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Janes Geschichte
Ich kam nach Hause. In der Tür begegnete ich meiner Mutter. Sie hielt die Tür auf, ich schlüpfte hinein, murmelte noch ein „Danke!“, doch sie hatte die Tür schon hinter mir geschlossen.
Sie hatte seit kurzem irgendwie wenig Zeit für mich, redete kaum noch mit mir. Sie war ständig unterwegs. Irgendwie hatte überhaupt niemand mehr Zeit für mich.
Sie hatten einfach alle aufgehört mit mir zu reden. Vielleicht waren sie irgendwie verlegen.
Ich fühlte mich einsam, wenn ich in die Schule kam und mir kaum jemand Aufmerksamkeit schenkte, geschweige denn ein Wort mit mir wechselte.
Sogar meine Freundinnen redeten nicht mehr viel mit mir. Was hatten sie nur? Ich verstand das einfach nicht.
Ich ging ins Wohnzimmer, wo mein Vater saß, Bier trank und Fußball sah. Ich setzte mich daneben ohne etwas zu sagen. Er sah sehr geschafft aus von seinem langen Arbeitstag, also wollte ich ihn nicht stören.
Einige Minuten sah ich mit ihm das Fußballspiel, obwohl es mich nicht wirklich interessierte. Als ich klein war hatte ich oft mit ihm Fussball gesehen, war sogar ein richtiger Fan, aber das hatte sich gelegt als ich in das Alter kam, wo ich mich für andere Dinge interessierte.
Plötzlich merkte ich, dass auch mein Vater nicht richtig hinsah. Merkwürdig es war doch seine Lieblingsmannschaft, sie war sogar recht gut.
„Dad, geht es dir gut?“, fragte ich.
Einige Zeit sagte er nichts, starrte nur vor sich hin, aber dann antwortete er mit heiserer Stimme: „Ach, mein Mädchen...“ Er hob seine Hand. Sie war rau von seiner täglichen Arbeit. Die Haut war aufgesprungen. Einen Moment sah es so aus, als wollte er meine Hand nehmen, dann ließ er sie wieder sinken. Ich sah ihn einige Minuten nur an, hauchte ihm dann einen Kuss auf die Wange.
Wieso sprach er nicht mit mir? Ich sehnte mich so danach.
Ich stand auf und ging in die Küche. Dort saß meine Schwester. Sie las Zeitung. Sie sah auch nicht glücklich aus. Nein, ganz und gar nicht!
Und- was noch schlimmer war- sie ignorierte mich auch. Wieso tat sie das? Wir waren immer die besten Freundinnen gewesen. Wir hatten uns so gut verstanden, schon immer. Ich musste etwas falsch gemacht haben, dessen war ich mir sicher. Einen anderen Grund dafür, dass niemand mehr mit mir sprach gab es nicht. Es war ja nichts bedeutendes passiert in der letzten Zeit. Aber was war es? Welchen Fehler hatte ich nur gemacht.
Ich vermisste meine Schwester. Ich wagte nicht sie anzusprechen.
Doch nun würde ich es noch einmal versuchen. Ich konnte nicht mitansehen, dass meine ganze Familie wegen mir in die Brüche ging, auch wenn ich nicht wusste, was geschehen war, was mir alle so schrecklich übel nahmen.
Ich nahm meinen Mut zusammen und wollte sie gerade ansprechen. Da sah ich wie sie zu weinen begann. Lautlos flossen ihr die Tränen über ihr schmales Gesicht.
„Oh, Jane!“, sagte sie, „was soll ich denn nur ohne dich machen. Ich vermisse dich so!“
„Lucilla, was ist denn mit dir los? Was ist mit uns los? Ich bin doch hier, Lucy!“, sagte ich und trat hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern. In dem Moment sah ich in die Zeitung, die sie immer noch vor sich hielt. Sie las Todesanzeigen, stellte ich fest. Erschrocken fragte ich: „Ist jemand gestorben, den wir kennen?“ Ich hatte nichts von einem Todesfall gehört. Flach atmend überflog ich die Namen. Da las ich es.
Wir trauern um unsere Freundin, Schwester und Tochter
Jane Pirotti
Gestorben am 24.03.2003...