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Klebstoff
Sie steht in diesem Scherbenmeer und hält die letzte Kaffeetasse in der Hand.
Durch das Küchenfenster scheint der Mond als wäre nichts passiert.
Die Teller hat sie alle längst zerschlagen, die ganzen Gläser und die Untersetzer. Da gibt es nicht mehr viel, was sich zerbrechen ließe.
Sie schreit und wirft die Kaffeetasse an die Wand. Dann holt sie Luft.
Sie sagt, sie will ein Haus, sie sagt sie will ein Auto und wenn möglich einen roten Gartenzaun.
Und hinter ihren Augen sammeln sich schonmal die Tränen.
„Findest du das albern, ja?“
Er steht wie angewurzelt in der Tür und hat den Klebstoff in der Hand. Er macht so ein Gesicht, als würde alles wieder gut.
Sie mag das Tesafilmgeräusch, das klingt für sie beruhigend.
Rrrratsch, macht es, ratsch ratsch. Sie legt den Kopf zurück und schließt die Augen.
Bei den Tellern hilft er ihr, er hebt die Scherbenstücke auf und hält sie aneinander, er prüft ob sie zusammenpassen. Wie ein Archäologe macht er das.
Ihre Augen sind noch so ein bisschen feucht, sie pustet sich die Haare aus der Stirn.
Das kann man wieder kleben, sagt sie, schau, das kann man alles wieder kleben.
Er lächelt und sagt ja.
Sie greift nach dem Sekundenkleber.
Siehst du, flüstert sie, ich kann das alles wieder kleben.
Er hebt den Kopf, sie sehen sich lange an.
Er denkt: „Sie ist so dünn in letzter Zeit. Wie ein Schmetterling, ein Schmetterling, dem man die Flügel abgenommen hat.“
Sie denkt: „Schau nicht so und nimm mich endlich in den Arm, ich werd schon nicht zerbrechen.“
Sie sagt: „Fass mich jetzt bloß nicht an!“
Sie sagt: „Du bist doch immer nur in deinen Träumen.“
Ihre Augen spiegeln sich in seinen, sie sind beide so ein bisschen traurig.
Er ist wie der Mond. Morgens geht er von ihr und am Abend kommt er wieder. Er sagt ihr nicht wohin, er sagt ihr nicht wie lange. Immer wartet sie, eines ihrer Ohren wohnt dann an der Tür. Nur manchmal geht sie aus dem Haus, einkaufen, sie kauft dann Dinge, die sie gar nicht braucht. Einfach nur, damit sie da sind.
Er ist immer nur in seinen Träumen. Er hat kein Geld, er bringt ihr dauernd nur Geschichten mit. Und einmal brachte er ein bisschen bunte Kreide.
Er malte ihr ein blaues Auto auf die Straße. Sie stand daneben, sagte nichts, sie hat ihm einfach zugesehen. Er malte einen Gartenzaun, mit leuchtend roter Farbe, und auf die Hauswand zeichnete er Sonnenblumen, lebensgroße, wunderschöne Sonnenblumen, bis an die Dachrinne, bis zum Himmel. Und dieser Himmel wurde immer dunkler. Er beeilte sich, skizzierte noch ein großes Panoramafenster mit zwei Strichmännchen dahinter, und der Halbkreis sollte wohl ein Grinsen sein, aber da fiel schon der erste Regen.
Am nächsten Morgen war wieder alles weg, das Auto und der Gartenzaun, die Sonnenblumen und das Panoramafenster. Nur das Wasser im Rinnstein, das war ein bisschen farbiger als sonst.
Entschuldigung, hat er gesagt. Entschuldigung.
Er spricht wenig und auch nur ganz leise, bisweilen kann sie sich an seine Stimme nicht erinnern, und wenn er dann doch mal etwas sagt, dann klingt das irgendwie verstaubt, wie ein besonders altes Buch, das lange niemand aufgeschlagen hat. Sie liebt das, sie liebt den Staub. Wenn er weg ist, streicht sie immer mit den Fingerspitzen über die verstaubten Bücher, über die Regale, bis ihre Hände irgendwann ganz grau sind, und dann lächelt sie, als gäbe es nichts Schöneres.
Wenn er da ist und zu ihr die falschen Dinge sagt, dann dreht sie ihm den Rücken zu und spielt auf ihrem Cello. Sie hat es lange nicht gestimmt. Die Töne passen alle nicht zusammen. Es klingt ein bisschen so wie sie sich fühlt. Und sie will, dass er das hört.
Und immer wenn er da ist, isst sie nichts. Träume, denkt sie sich im Stillen, Träume machen mich nicht satt. Und sie will, dass er das sieht. Aber er versteht nicht, schaut sie an und sagt, was ist, du bist doch schön, was nimmst du weiter ab.
Ich bin nicht schön, sagt sie, das träumst du nur, auch das. Und dann sagt er, doch, und ob du schön bist, und dann geht auch schon das Streiten los.
Am Ende stehen sie dann immer in der Küche zwischen diesen ganzen Scherben. Vor dem Fenster hängt der Mond, nur eine Sichel heute. Als hätte sie den auch zerbrochen. Ein bisschen fühlt sie sich jetzt so.
„Bitte gib mir nochmal kurz den Tesafilm.“
Er hört ihr gar nicht richtig zu, er steht ganz dicht am Fenster. Sie stellt sich neben ihn und sieht ihn an. Und dann nimmt er sie doch noch in den Arm. Das ist einer dieser Augenblicke.
„Der Mond“, sagt er. „Der Mond ist heute nacht aus Glas.“
Er klopft ein paar Mal an die Scheibe. „Aus Glas, hörst du?“
Sie lacht. Ja ja, sie hört.
Sie berührt die Fensterscheibe mit den Fingerspitzen und da sind die Sterne hinter Glas.
Sie flüstert „Du bist auch ein bisschen hinter Glas.“ und wischt den Staub von seinen Augenbrauen. Und sein Gesicht sieht aus, als würde alles wieder gut, er sagt: „Ist das denn so schlimm.“
Sie sagt: „Ich weiß nicht. Jetzt gerade ist es nicht so schlimm.“