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Laienmord

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12.08.2004
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Laienmord

Laienmord ;)
© 2004 von shade

Er drückte sich noch tiefer in den Schatten der angelehnten Plakatwand, berührte nervös das Messer in seiner Tasche. Ja, es war noch da. Die medizinischen Gummihandschuhe, die er trug, störten ihn. Alle Verbrecher trugen sie, um keine Fingerabdrücke zurückzulassen, das wußte jeder. Also trug er sie auch. Aber er haßte sie trotzdem, weil man so sehr darin schwitzte. Ihm war sehr warm unter dem langen Wollmantel. Schweißtropfen sammelten sich unter dem tief ins Gesicht gezogen Hut und liefen an den Schläfen hinunter. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war noch früh.
Zwei Stimmen drangen durch die Tür. Ein Mann und eine Frau stritten sich wortreich über Geld. Geld, er kannte diesen Streit nur zu gut. Auch seine Frau lag ihm ständig mit ihren Wünschen in den Ohren, sie wolle endlich einmal wieder in Urlaub fahren, sie brauche ein neues Kleid und warf ihm ständig vor, er mache keine vernünftige Arbeit. Er hatte ihr geschworen, dieser Job würde der Durchbruch sein. Die Bezahlung war gut. Wenn er sein Sache ordentlich machte, war vielleicht noch mehr drin.
Ein alter Freund hatte ihn gebeten, jemand, der in einer höheren Liga spielte. Es war ein Wink des Schicksals, daß er krank geworden war und heute nicht hier sein konnte. Das war die Chance. Er durfte nur keinen Fehler machen, dies war sein erster Job nach Monaten. Der hinter der Tür war einer der ganz Großen. Noch einmal rief er sich den Raum in Erinnerung. Sein Freund hatte jede Einzelheit genau beschrieben und ihm verraten, worauf er besonders achten mußte. Gleich links hinter der Tür stand eine flache Kommode mit einer großen Vase, ein wenig weiter im Raum eine Sitzgruppe. Rechts stand ein Hutständer und dahinter befanden sich Aktenschränke. Der Schreibtisch stand genau gegenüber vor einem großen Fenster. In der hinteren Ecke war einer dieser elektrischen Kamine eingebaut. ‚Nicht über den Läufer stolpern!‘, hatte sein Freund noch gesagt ,Der ist sehr dick, dämpft aber Deine Schritte gut!‘. Es war alles gut vorbereitet.
Langsam machte sich ein unangenehmes Gefühl in seiner Blase breit. Das durfte doch nicht wahr sein, ausgerechnet jetzt mußte er auf Klo. Er sah wieder auf die Uhr. Die Zeiger hatten sich kaum bewegt, aber bis zur Toilette und wieder zurück würde er es nicht mehr schaffen. Er lauschte. Der Streit der beiden Personen hinter der Tür zog sich in die Länge. Er begann von einem Bein auf das andere zu treten. ‚Was bist Du auch für ein Trottel!‘, dachte er bei sich. ‚Man trinkt direkt vor einem Job nichts.‘. Aber er hatte sich wohl doch ein oder zwei Glas genehmigt. Ob er sich hier Erleichterung verschaffen konnte? Nein, wenn jetzt jemand käme. Vor allem konnte er die Tür nicht außer acht lassen. Die Frau würde irgendwann gehen und die Tür nicht wieder schließen. So war es abgesprochen, so hatte es ihm sein Freund erzählt.
Ein Geräusch aus dem Durchgang, der auf den Hinterhof führte, ließ ihn zusammenfahren. Er machte hastig noch einen Schritt rückwärts. Die Plakatwand erbebte, als er dagegen stieß und drohte umzufallen. Schnell griff er zu, um sie festzuhalten. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen rechten Daumen. Jemand hatte einen spitzen Nagel zu weit durch die Wand getrieben. Er biß sich in den Ärmel, um nicht schreien zu müssen. Vorsichtig ließ er die Wand wieder los. Der Daumen blutete ihm die Hand voll, er steckte ihn in den Mund. Mit der Linken versuchte er das Taschentuch in seiner rechten Tasche zu erreichen. Da fiel das Messer klappernd zu Boden. Er schloß die Augen und hielt inne. Hatten sie ihn gehört?
