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Janosch und die blaue Katze

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20.10.2002
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Janosch und die blaue Katze

„Hey, Tigerente, pass auf, wo du hintrittst!“
Mark rempelte Janosch unsanft an, als er sich an ihm vorbei durch die Türe des Klassenzimmers drängelte.
„Hast du keine Augen im Kopf?“
Janosch blickte auf den Boden, als er langsam zu seinem Stuhl ging. Er sagte nichts.
„Was ist, gib mir gefälligst eine Antwort!“
„Tut mir leid“, murmelte Janosch leise.
Er öffnete seinen Rucksack und legte die Stifte und sein Heft auf den Tisch.
„Bisschen lauter, ich hör dich ja kaum, Tigerente.“
Mark hatte sich hinter ihn gestellt, und legte ihm drohend seine Hand auf die Schulter. Janosch spannte jeden Muskel an und dachte an letzten Dienstag. Immer noch spürte er die blauen Flecken.
„Es tut mir leid“, wiederholte er lauter.
„Pass das nächste Mal besser auf, oder du kannst was erleben“, zischte Mark noch, aber in diesem Moment kam Frau Jakob in das Klassenzimmer.

Während er die Zahlen von der Tafel abmalte, fühlte sich Janosch elend. Seitdem er im Herbst in diese neue Klasse gekommen war, lachten ihn Mark und die anderen Jungs aus. Letzten Dienstag hatten sie ihn zum ersten Mal verprügelt. Alles hatte damit angefangen, dass Mark ihn "Tigerente" gerufen hatte. Und im Sport beim Fußballspielen hatte er ihm ein Bein gestellt. Janosch hat sich beim Fallen das Knie aufgeschürft. Außerdem hätte er mit Sicherheit ein Tor geschossen, wenn Mark nicht so gemein gewesen wäre. Nach dem Unterricht hatte Janosch ihn angebrüllt: „Hör endlich auf, mich Tigerente zu rufen!“
Aber der hatte ihn nur ausgelacht. Er hatte Lukas und Tim gerufen, seine Freunde, und zusammen hatten sie ihn verprügelt. Drei gegen einen. So war das.
Und deshalb hatte er sich heute früh auch beim Mark entschuldigt, obwohl er nicht den Mark, sondern der Mark ihn angerempelt hatte. Ich kann doch gar nichts für meinen Namen, dachte er. In seiner alten Klasse hatten ihn die anderen Kinder nie ausgelacht. Und eigentlich hatte er seinen Namen immer gemocht. Es gibt so viele Kinder, die Stefan heißen, oder Michael zum Beispiel, aber er hatte noch nie einen Jungen getroffen, der seinen Namen gehabt hatte.
Langsam wünschte er sich immer mehr, er wäre einer von den Stefans, den Michaels oder den Florians.

Janosch. Tigerente. Er wurde immer wütender, je länger er darüber nachdachte. Wieso hatten ihm seine Eltern so einen bescheuerten Namen gegeben? Und wieso hatten sie überhaupt umziehen müssen? Er vermisste seine Freunde und den kleinen Garten vor ihrer früheren Wohnung.

Er hatte gar nicht gemerkt, dass Frau Jakob in der Zwischenzeit nicht mehr an der Tafel stand. Sie hatte das Lesebuch herausgenommen, und auch die anderen Kinder hatten eine Geschichte aufgeschlagen.
„Janosch, lies bitte weiter!“, hörte er ihre hohe Stimme plötzlich.
„Tigerente“, zischte Lukas leise hinter ihm. Genau so laut, dass er es hören konnte.
Janosch suchte mit rotem Kopf sein Lesebuch aus dem Rucksack heraus, aber er wusste nicht, auf welcher Seite sie waren.
„Seite 43“, flüsterte es von hinten. „2. Absatz“.
Janosch war froh, dass ihm jemand geholfen hatte und fing an zu lesen. Aber es war natürlich die falsche Stelle. Frau Jakob schimpfte über seine Träumerei, und rief einen anderen Schüler auf.
„Janoschs Traumstunde“, kicherte Lukas.
Er wäre am liebsten aus dem Zimmer gerannt. Mit aller Kraft schluckt er die Tränen hinunter, damit die anderen nicht auch noch sehen konnten, wie zornig er war.

Nach dem Unterricht war Janosch der letzte, der seine Sachen packte und langsam aus dem Zimmer ging. Er wollte auf keinen Fall Mark oder Lukas treffen. So würde er erst einen Bus später fahren können, aber das war ihm egal.

