sind dir meist wirklich gut gelungen!!!

Inhaltlich eine kleine Ungereimtheit ist finde ich, dass Kain nicht sofort getötet wird, nachdem er den König so beleidigt hat. Daran ist aber nichts mehr zu ändern denke ich.

Also, ich denke, wenn du die Geschichte ein wenig straffst, sie nochmals ganz genau auf Fehler durchliest( denn Orthographie und Kommasetzung liegen mir nicht sonderlich) wird das eine nette Geschichte, die einen ein bisschen zum träumen anregt!

Weiter so, Übung macht den Meister!
Liege Grüße,
frotte

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe frotte,

Erst einmal vielen vielen Dank für deine ausführliche Kritik! Ich habe mich wirklich sehr über deinen Beitrag gefreut. Denn dies ist die erste Geschichte, die ich in meiner Freizeit verfasst habe. Dies merkt man wohl leider auch. Mein Schreibstil ist eher der eines Debütanten.

Ich hätte es an deiner Stelle so gehalten, dass ich in wörtlicher Rede, wenn nicht gerade die Liebenden miteinander sprechen, immer die Höflichkeitsanrede verwende.

Da muss ich dir zustimmen. Ich glaube, dass die wenigsten Menschen eine wildfremde Person mit "du" ansprechen würden.

Zu seiner Überraschung brachte man ihn jedoch nicht in einen dunklen, unterirdischen Kerker, sondern zu einem, von Mauern umarmter Hof hinter dem Gefängnis
Hier ist nicht ganz klar zu wessen Überraschung

Ich dachte hier wäre es klar wer überrascht ist. Doch zum besseren Verständnis des Textes wäre es vielleicht zum Vorteil den Namen Kains nochmals zu nennen.

In dieser ungemütlichen Stellung verharrte er nun zwei Tage der Tortur, ohne Essen, ohne Trinken.
Einer Tortur verharren?! Habe ich noch nie gelesen...“verharrte er in dieser Stellung“, oder „ertrug er diese Tortur“ fände ich passender

Ich hätte wohl besser geschrieben: "Es war eine Tortur zwei Tage in dieser ungemütlichen Stellung zu verharren, ohne Essen ,ohne Trinken." So hatte ich es ursprünglich auch gedacht. Nur habe ich den Satz etwas verdreht.

Jäh tauchte ein Schatten mächtiger Statur vor ihr auf und griff nach ihrem Schopf.
Hört sich ein bisschen so an, als würde der Schatten nach ihrem Schopf greifen...

Dies meinte ich eher sinnbildlich. Adele konnte den Mann nicht erkennen, da er einen Eigenschatten warf. Also: Schatten = Mann.

Sein schönes Gesicht wurde zu einer Grimasse verunstaltet, die mit etlichen Tränen übergossen wurde
Würde hier nicht im Passiv schreiben...
„Sein schönes Gesicht wurde zu einer Grimasse, übergossen von etlichen Tränen“

Deine Formulierung ist in der Tat viel schöner! Danke für den Tipp!

Die anderen "Kleinigkeiten" könnte man zum grössten Teil wirklich etwas eleganter ausdücken. Teilweise ist es aber auch wirklich nur Geschmackssache.

An sich würde ich die Geschichte gerne etwas gestrafft sehen...finde sie an machen Stellen etwas langatmig. Ich würde an deiner Stelle einfach versuchen, alles was nicht wirklich wichtig für den Handlungsablauf ist, zu streichen!

Ich finde es auch nicht ganz nachvollziehbar wieso ich eine solch langatmige Geschichte geschrieben habe. Denn langatmige Texte lese ich auch nicht besonders gerne! Ob ich diese Geschichte noch straffen werde, weiss ich noch nicht. Aber bei der Nächsten werde ich mir in diesem Punkt garantiert mehr Mühe geben.

ABER bitte, bitte, keine Beschreibungen, denn die sind dir meist wirklich gut gelungen!!!

Danke für die Blumen!!

Inhaltlich eine kleine Ungereimtheit ist finde ich, dass Kain nicht sofort getötet wird, nachdem er den König so beleidigt hat. Daran ist aber nichts mehr zu ändern denke ich.

Vielleicht wollte der König, Kain noch etwas am Kreuze leiden lassen. Bestimmt bereitete es ihm, wie seinen Gefängniswärtern, auch sehr viel Freude Insassen zu peinigen.

Also, ich denke, wenn du die Geschichte ein wenig straffst, sie nochmals ganz genau auf Fehler durchliest( denn Orthographie und Kommasetzung liegen mir nicht sonderlich) wird das eine nette Geschichte, die einen ein bisschen zum träumen anregt!

In Orthographie und Kommasetzung sind wir wohl ähnlich veranlagt :)
Beides liegt mir leider nicht besonders...

