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Junge Männerfreundschaft
Es war bestimmt vor zwölf oder dreizehn Jahren, ich war vielleicht neun Jahre alt. Wir lungerten viel rum, auf den Straßen und Hinterhöfen der Oststadt, jenem Viertel in dem ich aufwuchs. Ich weis noch genau die alten Backsteinhäuser, im Laufe der Zeit wurden sie immer versifter. Doch war da mehr Leben im Viertel, mehr kleine Geschäfte. Das vergilbte Antiquariat, ich habe mich nie reingetraut, obwohl ich gerne las. Die Drogerie vom klapprigen Herrn Knackstedt, der hat immer Hustenbollos mit Eukalyptusgeschmack verschenkt. Und natürlich der Olle Boskopp, Obst- und Gemüsehändler. Heute gibt es nur noch Bäcker, und Kioske. Handwerk und türkische Familienbetriebe, beide haben goldenen Boden.
Ich war vorlaut, wie die kleinen Pansen, die mich heute um Kippen anschnorren. Klar wir haben auch viel Unfug gemacht, gekokelt mit Spiritus und den Silvesterresten, Ü-Eier Figuren von Autos überfahren lassen, die Mädchen mit Erbsenscheißern beschossen. Ein dreißig Zentimeter Kupferrohr, an dessen Ende ein gelber Vileda Mittelfinger mit Klebeband befestigt wird. Die Erbsen surrten nur so durch die Luft. Aber geraucht haben wir nicht, das kam erst später. Ab und zu haben wir auch was mitgehen lassen, meist Süßkram.
Ich stand im Geschäft des Gemüsehändlers, konnte gerade über die Theke schauen. Der Olle Boskopp bediente die Hunde Oma. Mein Vater sagte immer, „Die spinnt!“, weil sie jedem erzählte, ihr Wuffi wurde von der Hundemafia entführt. Boskopp packte ihr Tomaten ein. Lächelte schmierig, alles an ihm war fettig das Haar, die Schürze, als würde er unterm Ladentisch Fritten verkaufen. Vor meiner Nase stand eine Kiste Äpfel. Große, rote, es keckte schon in meinem Ohr, wie ich hinein biss. Spürte das saftigsüße Fruchtfleisch auf meiner Zunge zergehen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Steckte ich den Apfel ein, verließ dilettantisch unauffällig, auf Zehenspitzen schleichend, den Laden.
„Bleib stehen du Flegel!“, brüllte der Olle.
Ich zuckte zusammen. Hinter mir rumpelte es gemein gefährlich. Über die Schulter sah ich den Boskopp, halb auf der Hunde Oma liegend, mit einer zermatschten Tomate in der erhobenen Faust, und einem hochrotem Gesicht.
Jetzt hieß es Beine in die Hand, ich lief an der Drogerie vorbei, lief weiter die Straße hinunter immer noch geduckt, im Zickzack durch die Blocks schlug ich Haken bis zum Spielplatz, da ins sichere Gebüsch. Hier keuchte ich, noch nie war ich so schnell gerannt.
Ich saß bestimmt ein Stunde dort im Gestrüpp, mein Herzschlag hatte sich zwar beruhigt. Ich hatte Angst ein Jeder könnte mich als Dieb entlarven, und mich an meinen Lauseohren erst zum Boskopp und dann zu meinem Vater schleifen. Die ganze Aufregung machte mich hungrig, ich aß den Apfel der mehlig schmeckte.
Durch die Zweige hindurch erspähte ich Christoph, und schlich mich zu ihm.
Der lachte lauthals: “Hey Max was machstn da im Gebüsch?“
„Was wohl? Pissen!“, erwiderte ich, barsch.
Damit war erst einmal alle Angst verflogen. Wir setzten uns in die Autoreifenschaukel, verdrehten die Ketten und ließen uns im Kreis drehen, schwindelig wankten wir über den Sandkasten.
Mir fiel mein knallrotes Cappi vom Kopf, erinnerte es an ein blinkenden Pfeil mit der Aufschrift: „Das ist der Dieb!“. Chris war schon immer neidisch drauf, und ich bot ihm an es gegen seinen hässlichen Neon Schnappbänder zutauschen, nur paar Tage natürlich. Es wurde spät und wir gingen nach Haus, ich machte einen Umweg um nicht am Ollen Boskopp vorbei zu müssen.
Am nächsten Tag wollte ich Chris besuchen. Er wohnte in einem Hinterhof, Erdgeschoss. Ich hörte seine Mutter keifen. Ich verstand nicht alles, aber der Boskopp hatte Chris und mich verwechselt. Ich rang mit mir, wollte klingeln, seiner Mutter sagen. Ich war es, ich habe den Apfel geklaut. Chris ist unschuldig. Ich bin nicht nur ein Dieb, sonder auch ein Verräterschwein. Ich habe Hausarrest verdient, wenn nicht schlimmeres, nicht Chris. Wie gelähmt stand ich im Hof. Türen knallten. Mir rannen die Tränen. Es wurde ruhiger.
Chris kam aus Haustür, eine Mülltüte in der Hand, mit meinem Cappi auf dem Kopf schaute er mich finster an. Ich versank im Boden. Klar, ich hatte ihn gelinkt, ich Schwein. Er schleppte den Sack zur Tonne, stopfte den frustriert hinein. Sah mich an schwieg.
„Hey Chris, tut mir leid.“, schluchzte ich
Sein Blick starr.
„Das Cappi ist jetzt wohl meins.“, grinste er „Hab aber Hausarrest, zwei Wochen. Wir sehen uns in der Schule.“