Kapitel 18 – Manchmal wird es eng
»Ich wünschte, Schnürsenkel wären mehr wert. Mit Grundwasserperestaltik kann man leider kein Geld verdienen. Schöne Scheiße.«
(Josef von Ölz aus: »Sie haben nur wertlosen Plunder geerbt? Wie man aus Schnürsenkeln Kapital schlagen kann.«)
»Kommt, Mädels. Treten wir den Aliens in den Arsch.«
»Also wenn ich mich nicht täusche, sind hier auch ein paar Herren am Start«, bemerkte Holgi mit energischem Tonfall und boxte Sascha unsanft gegen die Schulter.
Kruger grinste schief und fertigte sich eine Zigarette.
Roll, roll, leck, falt und fertig.
Er stieg in seinen Wagen, steckte den Zündschlüssel ins Schloss, drehte um und startete den Motor, der seine Abgase laut aus dem Auspuffrohr hustete.
»Ey, solln wir jetzt etwa alle über die Beifahrerseite einsteigen?«, fragte Dieter erbost und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das ist ja wohl die Höhe! Erst lässt du uns in dieser unendlichen, weißen Einöde alleine und, und, und…«
»Ja, Dieter? Und?«
»…und wo ist eigentlich dieser dreckige Köter?«
Kruger fing an, leere Whiskyflaschen hervorzukramen und aus dem Auto zu werfen.
Sascha neigte den Kopf und musste unweigerlich lachen.
»Gibtsn da zu feiern? Ich glaub der hat ne Macke«, vermutete Dieter.
»Was machstn du da Kruger?«, wollte Holgi wissen.
»Ich schaff Platz ihr Pfeifen. Oder glaubt ihr etwa, die Kiste kann sechs Leute und an die zwanzig Flaschen transportieren? Hey, das ist kein Volkswagen. Das ist noch nicht mal ein Wagen. Von Volk will ich gar nicht sprechen.« Kruger warf weiter fleißig Glas aus dem Auto.
»Yeah, ein richtiger, echter Thunderbird«, platzte Holgi euphorisch hervor.
»Klappe zu!« Kruger pfefferte die letzte Flasche auf den Asphalt. Braune Flüssigkeit rann den Bordstein entlang und ergoss sich in den nächstgelegenen Gully. »Ach Mist!« Er sah dem billigen, sich verflüchtigenden Fusel noch einen Augenblick, sehnsüchtig hinterher. »Los einsteigen!«
***
»Ach du grüne neune!« Barnes rollte sich auf den Rücken und massierte sich die Brust. »Das ist ja geradezu widerwärtig. Macht der sowas ständig? Der frisst wohl dauernd aus der Tonne, wie?«
Lala sah Barnes scharf in die Augen. Ein kurzes Schnippen und der Schaksowasi schob Barnes etliche Finger in seine Nase. »Wohin?«
»Wow, der kann ja reden? Wiefo redet der denn jetft plötfliff? Wahnwinn! Waf kannen der noch fo? Ey mach mal Männfchen!« Barnes schien völlig die Fassung zu verlieren und gebärdete sich sehr inadäquat für jemanden, dem mächtig viele Finger eines außerirdischen Bodyguards in der Nase steckten. Lala besah sich das Häufchen Elend und rang sich ein müdes Lächeln ab. Und für Lala, die im Grunde noch nie müde gelächelt hatte, war das eine reife Leistung.
»Schaff ihn weg, egal wohin, nur weg«, erklärte sie und wandte sich wieder Manfred zu.
»Heh, aufhöwn! Laff miff lof du dreckiger grofer Fakfowafi!« Ein winziger, galaktischer Karateknirps half dem Schaksowasi Barnes an der Nase den Flur entlang in die Vorhalle zu ziehen. »Du wi’st jetzt ein wenig schlafen«, meinte der Ninja und klopfte ihm kurz aber heftig gegen die Schläfe. Der Major war nun ruhig gestellt und lag regungslos auf dem kalten Steinfußboden. Die beiden bemerkten nicht, dass Barnes sich nur bewusstlos stellte – das war Pech. Bedauerlicherweise ließen sie ihn auch unbeobachtet – das war dumm.
»Ich musste mal neben dem Ölz sitzen, auf so einer Astrophysikerkonferenz im schwäbischen. Der faselte dauernd was von Aliens und Invasion und dass man mit Schnürsenkeln ein Vermögen machen kann, wenn man es nur richtig anstelle. Und ständig brabbelte er was von dieser blöden Blockflöte und hielt mir immerfort die Blaupausen unter die Nase. Blaupausen von einer Flöte – das müssen sie sich mal vorstellen. So ein unbedeutender Idiot. Gott, wie ich den verachte.« (Heiner Brantung – Zu Gast in der Wissenschaftstalkrunde „Riverboat“, mdr)
»So Manfred, jetzt kann ich mir endlich das zurückholen, was mir gehört und uns die Invasion erleichtern wird.« Lala zog ein verdächtig großes und nicht minder gefährliches, silber glänzendes, mit zigtausenden Nadeln, mehreren Kreissägen und mindestens einem halben Dutzend verflucht scharf aussehender Messer bestücktes Dingsbums unter ihrem Mantel hervor. Ein infernales Surren erfüllte die kleine Zelle.
