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Jedermanns Schuld

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28.03.2004
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Jedermanns Schuld

„Bald ist es neun“, durchzuckte es ihn wie ein elektrischer Schlag und wie um diese bittere Erkenntnis in unumkehrbare Realität umwandeln zu wollen, ruckte der Minutenzeiger der Wanduhr eine Ziffer weiter. Viel zu lange war er jetzt schon in diesem Gefängnis. Die kalten Wände starrten ihn an und wollten sich auf ihn zu bewegen, wenn er sie nur lange genug anstarrte. Seine nervösen Hände fingerten eine Zigarette aus der Packung und bald darauf durchbrach das widerwillig funktionierende Feuerzeug das allgegenwärtige Summen der Neonröhren. Er hasste dieses Geräusch. Er hasste diese kalten Wände. Er hasste sich – „bald ist es neun“.
Ein tiefer Zug an der Zigarette ließ eine Spiegelung der Glut in seinen Augen aufflackern und einen Herzschlag lang schob das Nikotinhochgefühl die Realität beiseite und ließ so etwas wie Zufriedenheit zurück. Doch es war seine Realität und er zu schwach ihr dauerhaft zu entfliehen, schon gleich stand sie wieder neben ihm und begaffte sein Gesicht. Er schaute durch sie durch auf die Uhr – bald ist es neun.
Er könnte sich gegen alles auflehnen, er könnte sich wehren gegen das was um neun Uhr passiert, aber er wird es nicht tun. „Ein Niemand bin ich“, dachte er, „ich habe keine Kraft, keinen Mut und kein Herz mich zu wehren. Für mich…und gegen das Unrechte zu kämpfen“. „Ein Jedermann bin ich, denn Jedermann ist ein Niemand wenn er kein Herz hat!“ und dieser Name schien ihm im Gesicht zu stehen – Jedermann.
Seufzend fiel Jedermanns Blick auf den Aschenbecher und seine darin verglühende Zigarette, während er sich die verschwitzten Hände viel zu krampfhaft aneinander rieb. „Um neun Uhr ist die Zellenkontrolle,“ hämmerte es ihm durch den Schädel und ließ ihn erschaudern. „Dann muss alles perfekt sein! Die Lumpendecke straff über die schmutzige Matratze gespannt, der Holzschemel an der linken Stirnseite des wackligen Tisches gestellt, der leere Blechteller ist bündig mit der Tischkante und mit dem Blechbecher in seinem Zentrum in der Mitte der Stirnseite hingestellt“, so ging er alles in Gedanken noch einmal durch, was seine Abscheu noch größer werden ließ. „Alles muß perfekt sein, damit es keine Schläge setzt“, dachte er sich und ignorierte die mittlerweile schmerzenden Hände. „Aber es ist niemals perfekt genug“, brach es aus Jedermann hervor und er zuckte, in Angst er könnte gehört worden sein, zusammen und schaute sich um. Doch da war nichts, nur das Summen der Röhren und das Klacken der Uhr – es ist bald neun.
„Gleich wird es wieder so sein, wie es jeden Tag ist. Gleich wird der Schlagstock wieder sein blutiges Tagwerk vollbringen und ein Wimmern den Zellentrakt erfüllen“. Hektisch strich sich Jedermann über die nasse Stirn. „Ich könnte es versuchen, mich endlich zu wehren, aber sie würden mich bestrafen - hart bestrafen“, dachte er, „und ich bin Jedermann“, fuhr er fort.
Er schaute auf eine kleine Grünpflanze, die an einem vergitterten Fenster stand und ihre wenigen Blätter ihm abgewandt zur Sonne gereckt hatte. Dort stand sie und wollte wohl das wenige Gute, welches in Form der Frühlingsonnenstrahlen durch das Gitterfenster drang, ganz für sich alleine haben. Jedermanns Augen streiften umher und überflogen jedes Mal nur ganz rasch die Uhr, als könne er dadurch das Unheil hinauszögern. „Nur noch wenige Minuten vor neun, nun geht es los“, murmelte Jedermann und ein Ruck ging durch seinen Körper.
Das Gefühl der Ohnmacht schien ihm seinen Körper verflüssigen zu wollen, als er das Klacken der Absätze durch den Gang hallen hörte und sein Herzklopfen in einen grausigen Takt mit den Stiefelabsätzen einstimmte. Mit einem brutalen Schlag schnappte der Bolzen des Türschlosses zurück und gab den Blick auf die Zelle frei. Eine seltsame Stille trat auf und als sich draußen eine Wolke von der Sonne schob, fiel ein Lichtstrahl auf die Tür. Der Strahl fiel auf Jedermanns Wärteruniform und ließ sein blankes Messsingschild aufblinken. Seine Hände umklammerten den Schlagstock – es war neun Uhr.

 
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Hallo Findecáno,

erstmal herzlich Willkommen hier.

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Insbesondere das Ende kam überraschend und hat somit gewirkt - selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass Jedermann Opfer der Schläge ist und nicht derjenige, der andere schlägt.
Der Name "Jedermann" ist übrigens gut gewählt. Dein Prot benutzt ihn als Rechtfertigung, nach dem Motto "ich mache ja nichts anderes als das, was andere auch tun". Unabhängig von der konkreten Gefängnissituation geht es glaube ich vielen Menschen so, dass sie in ihrem Alltag anders handeln, als sie es ihrem Gewissen nach eigentlich müssen. Die Gründe dafür beschreibst Du in Deiner Geschichte sehr gut.

Ein paar Fehler hab ich noch entdeckt, in erster Linie was die Zeichensetzung angeht:

durchzuckte es ihn wie einen elektrischen Schlag
"wie ein elektrischer Schlag"
Holschemel
Holzschemel
„Alles musste perfekt sein, damit es keine Schläge setzt.“, dachte er sich und ignorierte die mittlerweile schmerzenden Hände
Ich würde die wörtliche Rede in der Gegenwart schreiben. Der Punkt ist zuviel, am Satzende ist dafür einer zu wenig ;)
„Gleich wird es wieder so sein, wie es jeden Tag ist. Gleich wird der Schlagstock wieder sein blutiges Tagwerk vollbringen und ein Wimmern den Zellentrakt erfüllen“.
Die Anführungszeichen kommen nach dem Punkt.
„Ich könnte es versuchen, mich endlich zu wehren“, aber sie würden mich bestrafen - hart bestrafen, “ dachte er, „und ich bin Jedermann“, fuhr er fort.
Die ersten Anführungszeichen zum Beenden der wörtlichen Rede sind zuviel, das Komma kommt nach den Anführungszeichen.

Vielleicht magst Du sie ja ausbessern.

Liebe Grüße von
Juschi

 

Hallo Juschi,

vielen Dank für deine konstruktive Kritik. Ich habe mir den Text noch einmal vorgenommen und denke alle Fehler gefunden zu haben. Ich freue mich, dass sie dir ansonsten gefallen hat.

*wink*
Findecáno

 

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