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Hit The Road
Teil 1 - Warten, rumhocken, auf die Folter spannen
»Liebes Tagebuch, heute ist mir ganz schön viel passiert. Hach, das ist ja alles so schrecklich aufregend, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, aber ich erinnere mich noch, als ob es gestern geschehen ist. Erst wurde ich vor einer Woche entführt und jetzt bin ich auf der Flucht, mit einem ganzen Koffer voll Geld - ach ja, und zwei bekloppten Ganoven.«
»Mensch, wie lange müssen wir denn noch hier rumhocken? Ich hab schließlich wichtige Dinge zu erledigen. Jetzt haut das alles nich mehr hin, mit meiner Koorda… Kohordita…« Benny vergrub das Gesicht zwischen den Aufschlägen seines Mantels, starrte auf die Docks und die Hafenarbeiter, welche große Holzkisten schleppten um sie auf die Frachtschiffe zu verladen. »…mit meiner Planung«, murmelte er zu Ende.
Eigentlich wollte er ja Bäcker werden. Jeden Tag den Leuten ihr Brot und die Brötchen backen. Das war sein Traum. Bedauerlicherweise hatte er eine ziemlich eklige und sich auf seiner Haut ausschlagende Hefeallergie. Aus der Traum.
»Der verabredete Termin war um sieben Uhr, jetzt haben wir’s Sechsuhrachtundfünfzig. Außerdem, was hast du schon wichtiges zu erledigen?« Richard saugte an seiner Zigarette und blies kleine Rauchkringel in die Luft. Er wollte nie Bäcker werden. Dabei hatte er noch nicht mal eine Hefeallergie. Sein Anliegen war es schon immer, den Menschen bei ihren Problemen zu helfen. Manchmal hatten die Menschen so große Probleme das Schutzgeld zu bezahlen, dass er ihnen oftmals über den Jordan helfen musste.
»Sach ma Süße, alles klar bei dir? Is dir auch nich zu kalt?« Benny stupste Anna gegen die Schulter. Anna war die Enkeltochter des Dons der zweitberüchtigtsten Gangsterfamilien der Stadt und nebenbei ziemlich verzogen, geradezu zickig.
»Mpf!«
»Ich versteh kein Wort. Kannste das wiederholen?«
»MPF!«
»Mensch Benny, lass den Scheiß!« Richard gab ihm einen leichten Klaps gegen den Hinterkopf.
»Na was? Nur weil sie nen Knebel im Mund hat, muss man doch nicht gleich nuscheln, oder wie seh’ ich das?«
Benny zupfte an Annas Jacke herum und zog ihr die Pudelmütze über die Ohren, wobei er penibel darauf achtete, dass die Bommel genau mittig saß und die beiden Kordeln exakt parallel zueinander hingen.
Sie hatten sie vor kurzem, im Auftrag der anderen zweitberüchtigtsten Gangsterfamilie der Stadt, entführt. Nun warteten sie gebannt auf die geplante Lösegeldübergabe, wie der Hengst auf die Stute.
»Schau dir nur diese Hafenarbeiter an«, sinnierte Benny. »Die müssen schwer für ihr Geld schuften. Wir bloß einmal früh aufstehen und ein Mädchen mit Zahnspange, gegen einen Koffer mit Geld eintauschen.«
»Tja«, entgegnete Richard geistreich und blies weiter Kringel in die Gegend.
»Dir würde es genauso gehen, wenn du Bäcker geworden wärst«, meinte Benny.
»Ich? Du wolltest Bäcker werden.«
»Ach echt?«
»Soviel zu deiner Koordination…«
»Aber wenn ich doch die Hefeallergie hab. Ich kann doch gar kein Bä…«
»Ich weiß«, seufzte Richard, »ich weiß…«
Benny widmete sich wieder den Hafenarbeitern und fing an, leise zu Summen. Einen Moment später schien er flüsternd zu rappen oder zu hiphoppen- wahrscheinlich wusste er das selbst nicht so genau. Jedenfalls wurde er immer lauter.
»Ein Mädchen voller Organe, gegen einen Koffer voller Moneten… nee, noch mal.
Ein Mädchen mit Rastas, gegen einen Koffer voll mit Zasters… nee, das reimt sich nich so richtich. Vielleicht so. Ein Mädchen mit tollen Locken, gegen einen Koffer voller Flocken… auch nicht. Ein Mä…«
»Jetzt reicht’s!«
...
Es gibt Tage, an denen sollte man besser gar nicht erst aufstehen. Wenn es allein danach gehen würde, hätten Richard und Benny eine ganze Woche im Bett bleiben müssen.
So aber saßen beide und die Gekidnappte auf der Laderampe eines alten Lagerhauses am Hafen und warteten auf die Vertreter der einen zweitberüchtigtsten Gangsterfamilie, die im frühmorgendlichen Stau standen.
»Eh, wasse isse hier los Carlo? Wieso eh geht dasse hier nichte weiter?« Don Pappas versuchte sich auf der ledernen Rückbank seiner schwarzen Limousine vorzubeugen, gab jedoch beim ersten Versuch auf, da der Bauch einen spitzeren Winkel zwischen Beinen und Oberkörper nicht zuließ. Eine sehr große Serviette – eigentlich ein kleines Tischtuch, naja, wohl eher ein Bettlaken – schützte den gewaltigen Wanst vor der Barbecuesauce, die von den fettigen Rippchen tropfte, welche sich Pappas zu Gemüte führte. Noch mal zur Erinnerung, es war sieben Uhr morgens.
»Ich weiß nicht Boss. Scheint ein äh, Stau zu sein.« Carlo, geistig nicht sonderlich dick angerührt, gab sein intellektuell bestes.
»Ja dasse sehe ich auch, du Idiote. Wire haben nichte mehr viel Zeit eh. Fahr weiter aufe dem Standestreifen.«
»Aber da darf man doch nur… stehen… tun…«
»FAHR oder ich verpass dir Betonschuhe!«
»Sind die nicht unheimlich… schwer?«
»FAHR ENDLICH LOS EH!«
»Is gut Boss.«
Carlo zirkelte den Wagen auf den Standstreifen und fuhr an dem Stau vorbei. Der Grund für die Blechlawine war ein kleinerer Auffahrunfall. Nichts passiert, nur Blechschaden. Hätten die Beteiligten untereinander regeln können. Kein Problem an sich. Aber wenn sich Pedanten mit dem Auto treffen…
Der Polizist jedenfalls, winkte Don Pappas Limousine an die Seite. Schade dass man auf dem Standstreifen wirklich nur stehen darf.
...
»Mpf…«
»Hehe.«
»Mensch, hör auf sie auszulachen Benny.«
»’tschuldigung. Wie spät isn?«
»Kurz nach Sieben.«
»Die kommen nich.«
»Klar kommen die. Die wollen doch das Mädchen wieder haben. Was machst du denn überhaupt solch ein Aufhebens wegen der Pünktlichkeit?«
»Termine.«
»Frisör?«
»Proktologe.«
»Iihh.«
»Wegen der Hämorrhoiden, weißt du…«
»Ich will’s gar nicht wissen.«
»…da hatte ich letztens so ein Jucken und…«
»Bäh!«
»Mpf.«
»Hehe.«
Richard wollte dem Dialog eine feminine Seite beisteuern und bedeutete Anna mit einem scharfem Blick und erhobenem Zeigefinger, dass er ohne zu zögern sein Messer in eine ihrer Nieren rammen würde, wenn sie zu schreien beginnen sollte. Schwer zu glauben, aber Richard hatte diesen Blick beim Schutzgeldeintreiben perfektioniert. Manchmal wendete er diesen Blick am DriveIn-Schalter an, wenn er mal wieder Pleite war oder meinte, die kleine, pickelige, Aushilfsschülerin einschüchtern zu müssen. Er entfernte den Knebel.
»Pfuh! Bäh! Das ist ja widerlich.« Anna nestelte mit der Zunge an ihrem Mund herum und wischte sich mit Hilfe ihrer Schultern den Speichel von den Wangen, der ihr schon die ganze Zeit ein unbehagliches Gefühl bereitete. Unverhofft spucke sie Richard ins Gesicht und echauffierte sich sogleich.
»Du würdest mir also wirklich ein Messer in eine meiner Nieren rammen, wenn ich zu schreien beginnen sollte?« Sie war so fuchsteufelswild, sie hätte mit den Armen herumfuchteln können.
Benny war baff. Richard besudelt.
