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Kieler Overflow - oder 'Die Kunst zu zweit eine genießbare Mahlzeit zuzubereiten'

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06.04.2003
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Kieler Overflow - oder 'Die Kunst zu zweit eine genießbare Mahlzeit zuzubereiten'

Ich bin umgezogen. Endlich die richtige Wohnung, endlich das richtige Stadtviertel auf der richtigen Seite Kiels.
Kiel ist nämlich, das sollten Ortsunkundige zum besseren Verständnis wissen, wie unser ehemaliges Berlin, in zwei Hälften aufgeteilt. In Ost und West. Oder besser gesagt: Ostufer und Westufer, denn die Barriere zwischen den Teilen Kiels ist keine politische Mauer, sondern ein natürlicher Einschnitt, die Kieler Förde. Aber das macht auch keinen Unterschied, denn in beiden Fällen hat der, der im Osten wohnt, auf jeden Fall die schlechtere Karte gezogen.

Zum Glück wohne ich endlich im goldenen Westen. 200 Meter von mir entfernt passiert in diesem Moment vielleicht ein Mord. Ich finde das nicht weiter schlimm, denn die Szene im Schauspielhaus ist nur gestellt.
Lauter Junge Leute flanieren auf den Straßen. Es gibt hier anständige Kneipen, Diskotheken, Restaurants und Cafés. Ich lebe und atme Kiel.

Heute war ich beim Friseur; meine zu lang geratene Wolle musste endlich runter. Die Kundin, die vor mir auf dem Frisierstuhl saß, war New Yorkerin. Hätte nie für möglich gehalten, dass sich so jemand ausgerechnet nach Kiel verirrt.

So langsam macht mir Kiel wieder Spaß. Vielleicht ist es nicht gerade der „Big Apple“, aber doch die süße „little Strawberry“.
Ich muss nur noch ein paar Leute kennenlernen. Wobei ich das Wörtchen „nur“ zu klein geschrieben habe. Die korrekte Kieler Schreibweise ist: „ N U U R!!!“ ... in Gänsefüßchen wohlgemerkt. Denn das mit dem Leute kennenlernen ist nicht so einfach:

Neulich hab ich mich auf einer neuen Homepage registriert. Der überaus kreative Titel: alleine-kochen-ist-doof.de. Wahrscheinlich kommt die Seite aus derselben Schmiede wie selber-homepage-domains-ausdenken-ist-echt-mega-öde.de oder wie-schaffe-ich-primitives-Internetvolk-durch-simple-Titel-auf-meine-Homepage.wi.net.
Nun ja, jedenfalls registrieren sich auf der Page zahlreiche User, die eben diese Message seit Jahren heraustragen, jedoch bislang kein geeignetes Forum gefunden haben:
Alleine Kochen ist doof, meinetwegen auch „Punkt D E“.

Nichts-wagen-macht-depressiv.(de)nke ich mir und melde mich im Club der Single-Brutzler an. Nach den allgemeinen Registrierungsformalitäten, kann ich meine Jagd auf einsame Ei-AufschlagerInnen beginnen.
Die erste Ei-Aufschlagerin, eine 22jährige Studentin der Mathematik, wollte scheinbar alle Eier aufschlagen, bloß die aus meinem Kühlschrank nicht. Das Kochen mit ihr dauerte so lange wie meine früheren Klausuren im Leistungskurs Mathe.
Wir bereiteten, um uns Kochtechnisch erst mal gegenseitig zu beschnuppern, Pfannkuchen zu. Doch selbst das wurde zu einer Herausforderung. Am liebsten hätte meine Mitköchin jedes Mehlkorn einzeln zählen wollen, um auch wirklich die richtige Menge zu erwischen. Nach zahlreichen Äquivalenzgleichungen fand sie schließlich die passende Menge an Mehl, die kurioserweise von der Menge im Rezept gravierend abwich. Dies ist scheinbar auch der Grund gewesen, weshalb sich Adam Riese nie von Pfannkuchen ernährt hat.
Letztendlich saßen wir vor einem riesigen Klumpen angebratenen Mehls, den wir selbst mit der Gabel nicht zu berühren trauten. Plötzlich schlug das Mathegenie sich mit der Handfläche auf den Kopf: „Verdammt! Die Dichte! Ich habe vergessen die Dichte des Mehls einzurechnen.“ Ein leises Jaulen entfuhr mir, gerade noch so laut, dass sie es nicht hörte.
„Aber da hätte ich meinen Bekannten aus der Physik Lesung mitbringen müssen. Der kennt sich da besser aus.“ Als sie mir schließlich vorwarf, ich als Mathedilettant hätte nicht mal diesen Mehlklumpen hinbekommen, reichte es mir. „Zum Kochen braucht man keine Mathe-Professur“, philosophierte ich und bat sie freundlich über die Schwelle, der im Vektorraum meiner Wohnung zu äußerst befindlichen Tür.

