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Juri Rytchëu: Die Reise der Anna Odinzowa

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31.08.2008
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Juri Rytchëu: Die Reise der Anna Odinzowa

Die russische Anthropologiestudentin Anna trifft in den 40er Jahren auf der Tschuktschen-Halbinsel ein, um Feldstudien zu betreiben. Schnell wird sie von der Lebensweise und Herzlichkeit der Menschen so eingefangen, daß sie einen Tschuktschen heiratet und mit seiner Familie ein Nomadenleben beginnt. Dieses fordert viel von ihr; sie nimmt klaglos alles auf sich und ist begeistert von ihrem neuen Leben. Dabei hört sie nie auf, täglich ihr ethnologisches Feldtagebuch zu schreiben. Dieses offenbart auch, daß sie sich immer noch als Forscherin fühlt, die mit ihren Erkenntnissen promovieren will. Als ihr Mann eine Zweitfrau nimmt, schreibt sie: „In meinen kühnsten Erwartungen hätte ich nicht gedacht, dass so etwas ausgerechnet mir zustoßen kann, dass der uralte Brauch des Levirats zum Mittelpunkt meines Lebens wird! Jetzt werde ich ihn von innen erforschen müssen….dieser Brauch ist aus einem einfachen Grund entstanden – die Familie zu schützen, ihre Nachkommenschaft zu sichern…Wie schade, dass alle meine Gefühle nicht die einer Frau sind, die hier geboren und aufgewachsen ist…Was gegenwärtig vor meinen Augen und unter meiner Teilnahme geschieht, ist Jahrtausende alt…“
Als sie ein Kind zur Welt bringt und dieses bald nach der Geburt stirbt, beginnt sie zu zweifeln: „Hat sich das ganze Vorhaben wirklich gelohnt? Habe ich für wissenschaftliche Triumphe nicht zu viel zahlen müssen?“
Die nomadisierenden Gruppen werden durch die Agenten Berijas, der Staatssicherheit, verfolgt und sollen sich zu Kolchosen zusammenführen lassen. Die Familienoberhäupter werden als Staatsfeinde in der Regel exekutiert. Annas Gruppe flieht in unübersichtliches Gelände. Der Schamane Rinto, Annas Schwiegervater, überwindet nach und nach seinen Argwohn, den er ihr gegenüber hatte, zieht sie ins Vertrauen und weiht sie in seine Kunst ein. In der weltoffenen und sensiblen Anna sieht er seine Verantwortung als Schamane besser aufgehoben als bei seinen Söhnen. Schließlich wird die Gruppe von den stalinistischen Häschern gestellt, Rinto und Annas Mann kommen um Leben, die Gruppe wird sesshaft gemacht und verliert die eigene Rentierherde. Anna flieht mit einem der Häscher, der sich nie ganz entscheiden konnte, ober er sie der Inquisition und damit dem sicheren Tod ausliefern oder zur Ehe zwingen sollte, über das Eis der Beringstraße nach Alaska. Dort kommt allerdings nur sie lebend an.
Weit vor der Erfindung der „Action-Anthropology“ in den USA der 70er und 80er Jahre, wo ein Professor erst etwas galt, wenn er auch die Schamanentrommel bedienen konnte, liefert uns Juri Rytchëu die Geschichte einer Anthropologin, die Forschung und Leben zu einem Ganzen verschmelzen ließ: Heirat, Kind und Initiation zur Schamanin toppt einfach jede bis dahin bekannte Feldforschung. Doch seine Protagonistin bleibt nicht außen vor; sie wird Teil der Kultur und reift. Durch eindringliche Beschreibung des Lebens und der Landschaft, des Kontrastes zwischen den überlieferten menschlichen Werten und der kommunistischen Ideologie, und eine behutsame Einführung in die Bedeutung des Schamanen bringt dieser Roman uns eine untergegangene Kultur nahe. Er ist ein geeigneter Einstieg in die Literatur von Juri Rytchëu.

 

Hallo Setnemides,

deine Begeisterung für die Literatur Juri Rytchëus teile ich. Dieser Beitrag hat aber für eine Rezension leider zu viel von einer Nacherzählung, die zu viel von der Geschichte vorwegnimmt. Das finde ich schade.

Lieben Gruß
sim

 

Danke, das lag wohl an der Begeisterung. Das nächste Mal erzähle ich weniger.

Gruß Set

 

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