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Kobaltinger
Jochen war im dritten Stock angelangt. Am Ende des Ganges sah er durch ein Fenster welches den Blick auf die Außenwelt freigab. Es hatte zu regnen aufgehört. Auf einem runtergekommenen Spielplatz saßen zwei Jungen und ein Mädchen gelangweilt herum. Eine Mutter stand dort lässig auf ihren Kinderwagen gelehnt und sah vergrämt ins Leere. Hier drinnen war es still. Es roch nach Mittagessen und nach Altbau.
Die Tür mit dem Namensschild Kobaltinger war nur angelehnt.
Jochen drückte sie auf und trat in einen schmalen Vorraum der direkt in ein großes Zimmer mündete. Kobaltinger saß darin auf einem Ohrensessel mit dem Blick zum Fenster in den Innenhof und rauchte. Von ihm waren nur die Hände zu sehen die auf den Armlehnen des Stuhls ruhten. Inzwischen hatte die Sonne es geschafft die tief über der Stadt hängende Wolkendecke zu durchbrechen. Ihre Strahlen beleuchteten die Staubpartikel und die Rauchschwaden im fast lehren Zimmer. Immer neue Formen bildend erzeugten diese eine sonderbare Atmosphäre. Die träge Ruhe die sich in Jochen breit machte war ihm vertraut. Die Welt schien sich in solchen Momenten langsam um ihn zu drehen. Die Luft die er atmete schicksalsschwer. Die Gedanken rannen zäh wie Honig durch sein junges Hirn.
„Einen wunderschönen guten Tag. Was kann ich für dich tun“, drang eine Stimme in sein vernebeltes Bewußtsein. „Ich bin unzufrieden mit meinem Leben“, hörte Jochen sich sagen. „Dann bist du bei mir genau richtig. Wo drückt denn der Schuh?“
Aufgrund eines mysteriösen Inserats mit dem Wortlaut:„Sie können dem Leben nichts abgewinnen? Ich helfe Ihnen gern“,
in eine 223 km entfernte Stadt zu reisen, war nicht unbedingt eine Vernunft geprägte Handlung. Deshalb war Jochen dann nur noch ein kleines Stück verwundert, dass er einem wildfremden Menschen sein Herz ausschüttete.
Er hörte sich erzählen wie weh es ihm tat in der Schule von seinen Klassenkameraden verspottet zu werden. Welchen Schmerz es ihm verursachte als er seiner Angebeteten seine Liebe gestand und sie nichts anderes für ihn übrig hatte als ein knappes: „Leck mich doch!“
(damals verstand er noch nicht, daß dies durchaus auch nett gemeint sein konnte) Wie sein kleines Herz weh tat, wenn Papa und Mama sich in der Nacht stritten. Alle Ereignisse seines jungen Lebens, in die er sein Herzblut gelegt hatte, redete er sich von der Seele. Er spürte, wie er mit jedem Satz den er sich so von der Seele und in die Ohren des Kobaltingers redete, immer leichter und leichter wurde. Er mußte sogar lachen über sich und seine Geschichte. Wie konnte er nur über den Tod seines Hundes so viele Tränen vergießen. Lächerlich! War doch nur ein Hund und die Fotzen können mich auch mal. „Genauuu!“, raunte Kobaltinger. Ein neues unbekanntes Gefühl der Freiheit machte sich in Jochen breit.
Nur langsam sickerte es in sein Bewußtsein was eben mit ihm passiert war.
Ihm schauderte schon, bevor er dem Kobaltinger ins Gesicht sah der sich mittlerweile mit samt seinem Stuhl zu ihm gedreht hatte. Seine Ohren waren ein wenig spitzer, sein Grinsen zynischer und seine Augen boshafter als die eines Menschen im normal Zustand. Die Tatsache, daß auch zwei kleine Hörnchen die Stirn des Kobaltinger zierten war für Jochen gar nicht so unglaublich, sondern eher irgendwie logisch. Der Anblick allein schreckte Jochen nicht so sehr und auch der der Umstand, daß er die selbe Fratze im Gesicht trug haute ihn nicht um. Nur etwas erschreckte ihn wirklich. Es gefiel ihm. Nun war er endlich etwas Besonderes.