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Konflikt, Gespräch, Entscheidung

jbk

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17.06.2003
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Konflikt, Gespräch, Entscheidung

Einem Freund gewidmet, der mir Wege zeigt.

„Lachende und weinende Augen…“ Pia stellte ihre Tasse Milchkaffee auf den hölzernen Tisch.
„Darf es noch etwas sein?“, fragte die Kellnerin.
„Eine Apfelschorle“, sagte Jannes.
„Kommt sofort!“
„Und ne Muse…“
„Au Chocolate?“
„Danke, ist schon gut.“ Jannes stützte sich mit den Armen ab und blickte auf den Tisch. „Die Rose ist ohne Warum…“
„Was meinst du?“
„Sie ist einfach, ist schön und schön anzusehen. Sie ist eine Rose und auch wenn jemand fragen würde „Hey Rose, warum hast du dich entschieden, so schön zu blühen?“, so würde sie schweigen und einfach nur sein.“
„Die Rose ist ohne Warum… woher hast du das?“
„Ein Freund hat mir vor einiger Zeit dieses Gedicht gegeben. Ich erinnere mich daran, als wäre es eben erst gewesen. Sei einfach, der du bist und frage nicht, warum du so bist.“
„In diesen Worten scheint viel Weisheit zu wohnen.“
„Weisheit ist dialektisch. Sie bietet immer zwei Wege an. Entscheiden muss man selber. Und mit der Entscheidung ist diese Weisheit erstmal dahin. Dann geht man den Weg, nicht wissend, was einen erwartet. Nur eins scheint gesichert: wenn dann die Steine den Gang erschweren, dann kommen sentimentale Gefühle auf; man sehnt sich zur Weggabelung zurück und will den anderen Weg gehen. Und hätte man die Chance, sich nochmals zu entscheiden, dann würde man vielleicht den anderen Weg wählen…“
Das junge Mädchen brachte die Apfelschorle zum Tisch im Garten. Es war ziemlich warm für einen Tag im Frühling. „So, bitte sehr“
„Danke“
Jannes fuhr fort: „Doch auch dieser ist nicht frei von Steinen, wie man mit der Zeit feststellt. Und so stellt man fest, dass jeder Weg auch seine Steine hat und aufgeben nur wieder ein Neubeginn ist, auf den die bekannten Prüfungen mit Sicherheit folgen werden. Jetzt ist man wieder weise, denn man hat erkannt, dass niemals ein Weg eben und einfach sein wird, dass immer auch Prüfungen zu meistern sind, und dass eben darin die Weisheit besteht, sie anzunehmen, nicht aufzugeben, an sich zu glauben und mit ihnen zu wachsen.“
Pia hörte den Worten aufmerksam zu. Dann grinste sie: „Das hättest du aufschreiben sollen. Vielleicht würde dir die Entscheidung dann ein wenig leichter fallen.“
„Wie hast du dich denn damals entschieden?“
„War gar nicht einfach. Mein Vater arbeitet ja bei einer Versicherung, hat Mathe studiert. Er meinte, ich solle entweder BWL studieren oder ne Ausbildung machen. Irgendetwas Handfestes, das Zukunft hat. Es gäbe schon genug Träumer, die ihr Leben auf der Straße verbringen müssten, nur weil sie blind für die Realität gewesen seien. Wie dem auch sei, er bot mir an, doch mit einem seiner Freunde über eine Lehre als Bankkauffrau nachzudenken. Ich hätte ja das Zeug dazu in den Genen. Eigentlich wollte ich ja in die Tourismusbranche: reisen, die Welt entdecken, Abenteuer…“
„Das hast du mir ja erzählt.“
„Aber das sei zu unsicher. Krisenanfällig, meinte mein Vater. Jedenfalls habe ich mich dann dazu entschlossen, auf Primarstufe zu studieren. Mathe, damit mein Vater nicht allzu traurig würde. Erdkunde, na ja, für die Reisen im Geiste. Und Englisch. In den Ferien kann ich dann immer schön nach London reisen.“ Pia trank einen Schluck vom Milchkaffee.
„Ich war ja letztens erst wieder dort.“
„Genau“, strahlte Pia, „erzähl!“
„Mit der Schulstufe, ne klasse Fahrt. Haben super viel erlebt. Tagsüber ein tolles Programm, abends dann Party. Da war so ein Karaoke-Wettbewerb, bei uns in der Herberge.“
