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Hysterie
Hysterie
von Lestat
Prolog
Der Himmel draußen war bewölkt, und die Lichter im Flur waren schon lange ausgeschaltet worden, und so drang das Licht von den viktorianischen Fenstern jeweils an den Enden des Ganges blaustichig herein.
Das breit gebaute Zimmermädchen, wobei der Ausdruck "Mädchen" wie der reinste Spott wirkte, schob den silbernen Wagen mit den frischen, weißen Handtüchern mit einem solchen Druck über den längsgestreiften Teppich, dass sich neben den schwarz-weißen Streifenmustern neue, graue Linien bildeten. Dann, vor Zimmer 366, hielt sie. Sie machte die Tür auf und spähte mit ihren übertrieben mit Maskara verzierten Augen hinein.
Verwirrung
Er schreckte hoch. Durch die Schliern, der der Schlaf vor seinen Augen ziehen ließ, sah er wie magische Feuer die Lampen in dem Zimmer brennen. Sein muskulöser Arm zog die weiße Bettdecke ruckartig und unsanft von seinem Körper, er schwang sich aus dem Bett, nur um sofort auf die Knie zu fallen. Jemand öffnete die Tür. Er sprang auf die Füße, lief zur Tür und trat dabei ständig auf kleine, flache, quadratische Dinger, doch sein Fokus galt der Tür. Durch den Türschlitz drangen die zwei stark geschminkten Augen des Zimmer"mädchens" (so wie ihre Augen), aber bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, trafen seine beiden Handflächen die Tür und drückten sie wieder zu. Er hörte den Aufschrei des Zimmermädchens, dann das Klicken des Schlosses.
"Später!"
Er lehnte seinen muskulösen Rücken gegen die Tür. Sein getrübter Blick schweifte über den Boden. Überall lagen kleine Memory Cards für Digitalkameras verstreut. Er stand mühsam auf und blickte sich im Zimmer um. Sie lagen überall. Auf den beiden Nachttischen links und rechts von dem Doppebett, auf dem Boden mit dem schwarz-weiß-gestreiften Teppich, auf den kleinen Tischen, den Stühlen und sogar ein Paar auf dem Bett selbst. Ungefähr drei Dutzend davon. Drei Dutzend kleiner, grauer Memory Cards für handelsübliche Digitalkameras. Er schloss die Augen und dachte nach. Oder versuchte er, nicht nachzudenken?
Er öffnete die Augen wieder und sein Blick fiel auf den Fuß des Bettes. Da stand eine Digitalkamera. Seine Augen wurden groß. Langsam löste er sich von der Tür, und es kam ihm vor, als wäre er an das Holz geklebt. So langsam, als wäre die Luft wie Wasser schob er sich durch den hellen Raum auf das Bett zu, auf die Kamera. Er hörte das Knacken von brechenden Plastik unter seinen Füßen. Er fühlte, wie sich die Leere in seinem Kopf langsam mit tiefschwarzem Wasser füllte. Sein Herz schlug fester, intensiver, schien gegen seinen Brustkorb zu hämmern und ausbrechen zu wollen. Er versuchte, tief durchzuatmen, aber seine Lungen schienen sich nicht mehr vollständig aufblähen zu können. Er streckte den Arm aus. Tränen traten in seine Augen und er musste wider an ihre Augen denken, ihre tiefen, dunklen Augen. Er konnte durch seine Tränen das weiße Tuch des Bettes sehen, den vibrierenden grauen Punkt in der Mitte und einen dicken, flirrenden hautfarbenen Strang, der danach griff. Er hob die Kamera hoch und wischte sich die Tränen aus den glasigen Augen. Er schluchzte, ohne es wirklich zu merken, und wieder trat ihm Wasser in die Augen. An der Seite der grauen Kamera stand der silberne Schriftzug Sony. Sein Kopf schien sich wieder zu leeren, wie ein Abwehrmechanismus, ein Verdrängungsmechanismus. Seine Erinnerungen schossen auf die vergangene Nacht zu, und sein Unterbewusstsein sprang davor um es aufzuhalten. Seine Muskeln spannten sich. Er tastete, ohne die Augen von dem Schriftzug zu lassen, nach unten. Er fühlte das leinene Betttuch. Seine Finger fuhren darüber, bis sie eine der Memory Cards ertasteten. Er griff zu grob danach, und die Karte fiel von der Kante auf den Boden. Er schluchzte wieder. Seine Finger tasteten weiter, nach links und rechts, dann, nach einigen Sekunden sah er schließlich nach unten. Er kniff instinktiv die Augen zusammen, als ihm wieder langsam die Tränen kamen, seine Mundwinkel verzogen sich krampfhaft nach unten, sein Rachen begann zu kribbeln und in seiner Nasenwurzel sammelte sich ein grober Druck an. Wie schluchzte er und ließ, während er nach unten griff, einen kurzen, heulenden Laut von sich. Er fasste mit tauben Fingerspitzen die Karte und holte sie schnell hoch. Mit verkrampften Körper warf er sich auf das Bett und steckte die Memory Card ein. Er drückte auf Play. Er wollte sich nicht erinnern, aber er musste.