Alleine schlich er zur Bushaltestelle, wo tatsächlich gerade der Schulbus abfuhr. Er wollte sich auf die alte Bank setzten, als er sah, dass Kaugummi an der Sitzfläche klebte. Jemand hatte mit einem schwarzen Filzstift auf das orange Plastik geschrieben: „Tigerente = Angsthase!!“
Warum sind die nur so gemein, dachte er traurig. Nur wegen meinem Namen? Ich bin doch ganz normal, ich habe normale Sachen an, ich bin doch ...

Eine Bewegung unter der Bank ließ ihn aufschrecken.
„Normal? Du bist normal? Wie langweilig“, hörte er eine samtweiche Stimme. Er wunderte sich, da er sicher gewesen war, dass außer ihm niemand an der Haltestelle stand. Er bückte sich und guckte unter die Bank. Dort saß eine Katze. Aber keine normale Katze. Sie war blau. Nicht nur irgendwie ein bisschen, nein, sondern richtig und total himmelblau! Nur die Schwanzspitze nicht - die war gelb.
„Ich bin Feli“, hörte er die Katze, als sie aufstand, sich genüsslich streckte, einen Buckel machte und dann auf leisen Pfoten zu ihm ging. Sie schmiegte ihren Körper an seine Beine.
„Ich heiße Janosch“, sagte er automatisch. Er war viel zu erstaunt, um über die Situation nachzudenken.
„Warum willst du normal sein, Janosch?“, fragte die blaue Feli.
„Die anderen mögen mich nicht und lachen mich aus. Weil ich so einen blöden Namen habe“, sagte Janosch und bückte sich, um die Katze hinter den Ohren zu kraulen. Feli blickte ihn aus goldenen Augen an. Er sah, dass sie unzählig viele, winzige, braune Sprenkel darin hatten.
„Janosch ...“, sagte sie verträumt. „Janosch ist doch ein wunderschöner Name, finde ich ... hörst du nicht, wie schön er klingt?“
„Wieso bist du blau?“, fragte Janosch statt einer Antwort.
„Oh, das kann ich dir erzählen“, schnurrte Feli. „Ich bin auf einem Bauernhof geboren worden, mit zwei Geschwistern. Meine Mutter hat graues Fell. Und wir hatten auch graues Fell, alle zusammen. Der Bauer wollte aber nicht so viele Katzen, und hat mich und meine Schwester in einen Müllsack gesteckt und weggeworfen.“
Janosch blickte betroffen auf die blaue Feli, die sich mittlerweile vor seinen Schuhen zusammengerollt hatte und ganz ruhig erzählte. Es kam ihm vor, als würden ihre Goldaugen ihn anziehen, und ihr Leuchten nahm ihn gefangen.
„Aber wir sind entwischt. Was meine Schwester gemacht hat, weiß ich nicht. Aber ich bin in die Stadt gegangen. Die Menschen werfen viele Sachen weg, die noch gut sind und die man essen kann.“
„Wieso bist du blau?“, wiederholte Janosch seine Frage.
„Nicht so schnell. Ich erzähl ja schon. Als Stadtkatze ist es nicht einfach, weißt du. Die Menschen achten nicht auf einen, und wenn man grau ist, übersehen sie eine einfache Straßenkatze oft. Sie sind mir auf die Pfoten getreten, und auf meinen Schwanz, ohne es auch nur zu merken. Kannst du dir vorstellen, wie weh das tut? Na, auf jeden Fall hat's mir gereicht. Ich habe auf einen der Maler gewartet, die vorn bei der Rückertstraße ihre Werkstatt haben, und bin mit ihm ins Geschäft gelaufen. Es ging ganz einfach, er hat mich nicht einmal bemerkt. Dann bin ich ins Lager geschlichen und habe mir eine Farbe ausgesucht. Es gibt herrliche Farben“, schwärmte sie, und schloss vor Verzückung die Augen. „Leuchtendes Orange, oder ein Grün, das so tief ist wie der Wald. Aber ich wollte blau. Blau wie der Himmel, wenn im Frühjahr die Wolkenschafe darüber laufen und die Sonne das Fell wieder wärmt.“

