Liebster Andreas
Liebster Andreas,
Es tut mir so leid wegen Samstag; wenn du nicht an die Theke gekommen wärst um dir ein Bier zu holen, dann hätten wir uns noch nicht einmal begrüßt. Obwohl ich mir geschworen habe, mit dem Alkohol vorsichtiger zu sein, ging es mir an diesem Abend wieder total dreckig. Dabei habe ich doch gar nicht so viel getrunken; vielleicht hätte ich an diesem Tag doch etwas mehr essen sollen als eine Mahlzeit, mir pro Flasche mehr als eine viertel Stunde zeit lassen sollen. Stattdessen fand mich meine Mutter gegen 10 Uhr in einer Ecke schlafend wieder und brachte mich nach Hause. Dort ging jeder Handgriff automatisch von alleine. Erinnern kann ich mich allerdings nicht mehr daran, erst als ich am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen im Bett aufwachte, wurde mir so manches bewusst. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich schon wieder oben auf der Wiese sein müsste, zum aufräumen. Ich schloss meine Augen und schlief weiter, um die Kopfschmerzen zu ertragen.
Erst halb 1 Mittags quälte ich mich aus dem Bett und schaltete erst einmal eine Maschine mit der vollgekotzten Wäsche an. Zu diesem Zeitpunkt überkam mich dieses Gefühl, dass ich so einiges oben vergessen hatte. Ich überlegte: meine Dienstjacke, die ich mir aufgrund der Wärme auszog, meine volle Schachtel Zigaretten, meine CD und mein Handy. Aber das alles war nichts im Vergleich zu dem, was mir als letztes einfiel: Dich! Ich habe Dich vergessen; ich wollte, nein, ich musste an diesen Abend mit dir reden. Ich musste dich fragen, ob du zu meiner Geburtstagsfeier kommen würdest, denn an diesen Abend war die letzte Gelegenheit dazu. Bis zu meiner Feier werden wir uns sicher nicht wieder sehen. Aber das war noch nicht alles, ich wollte dir meine Wohnung zeigen, und meine Katze. Ja, ich habe eine kleine Katze. Magst du Haustiere? Du wirst sie mögen, sie ist so süß und witzig, wenn sie in der Wohnung herumtobt. Außerdem wollte ich dir noch etwas erzählen; ich wollte mich bei dir ausheulen, darüber, was ich die letzten Wochen durchgemacht habe. Ich sitze gerade wieder in der Schule und muss ihn den ganzen Tag sehen, weil er in meiner Klasse ist. Der Mensch, den du zum letzten Dorffest an meiner Seite gesehen hast. Der Mensch, den ich über alles liebte, der mir alles gab und der mich glücklich machte. vor 3 Wochen hat er, ganz unerwartet für mich, Schluss gemacht. In mir stürzte eine Welt zusammen, die sich bis heute noch nicht wieder aufbaute. Ich trank ab dato jeden Abend ein bis zwei Flaschen Bier und schnitt mir die Arme auf. Ich bereue die bleibenden Narben am Arm nicht, denn der Schmerz war wie eine kleine Befreiung meiner inneren Schmerzen. Nur ein wenig ging es mir dadurch besser, aber es war das einzige Mittel, was ich kannte, das überhaupt seine Wirkung zeigt. Ich tue es auch heute noch, solange, bis die Schmerzen in meiner Seele Vergangenheit sind. Aber mach dir keine Sorgen, ich weiß, dass ich damit aufhören kann. Wenn alles vorbei ist, all diese Schmerzen vorüber sind, dann, und erst dann lege ich die Klinge wieder zur Seite. Bereuen tue ich nur die Geldausgaben für das viele Bier, denn normalerweise trinke ich nur zu besonderen Anlässen Alkohol. Das macht sich dann schon ganz schön in der Haushaltskasse bemerkbar. Das Trinken kann ich allerdings nicht mehr so leicht stoppen wie das Ritzen meiner Arme. Aber mach dir auch darüber keine Sorgen, denn an zwei Flaschen Bier ist noch keiner gestorben.
Ich liebe ihn immer noch so sehr und ich kann ihn nicht so einfach vergessen. Jeden Abend, wenn ich die Klinge in der Hand halte, denke ich an die Zeit zurück, als er noch neben mir auf der Couch saß und seinen Arm über meine Schulter legte während wir fern sahen. Ab und an bekam ich einen Kuss von ihm. Oder wenn meine Freundin bei mir war, und wir uns ununterbrochen küssten, während sie sich langweilte. Beide mussten wir darüber lachen, weil sie sich ständig über uns aufregte. Wir haben so viel schönes gemeinsam erlebt, was ich dir gar nicht alles aufzählen kann. Ich weiß nicht, wer mir diese Zeit ersetzen kann. Öfters habe ich die Hoffnung, dass er wieder zu mir zurück kommt. Doch diese Hoffnung ist nur ein Licht in der Ferne, ein kleiner dunkler Stern am Himmel, nie erreichbar für des Mensches Hand. Ich muss ihn vergessen, doch ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Du bist nun die einzige Stütze die ich noch habe, der einzige Grund, warum ich noch lebe. Wenn du, lieber Andreas, nicht wärst, dann wäre ich schon längst nicht mehr hier. Ich weiß, du wirst es nicht verstehen; du wirst es niemals verstehen können, doch du sollst einfach wissen, wie sehr ich dich brauche.
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In Liebe, Deine Stella