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Intense
Sie hatten sich die halbe Nacht gestritten. Bei geöffnetem Fenster, denn die Nacht war so schwül und ihr Ruf in der Nachbarschaft längst nicht mehr zu rehabilitieren.
Nicht dass die Brise, die durch das geöffnete Fenster drang, in irgendeiner Weise ihre Gemüter abgekühlt oder der gewalttätigen Stimmung ein Ende bereitet hätte, doch hatten sie ihr Schlachtfeld mittlerweile in die Kissen und feuchten Laken des Bettes verlegt, wo sie in stumpfer Lust und mit zerfetzten Masken den Kampf dem Ende entgegen trieben.
Zwei Krieger, beide dem Untergang und dem Verlust von Ehre und Gewissen geweiht, gefangen in ihrem mörderischen Wechselspiel. Mit rauer Begierde einander umschlingend, sich stoßend und windend, dem Aderlass ihrer sekundären Geschlechtsteile entgegenreckend.
Als sie nach Minuten vergeblichen Hoffens auf mehr, als verkappte körperliche Befriedigung, ihre längst erschlafften Körper von einander lösten, blieb Leere zurück.
Er drehte sich weg, fort von ihr. Ein Teil von ihm spaltete sich ab und sprang aus dem Fenster, um vor der Frage zu fliehen, die leise an sein Ohr drang.
„Es ist alles so anders, warum ist das mit uns passiert….zu was sind wir geworden?“
Ihre Stimme, matt und mit einem rauhen Klang, erschien ihm fremd; genauso wie die Person, die er mal geliebt hatte, und er erwiderte nichts. Er wusste ohnehin keine Antwort auf die Frage, die längst zur bloßen Rhetorik zwischen ihnen beiden geworden war. Er wusste nur, dass er müde war, dass er es leid war mit ihr zu streiten… über Freunde und Feinde, Eifersucht und Illusion, Kampf und Resignation, Sinn und Unsinn. Es war ein Reigen aus verlorenen Werten, die einem hämisch wie die eingetrockneten Zahnpastareste und dunklen Bartstoppeln aus dem Waschbecken entgegenlachten, über die sie nie hatten streiten wollen.
Er wusste auch, dass es ihr genauso ging, was sie trennte war die Konsequenz daraus… sie schrubbte mit Verdruss, während er mit ambivalenten Gefühlen, mit Menthol und dem Schmierfett seines eigenen Überdrusses bewaffnet, aufs Neue die Konturen ihres längst ausgehöhlten Miteinanders in der Keramik ihres Lebens nachzeichnete.
Sie versuchte etwas zum Glänzen zu bringen, das unter seinem Blick längst stumpf geworden war.
Doch das zu sagen, brachte er nicht übers Herz, und so sehr er auch versuchte sie durch seine strategisch gesetzten menschlichen Unzulänglichkeiten zu vertreiben, er brach mit ihrem auch sein eigenes Herz, schuf lediglich für sich ein krankes Märtyrerbild seiner selbst, das, gefangen in ihrer standhaften und fast schon edlen Liebe zu ihm, die ihn umfing, was auch immer er tat, verhehrenderweise seine Definition erhielt.
Er erhob sich im Zwielicht des wolkenverhangenen Mondes, und spürte ihren Blick in seinem Rücken, der ihm folgte, als er sich nackt ins geöffnete Fenster stellte. Er hörte ihren Atem, der mittlerweile wieder regelmäßig zwischen ihren leicht geöffneten Lippen entwich und mit dem An- und Abschwellen der Böen dort draußen in ein melancholisches Duett einstimmte.
Auch sie stand auf und er registrierte nebenbei, wie sie durch den Raum in die Küche ging. Er vernahm das quietschende Geräusch, das entstand, als sie den Korken aus der Rotweinflasche zog. Sofort wurde sein Mund wässrig und seine Kehle lechzte nach der blutroten Flüssigkeit. Als hätte sie dies geahnt, trat sie neben ihn und stellte sein Glas vor ihn auf den Fenstersims. Er ergriff es ohne sie anzusehen und nahm einen tiefen Schluck. Der Wein hinterließ ein leicht rauchiges und doch samtig süßes Aroma auf seiner Zunge und stimulierte seine Geschmacksknospen aufs Äußerste. Sofort stellte der Geschmack eine Verknüpfung zu seinem emotionalen Erinnerungsspeicher her und ihn umfingen sentimentale Empfindungen…
Sie hatten diesen Wein eines Tages zusammen in einer kleinen und rustikalen Weinhandlung im Elsass entdeckt und er war zu ihrem Lieblingswein avanciert. Dort waren sie für ein verlängertes Wochenende in einer urigen und anheimelnden Pension eingekehrt. Frisch verliebt, auf der Flucht vor der Verbindlichkeit und den ersten Hürden des alltäglichen Lebens, die sie noch fürchteten, da sie ihr zukünftig gemeinsames Leben noch nicht durchdacht hatten. Noch nicht durchdenken wollten, denn der Moment der Hingabe in vollkommen intuitive Erlebniswelten hielt noch an.
