- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Hinter dem Spiegel
Langsam erwachte Isabelle aus einem traumlosen Schlaf.
Blinzelnd ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern.
Die kleinen, vergitterten Fenster, der graue Zementfußboden, und die zwei Reihen weiß angestrichener, unbequemer Bettgestelle mit diesen fürchterlich kratzigen, grauen Laken, konnten einen nach einer Weile reichlich abstumpfen.
Sie hörte das gräßlich Quietschen von Metall, das ihr verriet, dass die anderen Mädchen im Raum begannen aufzustehen.
Automatisch stand sie auf und schlüpfte in die grauen weichen Hausschuhe, als sie die „Wärterinnen“ in der Tür erblickte.
Mit einem apathischen Ausdruck im Gesicht, blickte sie aus den Fenstern.
„ Los macht schon, alle in einer Reihe aufstellen!“, erklang der Befehl einer der Wärterinnen.
Sie bestanden darauf, nicht Wärterinnen genannt zu werden, doch alle in der Anstalt nannten sie so. Dagegen konnten sie auch nichts machen, außer sie waren dabei wenn man sie so nannte. Dann konnten sie einen in die Zelle stecken. Die isolierte Zelle in der man manchmal bis zu einer Woche vollkommen alleine sitzen musste, bis man anfing mit der Wand zu reden und seine Verzweiflung in Wutausbrüchen ausdrückte, die meistens mit Elektroschocks gebremst wurden. Deswegen verstummte das Wort Wärterinnen nach einiger Zeit, außer vielleicht in den Köpfen der Insassinnen.
Als alle Mädchen in einer Reihe standen, führten die Wärterinnen sie den langen limonengrünen Flur entlang, bis zu den Waschräumen.
Die Mädchen wurden immer in Vierergruppen reingeschickt um sich zu waschen.
Isabelle wurde mit Jana, Susanna und Christina, die bei allen, die nicht schon total irre waren, als Verrückteste bekannt war, in den Waschraum geschickt.
Als die Mädchen nun vor den Waschbecken standen um sich zu waschen, starrte Christina auf den Spiegel, als würde sie jemanden dahinter suchen, doch ihr Blick war total leer.
Die Mädchen ignorierten dies, weil das bei ihr öfter vorkam.
Als sie aber dann ihren Kopf monoton gegen den Spiegel schlug, blickten sie auf.
Plong, Plong, Plong.
Dieses ständige Geräusch , machte Susanna völlig nervös, bis sie sich ganz verstört die Hände fest auf die Ohren drückte, kurze, schrille Schreie ausstieß und begann im Kreis zu laufen.
Die Situation geriet allmählich außer Kontrolle.
„ Christina?“, fragte Isabelle vorsichtig, doch Christina reagierte nicht.
Plötzlich drehte sie ihren Kopf und sah Isabelle genau in die Augen.
Sie fühlte die Leere und Hilflosigkeit darin und spürte denselben Schmerz, den Christina spürte.
Ohne ein Wort zu sagen, drehte Christina sich wieder dem Spiegel zu und schlug ihren Kopf mit aller Kraft dagegen.
Dann sank sie ohnmächtig zusammen und eine große blutende Platzwunde am Kopf wurde sichtbar.
Isabelle stieß einen spitzen Schrei aus und rief dann panisch nach Jana, die daraufhin aus dem Waschraum lief und nach einer Wärterinnen rief.
Isabelle kniete sich neben Christina und legte ihren Kopf in ihren Schoß.
Und ganz langsam begann sie zu weinen.
Fast schüchtern rollten die Tränen ihre Wangen hinunter.
Sie lächelte – denn lange hatte sie nicht mehr die Kraft gehabt zu weinen.