„Im Generator?“
„Genau!“
„Da war ich vor vier Jahren auch, mit meinem Englisch-LK.“
„Dann kennst du ja die Bar.“
„Klar!“
„Da wurde mir wieder bewusst, wie schön es ist, auf der Bühne zu stehen.“ Jannes Blick schien in Erinnerung zu baden. „Am Nachmittag haben wir uns das Globe-Theater angeschaut. Mussten erst einmal selbst dorthin finden, per Routemaster und nur mit einer Karte an der Hand; Erde-LK eben.“
„Und habt ihr den Weg sofort gefunden?“, fragte Pia.
„War gar nicht so schwer, wenn man sich vorher damit beschäftigt. Haben extra einen Weg gewählt, auf dem wir so viel wie möglich sehen konnten. Also sind wir direkt nach der Busfahrt an der Themse entlang gegangen. Da ist eigentlich immer irgendetwas los. Jedenfalls kamen wir als zweite Gruppe am Globe an. Der Englisch-LK brauchte da schon etwas länger. Quasi „Lost in the streets of London“ – könnte auch ne nette Kurzgeschichte werden. Und ganz zum Schluss trudelte dann irgendwann der Latein-LK ein.“
„Also keine Einheit von Ort, Zeit und Handlung?“
„Nein, an die aristotelische Dramaturgie hat sich der antike Part unserer Fahrt nicht halten können.“
„Wäre ja auch unpassend gewesen, so von wegen Shakespeare…“, grinste Pia.
„Genau, also wir besuchten ja auch das nordische Theater. Haben erstmal ne klasse Führung bekommen: Wir saßen in so einer Art kleinem Kinosaal. Da stellte sich dann einer vor uns und erzählte uns etwas zu The life and times of William Shakespeare, immer so, dass wir auch aktiv mitmachen konnten. Was reimt sich auf honey?“
„Bonny?“
„Mit viel Toleranz könnte man Bonny ausnahmsweise durchgehen lassen.“, schmunzelte Jannes. „Und was noch?“
„Romeo! Der ist doch wirklich süß!“
It is the east, and Julia is the sun! oder das hier, pass auf: If I profane with my unworthiest hand/ this holy shrine, the gentle sin is t his:/ my lips, two blushing pilgrims, ready stand,/ to smooth that rough touch with a tender kiss!”
Pia lachte: “Hey, klasse! Das werde ich meinen Schülern auch beibringen.”
„In der Grundschule?“
„Klar, man kann nie früh genug mit Shakespeare beginnen, finde ich.“
„Haste auch wieder Recht.“
„Was reimt sich denn nun auf honey?“
„Money“
„Wieso money?“
„Money is honey!“
„Findest du?“
„Fand er!“
„Wer?“
„Der Typ im Theater. Er meinte „What is money?“ und antwortete dann :Money is honey!” Dann ließ er das einen Jungen aus einer anderen Schulklasse wiederholen, und immer, wenn er dann sagte: “Money is…”, dann sagte der Junge: „Honey!“ Naja, ein kleiner Schwank meinerseits. Jedenfalls haben wir dann noch die richtige Bühne gesehen: wir saßen auf Holzbänken, genauso wie es vor 400 Jahren einige Zuschauer taten. Die Akustik war fantastisch, und ich habe mir vorgestellt, wie es wohl sein müsste, dort vorne zu stehen und den Romeo zu spielen.“
„Auf den Brettern, die die Welt bedeuten?“
„Nicht nur die Welt. Auch mir bedeuten sie sehr viel.“
„Dann frage ich mich, warum du zweifelst.“
„Ich zweifele nicht; ich bin unentschlossen, stehe quasi an dieser Weggabelung.“
„Höre auf dein Herz.“ Pia trank wieder vom Kaffee. „Ups, jetzt ist über der ganzen Rederei mein Kaffee kalt geworden.“
Jannes winkte die Kellnerin heran. „Einen Milchkaffee noch, bitte!“
„Schon unterwegs!“
„Das ist das Problem. Kein Teil meines Herzens wird kalt bei dem Gedanken um die Zukunft. Sowohl der eine wie der andere Teil ist Feuer und Flamme, will dies wie das erleben.“
„Du wirst dich aber entscheiden müssen – vorerst jedenfalls. Du kannst später immer noch das andere machen, wenn du Lust darauf hast.“
„Es war schon schwer genug, meine Eltern davon zu überzeugen, dass ich nicht das Geschäft meines Opas übernehmen wolle, sondern Geisteswissenschaften studieren will – Germanistik, Philosophie, vielleicht noch Bio. Entweder auf Lehramt oder, wie sie noch glauben, um damit etwas Richtung Journalismus zu machen.“
