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Keine lacht betrogen

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30.08.2003
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Keine lacht betrogen

Keine lacht betrogen

„Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg“ (Jochen Distelmeyer, Verstärker)


Wenn du jetzt auftauchen würdest.
Das würde mich erschrecken wie eine Haifischflosse im See. Dann hätte diese Welt keine Beine mehr und es gäbe nichts mehr, um davonzulaufen; die Größe dieser Welt wäre mit einem Steinwurf zu bemessen. Und wenn du leibhaftig vor mir stündest, dann würde mir der Stein auf den Kopf knallen, weil mein Dasein und dein Hiersein auf nur einen Raum zusammengeschrumpft wären. Und nur eine Armlänge weit weg: deine strahlenden Augen – die Gestirne einer anderen Galaxis.
Die Leere und ich, wir rücken näher zusammen; mein Leben ist so einsam geworden. Einsam ist man dann, wenn man sich an die Einsamkeit gewöhnt hat. Du und ich, wir wären schlecht wie ein entzündetes Geschlecht.
Ganz funktional gesehen: Allein bin ich gut. Und in der Ecke noch besser. Wie sie mir passt, diese Ecke. Hier kann ich die Dinge denken, wie ich mag; ich kann den Stumpfsinn leugnen; ich bin minenlos; ich atme durch den Mund und kein Wort fällt dabei heraus; Erklärungen sind nicht weiter notwendig. Aber ich wüsste, wo ich bin.
Und du? Bleib, wo du bist!
Bleib, wo du bist.
Im Lot. Im Akkusativ. Und am besten immateriell.
Und damit du im Bilde bleibst: wenndujetztauftauchenwürdesteinschrecken!

Mein Zwilling ist jetzt hier. Ihr dürftet euch keinesfalls begegnen, wenn es nach uns ginge. Er und ich, wir sitzen auf dem Boden. Und wer zuerst lacht, hat verloren und holt den Zettel aus der Hosentasche. Grünes Papier. Zweimal gefaltet.
Du musst dich opfern.
Das ist es, was draufsteht.
Ich muss mich opfern, steht drauf.
Und immer bin ich es, der verliert. In den Gelüsten ein Zwilling, aber verlieren wie eine Jungfrau. Ganz allein.
Dir habe ich nie von ihm erzählt. Er war ja auch nur da, wenn du es nicht warst. Ganz unabhängig von Sonne oder Regen, weil meine Welt geographisch gar nicht so weit nach oben reicht. Jetzt ist er hier, länger schon, als es jemals geregnet zu haben scheint. Die Sonne scheint. Das sind die letzten Gemeinsamkeiten meiner Tage.
Vielleicht bleibt er so lange, wie er will. Dann kann mir das nur recht sein. Dann wartet wenigstens jemand auf mich, wenn ich zurückkomme wie Elvis, 1972. Wenn ich wieder auftauche.


Hai in meinem Kopf.

Nach und nach ziehe ich die Fäden aus meiner Schädeldecke.
Es kommt mir alles vor wie Schwindel. Weil ich schwanke; und der vermeintliche Halt ist nur eine Kindheit in Sachsen-Anhalt. Alle Größenordnungen sind mir verlorengegangen. Meine Beulen sind riesig wie mein veröffentlichter Leserbrief im SPIEGEL zum Thema Selbstreflexion im 21. Jahrhundert bei der maßgeblichen Zielgruppe der 14 - 21jährigen. Der selbe Beitrag im LEIPZIGER ALLERLEI ist allenfalls gut. Das sind die Beulen nicht. Der Preis für Geometrie ist immer, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen kann. Echt ist nur die Richtung der Narben.
Die Katze frass sieben Raben
Schon wieder ein Abzählreim, immer wieder irgendwelche Abzählreime; und am Schluss bleibe jedes Mal ich übrig.
Die Katze frass sieben Raben
sechs Küchenschaben
fünf Fische
davon vier frische
drei Spatzen
zwei Ratzen
und einen Augenschmaus
du blinde Maus
jetzt bist du raus

Falls du inzwischen aufgetaucht bist: ich bin außerstande und du kannst nichts daran ändern. Ich weiß, wie du mich siehst. Ich schillere wie ein Fisch, wie ein Stein im Wasser. Wenn du mich herausholst, werde ich trocknen und verglänzen und kalt und blass. Und die Zähne werden offen stehen wie Schnitte.

Du. Bin traurig. Du. Gehe zugrunde. Du. Verstehe nichts.

Fühle nur weiter das Fleisch meiner Wangen. Ich tauche erst wieder auf, wenn du weg und um die Ecke bist. Ruf nicht nach mir, ich höre nichts. Ich kenne diesen Namen nicht. Lass das Klopfen sein, ich werde nicht aufmachen, ich bin porentief verschlossen. Der einzige Eingang, dieses kleine Loch, dieser mikroskopisch kleine Riss, der tiefe Kratzer auf der Blue Note-Platte; Charlie Parker At Storyville . Der Blues aus der Tüte; und die diamantene Nadel führt den Strom, den pulsenden Rhythmus aus schreienden Tönen. Bebop ist keine Tanzmusik. Und der Blaue Reiter ist kein Poster. Der Frühling ist keine Metapher. Und ich, ich bin Kain Abel junior.
Ich glaube, du stehst vor mir und schreist mir ins Gesicht. Meine Wangen schmerzen schon vom Luftanhalten.
Da bläst er!
Bist du nicht der Walfisch?
Ich habe keine Wahl!

 

Keine lacht betrogen - keine Macht den Drogen? Das Gegenüber, an das sich der Text richtet, bleibt "immateriell". Es kann sich um einen Partner, einen Freund, etwas Dingliches handeln.

Es ist da, droht näherzukommen, mitten hinein in die wunderbar geordnete und ereignislose Welt des Protagonisten.

Die vielen Fäden, die der Text beginnt, verwirren sich und lassen den Leser wie in einer fremden Sprache angesprochen, merkwürdig eindringlich berührt zurück. Mit einer Ahnung, daß hinter den Worten eine Bedeutung steht, die erfühlbar, nicht aber rational erfaßbar wird.

Nicht verstanden, gerne gelesen. Auch wenn fraglich bleibt, wo sich hier eine Geschichte versteckt. Das Lyrische des Textes steht im Vordergrund, das Fabulieren, Assoziieren.

 

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