Es war so angenehm leicht gewesen nicht an morgen zu denken, denn morgen war heute und alles was sie in diesem Moment taten, und heute war ewig und süß…wie dieser Wein.
Schnell schob er dieses Gefühl beiseite, denn er wusste, es war vorbei…,
hatte irgendwo zwischen schicksalhafter Verbundenheit und bedingungsloser Liebe im Nebel der Sinne begonnen und war zwischen dem tragischen Verhängnis alltäglicher Fallgruben und der egoistischen Befriedigung adaptierter Bedürfnisse im Raum der Zeit verloren gegangen.
Er war sich im Klaren darüber, dass sie ihn liebte, und dass er ihr wehtun musste … irgendwann.
Er konnte nicht sagen, es täte ihm nicht leid, er hätte keine Angst, doch
„Ich liebe dich“, konnte er auch schon lange nicht mehr sagen.
In ihm keimte der Wunsch auf eines morgens einfach aus dem Haus zu gehen und abends nicht mehr zurückzukehren, sich davon zu stehlen, so wie sich sein Leben davon gestohlen hatte und ihres wahrscheinlich auch. Doch das konnte er nicht tun, genauso wenig wie die Wahrheit auszusprechen, denn vor beidem hatte er Angst, und ihm war nicht klar, um wen er in beiden Fällen mehr Angst hatte, um die Frau, die er geliebt hatte, oder um sich selbst.
Sein Blick schweifte über die Dächer der Großstadt, in der sie lebten und er fühlte sich einsam, …. „gemeinsam einsam“… nie hätte er gedacht, dass dieser Slogan einmal mehr für ihn werden könnte, als der Titel einer Kolumne in irgendeiner Frauenzeitschrift oder einer schnulzigen Liebeskomödie. Nie hätte er gedacht, dass er verstehen würde, wie sich das anfühlt.
Ihre Liebe war perfekt gewesen, und manchmal wollte er noch immer an diesen Punkt in ihrem Leben zurück. Er konnte sich nicht erinnern, wann oder wo dieser Punkt war, an dem sie falsch abgebogen waren, doch er wünschte sich tief im Innern, unter all der verbrannten Asche, den ausgedörrten Gefühlen, sie könnten den U- Turn schaffen und zurückkehren. Obwohl er glaubte sie nicht mehr zu lieben, wollte er sie wieder lieben können.
Sie umschlang ihn von hinten mit beiden Armen und er fühlte ihre nackten Brüste auf seiner Haut und schloss die Augen. Sie schmiegte ihren Kopf an seinen Rücken und ihr Atem ging schwer, als sie flüsterte, was er nicht zu sagen gewagt hatte:
„Das alles muss ein Ende haben. Ich weiß es…. ich weiß, dass du es weißt und es nicht sagen willst…ich weiß…“
Und mit der letzten Kraft, die seinem Körper und seinem Geist noch zur Verfügung standen, brach er in Tränen aus… Tränen der Erschöpfung, Tränen der Erleichterung, Tränen über die Liebe, die da nicht mehr war. Tränen über den Hass, den er auf sich selbst empfand, ob der Schwäche seines Herzens.
Sie legten sich still und leise nebeneinander aufs Bett und hielten sich, hielten sich ein letztes Mal fest umschlungen, und dieses Mal war da keine Leere, kein Dringen und Drängen nach etwas, das sie entbehrten, seit so langer Zeit. Es war Frieden und Ruhe und die Spur von Liebe, die sie nicht mehr aufnahmen, und es war gut.
Es war gut, bis sie einschliefen, es war gut, bis er erwachte… unter dem lauten und eindringlichen Geräusch der Sirenen.
Ein Martinshorn, dachte er, als er sich aus der schläfrigen Benommenheit empor kämpfte, aus der bleiernen Schwere seines durch Wein und Tränen benebelten Verstandes.
Bestimmt hat der Regen heute Nacht einige Keller unter Wasser gesetzt…
Er tastete nach ihr, doch sie war nicht mehr da, und mit ihr war der Sturm gegangen.
Es war windstill und das Plätschern der Sturzbäche in den Rinnsalen der Straße drang bis hinauf zu ihm.
Das Heulen der Sirenen wurde immer lauter, was ihn irritierte, und brach dann abrupt ab. Noch bevor er sich ganz klar darüber wurde, dass sie ihn verlassen hatte, dämmerte der Morgen in tristem, mattem Grau und mit ihm die Gewissheit.
Als er sich noch fragte, woher all das Raunen das Seufzen und Murmeln kam, um diese Zeit, an einem Sonntag Morgen, der noch so jung war, dass alles schlief oder gerade erwachte,
als er zum Fenster ging, um hinunter zu schauen auf ihren nackten Körper, fluroszierend bleich von blauem Licht und nassdunklem Asphalt grotesk gebrochen, umringt von Sanitätern und Schaulustigen, hob sich ihre Brust ein letztes Mal, um dem Atem des schwindenden Lebens Platz zu machen.
Und während sie starb, spürte er das Entsetzen, das sich am Rande seines Fassungsvermögens hinaufhangelte, wie ein Turner an seinem Reck….
„Ich liebe dich!“, sagte er und verlor den Verstand…