„Und weiter? Wie kam dieser Wandel zustande?“
„Eigentlich war er schon immer in mir. Schon, als ich sechs war und mit meinen Eltern einen Cluburlaub in Italien gemacht habe, gab es da so einen Bambino-Club. Da haben wir ein Asterix-und-Obelix-Stück gespielt, so richtig auf einer Bühne und die Urlauber waren die Zuschauer. Ich war der Mirakulix. So mit einem langen weißen Bart, der schlecht angeklebt war und sich immer gelöst hat. Ich musste ihn mit der einen Hand festhalten, mit der anderen den Zaubertrank anrühren und gleichzeitig noch sprechen. War ziemlich witzig. Erst letztens habe ich noch ein paar Fotos davon gesehen und mit den Fotos kam die Erinnerung. Damals war alles noch ein Spiel. Dann, zehn Jahre später, bin ich mit Hans Höffmann - du weißt schon, der Jugendreisegruppe - nach Malaga gefahren.“
„Klar, kenne ich. Mein Bruder ist da letztes Jahr mitgefahren.“
„Zwei Wochen Zelturlaub. Und abends immer Programm. Da gab es dann auch so einen Gesangswettbewerb. Da kamen dann zwei Mädels zu mir und fragten, ob ich nicht den Ken singen wolle. Ken?, fragte ich. Ja, den von Aqua: Babygirl! Jedenfalls habe ich da mitgemacht: Come on Barbie, let’s go party! Und das vor dem ganzen Lager. Da waren etwa 1000 Jugendliche auf der Tanzfläche und wir standen dort zu dritt auf der Bühne. War einfach nur ein total geiles Gefühl. Am Anfang dieses Lampenfieber, aber dann: WOW! Ein so geiles Gefühl gibt’s nirgendwo anders. Wenn du dann siehst, wie sie alle mitgehen und hinterher applaudieren und jubeln und pfeifen – einfach krass! Und wenn du hinterher gefragt wirst, ob du das schon öfter gemacht hättest, und du dann vermeinst und sie dich mit großen Augen staunend anschauen, dann fühlst du dich so super, so glücklich und frei wie selten zuvor!“
„Hey Jannes, du kommst ja richtig ins Schwärmen.“ Pia schaute ihrem Freund an und sagte: „Du hast ein richtiges Funkeln in den Augen.“
„Und dann die Theatergruppe des Abijahrgangs. Eigentlich hätte ich ja schon letztes Jahr mitgespielt, bei Love’s labours lost. Wir sind nach Salzburg gefahren, in die Festspielstadt; Pia, da gibt es Bühnen, du glaubst es nicht: mitten im Mirabellgarten eine kleine Bühne, zwischen Hecken. Und das Festspielhaus, riesige Bühnen. Und eine Bühne ist sogar in den Fels gehauen, mit Gängen dahinter. Durch die Fahrt nach Salzburg wuchs die Freude in mir auf die Vorführung in der Schule. Aber dann kam ja die Krankheit dazwischen. Aber ein Jahr später, dieses Jahr – schade, dass du nicht dabei warst – dieses Jahr hat alles so toll geklappt und es hat mich tief beeindruckt, wie unsere Stufe zu einem Team zusammengewachsen ist.“
„Ich hätte es mir gerne angeschaut, aber die Klausuren, du weißt ja.“
„Brauchst dich nicht entschuldigen. Ich kann es dir ja erzählen. Es hat richtig viel Spaß gemacht – das Textlernen, die Proben und die Aufführung, alles eben! Ein Freund meinte dann auch treffend, dass die Aula mit der Zeit so etwas wie ein Wohnzimmer geworden sei. Und es stimmte. Ich fühlte mich nach den Aufführungen richtig mies, irgendwie verstoßen, als wir uns dann nicht mehr dort trafen. War ne harte Zeit danach. Ich glaube, in ein solch tiefes Loch bin ich lange schon nicht mehr gefallen.“
„Wie meinst du das?“
„Ihr habt ja auf eurer Schule keinen Literaturkurs gehabt.“
„Leider nein.“
„Es sollte überall die Möglichkeit geben, ein Theaterstück aufzuführen. Es ist eine wundervolle Erfahrung, auch wenn der Abschied doppelt schmerzlich wird.“
„Vielleicht werde ich mit meinen Schülern auch einmal ein kleines Stück aufführen.“