»Vielleicht könnten wir noch mal darüber, äh… reden?«
»Na gut.«
»Ach echt?«
»Klar doch.«
»Wirklich?«
»Für wen hältst du mich?«
Drei kleine, mit mehreren Kugelgelenken bestückte Metallarme fuhren aus dem Furcht einflößenden Dingenskirchens und umklammerten Manfreds Kopf. Was daraufhin folgte, ist zu grausam und abscheulich um es zu beschreiben.
Zwei Minuten später, lag Manfred auf der Pritsche. Die obere Hälfte seiner Schädeldecke befand sich am unteren Ende der Schlafstelle, direkt neben dem entfernten Gehirn.
Manfred hatte die Schlacht verloren. Was wohl Maggie dazu sagen würde…?
Sehr geehrte Frau Maggie Köhler,
es tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr zukünftiger Mann, heroisch seinem Vaterland und der ganzen Welt zum Opfer gefallen ist. Bis zum Schluss hat er sich das Gehirn zermatert, um eine Lösung gegen diese Invasion zu finden und er hat alles getan, um dieses, unser Schicksal zum Guten zu wenden. Wäre da nicht dieser dumme Major Barnes gewesen und hätte ihn nicht eingesperrt, tja dann könnten wir wohl einem tollen Grillsommer entgegefiebern.
Kommen Sie doch bitte bevorstehenden Dienstag (sofern Sie da noch leben) gegen 0900 zum Hauptquartier, um die persönlichen Dinge Ihres Verlobten abzuholen. Leider ist unser Budget sehr knapp bemessen, daher bitten wir Sie, selbst ein Einweckglas für sein Gehirn mitzubringen.
Anschließend gibt’s dann ein Militärbegräbnis mit allem drum und dran – Parade und so.
Mit freundlichen Grüßen und noch ein schönes Wochenende
Leutnant Karl-Uwe Petersen
Staatlich geprüfter Militärseelsorger/Kl. III
»Guten Tag, wohnt hier nicht Frau Köhler? Ich hab hier einen Brief…«
»Nein, die is beim letzten Laserbombenpräzisionsabwurf verpufft. Aber der ging’s eh ganz schlecht. Ihr Mann soll wohl mit einer dieser Alienbräute durchgebrannt sein – in seiner letzten Nacht als Junggeselle. Schlimm so was. Aber ich sach ja immer, mit die jungen Männers heutzutage is nicht gut Kirschenessen. Da war mein Mann anners, der hat sich noch bemüht damals. Hönnse ma, ham sie ne Freundin? Kaufen sie der doch ma wieder Blumen, hm? Die könnse ihr dann direkt zustellen. Sie sind dochn Profi, watt? Huch, brennt da mein Kuchen an…?«
»Also… Zurück an Absender. Empfänger unbekannt verzogen. Schönen Tag noch.«
»Jaja. Ach Mensch Rüdiger! Da hättest du doch mal den Herd ausmachen können. Ist das etwa zu viel verlangt?«
***
»Ist das die Anleitung zum Bau der Abwehrwaffe?«
»Ja, Schakso. Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten.« Lala lachte dreckig und verstaute den blutbeschmierten Chip, den sie feinsäuberlich aus Manfreds Kopf gedingsbumst hat, in einem kleinen, galaktischen Köfferchen. Mit dem Turbobeamer3000, beamte sie den wichtigen Inhalt durch die finsteren Weiten des Alls ins finstere Hauptquartier der finsteren Invasoren.
Der Schaksowasi durchwühlte währenddessen den von Barnes umgestürzten Mülleimer. Die Ninjas sicherten alle Aus- und Eingänge und verteilten sich strategisch perfekt um Lala herum.
»Was hast du eigentlich mit Barnes gemacht?«
Der Bodyguard hob den Kopf aus dem Mülleimer. Bananenschalen, Zigarettenstummel, ein halbes Mettbrötchen und zwei Caprisonnetüten zierten sein Haupt. »Hoppala.«
***
»So Leute, es gibt hier ne neue Regel, klar? Ihr werdet euch da hinten ruhig verhalten. Ich kann bei dem ganzen Gebrabbel und Gejammer nicht entspannt fahren. Also, anschnallen. Es geht los!«
Kruger stellte den Hebel auf Drive und ab ging die Post.
»Duhu«, fragte Holgi leise, »wieso darf denn niemand auf der Beifahrerseite sitzen? Es ist ganz schön eng hier hinten. Und ich glaube Dieter hat Platzangst…«
*PLOPP PLOPP PLOPP PLOPP*
»Neue Regel!«, betonte Kruger knurrend und trat das Gaspedal durch.