»Sie hat’s kapiert«, staunte Benny, »Sie hat’s tatsächlich kapiert. Der erste Mensch, der es kapiert hat. Ich glaub’s ja nicht. Sie ist ohne Andeutungen, ohne dass du ihr auch nur im Entferntesten mit dem Splitter eines Zaunpfahles gewunken hättest, ganz alleine darauf…«
»Wir haben’s verstanden Benny.« Das Tempo saugte Annas Speichel von Nase, Auge und Wange.
»Schätzchen…«, meinte Richard in väterlichem Tonfall, während Benny versuchte, Annas Bommelmütze abermals ganz korrekt auf ihrem Haupt auszurichten.
»Nenn mich gefälligst nicht „Schätzchen“!«
»Also gut. Süße…«
»Oh neiheihein, nicht „Süße“!«
»Na dann vielleicht Schnecke, Mausezähnchen, Honigkuchenpferd…«
»Nö.«
»Schlampe?«
»Okay, „Schätzchen“ ist in Ordnung.«
»Wir wollen das hier doch alles in geordneten Bahnen über die Bühne bringen, nicht wahr?«
»Ja. Aber es kann ja wohl nicht angehen, dass…«
»Pscht!«
»Hehe.«
»Jetzt rede ich Schätzchen. Du willst doch wohlbehalten wieder zu deinem Papi zurück…«
»Papi? Er ist gar nicht mein Papi, sondern mein Großvater. Und außerdem sitzen diese Fesseln viel zu streng an meinen Gelenken und zu trinken hab ich auch noch nichts bekommen und überhaupt, diese Pudelmütze ist eine Zumutung. Des Weiteren verlange ich…«
»PSCHT! Noch ein Wort und ich…«
»…mehr Respekt einer Dame gegenüber. Autsch! Jetzt habe ich mir auch noch einen Fingernagel… Mpf…«
Richard hatte den Knebel extra fest angezogen.
...
»Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.«
Carlo reichte dem Gesetzeshüter die geforderten Papiere, nachdem er seine Beretta noch tiefer in den Hosenbund gesteckt hatte. Er lächelte krampfhaft in die verspiegelte Brille des Polizisten.
»Sie wissen, dass man auf dem Standstreifen nicht fahren darf?« Der Ordnungshüter war äußerst gelangweilt. Das schlug sich auch in seiner Stimme nieder. Ein Seufzen jagte das nächste. Im Hintergrund vernahm er die pedantischen Unfallbeteiligten über die Vorgehensweise diskutieren, welche Brennweite benutzt werden müsse um Beweismaterial korrekt abzulichten.
»Ja, Standstreifen sind zum… stehen tun da«, antwortete Carlo. Der Wachmann schob seine Sonnenbrille auf den Kopf und sah in ein breites Grinsen.
»Wen befördern Sie? Haben Sie eventuell im Auftrag ihres Fahrgastes gehandelt?«
Er reichte Carlo die Papiere und holte seine Kladde hervor, schlug einige Blätter um und zückte einen Kugelschreiber. Das hintere Fenster der Limousine surrte herunter und Don Pappas warf allerhand Rippchenreste hinaus um die Aufmerksamkeit des Polizisten zu erregen.
»Nicht wegfahren!« Carlo nickte grinsend. Vorsichtig schritt der Wachmann zum offenen Fenster und lugte hinein. Mächtig angewidert fuhr er zurück und hielt sich die Hand vor Mund und Nase. Don Pappas fing an zu lachen. Im Grunde keuchte oder hustete er. Wenn man es genau nimmt war es eher ein belustigtes Röcheln.
»Wie eh heißen Sie«, schlotzte er hervor.
»Stu. Wachtmeister Stu.«
»Also Wachtemeister Stue. Kenne Sie Fraue Möller?«
»Die Oberstaatsanwältin?«
»Schlaues Kerlchen, genaue die meine iche. Iche habe ziemlich, eh, gute Bessiehungen zu Fraue Möller, wisse Sie? Jeden Donnerstag spiele iche mit ihr Golfe…« Stu brach in Gelächter aus und deutete mit dem Zeigefinger auf Don Pappas.
»Sie spielen Golf? Sind Sie dafür nicht ein wenig zu äh… wie drück ich’s am diplomatischsten aus… fett?«
»Na gute, iche fahre unheimlich gern mite den Golfbuggys okay. Aber dasse wesentliche iste doch, dass iche Frau Möller gut kenne. Klingelt’s da bei Ihnen?«
»Hm, wenn ich’s mir recht überlege… Es könnte durchaus sein, dass ich, wenn ich Sie nicht passieren lasse, zum Streifendienst verdonnert werde. Das wär echt blöd wär das.«
Der Don schüttelte den Kopf ob der Blödheit die er soeben vernommen hatte.
