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Klebstoff

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15.02.2003
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Klebstoff

Sie steht in diesem Scherbenmeer und hält die letzte Kaffeetasse in der Hand.

Durch das Küchenfenster scheint der Mond als wäre nichts passiert.
Die Teller hat sie alle längst zerschlagen, die ganzen Gläser und die Untersetzer. Da gibt es nicht mehr viel, was sich zerbrechen ließe.
Sie schreit und wirft die Kaffeetasse an die Wand. Dann holt sie Luft.

Sie sagt, sie will ein Haus, sie sagt sie will ein Auto und wenn möglich einen roten Gartenzaun.
Und hinter ihren Augen sammeln sich schonmal die Tränen.
„Findest du das albern, ja?“

Er steht wie angewurzelt in der Tür und hat den Klebstoff in der Hand. Er macht so ein Gesicht, als würde alles wieder gut.

Sie mag das Tesafilmgeräusch, das klingt für sie beruhigend.
Rrrratsch, macht es, ratsch ratsch. Sie legt den Kopf zurück und schließt die Augen.
Bei den Tellern hilft er ihr, er hebt die Scherbenstücke auf und hält sie aneinander, er prüft ob sie zusammenpassen. Wie ein Archäologe macht er das.

Ihre Augen sind noch so ein bisschen feucht, sie pustet sich die Haare aus der Stirn.
Das kann man wieder kleben, sagt sie, schau, das kann man alles wieder kleben.
Er lächelt und sagt ja.
Sie greift nach dem Sekundenkleber.
Siehst du, flüstert sie, ich kann das alles wieder kleben.

Er hebt den Kopf, sie sehen sich lange an.
Er denkt: „Sie ist so dünn in letzter Zeit. Wie ein Schmetterling, ein Schmetterling, dem man die Flügel abgenommen hat.“
Sie denkt: „Schau nicht so und nimm mich endlich in den Arm, ich werd schon nicht zerbrechen.“
Sie sagt: „Fass mich jetzt bloß nicht an!“

Sie sagt: „Du bist doch immer nur in deinen Träumen.“
Ihre Augen spiegeln sich in seinen, sie sind beide so ein bisschen traurig.

Er ist wie der Mond. Morgens geht er von ihr und am Abend kommt er wieder. Er sagt ihr nicht wohin, er sagt ihr nicht wie lange. Immer wartet sie, eines ihrer Ohren wohnt dann an der Tür. Nur manchmal geht sie aus dem Haus, einkaufen, sie kauft dann Dinge, die sie gar nicht braucht. Einfach nur, damit sie da sind.

Er ist immer nur in seinen Träumen. Er hat kein Geld, er bringt ihr dauernd nur Geschichten mit. Und einmal brachte er ein bisschen bunte Kreide.
Er malte ihr ein blaues Auto auf die Straße. Sie stand daneben, sagte nichts, sie hat ihm einfach zugesehen. Er malte einen Gartenzaun, mit leuchtend roter Farbe, und auf die Hauswand zeichnete er Sonnenblumen, lebensgroße, wunderschöne Sonnenblumen, bis an die Dachrinne, bis zum Himmel. Und dieser Himmel wurde immer dunkler. Er beeilte sich, skizzierte noch ein großes Panoramafenster mit zwei Strichmännchen dahinter, und der Halbkreis sollte wohl ein Grinsen sein, aber da fiel schon der erste Regen.

Am nächsten Morgen war wieder alles weg, das Auto und der Gartenzaun, die Sonnenblumen und das Panoramafenster. Nur das Wasser im Rinnstein, das war ein bisschen farbiger als sonst.
Entschuldigung, hat er gesagt. Entschuldigung.

Er spricht wenig und auch nur ganz leise, bisweilen kann sie sich an seine Stimme nicht erinnern, und wenn er dann doch mal etwas sagt, dann klingt das irgendwie verstaubt, wie ein besonders altes Buch, das lange niemand aufgeschlagen hat. Sie liebt das, sie liebt den Staub. Wenn er weg ist, streicht sie immer mit den Fingerspitzen über die verstaubten Bücher, über die Regale, bis ihre Hände irgendwann ganz grau sind, und dann lächelt sie, als gäbe es nichts Schöneres.

Wenn er da ist und zu ihr die falschen Dinge sagt, dann dreht sie ihm den Rücken zu und spielt auf ihrem Cello. Sie hat es lange nicht gestimmt. Die Töne passen alle nicht zusammen. Es klingt ein bisschen so wie sie sich fühlt. Und sie will, dass er das hört.

Und immer wenn er da ist, isst sie nichts. Träume, denkt sie sich im Stillen, Träume machen mich nicht satt. Und sie will, dass er das sieht. Aber er versteht nicht, schaut sie an und sagt, was ist, du bist doch schön, was nimmst du weiter ab.
Ich bin nicht schön, sagt sie, das träumst du nur, auch das. Und dann sagt er, doch, und ob du schön bist, und dann geht auch schon das Streiten los.

Am Ende stehen sie dann immer in der Küche zwischen diesen ganzen Scherben. Vor dem Fenster hängt der Mond, nur eine Sichel heute. Als hätte sie den auch zerbrochen. Ein bisschen fühlt sie sich jetzt so.
„Bitte gib mir nochmal kurz den Tesafilm.“

Er hört ihr gar nicht richtig zu, er steht ganz dicht am Fenster. Sie stellt sich neben ihn und sieht ihn an. Und dann nimmt er sie doch noch in den Arm. Das ist einer dieser Augenblicke.
„Der Mond“, sagt er. „Der Mond ist heute nacht aus Glas.“
Er klopft ein paar Mal an die Scheibe. „Aus Glas, hörst du?“
Sie lacht. Ja ja, sie hört.