»Sascha?«
»Ja Claudia?«
»Dein Knie…«
»Welches? Das?«
»Autsch! Ja, das.«
»Was ist damit?«
»Könntest du es aus meiner Leistengegend entfernen?«
»Nimmst du dann deinen Ellbogen aus meiner Leber?«
»Das ist nicht mein Ellbogen.«
»Was denn dann?«
»Der Wagenheber.«
»So was hat der im Kofferraum?«
»Oh, nee. Ist ne Flasche.«
***
»Hallo General. Ja, es ist soweit. Ah-hm…, genau. Ja. Ja. Nein, der ist bestimmt schon tot. Die Lala ist da bestimmt sadistisch veranlagt. Ah-hm. Ah-ha. Ich bin im Sprengstofflager und versteck mich grad. Ach ich soll die Stellung halten? Alles klar. Gut. Tja, jetzt kann uns nur noch Gott beistehen. Was? Ach sie glauben nicht an Gott. Sie glauben an Panzer und Raketen? Na gut, das wird wohl auch gehen. Ich? Tja, ich werde nach Hause fahren und die letzten Stunden mit meiner Familie verbringen. Bis dass der Tod uns scheidet, Sie wissen schon. Was? Ach das wäre desertieren? Na wenn das so ist… Ja, stimmt, ich habe gar keine Familie. Sie kann man aber auch wirklich nicht hinters Licht führen General. Grüßen Sie ihre Frau von mir recht herzlich. Was? Oh, mein Beileid. Vor drei Jahren schon? Das hatte ich ja noch gar nicht gewusst. Und wie ist das Singledasein so? Hallo? General?«
»Hallo Ba’nes. Jetzt wi’st du abe’ ste’ben.«
»NICHT! SONST GEHT HIER NOCH ALLES HOCH! Hätte ich doch bloß ein bisschen Kaffee dabei…«
***
»Boah, da hat’s ja ganz schön geknallt«, bemerkte Claudia, die, jederzeit schussbereit, am völlig von der Druckwelle verbogenen Tor des Militärgeländes stand. An fast jeder Stelle gab es grüne, schleimige Klumpen, die von explodierten Ninjas herrührten.
»Hier gibt’s nichts mehr«, bemerkte Kruger trocken und steckte sich eine Zigarette in den Mund während er Simòne dabei half, aus dem Kofferraum zu steigen. »Oh gut, noch was zu trinken.«
»Hey Leute, da hinten sind der Schaksowasi und Lala!« Holgi deutete in Richtung nicht mehr vorhandenen Hubschrauberlandeplatz.
»Wo Lala ist, sind diese Ninjas nicht weit«, bibberte es Dieter über die Lippen. *Plopp*
»Hey, was ist das denn?« Claudia deutete in den nächtlichen Himmel. Ein gleißender Lichtpunkt durchbrach die Wolkendecke und ein tiefes Brummen erfüllte die Luft. Wind kam auf. Kruger richtete den Blick, mit an den Lippen hängender Whiskyflasche gen Firmament. Er setzte ab, schluckte, sog an der Zigarette und blies langsam den Qualm aus seinen zugeteerten Lungen. »Die Invasion hat begonnen! Hat jeder eine Waffe?«
Claudia hob ihren Revolver und warf Sascha einen weiteren Prügel aus ihrer Handtasche zu. »Vorher entsichern Süße.«
»Ich habe nur die Waffen einer Frau«, bemerkte Simòne. »Ich bezweifle dass das reichen wird. Zieh deine Pumps aus, mit den Absätzen kannst du gut was reißen«, sagte Kruger und kontrollierte die Patronenkammer seiner Magnum.
»Ich hab den Stock hier«, prahlte Holgi und fuchtelte wild mit einem kleinen Ast herum.
»Gib den Stock Dieter. Du nimmst die Hatschina!«, befahl Kruger.
»Oh toll, ich spiele Flöte seit ich sechs bin.« Holgi hüpfte von einem Bein auf das andere und freute sich sichtlich wie ein kleines Kind.
Ein riesengroßes, fünfeckiges Raumschiff, mit hunderten Lasern und Aufbauten verschiedenster Art, landete zischend und bebend auf dem kaputten Hubschrauberlandeplatz, wobei es Unmengen von Schutt und Staub aufwirbelte. Langsam blitzen überall am Himmel Lichter auf. Es waren tausende.
»Mann, die sehen aus wie Pizzas«, meinte Dieter, der fest seinen Ast umklammerte.
»Quatsch, fünfeckige Pizzas gibt’s doch gar nicht. Das sind eher Knäckebrote«, entgegnete Holgi der grinsend in den Himmel starrte.
»Igitt, Knäcke…« *Plopp*
»Was ich wirklich vermissen werde sind meine Schnürsenkel. Die braucht man nämlich in der Unendlichkeit des Seins nicht. Doof nur, dass man da graue Klamotten tragen muss. Ach ich werde die Farben vermissen. Aber ich habe eine Verpflichtung. Schließlich werde ich erheblich zur Rettung der Welt und des Universums beitragen. Jedenfalls hat man mir das gesagt, in der Weltraumsicherheitskartellbehörde. Irgendwie ein komisches Gefühl, wenn man als die herausragendste Person einer Spezies auserwählt wird.« (Gunnar von Ölz – Aus: »Mein Tagebuch«)