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Ich Komme Wieder
Susan hatte sich entschieden. Sie musste es tun. Sie wollte ihr Leben in den Vordergrund stellen und alles sollte sich um sie drehen. Sie war 24 Jahre alt und abhängig von den Abgründen ihrer Umgebung. Ihr Leben war wie die ultimative Katastrophe vor denen Menschen fliehen und in solchen Situationen nur an sich denken, um zu überleben. Sie versuchen dem schlimmsten zu entkommen und blicken nicht zurück. Es besteht kein Interesse für andere. Nun stand Susan an der Tür und hielt ihren Koffer mit den wichtigsten Sachen in der Hand und blickte noch mal zurück. Ein letzter Blick auf den Ort der sie drei Jahre lang gefangen hielt. Große Liebe, schnelle Hochzeit, liebender Ehemann, niedliches Baby. Alles begann so schön. Alles war so unvorstellbar harmonisch. Im Gegensatz zu ihrem Leben vor dieser Zeit.
Strenge Eltern, keine Liebe, Drogen, Strich. Was zeigte ihr der letzte Blick auf den Ort des Schreckens? Eine dreckige Wohnung, zugezogene Gardinen, ein höllischer Gestank, Blut an den Wänden, Blut auf dem Boden, der leblose Körper des Hundes, der zerstückelte Leichnam ihres Mannes, ihr im Müll krabbelndes und hungriges, nacktes Baby. Es konnte noch nicht sprechen. Nicht wissen, was hier geschah. Nicht wissen, dass es bald sterben würde. Niemand würde es hören, wenn es schreit. Das Haus lag abgelegen und wurde selten besucht. Es würde vielleicht drei Tage dauern. Dann wäre alles vorbei. Susan öffnete die Tür und ging einen kleinen Schritt in die Freiheit. Nochmals blickte sie zurück und Gedanken schossen durch ihren verwirrten Kopf. Bis zur Geburt des kleinen Samuel war alles gut. Nach einigen Wochen kam ihr Mann immer seltener pünktlich nach Hause. Irgendwann schlug er sie und das hilflose Baby. Er schien überfordert mit der Situation. Sie verdrängte diese Gedanken. Aber wieso das Kind in Stich lassen? Richtig, es war sein Fleisch und Blut. Irgendwann würde der Vater in ihm vorkommen. Der Apfel fällt…..
Plötzlich hörte Susan eine Stimme.
„Mami?“
Das konnte nicht sein. Samuel konnte noch nicht sprechen.
„Mami. Du wirst bereuen, was Du getan hast. Ich komme wieder. Ich komme wieder.“
Ungläubig schaute Susan ihr Baby an und beobachtete es. Es sagte nichts mehr, es brabbelte vor sich hin. Samuel lächelte seine Mutter an.
Susan ging raus und schloss die Tür hinter sich.
Sie stieg in den Wagen und ihr kamen noch mal die Worte von Samuel in den Sinn. Es war sicherlich nur eine Einbildung. Samuel konnte nicht sprechen.
Zufällig erfuhr Susan auf der Titelseite einer Zeitung, dass die Leichen eines jungen Mannes und seines kleinen Sohnes gefunden wurden. Circa zwei Wochen nach der Tat. Die Ehefrau befände sich auf der Flucht. Das Kind habe jämmerlich leiden müssen. Das Kind habe zehn Tage überlebt.
Es ernährte sich von Obst, Brotresten, verschimmeltem Hundefutter und sonstigem Essbarem das es zu greifen bekam. Als Durstlöscher fungierte zeitweise eine offen stehen gelassene Cola Flasche und eine halbe Flasche Bier. Das kleine Kind hatte mehrere blaue Flecken am Körper. Es muss mehrere Mal gestürzt sein. Wahrscheinlich als es sich am Mobiliar hochziehen wollte. Vielleicht auch von Schlägen. Susan hatte ihr Kind nie geschlagen.
An der Wand entdeckten die Ermittler eine mit Blut geschriebene Botschaft. Sie schien von der Mutter zu sein. „ICH KOMME WIEDER“.
Das kann nicht sein, dachte Susan. Unmöglich. Ihr fielen wieder die Worte ein die ihr Baby sagte.
„Mami. Du wirst bereuen, was Du getan hast. Ich komme wieder. Ich komme wieder.“
Einige Jahre später lebte Susan in Europa und alles was sie sich wünschte ging in Erfüllung. Sie traf den richtigen Mann und die richtige Entscheidung. Diesmal ließ sie sich mit der Hochzeit mehr Zeit und sollte dies nicht bereuen. Alles schien perfekt und harmonisch zu sein. Die Schwangerschaft verlief normal und sie freute sich auf das Kind. Die Ernüchterung kam bei der Entbindung. Körperlich und geistig behindert. Der kleine Jason hatte eine Muskelschwäche. Sie entwickelten sich nicht weiter und es führte dazu dass er sich nicht bewegen konnte. Jason hatte eine sehr kurze Lebenserwartung.
Susan und ihr Mann kümmerten sich rührend um das Baby und waren über jeden Tag, den sie mit Jason erleben durften, glücklich.
Gezeichnet vom täglichen Kampf für Jason saß Susan im Wohnzimmer und las eine Zeitung. Jasons kurze Lebenserwartung sollte sich nicht bestätigen. Er war nunmehr 24 Jahre alt und war trotz aller schlechten Vorzeichen am Leben. Er war zu einem Leben im liegen verdonnert und machte keine Anzeichen, das Leben zu verlassen. Nachts, wenn Susan im Bett lag dachte sie an Samuel. War dies seine Rache? Manchmal wünschte sie sich, Jason wäre nie auf die Welt gekommen. Oder, zumindest früh verstorben. Sie hatte jedoch einen Ehemann, der sein Kind über alles liebte und es nicht aufgeben wollte. Susan liebte ihren Mann und wollte nicht, dass er von ihren nächtlichen Gedanken etwas mit bekommen sollte. Susan war in die Zeitung vertieft und las gerade einen politischen Bericht. Sie bemerkte nicht, dass jemand im Raum war und sie beobachtete. Eine Gestalt näherte sich ihr und hielt ein großes Messer in der Hand. Direkt hinter ihr blieb die Person stehen. Jetzt erst bemerkte Susan jemanden im Raum und drehte sich um. Sie schaute dem jungen Mann in die Augen und konnte nicht fassen, was sie zu sehen bekam. Große, dunkelbraune Augen. Samuels Augen. Die ganze Zeit hatte sie die Ähnlichkeit zwischen Samuel und Jason verdrängt. Jetzt schaute sie der Wahrheit ins Auge. Jason war Samuel. Sie wusste es all die Jahre. Der Kampf um Jasons Überleben war Samuels Rache. Sie erhielt nicht das von ihr sehnsüchtig erwartete Leben. Bevor Jason / Samuel auf sie einstach, fragte Susan lächelnd:
„Samuel? Bist Du es? Jason?“
„Ja, Mami. Ich bin jetzt da.“