Sie berührt die Fensterscheibe mit den Fingerspitzen und da sind die Sterne hinter Glas.
Sie flüstert „Du bist auch ein bisschen hinter Glas.“ und wischt den Staub von seinen Augenbrauen. Und sein Gesicht sieht aus, als würde alles wieder gut, er sagt: „Ist das denn so schlimm.“
Sie sagt: „Ich weiß nicht. Jetzt gerade ist es nicht so schlimm.“

 

Hallo wolkenkind,

schön, dass du wieder da bist. :)
Mit dieser Geschichte bist du dir stilistisch treu geblieben. sie liest sich poetisch und melancholisch, fast so, als wäre es schön, dem Stress der Leistungsgesellschaft nicht gewachsen zu sein. Deine Prot liebt ihn dafür und sie verachtet ihn dafür, dass er so ist, wie er ist. Und sie macht ihn in einer fast unemanzipierten Weise dafür verantwortlich, dass sichihre Träume nciht erfüllen, schimpft ihn einen Träumer, weil er ihr nicht bieten kann, was er begehrt und zerscheppert selber nur Geschirr.
Leider verschwimmt die Härte deines Plots fast in der liebevolle Beschreibung und man wüschte deinem männlichen Prot fast, er würde das Geschirr mal nicht kleben. Aber dann wäre er ja nicht er. :)

Ein paar geschmäcklerische Anmerkungen noch.

Sie sagt, sie will ein Haus, sie sagt sie will ein Auto und wenn möglich einen roten Gartenzaun.
"Sie sagt" erscheint mir ein bisschen schwach nach der Polterorgie. Ich würde glaube ich drauf verzichten.
Rrrratsch.
Ich wette, das Geräusch kan sich jeder Leser auch vorstellen, wenn du es nicht erwähnst.
sie kauft dann Dinge, die sie gar nicht braucht.
dann oder gar streichen. Beides finde ich ein bisschen viel. (ist aber nur meine Meinung)
Und dann sagt er, doch, und ob du schön bist, und dann geht auch schon das Streiten los.
ich weiß nicht genau, ob du da absichtlich in die Umgangssprache fällst. Nur als Vorschlag:
Und dann sagt er, doch, und ob du schön bist, und sie fangen an, zu streiten.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Wolkenkind,

für mich ist es eine traurigschöne, aber auch tragische Geschichte.

Denn so kann die Beziehung auf Dauer nicht bestehen.
Deine Prot weiß das. Sie wirft das Geschirr an die Wand, sammelt die Scherben wieder auf. (Sinnbild der Beziehung)

Ihr Partner hilft zu kitten. Er lächelt, will ihr zeigen, dass doch alles nicht so schlimm ist. (er will sie nicht verlieren).
Wie lange noch? Zu oft zerschlagenes Geschirr, kann man irgendwann nicht mehr kleben.

Er ist ein Träumer. Ich denke er kann damit leben.
Sie hofft das seine Liebe stark genug ist, sich zu besinnen und ihre Träume zu erfüllen. Sie zeigt es ihm durch ihr Verhalten, nichts essen, immer dünner werden. Sie verliert die Kraft.
Er sagt: "Du bist doch schön." Und meint: es ist doch alles in Ordnung, nichtwahr!?
Sie sagt: Nein! Und hofft, dass er versteht.

Noch ist die Liebe stark genug.
Sie sehnt sich nach seinem Schutz. Er nimmt sie in den Arm, gibt ihr für den Moment, was sie braucht.
Doch da ist der Mond aus Glas, die Sterne, (Sinnbild der Wünsche) aus Glas.
Sie wischt den Staub (fehlende Erneuerung) aus seinem Gesicht.
Er befindet sich, in ihren Gedanken, hinter einer Glaswand.
Ihr ganzes momentanes Leben, ist von Glas umgeben.
Glas zerbricht.
Sie wird ihn vielleicht immer lieben, aber irgendwann nicht mehr mit ihm Leben können. :(

So sehe ich deine Geschichte.
Mag sein, ich liege total falsch, mit dem was du ausdrücken wolltest.
Sagst du es mir? :shy:

Deine Sprache hat mir sehr gefallen.

lieben Gruß,
coleratio

 

hui danke für die analyse, coleratio, ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir das auch alles selbst beim schreiben so gedacht hab, aber passen tut es schon :). die plots leiden bei mir mehr denn je darunter, dass ich mich in einzelne sätze verliebe, aber hier scheint der zusammenhalt insgesamt noch gegeben, das freut mich.

hi sim,
ich bin eigentlich nur kurz da, übermorgen fahr ich wieder einen monat weg, in länder ohne internet :)
danke für die anmerkungen.
ja, manchmal habe ich zuviele von den kleinen worten wie "doch, gar, ziemlich usw. "drin, aber das ist wegen des rhythmus, die müssen da so stehen. das wort schreien mag ich nicht, weil ich gerne mit literarischem schalldämpfer schreibe, aber das rrrratsch mag ich auch nicht, mh, weg damit.

liebe grüße

 

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