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Kuh und Karriere

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17.12.2002
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Kuh und Karriere

Die Kuh steht auf der Weide. Sie kaut Gras. Es ist ihr erstes Jahr auf der Weide. Franz macht sein Abitur. Er ist ein Musterschüler, wie ihn das Leben nur schreiben kann. Er entscheidet sich anschließend, Philosophie zu studieren. Die Kuh steht derweil auf der Weide und kaut Gras. Abends kommt sie in den Stall. Dort kaut sie Stroh. Am nächsten Tag geht’s wieder auf die Weide.
Ein paar Monate später. Franz hat die erste Zwischenprüfung mit Erfolg abgelegt. Die Kuh interessiert das reichlich wenig. Sie stand in diesen Monaten auf der Weide und kaute. Weitere Monate vergehen. Franz legt eine weitere Zwischenprüfung ab. Die Kuh wird begattet. Es dauert genau fünf Minuten. Franz absolviert zwei weitere Semester. Er muss verdammt viel büffeln. Die Anforderungen sind hoch. Nachdem die Kuh eine weitere Zeit auf der Weide gestanden ist und Gras gekaut hat, bekommt sie ihre Jungen, vier Stück. Danach gibt sie ihnen Milch und kaut weiter Gras. Franz ist rund um die Uhr mit Studieren beschäftigt. Wenn er nicht studiert, so geht er in einer kleinen Bar jobben. Freizeit hat er keine mehr. Die Kuh hat nur Freizeit. Sie stillt, sie kaut Gras und schaut ihren Kleinen beim Wachsen zu. Sie ist zufrieden.
Franz hingegen wachsen Studium und Job langsam über den Kopf. Er sehnt sich danach, endlich seinen Abschluss zu machen und frei zu sein, wie eine Kuh auf einer Wiese. Die Kuh kennt diesen Stress nicht. Ihre Kleinen sind groß geworden. Sie muss nicht mehr stillen. Nur Gras kauen und abends in den Stall; morgens auf die Wiese. Nach neun Semestern ist Franz endlich fertig. Jetzt ist er fürs erste glücklich.
Die Kuh steht noch eine Weile auf der Weide. Dann wird sie ermordet zugunsten des Konsums. Sie hatte zwar ein kurzes Leben, aber sie war glücklich damit. Franz hat nun die nächsten Probleme am Hals. Er will promovieren. Seitenlange Arbeit wartet auf ihn. Auch das schafft er. Doch am Ende findet er keine Arbeit und versucht sich als freier Philosoph. Seine Schriften verschaffen ihm nicht den nötigen Erfolg. Die Kuh muss das alles nicht mehr ertragen. Sie hat ihren Beitrag zur Evolution bereits geleistet. Franz steuert dem nichts bei. Keine Frau, keine Kinder, kein Fortbestand. Er wird obdachlos. Jetzt kann er auch den ganzen Tag auf einer Wiese stehen. Und Bier trinken.
Die Moral von der Geschicht’: Mach dir keine Mühe, es lohnt sich nicht. Mach’s lieber der Kuh nach. Die weiß, wie man glücklich wird.

 

Hallo,

mir gefällt zwar die Gegeüberstellung Kuh/Philosoph (wer ist der größere?), aber es scheint mir, als ob dein Prot sich nicht nach Freiheit sehnt, sondern nach einer Art Totalgeborgenheit wie in der ersten Kindheit. Immer zu essen, nichts entscheiden müssen, begattet werden (also, Tragzeit und Zahl der Jungen deiner Kuh sind haarscharf daneben *gg*), nichts müssen, gar nichts. Sie muss nicht einmal sterben, sie wird gestorben.

Überdies ist für mich ein Philosophiestudent nicht gerade der Prototyp eines Karrieristen, oder täusche ich mich da? Wäre es ein BWLer gewesen, könnte ich mir die Sache eher vorstellen - oder ein katholischer Theologe, der die Hierarchien des Vatikan stürmen möchte. Dann würde es mit der Fortpflanzung auch nicht hinhauen.

So ist nicht ganz klar, was eigentlich gemeint ist - hat der Prot seine Bedürfnisse verkannt? Klassisches Beamtentum könnte denen am ehesten entsprechen.

Oder ist da der Freiheitsbegriff ein wenig durcheinander geraten?

Er sehnt sich danach, endlich seinen Abschluss zu machen und frei zu sein, wie eine Kuh auf einer Wiese.

Ist die frei, oder hat die bloß ihre Ruhe?

Ich finde, die Geschichte hat einen interessanten Ansatz, aber irgendwie ist sie von den philosophischen Konsequenzen her nicht so durchdacht. Ich würde an deiner Stelle noch einmal schreiben.

Gruß, Alli

 

Hallo Lukas

Danke, dass du dich so intensiv mit meinem Text auseinander gesetzt hast und mir so ehrlich deine Meinung kundgetan hast. Das zeugt davon, dass dich der Text zumindest zum Nachdenken animiert hat.
Eigentlich habe ich vom Leser dieses Textes auch nicht erwartet, ihn ernst zu nehmen. Man sollte ihn mehr mit einem Augenzwinkern betrachten. Würde es bei kurzgeschichten.de eine Kategorie philosphisch-humorvolles geben, so würde der Text eher dorthin passen.
Mir war beim Schreiben durchaus bewusst, dass eine Kuh nicht wirklich frei ist. Ich habe der Kuh daher ganz einfach ein Bewusstsein reininterpretiert, das sie befähigt, sich dieses Leben auf der Weide bewusst auszusuchen, wohlgeachtet der Tatsache, dass sie von Kopf bis Fuß ausgenommen und schließlich getötet wird. Betrachte die Kuh hier einfach als Wesen wie in einer Tier-Fabel, wo Tiere wie Menschen handeln.
Des weiteren war die Geschichte für mich nur ein spontaner Gedanke, der mir kam, als ich eine weidende Kuh betrachtete. Da kam mir der Gedanke, die Kuh einfach mal mit dem Menschen zu vergleichen, bezüglich des Lebensverlaufes, ohne zu bewerten, ob dies wirklich Sinn macht.
Natürlich ist es eine Art von Flucht, wie ein Tier sein zu wollen. In anderer Betrachtung kann es aber auch etwas Beruhigendes an sich haben, zu sehen, wie sich eine Kuh Zeit lässt und sich nichts unter Druck setzen lässt.
Außerdem ist die Kuh auf ihre Weise glücklich, nur unbewusst; denn sie weiß ja nicht, was ihr noch geschieht.
Der Vorwurf der fehlenden Reproduktion an den Studenten ist keiner. Es ist nur eine Feststellung.
Übrigens: Der Phil.-Student bin nicht ich. Ich habe keine beruflichen Probleme, falls du das mit den durchschimmernden bürgerlichen Idealen meintest.

Grüße, Frank

 

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