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Hochzeitswein
Ihr Körper warf einen langen Schatten auf die bilderlose Wand. Als ein Auto vorbei fuhr, wurde er breit, wanderte zur rechten Ecke des Zimmers, verschwamm und verschwand. Dann kehrte er zurück und klebte wieder auf der Wand, fast regungslos.
Aber Maria schaute nicht dem Spiel ihres Schattens zu. Sie blickte auf ihre Hände, die dünnen Finger und das Glas, das sie umfassten. Roter Hochzeitswein. Sie hatten damals in einem Anflug von Begeisterung viel zu viel gekauft. Aber es waren nicht alle gekommen, und die meisten Gäste waren früh nach Hause gegangen. Der Wein stand nun im Keller, und Jürgen mochte ihn nicht mehr trinken.
Marias Hände zitterten leicht, als sie sich nachgoss. Das musste die Müdigkeit sein. Es war schon sehr spät. So ein Dienstessen konnte lange dauern, das wusste sie. Manchmal auch sehr lange. Besser sie ging schon mal ins Bett.
Das Schlafzimmer war kalt, denn Jürgen ließ immer ein Fenster offen. Das war gesund. Maria fröstelte unter der leeren Decke. Sie rollte sich zusammen und drückte den Frotteebezug gegen ihr Gesicht.
Schließlich hörte sie die Eingangstür und schloss die Augen. Viel Wasser lief im Badezimmer. Dann kroch er hinter ihr ins Bett und streckte seine kalten Füße unter ihre Decke. Sie spürte den fremden Rotwein im Nacken. Aber sie schwieg, und er schlief gleich ein, merkte nicht, wie ihre Schulter anfingen zu zittern.