„Mach das, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Es ist wirklich schön mit anzusehen, wie jeder Spaß daran hat und alle zusammenwachsen.“
„So ein bisschen Asterix-und-Obelix könnte ich mir gut vorstellen.“
„Eine tolle Erfahrung: für die Kinder und für dich.“ Jannes holte ein Päckchen aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an.
„Du rauchst noch?“
„Ja, immer noch. Möchtest du eine?“
„Danke, ich hab aufgehört.“
„Als wir uns das letzte Mal vor einem Jahr trafen, hast du mehr geraucht als ich. Und jetzt gar nicht mehr?“
„Ist mir zu teuer geworden. Als Studentin muss ich jeden Cent sparen.“
„Ist ein Argument.“
„Außerdem gefällt mir die Vorstellung besser, selbstbestimmt zu leben und mich nicht von der Zigarettensucht bestimmen zu lassen.“
„Wie meinst du das?“
„Ganz einfach: früher habe ich beim Lernen viel geraucht, weil ich glaubte, so entspannen zu können. Oder nach dem Essen, weil es so etwas wie ein Ritual war. Heute freue ich mich, mich gegen diese Routine des Rauchens entschieden zu haben.“
„Der Gedanke hat was.“, sagte Jannes nachdenklich.
„Ich will dir erzählen, wie ich das sehe: Es geht immer um Entscheidung! Sich für das zu entscheiden, was einem wichtig ist. Mir war es wichtig, mich nicht fremdbestimmen zu lassen: weder durch meinen Vater noch durch die Zigarette. Letztlich ist eine Entscheidung immer auch ein Stück Eigeninitiative und dadurch ein Stück Freiheit. Nicht irgendwer oder irgendetwas entscheidet, was du tun sollst, sondern du. Auch das Schicksal trifft nicht die Entscheidung, sondern du. Du entscheidest, was du willst, auch wenn es das Gefühl ist, auf der Bühne stehen zu wollen. Wenn das dein Wille ist, dann ist es gut. Klar werden auf dem Weg dorthin Steine liegen, das Vorsprechen etwa und, wenn es erfolgreich war, das Schauspieltraining: Durchhaltevermögen und Pünktlichkeit sind zwei ganz wichtige Dinge, die du immer befolgen musst. Dann steht dir der Weg zur Freiheit auf der Bühne offen.“
Jannes nickte. „Ich glaube, du hast Recht. Einerseits ist es sehr verlockend, Germanistik und Philosophie zu studieren. Mich reizt der Gedanke, akademisch zu denken und vielleicht einen Doktor im Namen zu haben. Doch auf der anderen Seite zieht mich dieses Gefühl hin zum Schauspielern, diese Möglichkeit, in verschiedenen Rollen zu leben. Und eines ist ja klar: weder das Studium noch die Ausbildung bietet Gewähr für einen gesicherten Arbeitsplatz. Wenn es dann wider meiner Vorstellung mit der Schauspielerei doch nicht klappen sollte, dann bleibt ja immer noch das Studium. Und wenn auch das nicht klappen sollte, werde ich freier Mitarbeiter einer Zeitung. Das tolle an all dem ist aber, dass ich immer schreiben kann. Das kann mir nämlich niemand nehmen: die Lust am Schreiben.“
Jannes atmete tief durch. Er schaute Pia in die Augen und er sah ein Funkeln darin.
„Komm“, meinte er, „lass uns am Rhein spazieren gehen…“

 

Hallo Jan

ich mal wieder....
Tolle Geschichte.

Vom ersten Momentan war ich gefesselt von der Story und musste einfach weiterlesen. VIelleicht ist es auch, weil ich diese Art von Konflikt und Entscheidung gut kenne (ist momentan wieder sehr present in meinem Leben).

Bis dann und lieber Gruss
Muchel

 

Hallo Muchel,

bedankt fürs Lesen.
Bin dank der Geschichte zu einer Entscheidung gekommen, hehe!
Wenn es so klappt, wie ich es mir vorstelle, kann ich ab Herbst meine Ausbildung anfangen :)

 

Hallo Jan
Drück dir in diesem Fall fest die Daumen, dass es klappt!

Ich hab zwar meine Ausbildung (schon lang, bin ja auch schon alt!) in der Tasche, aber trotzdem mal wieder auf der Suche.

Viel Glück wünsch ich dir!

 

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