Janosch sagte immer noch nichts, er streichelte den weichen Pelz und hatte vergessen, dass es normalerweise keine sprechenden, blauen Katzen gab. Feli schnurrte genießerisch.
„Ich habe mir also dieses Blau ausgesucht. Und dann habe ich mir das Fell gefärbt - und darum bin ich blau. Nur meinen Schwanz habe ich danach noch in den gelben Farbtopf gehängt. Gelb und blau, das passt so gut zusammen, findest du nicht?“
„Wie Sterne am Himmel“, flüsterte Janosch.
„Natürlich gab das ein Mordsgepolter im Lager, und die Maler waren ganz schön wütend auf mich. Wäre ich noch grau gewesen, hätten sie mich nicht bemerkt und ich hätte mich unter den Regalen verstecken können. Aber ich war ja blau – und rings um mich war gelb und blau verspritzt und der Boden bekleckert. Sie haben mich in eine Ecke gejagt und einer hat mit seinem schweren Pinsel nach mir geworfen. Ich bin ihnen schließlich entwischt, aber das hat ganz schön weh getan ... dafür haben sie überall bunte Tapsen auf dem Boden gehabt, quer durch alle Zimmer.“
„Du Arme“, flüsterte Janosch.
„Ach was, es ist schon wieder verheilt. Aber so kam es eben, dass ich die einzige blaue Katze hier bin. Die einzige blaue Katze überhaupt“, setzte sie hinzu und richtet sich auf. Ihre gelbe Schwanzspitze zitterte vor Stolz.
„Seitdem ist mir nie wieder jemand auf den Schwanz getreten! Im Gegenteil. Die Kinder spielen mit mir, und eine alte Frau gibt mir jeden Tag zu essen. Nicht irgendwelche Abfälle, oh nein. Frisches Fleisch oder manchmal auch Fisch.“ Sie leckte sich über die Nasenspitze und ihre Barthaare zuckten. „Sie behandelt mich, als wäre ich eine der heiligen Katzen Ägyptens. Nie wieder werde ich eine gewöhnliche graue Katze sein, die man nicht einmal bemerkt.“
„Nein, du bist etwas Besonderes“, sagte Janosch bewundernd.
„Du auch“, flüsterte die blaue Feli.

Lautes Quietschen riss Janosch aus den Gedanken, als der Bus bremste und die Türen öffnete.
Als er sich von Feli verabschieden wollte, war sie nicht mehr da. Nur ein kleiner blauer Fleck war vor seinen Schuhen, wie ein Tintenklecks im Matheheft.
Janosch stieg in den Bus.
Etwas Besonderes ...

Als er diese Nacht einschlief, träumte er von Feli. Der kleinen Straßenkatze mit ihrem blauen Fell und ihren unendlichen, goldenen Augen.
Und wie auch immer sie aussah, sie war die schönste Katze der Welt!
Du auch, konnte er sie im Traum hören. Du auch ... auch wenn es dir jetzt keiner glaubt.

Er sah ihre Goldaugen funkeln, und wusste, dass er sie wohl zum einzigen und letzten Mal gesehen hatte ...

 

Hallo Anne,

jetzt habe ich es endlich auch geschafft, diese Geschichte zu lesen, und es hat sich gelohnt! War ja eigentlich auch nicht anders zu erwarten. :)

Trotzdem ein paar kleine Vorschläge von mir:

Ich würde Janosch gar nicht darüber grübeln lassen, wie surreal sein Erlebnis ist - ich glaube, Deine Zielgruppe macht sich darüber ebenso wenig Gedanken wie über die Frage, wieviele kleine Tiger mit einem kleinen Bären ein Haus teilen.

Am Schluß könntest Du vielleicht noch herausarbeiten, wie dieses Erlebnis Janosch' Verhältnis zu seinen Klassenkameraden beeinflußt - hat sich an seinem täglichen Spießrutenlauf etwas geändert?

Ach ja, die Anspielung hat mir auch gut gefallen. Aber ich finde, Du solltest statt "Wolkenschafen" lieber "Himmelsschafe" verwenden, auch wenn die kleinen Zuhörer darüber vielleicht einen Moment nachdenken müssen.

Schöne Grüße
Roy

 

hallo Roy!

danke für die Kitik, Dein Lob freut mich sehr. :)
ICh bin immernoch nicht zu einer Überarbeitung gekommen - wenn ich die Zeit finde, werde ich auch auf Deine Vorschläge noch eingehen.
Du hast recht, das mit dem Nachdenken über das Erlebnis kann wohl weg, ohne eine Lücke zu hinterlassen. Und ich denke drüber nach, die Wolkenschafe zu ändern ...

Eine neue Situation in der Klasse möchte ich allerdigns eigenltich nicht schreiben: es wäre zwar eine gute KLammer, aber - finde ich - einfach zu demonstrativ. Ich denke, jeder kann sich in seiner Phantasie besser vorstellen, ob und was sich verändert, als wenn er es von mri plakativ vorgekaut bekommt ...

liebe Grüße
Anne

 

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