Kuh und Karriere
Die Kuh steht auf der Weide. Sie kaut Gras. Es ist ihr erstes Jahr auf der Weide. Franz macht sein Abitur. Er ist ein Musterschüler, wie ihn das Leben nur schreiben kann. Er entscheidet sich anschließend, Philosophie zu studieren. Die Kuh steht derweil auf der Weide und kaut Gras. Abends kommt sie in den Stall. Dort kaut sie Stroh. Am nächsten Tag geht’s wieder auf die Weide.
Ein paar Monate später. Franz hat die erste Zwischenprüfung mit Erfolg abgelegt. Die Kuh interessiert das reichlich wenig. Sie stand in diesen Monaten auf der Weide und kaute. Weitere Monate vergehen. Franz legt eine weitere Zwischenprüfung ab. Die Kuh wird begattet. Es dauert genau fünf Minuten. Franz absolviert zwei weitere Semester. Er muss verdammt viel büffeln. Die Anforderungen sind hoch. Nachdem die Kuh eine weitere Zeit auf der Weide gestanden ist und Gras gekaut hat, bekommt sie ihre Jungen, vier Stück. Danach gibt sie ihnen Milch und kaut weiter Gras. Franz ist rund um die Uhr mit Studieren beschäftigt. Wenn er nicht studiert, so geht er in einer kleinen Bar jobben. Freizeit hat er keine mehr. Die Kuh hat nur Freizeit. Sie stillt, sie kaut Gras und schaut ihren Kleinen beim Wachsen zu. Sie ist zufrieden.
Franz hingegen wachsen Studium und Job langsam über den Kopf. Er sehnt sich danach, endlich seinen Abschluss zu machen und frei zu sein, wie eine Kuh auf einer Wiese. Die Kuh kennt diesen Stress nicht. Ihre Kleinen sind groß geworden. Sie muss nicht mehr stillen. Nur Gras kauen und abends in den Stall; morgens auf die Wiese. Nach neun Semestern ist Franz endlich fertig. Jetzt ist er fürs erste glücklich.
Die Kuh steht noch eine Weile auf der Weide. Dann wird sie ermordet zugunsten des Konsums. Sie hatte zwar ein kurzes Leben, aber sie war glücklich damit. Franz hat nun die nächsten Probleme am Hals. Er will promovieren. Seitenlange Arbeit wartet auf ihn. Auch das schafft er. Doch am Ende findet er keine Arbeit und versucht sich als freier Philosoph. Seine Schriften verschaffen ihm nicht den nötigen Erfolg. Die Kuh muss das alles nicht mehr ertragen. Sie hat ihren Beitrag zur Evolution bereits geleistet. Franz steuert dem nichts bei. Keine Frau, keine Kinder, kein Fortbestand. Er wird obdachlos. Jetzt kann er auch den ganzen Tag auf einer Wiese stehen. Und Bier trinken.
Die Moral von der Geschicht’: Mach dir keine Mühe, es lohnt sich nicht. Mach’s lieber der Kuh nach. Die weiß, wie man glücklich wird.