Mit der Philosophie ging es weiter. Als nächstes lud ich eine Schülerin Platons, Sokrates und Euklids in mein bescheidenes Reich. Um mit ihr wenigstens in den Grundansätzen des philosophischen Denkens ein kleines bisschen mithalten zu können, hatte ich am Abend zuvor im „Was ist Was? – Band 52: Philosophie“ geschmökert. Doch das langte bei weitem nicht. Als sie besagtes Buch erblickte, dass ich leider doch etwas zu offensichtlich auf meinem Wohnzimmertisch hatte liegen lassen, bekam sie gleichzeitig Hautausschlag und einen Blick, der nur „Dich mach ich fertig!“ besagen konnte.
Und so schoss sie dann auch gleich los und erklärte mir erst mal den Sinn des Kochens. Ihn hier wiederzugeben würde Ihnen, lieber Leser, die Lust am Kochen verderben, glauben Sie mir.
Danach klärte sie mich über ihre Bedürfnisse während des Kochens auf und wie sie, trotz Erkenntnis über die schreckliche Wahrheit des Kochens, Spaß daran hatte. Sie erzählte auch welche Erfahrungen sie mit mir bei dieser Gelegenheit machen wollte. Auf den Punkt gebracht ließ sich aus ihren weitschweifigen Worten klar heraushören, dass sie auf keinen Fall mit mir Sex haben wolle. Schade eigentlich. Sie war zwar ziemlich überdreht, doch, und das nicht nur aus philosophischer Sicht, sehr hübsch.
Nach dieser philosophischen Gedankenflut, die mich überschwemmte, kam ich mir sehr klein und nichtig vor bei dem profanen Vorschlag schon mal den Backofen vorzuheizen.
Beim Zubereiten der Speisen kam es wie es kommen musste: Als sie noch über die Schönheit und Vollkommenheit der Tomate jubilierte, brannte in der Pfanne das schöne Fleisch vollkommen an.
Am Ende hatte unsere Pseudo-Nihilistin den glorreichen Vorschlag einen Teller mit NICHTS zu kredenzen und sich das Essen nach seinem individuellen Gusto vorzustellen.
„Kochen ist wie das Wahre leben. Mal sehr köstlich, mal ungenießbar und, in Fällen wie diesen, beides zur gleichen Zeit.“, küchenphilosohierte ich und bat auch diese Dame charmant auf den Flur.

Ich wäre schon ziemlich abgemagert, hätte ich mich nicht in der Zwischenzeit von anderen Mahlzeiten aus Mensen, Kneipen und Fast-Food Restaurants über Wasser gehalten, als schließlich die Person erschien, die das Fass zum überlaufen oder, noch treffender gesagt, den Kochtopf zum überschäumen brachte.
Zur Deckung ihrer Identität verpasse ich auch ihr nur zynische Spitznamen, das möge sie mir zur Fairness halten. Zugegeben, ich bin schon mitten in ein Fettbassin gestürzt, als sie mich beim Häuten eines Kaninchens im Badezimmer erwischte. Wie sollte ich auch ahnen, dass Fräulein Anglistik-Studentin seit ihrem fünftem Lebensjahr überzeugte Vegetarierin ist?
Nach diesem Schock für sie, der sich unter Zuhilfenahme von Riechsalz gepaart mit zweistündigen Erklärungsversuchen langsam löste, ließ sie sich doch noch auf ein Kochen mit mir ein.
Wir bereiteten den als Beilage zum Kaninchen angedachten Feldsalat nun als Hauptspeise zu. Gemischt mit ihren Tiefkühl-Germknödeln aus der Schatzkiste Käptn Iglo’s war dies eine perfekte Kombination.
Als sie jedoch etwas von: „Let us make on the field salad.“ sprach, begann ich berechtigte Zweifel an den Englisch-Künsten der Miss Vegetablarian zu haben. Fast hätte ich sie darüber aufgeklärt, dass Germ doch auch Englisch ist und Keim bedeutet, und wir also im Begriff wären verkeimte Knödel zu essen, da meinte es das Schicksal gut mit mir und ein sprudelndes Ereignis ersparte mir eine erneute Riechsalz-Therapie.
„Oh God! Overflow! The pot flows over!”, schrie sie mit anstrengendem Gymnasiallehrerinnenakzent. Ich blickte hektisch um mich, konnte aber keinen Flügge gewordenen Topf ausfindig machen. Nun sah ich was sie meinte: der Kochtopf vor mir auf der Herdplatte kochte simplerweise über. Oh god, how can such something only happen?
Aus all diesen Ereignissen schloss ich, dass sie nicht nur das erste Mal an diesem Tage Englisch sprach, sondern auch zum ersten mal etwas kochte, denn sonst wüsste sie auch, dass man Germknödel besser selber mache, als sich so zum Überlaufen geradezu geborene Fladen von einem Möchtegern Kapitän andrehen zu lassen (dessen Mannschaft ist wahrscheinlich bei dem Fraß auch ständig übergelaufen).
Leider war es mal wieder Zeit für meinen Schlusssatz: „Once I only cooked because of being hungry, but now I’m cooking because of being angry.“
Doch die englische Fast-Muttersprachlerin ließ nicht locker und versuchte mit jüngst aufgeschnappten Shakespeare Zitaten, die sie natürlich gründlich versaubeutelte bzw. vergermknödelte, bei mir Eindruck zu schinden.
Als ich aus dem Küchenfenster blickte, sah ich zur Rettung meine Matheköchin auf der Straße vorbeilaufen. „Lieber einen gründlich verrechneten Pfannkuchen als diesen Mus in meinen Ohren“, dachte ich mir und rief: „Hey, Pythagoras! Ich hab die perfekte Formel für den Pfannkuchen gefunden.“ Schleunigst lief ich die Treppen hinunter, während die Angle-Queen auch endlich checkte, dass sie fehl am Platze war: „I watch, you have another bitch on the angle.“, runawayisierte sie und machte sich desgleichen „from the acre“.