Er sah sie. Sah ihre glatten schwarzen Haare auf dem Schwarzweißvideo. Ihren schwarzen, engen Rock. Ihre stark mit Maskara umrandeten, tiefen schwarzen Augen. Ihre schwarzen Lippen. Sie stand vor einem Gebäude, mit verschränkten Armen und genervten Blick. Sie ging. Er folgte ihr. Plötzliche Schnitte, überall. Sie sah ihn. Sie gingen beide. Sie gingen in ein Gebäude. Ein Hotel. Ein Zimmer. Ein Bett. Er erinnerte sich.
Hysterie
Sein Herz setzte kurz aus. Ein Schrei brach aus ihm heraus, wollte seine Augen und seinen Brustkorb sprengen. Die Tränen liefen seine Wangen hinab.
Er lag auf dem Bett, hielt die Kamera auf sie gerichtet, während sie mit lasziven Bewegungen in das Bett kroch.
Er sprang auf, schleuderte die Kamera von sich und packte den Nachttisch. Mit einem brachialen Schrei schleuderte er ihn gegen eine Wand. Die Schubladen sprangen auf, die Lampe, die auf dem Kasten stand, zerschellte an der Tür, die Memory Cards flogen im Zimmer umher.
Er sprang wie ein wütendes Tier über das Bett, packte einen Stuhl und warf ihn gegen ein Bild, das über dem Bett hing.
Seine Hände gruben sich in die Matratze wie in das Fleisch des Mädchens, er riss sie aus dem Bettgestell während seine Finger tief in sie einsanken und das Innere hervorquellte, und hob sie hoch, nur um die Energie dieses Kraftaktes zu nutzen und sie gegen die Ansammlung von Stühlen um den großen Tisch in der Ecke zu werfen. Die Matratze.
Es hörte sich an, als würden Kegel umfallen, fast so, wie sich die Knochen des Mädchens anhörten, als sie gegen die Wände im Flur prallte.
Er lief auf den Tisch zu, sein wütendes Schnauben vom Geräusch berstenden Kunststoffes begleitet, und packte ihn an der Kante. Seine Muskeln schienen zu reißen, als er an
ihr zog
und den Tisch aus seinen Verankerungen in der Wand riss. Er schlug durch die Platte,
drei, viermal. Knochplitter bohrten sich in seine Handknöchel. Er packte die Beine und riss sie vom Rest ab,
schleuderte sie auf das Bett, wo
sie die Laken rot färbten
sie liegen blieben.
Dann packte er ihre Haare, riss sie aus, und warf ihren Körper auf das Bett, wo er sie schändete.
Er brüllte auf. Seine Augen waren rot vor Tränenen, sein Mund verkrampft vom Weinem. Wasser lief seine Nase herunter, Blut klebte an seinen Händen, Blut, das Holz entlanglief, welches in seinen Händen steckte. Dann, als der Schrei erschöpft war und sich seinem Ende entgegenneigte, stand er mit Knien, die mit Wasser gefüllt zu sein schienen da und tat gar nichts. Er atmete tief durch. Stellte sich das Zimmer in dem grausamen Zustand nach den Taten der letzten Nacht vor. Ein Zustand, der nie existierte. Die Tür ging auf.
Epilog
"Du warst gut diesmal.", sagte das Mädchen, während sie auf ihn zuging. Sie trug noch den Rock und das starke Make-up.
Er versuchte zu lächeln. "Danke. Es war..." Er atmete tief durch. "...anstrengend."
Sie blickte sich um. "Ja. Das sieht man" Beim letzten Satz lachte sie leicht auf. Dann blickte sie mit ihren stark geschminkten Augen wieder zu ihm.
"Du hast am Anfang etwas gebraucht, um in Stimmung zu kommen."
"Ja... sich solche Bilder vorstellen zu können dauert etwas, sorry. Aber ich hab´s als Verwirrung getarnt, damit du nicht außer Stimmung gerätst und es dir am Ende nicht besorgen kannst. Deshalb... hab ich es eben etwas kaschiert. Siehst du, ich nehme mehr Rücksicht auf dich und deine Geilheit und mich und meine Gesundheit!" Er hielt seine verletzten Hände hoch, aber sie schien sie gar nicht zu sehen. Stattdessen biss sie sich auf die Lippe, blickte kurz durch das Zimmer und sah wieder ihn an, mit einem feuchten Schimmer in den Augen.
"Das nächste Mal bin ich dran mit der Täterrolle?"
"Ja." Er räusperte sich nach seiner Antwort und wischte sich die letzten Tränen aus seinem geröteten Gesicht.
"Ich freu mich drauf. Aber zwing mich nie wieder, diesen Rock anzuziehen. Die Frisur und das Make-up sind mir egal, das weißt du. Aber dieser Rock ist schrecklich. Ich seh aus wie ein Gruftie!"
Er grinste. "Daran hatte ich gar nicht gedacht! Aber gut. Wenn du meinst."
Draußen donnerte es. Sie lächlte wieder.
"Du... hast aber nicht wirklich alle Karten mit Film bespielt, oder?"
Er lachte auf. "Quatsch! Denkst du ernsthaft, ich bespiele drei Dutzend Memory Cards mit Film? Hälst du mich für wahnsinnig? Wie auch immer... dann nächsten Montag wieder?"