Was ist neu

Hochzeitswein

Mitglied
Beitritt
14.05.2004
Beiträge
46
Zuletzt bearbeitet:

Hochzeitswein

Ihr Körper warf einen langen Schatten auf die bilderlose Wand. Als ein Auto vorbei fuhr, wurde er breit, wanderte zur rechten Ecke des Zimmers, verschwamm und verschwand. Dann kehrte er zurück und klebte wieder auf der Wand, fast regungslos.
Aber Maria schaute nicht dem Spiel ihres Schattens zu. Sie blickte auf ihre Hände, die dünnen Finger und das Glas, das sie umfassten. Roter Hochzeitswein. Sie hatten damals in einem Anflug von Begeisterung viel zu viel gekauft. Aber es waren nicht alle gekommen, und die meisten Gäste waren früh nach Hause gegangen. Der Wein stand nun im Keller, und Jürgen mochte ihn nicht mehr trinken.
Marias Hände zitterten leicht, als sie sich nachgoss. Das musste die Müdigkeit sein. Es war schon sehr spät. So ein Dienstessen konnte lange dauern, das wusste sie. Manchmal auch sehr lange. Besser sie ging schon mal ins Bett.
Das Schlafzimmer war kalt, denn Jürgen ließ immer ein Fenster offen. Das war gesund. Maria fröstelte unter der leeren Decke. Sie rollte sich zusammen und drückte den Frotteebezug gegen ihr Gesicht.
Schließlich hörte sie die Eingangstür und schloss die Augen. Viel Wasser lief im Badezimmer. Dann kroch er hinter ihr ins Bett und streckte seine kalten Füße unter ihre Decke. Sie spürte den fremden Rotwein im Nacken. Aber sie schwieg, und er schlief gleich ein, merkte nicht, wie ihre Schulter anfingen zu zittern.

 

Hallo Ellen!

Die kurze Szene beschriebt die Einsamkeit und Verlassenheit der Frau gut. Hochzeitswein ist übrig, die Gäste sind nicht gekommen - nahmen die Hochzeit nicht wichtig? Er will den Wein nicht mehr trinken - trinkt lieber fremden Wein, merkt nicht, wie verletzt sie ist. Sie redet sich das Geschäftsessen ein, versucht es zu glauben, aber ihr Unterbewusstsein vermutet etwas anderes. Eine kaputte Beziehung, in der kleinen Episode gut geschrieben. Kurz und intensiv. Hat mir gut gefallen.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Sue,
es freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Wie ich das mit dem Dienstessen gemeint habe, möchte ich jetzt nicht gleich klären. Vielleicht hat noch jemand Lust, die Geschichte zu lesen und zu deuten.
Ellen

 

Hallo Ellen,

mich hat der Titel Hochzeitswein angesprochen - wahrscheinlich weil es kein Allerweltswort ist. Solche Wörter hätte ich mir noch mehr in diesem Text gewünscht.

Was mit aber gut gefällt ist, dass du die Traurigkeit von Maria, ihre Einsamkeit, anschaulich machst, ohne sie direkt zu benennen.

Ich hab keine andere Frau im Text gefunden, nur viel Arbeit.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass du auktorial erzählst: Der auktoriale Erzähler sagt was über die Schatten, die Maria selbst gar nicht beachtet. Maria schläft ein, und der Erzähler sagt: Sie "merkte nicht, wie ihre Schulter anfingen zu zittern".

Wenn ich als Leser einerseits gesagt bekomme, was der Protagonist denkt und fühlt, und andererseits Sachen, die er nicht weiß, frage ich mich natürlich: Warum wird mir das gesagt? Und wer sagt mir das? Hm.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen auktoriales Erzählen, aber wenn es keinen besonderen Grund dafür gibt, versuche ich persönlich, das zu vermeiden. Hier würde ich personal aus Marias Sicht schreiben.

Grüße,
Stefan

 

Hallo Ellen,
"in der Kürze liegt die Würze". Du hast in diesem kurzen Text sehr viel zum Ausdruck gebracht und ich empfinde Mitleid mit dieser einsamen Frau, die im Grunde genommen vor den Scherben ihrer Beziehung steht. Ich denke ähnlich wie Maus, dass sie im Grunde genommen schon vermutet, dass das Geschäftsessen nur vorgetäuscht ist. Sie leidet und ihr Mann merkt es nicht, oder will es nicht merken.
Eine Kleinigkeit noch:
"Aber Maria schaute nicht dem Spiel ihre Schattens zu."
Hier muss es ihres Schattens heißen.

LG
Blanca :)

 

Hallo Stefan, hallo Blanca,
vielen Dank für eure Kommentare.

Stefan, für mich war es bei dieser Geschichte wichtig, als Erzähler einerseits in die Prot. hineinzublicken, aber auf der anderen Seite auch Dinge zu erzählen, die sie nicht wahrnimmt, wie z.B. die Schatten.
Nachdem ich deine Antwort gelesen hatte, habe ich darüber nachgedacht, die Schatten am Anfang wegzulassen, wodurch die Perspektive personal würde. Sie sind mir aber wichtig. Schatten sieht man nur auf einer Wand, wenn das Zimmer dunkel ist. Diese Frau bemerkt aber die Schatten nicht. Sie sitzt schon so lange da und wartet auf ihren Mann, dass es, ohne dass sie es gemerkt hat, dunkel geworden ist.
Den letzen Satz hast du falsch verstanden. ER merkt nicht, dass ihre Schultern anfangen zu zittern. Meinst du ich sollte einen Punkt setzen und ER nochmal schreiben?

Blanca, habe mich sehr über dein Lob gefreut und den Fehler korigiert.

Danke für euer genaues Lesen.

Gruß,
Ellen

 

Hallo noch mal.

Tja, den letzten Satz hab ich schlampig gelesen, sorry. Lass es so wie's ist.

Grüße,
Stefan

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom