Querdenken war einst eine Obliegenheit der Philosophen. Aber bereits, bevor es industrialisiert wurde, hinderte es noch nie einen schlauen Bauern, sich dessen auch zu bedienen. Es ist also allgemeines Gut, dem sich der denkende Mensch hingeben mag, wenn es ihn danach dürstet.
Lieber Friedel
Ich fragte mich, welches Recht auf den Irrtum du meinst? In der Politik und im Recht ist es ja ein gängiger Begriff. Doch in Bezug auf die zitierten Personen? Spontan dachte ich an Voltaire, denn ich bei deftigen Disputen gerne auch mal aus dem Gedächtnis zitiere. Der Einfachheit halber liesse sich auch der Begriff der Hypothese heranziehen, die durch die These widerlegt wird. Nur diese bedingt der Schlüssigkeit, welche ich in deinen nachfolgenden Worten diesmal nicht nachvollziehen konnte.
Ein mildes Lächeln kam mir auf, als ich erkennen musste, dass der Oeconomicus in dir durchbricht, hinweisend, es sind Ach zwei Seelen in deiner vom Parka gewärmten Brust. Natürlich ist die wirtschaftliche Existenz die eine Seite, wenn er nicht wie Muschg genügend Vermögen und Einnahmen besitzt. Doch was noch viel mehr zählt, ist das Selbstwertgefühl des Menschen dahinter, das mit seinem schöpferischen Werk steht oder wankt. Wäre er dagegen immun, dürfte man mit Recht eine Störung vermuten.
Dein Vergleich, der Käufer gebe sein Votum ab, nicht der Leser, da sie ja nicht identisch sein müssen, finde ich, auch wenn es sich kommerziell nur so nachweisen lässt, eine sehr flüchtige und vorläufige Überlegung. Sie könnte jener classe politique gerecht werden, die du sonst gern mokierst. Nur schon das Stichwort Bibliotheken, die einen hohen Zulauf ausweisen, unterlaufen solch kapitale Sätze.
Du irrst dich auch beim „Alten“ wie du ihn erhaben nennst, stichele ich jetzt einfach mal. Auch Goethe oder Karl Kraus – um einen anderen dir nahestehenden zu nennen - waren keine Unfehlbaren, auch sie fielen der Kritik anheim. Unvorstellbar, dass Goethe nicht verletzlich war, allein schon die Vernichtung eines Teils seiner Gedichte spricht für sich.
Wollte man Vulpius, seinen Schwager Goethe und vielleicht Kleist gegeneinander messen, wer war der Beste. In deiner Interpretation Goethe. Es war aber nicht nur seine Sprachgewalt, unbesehen von seinem Werk, sondern ebenso seine politischen Intrigen, die ihm den Platz auf dem Podest sicherten.
Es ist auch keine Frage der Vergänglichkeit, so manches rettet sich auch über die Zeit oder wird Neuentdeckt. Ovid zum Beispiel findet man in manchen Häusern in denen ein Quäntchen humanistische Bildung nicht zum Kuriosum verkam. Raymund Radiguet, der als Siebzehnjähriger ein einziges Werk schrieb, ehe er mit zwanzig Jahren starb, ist unvergessen. Obwohl teils verschmäht, sind es eben mehr oder weniger Bekannten, die es mitunter ermöglichten, dass Literatur stets ein Bedürfnis und Kulturgut war. Karl May hat da durchaus seine Berechtigung, auch wenn man in Anlehnung an die Worte vieler Kritiker und wohl meist nicht aus eigener Erkenntnis als Leser heute über ihn lächelt. Doch Kern der Sache ist nicht, welche unterhaltsam geschriebenen Geschichten die Existenz eines Autoren überstehen, sondern mehr, wie die Kritik an Gegenwärtigem zu gewichten ist.
Rowling, Pilcher und andere mehr haben ihre Leser, die die Bücher nicht nur zur Zierde in einem Büchergestell aufreihen. Das Niveau entspricht mit Recht nicht jedermann, doch wer misst sich das Recht zu, andern abzusprechen, diese zu lesen. Das wäre Fahrenheit 451 praktisch umgesetzt. Natürlich stülpt sich mancher die Narrenkappe über, übt sich mit verkleideten Worten als Satiriker, dabei wäre es doch ehrlicher zu sagen: Mir gefällt dies nicht. Also Klartext, der eben verletzen kann. Und das ist der Kern der Sache, wenn man die Bedeutung von Kritik in seiner Tiefenwirkung betrachten will. Hier steht der Kritiker in der Verantwortung. Du erinnerst dich an den ersten Text, den du von mir rezensiert hast, es war zu einem ebensolchen Thema.
Verzeih Friedel, jetzt habe ich deine Meinungsäusserung nach Massstäben der Kritik exemplarisch beleuchtet, obwohl ich mich über deinen Beitrag freue. Aber diese Spiegelung ist präzis das was ich meine, was zählen sollte. Nicht einfach seine Erwartungen oder Vorurteile einem Autor auflasten, sondern sich seinem Text zu stellen.
Nichts für ungut und ein schönes Spätsommer-Wochenende.
Anakreon
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Hallo Jimmy
Ich stimme dir zu, dass die Situation hier im Forum etwas anders ist als in der freien Wildbahn des Literaturdschungels. Selbst bezeichnete ich mich auch nie als Kritiker wenn ich einen Kommentar zu Texten abgab. Allenfalls noch als kritischer Leser oder einfach als Leser. Unabhängig davon sprechen die Forumsregeln von Autoren und Kritikern, was in der Sache ja stimmt. Aber egal wie man es bezeichnet, es läuft immer darauf hinaus, dass man einen Text eines andern beurteilt. Darin unterscheidet es sich also nicht vom Literaturgeschehen in der grossen Welt.
Das andere ist, wie ich auch erwähnte, dass man als Autor weiter an seinem Text arbeiten kann, also Laborbedingungen, wie du es nennst.
Dennoch kommt es manchmal auch zu härteren Formulierungen, wer zimperlich ist und wenn er unangemessen angegriffen wird, es nicht parieren kann, leidet darunter und könnte im ungeschützten Literaturdschungel kaum bestehen. Insofern kann es eine Schulung sein, will er im Aussen bestehen. Doch sollte es nicht nur der Autor als solches verstehen, sondern nicht minder auch der Kritiker. Es ist auch ihm ein Übungsfeld, in dem er sein Können unter Beweis stellen kann, falls er für eine Zeitung oder so schreiben möchte. Es gibt hier im Forum einige sehr gute Kritiker, die sich ebenso wie manche Autoren dadurch abheben, dass sie sehr qualifizierte Texte vorlegen. Wenn ich die Aussage des Literaturkritikers zum Anlass nahm, dies zu thematisieren, so da ich denke, man sollte sich dessen bewusst sein.
Insofern sehen wir es wohl ähnlich.
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Hallo Kubus
Auch mit deinen Worten gehe ich einig, dass es her viel dichter ist. Kürzlich hatte sich mal ein Absolvent eines Literaturinstituts geäussert, der bereits ein Buch veröffentlichte. Er fand an jenem Institut analoge Bedingungen mit Mitschülern und einem Mentor, weil nicht nur sein Buch, sondern auch neue Texte besprochen wurden. Für ihn, der hauptberuflich Journalist ist, war es eine ganz neue Erfahrung, die ihn begeisterte.