Es gibt keine einheitlichen Merkmale, der Gattungsbegriff „Kurzgeschichte“ ist nicht trennscharf. Die literarische Praxis der Kurzgeschichtenschreiber entscheidet über die Merkmale, die mit dem Begriff „Kurzgeschichte“ in Verbindung gebracht werden. Trotzdem lassen sich einige Merkmale finden, die vor allem für die deutsche Kurzgeschichte von 1945-1955 kennzeichnend sind:
* Die Geschichte soll in einem Leseakt gelesen werden können.
Erzähltechnik und Sprache
* Meist personaler Erzähler, Bericht aus der Distanz, in einigen Texten aber auch Ich-Erzähler, z. B. bei Wolfgang Hildesheimers Kurzgeschichte „Ich schreibe kein Buch über Kafka“ oder auktoriale Erzählperspektive wie in Günter Bruno Fuchs' „Ein Baumeister hat Hunger“
* Keine oder nur sehr kurze Einleitung (Exposition); sofortiger Einstieg in die Handlung (in medias res), etwa durch Einführen der noch unbekannten Personen durch Pronomina.
* Techniken der Verdichtung durch Aussparungen, Andeutungen, Metaphern und Symbole.
* Chronologisches Erzählen hauptsächlich im Präteritum, teilweise Simultaneität durch innere Monologe, Einblendungen
* Die erzählte Zeit beträgt meist nur wenige Minuten oder Stunden, häufig wird das Geschehen auf wenige Augenblicke, eine exemplarische Situation, ein Bild oder eine Momentaufnahme reduziert.
* Lakonischer Sprachstil, Alltagssprache, teilweise Verwendung von Umgangssprache, Dialekt oder Jargon.
* Doppelbödigkeit, Mehrdeutigkeit: das geschilderte Alltagsereignis verweist auf komplexere Probleme, die oft über Metaphern und Leitmotive zu erschließen sind.
* Offener Schluss oder eine Pointe => Der offene Schluss „zwingt“ den Leser förmlich dazu, über das Geschehen nachzudenken, denn es bleiben noch Fragen übrig - der Leser muss zwischen den Zeilen lesen.
* Vermeiden von Wertungen, Deutungen, Lösungen.
Themen, Handlung und Personen
* Konfliktreiche, häufig nur skizzenhaft dargestellte Situation, geprägt von Emotionen.
* Ein oder zwei oft typisierte Hauptpersonen stehen im Mittelpunkt (es gibt jedoch auch Kurzgeschichten mit deutlich mehr Hauptpersonen). Personen werden nur in Aspekten beschrieben/charakterisiert.
* Die Geschichte spielt nur an wenigen Orten.
* Ein entscheidender Einschnitt aus dem Leben der handelnden Person oder Figur wird erzählt.
* Einsträngige Handlung.
* Wenig Handlung.
* Themen sind Probleme der Zeit.
* Meist gibt es einen Glückswechsel (Peripetie).
* Alltäglichkeit von Handlung und Personen: Die Figuren sind Menschen, die nicht herausragen oder heldenhaft auftreten.
Viele Autoren verstehen die Kurzgeschichte als offene Gattung und experimentieren mit verschiedenen Textelementen, etwa Aspekten von Fabeln, Märchen oder Sagen.