Aber Komma hin, Komma her: Ich bin dir wirklich sehr dankbar! Ich hatte schon fast nicht mehr mit einer Kritik gerechnet.

Liebe Grüsse

Aliesa

 

Liebe Aliesa!
Brauchst dich nicht zu bedanken für meine Kritik, hab ich gerne gemacht!
Und abgesehen davon, verbessr, was du fr richtig hälst, meine Meinung ist nicht das Maß der Dinge!(Wie oft hab ich das selber schon gehört) :)
Mit den verbesserungsvorschlägen von Jo und mir, und deiner "selbtverbessrung" wird das doch was ganz rundes!!! :)

ganz liebe grüße
frotte

 

Hallo Jo,

Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat!

Er lachte noch hämisch und befahl: „Führt ihn ab!“

liest sich mEn nicht so gut. Hämisch lachend gab er den Befehl, den Gefangenen abzuführen.
Oder aber: „Führt ihn ab!“, befahl er, hämisch lachend. Oder vielleicht doch nur in einer Zeile?


"„Führt ihn ab!“, befahl er, hämisch lachend." gefällt mir tatsächlich besser.

sondern zu einem, von Mauern umarmter Hof hinter dem Gefängnis.
umarmten

starke Beschreibung!


Dankeschön!

was bitte ist eine Ingeburt? Wiedergeburt kenne ich ... Ausgeburt auch.

Naja... Ich dachte dieses Wort gäbe es. "Reinkarnation" ,oder ein ähnliches Wort, hätte wohl eher gepasst.

Nebenbei quälten sie die Insassen schadenfreudig und auf gemeinster Art und Weise.

gemeinste

Dies zeigt mir einmal wieder, dass ich nicht ein sehr gutes Sprachgefühl habe. Das liegt daran, dass ich zweisprachig augewachsen bin. Immer wieder mache ich Fehler wie dieser.

Danke für die Komma-Korrekturen! Es wäre wohl für mich wirklich mal an der Zeit, diese Kommaregeln nochmals anzuschauen.

Jäh tauchte ein Schatten mächtiger Statur vor ihr auf und griff nach ihrem Schopf.

hier halte ich auch eine Umstellung für erforderlich.
Jäh tauchte ein Schatten mächtiger Statur vor ihr auf und jemand griff nach ihrem Schopf.
würde es schon anders wirken lassen, oder?


Ja, so wirkt es viel besser!

„Na Kumpel, wieder bei Sinnen?“, fragte dieser und lächelte freundlich.

Kumpel? Ich kann mich irren, aber ich denke mal, diesen Begriff gab es damals noch nicht.
Warum nicht einfach Kamerad?


Ich wollte mich auch nicht zu sehr auf dieses "Mittelalterliche" konzentrieren. Kamerad, Freund oder Genosse wäre aber schon passender.

Ich war erst erstaunt, als Adele so überraschend plötzlich hingerichtet wurde, ja, beinah enttäuscht, würde ich sagen.
Aber das ist mir selber anzukreiden, da ich dazu tendiere, bestimmte Charaktere 'liebzugewinnen'.

Ich kann euch beiden verraten wieso diese Geschichte manchmal etwas unlogisch ist: Es war ganz einfach ein Tagtraum, den ich aufgeschrieben habe. Träume sind selten logisch und unwidersprüchlich.

Und noch zu dir, frotte: Mir sind alle Meinungen wichtig! Auch deine!! Ohne Kritik kann ich meinen Schreibstil nicht verbessern.

Gruss

Aliesa

 

Hallo Aliesa,

du hast mit dieser Geschichte meine Vorurteile bedient.
Im Grunde habe ich solange ich gelesen habe, nur darauf gewartet, wann denn die Kämpfe gegen die Orks ausgewürfelt werden, oder ob die Talentpunkte ausreichend sind, um dem Todesurteil zu entgehen.

Mich hat das alles zu sehr an DSA Atmoshpäre erinnert. Das mag toll geschrieben sein, aber als Geschichte nervt mich sowas einfach nur.

da wäre ein entsprechendes Fachforum sicherlich der bessere Ort.

Tut mir Leid, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim!

Danke fürs lesen des Textes (trotz des Genervtseins :) ) und dafür, dass du kein Blatt vor den Mund nimmst. Auch negative Kritik ist bei mir willkommen!

Mich überrascht es doch ein bischen, dass du in einer Geschichte der Sparte Romantik/Erotik erwartet hattest, dunkle Gesellen wie Orks und Magier (oder Ähnliches) anzutreffen.

Trotzdem muss ich zugeben, dass der Ablauf der Geschichte schon gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Ablauf eines Rollenspiels aufweist. Sonst habe ich aber eigentlich nicht viel mit RPG's am Hut.

Tut mir Leid, sim
Es braucht dir gewiss nicht leid zu tun!!


Gruss Aliesa

 

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