Drinnen tobte der Streit weiter. Sie drohte gerade damit, zu ihrer Mutter zu fahren. Sollte sie doch endlich fahren, dann würde die verflixte Tür aufgehen und er konnte seine Job erledigen.
Erleichtert zog er das Taschentuch heraus und wickelte den Daumen ein. Der Schmerz war einem unangenehmen Pochen gewichen. Er griff nach dem Messer, steckte es aber nicht mehr ein. Die Zeit war nah, das spürte er. Mit der Linken wog er den Griff. Würde es gehen? Er war Rechtshänder.
Schnelle Schritte von hohen Absätzen näherten sich, die Tür wurde aufgerissen. Es erschien eine wunderschöne Frau in einem eleganten Abendkleid. Ihre Frisur war ein wenig durcheinander, das vor Zorn rote Gesicht war voller Tränen. „Dir werden Deine Gaunereien noch zum Verhängnis werden, Du elender Schuft. Eines Tages faßt sich jemand ein Herz und macht dem Spuk ein Ende.“ rief sie in den Raum zurück.
Sie stampfte heftig mit dem Fuß auf und warf die Tür zu. ‚Nein, nicht die Tür schließen!‘, wollte er ihr zurufen, aber besann sich im letzten Moment. Die Frau stolzierte mit schnellen Schritten den Gang in Richtung Hinterhof davon.
Vielleicht konnte er die Tür anders aufbekommen, dachte er bei sich. Langsam schlich er vor, hielt aber inne, als ein schabendes Geräusch erklang. Er war mit dem Mantel an einem weiteren Nagel hängen geblieben und zog die Plakatwand mit sich. Mit einem gedämpften Fluch riß er den Mantel los. Mit wenigen Schritten erreichte er die Tür. Sie war von ganz einfacher Machart. Hoffnungsvoll fuhr er mit dem Messer zwischen Tür und Rahmen durch tastend auf der Suche nach dem Riegel. Die Klinge stieß auf etwas Festes, kurz darauf klickte es leise. ‚Improvisieren muß man können!‘ , dachte er bei sich, als er leise die Tür öffnete.
Der Raum war hell erleuchtet. Jedes Möbelstück stand da, wo es hingehörte, die Kommode und die Sitzgruppe, der Hutständer, die Aktenschränke, der Kamin. Am Schreibtisch saß der andere mit dem Rücken zu ihm, tief gebeugt über ein Buch.
Jetzt oder nie. Sein Puls schlug schneller, als er sich lautlos in den Raum schob. Siegessicher näherte er sich in geduckter Haltung.
Plötzlich stolperte er vorwärts, als sein Fuß gegen den Teppich stieß, den er vergessen hatte. Auf jedem Parkett wäre es jetzt aus gewesen, hätte der andere ihn gehört. Aber wie auf Watte erklang nur ein leises ‚Bumb‘. Instinktiv rollte er sich in den Schutz der Sitzgruppe und ließ es wie ein flüssige Bewegung aussehen. Der andere hob den Kopf, schaute aber nur interessiert aus dem Fenster. Er schien ihn nicht gehört zu haben. Vorsichtig schlich er sich an. Eine Weite Bewegung, dann stieß er mit viel Schwung zu. Der Vorhang fiel.
Tosender Beifall brandete auf. Pfiffe waren zu hören. Der Mann auf dem Stuhl keuchte, als er aufstand. Aber er lächelte ihn an. Andere Darsteller liefen auf die Bühne, die wunderschöne Frau war auch dabei. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Ich war zwar zu Anfang skeptisch, aber sie haben ihre Rolle wirklich überzeugend gespielt! Ich denke, wir könnte sie bis zum Ende der Saison engagieren.“ Es war der Regisseur.
Stolz keimte in ihm auf. Ja, das war der Durchbruch für ihn. Diese kleine Nebenrolle würde ihn bekannt machen.
Der Vorhang wurde wieder hochgezogen. Die Zuschauer jubelten, die Schauspieler verbeugten sich. Und seine Frau saß oben im dritten Rang und lächelte ihm zum ersten Mal seit Jahren wieder zu. Erleichterung überkam ihm.
Im Beifallssturm des Theaterhauses bemerkte kaum einer, daß sich reichlich Flüssigkeit in den dicken Teppich ergoß.

 

Guten morgen shade,

deine geschichte ist flüssig geschrieben und spannend zu lesen. Die pointe sitzt (an der richtigen stelle).

Zwei dinge stören mich:

- wenn er gummihandschuhe trägt (die engen, chirurgischen), dann kann der finger kaum bluten, nachdem ihn ein nagel gestochen hat
- den schlußsatz würde ich ersatzlos streichen. Das ist für mich kein gag mehr

herzliche grüße
ernst

 

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