»Stue, Stue, Stue. Sie sinde bereits Streifenpoli… ach wasse soll’s. Carlo, knall ihn ab eh!«
»Okay Boss.«
...
»Ist die Karre bereit?« Richard kramte eine weitere Zigarette aus der Packung und zündete sie mit einem Streichholz an.
»Natürlich. Vollgetankt, Luft geprüft, aufgeräumt und gesaugt - hab das Leder auffrischen lassen -, außen gewachst und poliert.«
»Alles wieder ganz penibel was?«
»Kennst mich doch.«
»Hast du die Musik vorbereitet? Du weißt, ich brauche meine Fluchtmucke.«
»Klar. Das beste von Truck Stop. Horrende Hits für die Straße.«
»Bist du bescheuert? Ich hör doch immer Wagner!«
»Und ich dachte du liebst Truck Stop…«
»Nein, du findest diese Pseudowesternandcountryband toll.«
»Nich dein Ernst… Ich könnte schwören, dass ich Truck Stop hasse…«
»Ich könnte dich windelweich prügeln.«
»’tschuldige. Ich hab zur Sicherheit noch eine Ersatz-CD mit eingepackt…«
»Und was da? Hoffentlich nicht Abba.«
»A… bba…«
»Ist doch echt zum kotzen. Na dann muss es eben Radio sein.«
»Also…«
»Was?«
»…die neue Antenne passte irgendwie nicht so richtig zur Farbe und da hab ich eine andere bestellt, naja und…«
»Und was?«
»…die andere ist zurzeit nicht lieferbar. Aber wenn wir ehrlich sind, können wir ja wohl kaum mit einem Auto durch die Gegend flüchten, bei dem die Antenne nicht zur Wagenfarbe passt. Nicht wahr?«
Richard fuhr sich mit der Hand durch sein Gesicht und massierte seine Augen. Nach zwei Zügen vom Glimmstängel wagte er zu fragen: »Wie wird der Empfang denn sein?«
»Nicht so gut. Schlecht. Viel Rauschen.« Benny überlegte kurz. »Also, eigentlich werden wir gar keinen Empfang haben.«
...
Das Problem bei Lösegeldübergaben ist doch immer, dass jemand unverhofft dazwischenfunkt. Entweder ist es die Bundespolizei, irgendein Geheimdienst, eine verschmähte Liebe oder ein Unbeteiligter ohne Text. Ausnahmen, so sagt man, bestätigen die Regel – warum also an bestehenden Regeln rütteln?
Unser Faktor „unverhofft“ ist ein Killer, der sich natürlich geschickt im Hintergrund hält, und, beauftragt von Richard und Bennys Gangsterfamilie, durch eine Zielvorrichtung eines Scharfschützengewehrs linst.
»Ich werde sie alle töten. ALLE! Außer das Mädchen. Außer das Mädchen. Töten! Alle! Außer das Mädchen. Außer das Mädchen. Wie heißt sie noch mal? Anke? Alle werde ich töten! Außer Anke. Nee, Anna. Außer Anna. Und das Geld nicht vergessen. Geld nicht vergessen.«
Don Pappas hatte natürlich auch ein paar bewaffnete Gestalten am Ort des Geschehens aufstellen lassen. Aber nur ein paar.
...
Die schwarze Limousine bog langsam, ein paar hundert Meter von Richard, Benny und Anna entfernt, um die Ecke eines Lagerhauses.
»Da sind sie«, bemerkte Richard.
»Und wie geht das jetzt ab«, wollte Benny wissen.
»Du wirst unsere Diva auf den unbenutzten Pier führen, dort den Koffer mit der riesigen Menge Geld von einem der Handlanger von Don Pappas entgegennehmen und dann kommst du zurück. Ist doch ganz einfach.«
»Und das passiert alles gleichzeitig?«
»Da stehst du doch drauf, auf Synchronität.«
»Und was ist, wenn was passiert?«
»Was denn, hast du etwa Angst, dass dir ein Scharfschütze das Hirn rauspustet?«
»Ja.«
»Mach dir mal keine Sorgen. Ich weiß was ich tue.«
»Aber ich tu’s doch.«
»Eins zu null für dich.«