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Ich liebe das Meer

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01.04.2004
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Ich liebe das Meer

Ich liebe das Meer

Heute war nicht mein Tag. Es windete draussen, und ich hatte Streit mit Aline, meiner besten Freundin. Ich hasse es wenn es windet. Ich hasse es wenn ich Streit mit Aline habe. Sie ist die Güte in Person, aber wenn ich Streit mit ihr habe, dann ist es nicht mehr lustig. Der Streit den ich mit Aline habe, ist eher psychisch. Wenn wir uns z.B. treffen, und uns einfach ständig fertig machen und eine miese Stimmung herrscht. Das läuft dann ungefähr so:
Aline: „Echt, du nervst! Hör mal auf, dauernd zu pfeifen! „
Ich: „Was soll das denn jetzt? Ich bin ein freier Bürger, ich darf tun und lassen was innerhalb des Gesetzes okay ist! Also lass mich jetzt bloss in Ruhe!“
Aline (murmelnd): „Ich werd mal Politikerin, und dann führ ich ein Gesetz ein, dass das Pfeifen verbietet!“
Und dann schweigen wir uns an, und hassen uns. Für den dämlichen Streit. Aber das muss so sein. Ich hasse Aline. Ich liebe Aline. Natürlich rein platonisch… Aline und ich, da würde nie was laufen. Wir hassen uns. Wir lieben uns. Und heute war ich mit Aline im Wald, ich musste meinen kleinen Kläffer ausführen. Ich hasse meinen Hund. Ich liebe meinen Hund. Er ist klein, und bellt, als ob sein Leben davon abhinge. Aline hasst ihn. Er hat sie mal in die Hand gebissen. Sie hasst es mit mir und meinem kleinen Kläffer zu spazieren. Es war schon fast dunkel. Und es war kalt. Ich hasse es wenn es kalt ist. Ich liebe es auch. Weil ich dann immer zu spüren bekomme, wie sehr uns der liebe Gott doch hasst. Im Winter lässt er die meisten von uns frieren. Im Sommer lässt er uns schwitzen, im Frühling ist es noch nicht warm genug um im T-Shirt herum zu laufen, und im Herbst ist es noch zu warm, um die Winterjacke zu holen. Ich habe keine Ahnung, warum ich den Gedanken an Gott und seinen Hass auf uns Menschen liebe. Vielleicht, weil ich ihn doch hasse? Ich hasse alles, was ich liebe. Ich habe Angst vor den Dingen, die ich liebe, weil ich mich fürchte, dass sie zu nahe an mein Herz wachsen, und es dann ohne Umstände zerreissen können.
Ich und Aline waren also am Streiten, nicht mit Worten, aber wir stritten uns. Wir hassten uns, wir hassten uns dafür, dass wir uns hassten. Das klingt sicher komisch. Ist es auch.
Der Wind liess die Bäume knarren, und mich schauderte. Ich habe Angst vor allen Dingen, die Geräusche machen. Meine Traumwelt ist stumm. Wir gingen quer durch den Wald, keine Wege, wir hassen Wege.
Wir gingen immer weiter, ohne zu sprechen. Wir stritten, ohne zu sprechen. Mein kleiner Kläffer kläffte, und wir nervten uns, ohne zu sprechen. Irgendwann nach einem nie enden wollenden Schweigen kamen wir zu einem Hügel. Die Bäume, die ihn ursprünglich schmückten, wurden gefällt und es war ein Bild der Trauer. Ich hasse Bäume. Ich liebe sie. Ich setzte mich auf einen Baumstumpf und schloss die Augen. Aline tat es mir nach, ohne zu sprechen. Die Dunkelheit, die mir meine Augenlider boten, verwandelte sich langsam in ein verschwommenes Bild, das immer schärfer wurde. Vor mir sah ich das Meer. Ich liebe das Meer. Ich liebe das Meer völlig furchtlos. Ich öffnete die Augen, und sah zu Aline. Sie weinte. Ich wusste nicht wieso, aber sie weinte. Doch, ich wusste es. Ich wusste es ganz genau. Ich hasse es wenn sie weint, ich komme mir dann immer so hilflos vor. Aber ich liebe es, wenn ihr die glitzernden Tränen die Wangen runter kullern und mir zu zwinkern. Warum liebe ich solche grotesken Sachen? Ich brauche einfach die Dinge, die ich liebe. Um sie hassen zu können. Aline weint immer, wenn es Zeit zu gehen ist.
Sie sah zu mir auf, und lächelte gequält:
„Oh, Jordan… Ich habe nicht gemerkt, dass du noch da bist.“
Sie sagte das, als ob sie sich für die Tränen, die ihr aus den Augen schossen, entschuldigen wollte. Sie war so hässlich. So wunderschön. Was war Aline eigentlich? Ein Lichtlein in einem Meer von aber Millionen von Lichtlein, das wie alle anderen einfach irgendwann erlischt? Bin ich das nicht auch? Mein kleiner Kläffer kläffte, weil er nicht begreifen wollte, dass unser gemeinsamer Spaziergang nun zu Ende ging. Ich schloss erneut die Augen, und entfernt hörte ich das nervende Gekläffe, das traurige Schluchzen. Vor mir war das Meer. Aline war auch da. Sie lachte. Sie war glücklich. Und mein kleiner Kläffer war da, aber er kläffte nicht. Der Wind der die Bäume der Realität über meinem Kopf hin und her schwingen liess, verursachte ein Geräusch, das dem des Meeres ähnlich war. Ich liebe das Meer. Ich liebe es wenn der Sand mich zwischen meinen Zehen kitzelt und ich unbeschwert lache. Ich liebe es wenn die hohen Wellen ans Ufer peitschen und sich dann leise ins Meer zurückziehen. Ich liebe alles was surreal ist. Aline ist nicht glücklich. Sie lacht nicht. Mein kleiner Kläffer kläfft. Der Sand kratzt zwischen den Zehen, und wenn ich lache, dann ist es gequältes, schmerzendes Lachen. Die Wellen, die ans Ufer peitschen bringen Quallen und tote Fische mit sich, ihr stilles Zurückziehen hat so eine enorme Kraft, dass schon so manche ihr Leben auf dem tiefen Grund des Meeres lassen mussten. Aber ich liebe das Meer.
Ich öffnete die Augen. Endlich. Die Einsamkeit, die mich hier erwartete sog das letzte bisschen Freude aus mir heraus. Ich weinte. Ich stand auf und ging. Keine Wege, ich hasse Wege. Einfach so. Quer durch den Wald.

 

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