Doch auch der Matheformel zwei schaffte nicht den perfekten Brei und so beendete ich meine mathematisch, philosophisch, linguistisch und auch ein wenig kulinarisch angehauchten Abenteuer mit der Lehre: „Alleine Kochen ist doof, aber man geht wenigstens nicht mit leerem Magen ins Bett.“
Nette Kielerinnen oder Kieler werde ich wohl nur anders kennenlernen. Ich meldete mich von der Seite ab um mich ganz meiner neuen Herausforderung www.putzen-zu-zweit.de zu widmen.

 

Hallo :)
Deine Geschichte läuft locker flockig vom Stapel. Hat eine angenehme Länge und es macht Spaß zu lesen.
Für meinen Geschmack könnte die "Einleitung" bis zu "little strawberry" weg. Sie ist doch nicht wirklich für die Geschichte relevant, oder?
Dein Denglismen sind total witzig.
Zazie

 

Hallo Groper...

hmm.. daß mit dem Machohaften trifft schon zu, wenn ich es noch einmal von diesem Standpunkt lese, obwohl das so gar nicht meine Absicht war. Erschreckend irgendwie, da ich in Wirklichkeit alles andere als ein Macho bin.

Naja, vielleicht hattest Du in der Geschichte zu sehr nach einer Intuition gesucht. Nicht, daß die Geschichte intuitionslos sei (gibts ja auch nicht), aber ich wollte einfach solche (Single)-Treff Seiten aufs Korn nehmen. Vielleicht hätte ich den Protagonisten auch ruhig ein paar mehr Fehler zuschreiben sollen..so wirkts alles ein bisschen einseitig und überheblich, kann ich nachvollziehen.
Nun, aber ich wollte sicherlich keine Mädels herunterziehen und auch nicht "mich" bzw. die 1. Person in der Geschichte zum Aufreisser oder was auch immer krönen.
Vielleicht hätte die Geschichte doch eher in die Sparte Humor abgelegt werden sollen?
Aber daß das ganze nicht allzu ernst genommen werden soll, dachte ich, wär dem Text zu entnehmen...!?
Wie gesagt, lies das ganze nochmal aus humorvoller Sicht, obwohl du ja auch schriebst, daß Dir der Witz fehlt ...... hmmm!!


Martin

 

Hallo Zazie...

schön, daß Dir die Geschichte gefällt. Und du fühlst Dich auch nicht als Frau beleidigt? ;-) (sorry groper!)
Die Einleitung hat nicht direkt etwas mit der Geschichte zu tun, aber hat doch noch eine passable Länge bei der Gesamtlänge, oder? Ich wollte eben ein wenig zu den Beweggründen, warum ich mich auf der Seite angemeldet habe schreiben, und naja, die Einleitung ist 100 % autobiographisch und mir so im Eifer des Gefechts herausgerutscht (rausred ;-) ) .

Also ein- zwei Sätze hätte man vielleicht herausnehmen können aus der Einleitung, aber sonst. Kurzgeschichten ohne jede Einleitung mag ich auch net so...

Danke aber für Deine sonst positive Kritik.

Martin

 

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