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- 29.06.2003
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Kälte
Ich saß, vor mir ein Buch zur Tarnung aufgeschlagen, im Café der Uni. Ein trister Tag. Draußen die Kälte, drinnen der Rauch von tausend Zigaretten. Um mich herum brodelte das Leben. Türken, Inder, Chinesen, aber vor allem Türken, brabbelten in einem Gemisch aus Sprachen wirr durcheinander. Und in mir nur Leere. Ich fragte mich einmal mehr warum ich an diesem Morgen aufgestanden war. Die Zigaretten brannten in meiner Lunge bis hinunter zu meinem Magen. Ein ständiges Brodeln, dass meinen Kaffee hin und her sprudeln ließ. Ich sah auf und erblickte zwei Bauarbeiter die ihr Frühstück verdrückten. Einer von Ihnen verschlang gerade sein drittes Brötchen und zündete sich, noch mitten im Kauen, seine erste Zigarette an. Der andere schien Nichtraucher zu sein. Er schmierte sich sein mitgebrachtes Toast dick mit Schokocreme ein, um es dann genüsslich in sich hinein zu stopfen. Ich musste Husten und würgte dabei etwas kalten Kaffee mit hoch. Ich sehnte mich nach meinem Bett. Auf dem Tisch klebte aufgeweichter Zucker und das verbesserte meine Verfassung nicht sonderlich. Dann gingen die Fenster, von unsichtbaren Kräften gepackt, auf. Die Kälte kam mit Lichtgeschwindigkeit herein und ließ für einen Moment alle Gespräche verstummen. Der heiße Kaffee in den Pappbechern stieß wütende Wolken heißen Dampfes in die kalte Luft. Es war doch alles zum Heulen. Als wenn sich die Welt gegen mich verschworen hätte. Der Kaffee polterte wieder in meinem Magen und hinterließ ein säuerliches Brennen. Ich konnte sehen wie er sich langsam in meine Eingeweide fraß. Dann ging das Licht an und damit veränderte sich meine Welt, von einem Moment auf den Anderen. Sie stand vor mir, in eine dicke Daunenjacke gehüllt, mit eisverbranntem, glühendem Gesicht, schwer Atmend vor Anstrengung. Es war wie in einem schmierigen Liebesfilm. Er, vollkommen deprimiert und am Boden zerstört, trifft Sie, und verliebt sich heillos Hals über Kopf. Ja, genau so war es. Ihr blondes, langes Haar war zu einem strengen Knoten zusammen gebunden. Und sie war schön, so verdammt schön.
„Darf ich mich setzen? Hier ist doch noch frei?“, fragte sie mich, immer noch nach Luft schnappend. Ich brachte nur ein stummes, „Ja, natürlich“, hervor. Sie knallte ihre Tasche in die Ecke und ließ sich auf die Bank fallen. Ich starrte sie an, ohne mir Gedanken darüber zu machen was sie wohl von mir denken musste. Sie kramte Lippencreme aus ihrer Tasche und ich spürte wie sehr es mich erregte, als sie sich damit langsam über die Lippen fuhr. Ich war wie ein sabbernder Teenager, der zum ersten Mal den Busen einer Frau sieht und nicht so richtig weiß was er damit anstellen soll. Am Nachbartisch unterhielten sich zwei Typen, lange Haare, Ansatz eines Vollbartes, über kirchliche Denkmäler in Tschechien. Ich war im falschen Film, doch ich wollte nicht das Kino wechseln. Sie streifte ihre Jacke ab und öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse, die ihren Körper zur Geltung brachte. Ihre Lippen glänzten matt.
„Verdammt ist das kalt da draußen“, sagte sie.
„Ja, kaum zum aushalten“, gab ich zurück. Sie sah mich an, mit diesen großen, klaren Augen und lächelte mild. Es war kaum zum aushalten. Das Gespräch am Nachbartisch drehte sich jetzt um den Umweltschutz und die EU-Osterweiterung. Ich stand auf und ging, vorbei an bleichen Gesichtern und tiefen Augenringen, zurück zu meinen Seminaren und Büchern. Ein Gefühl der Einsamkeit legte sich um mein Inneres.