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Liebster Andreas

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15.06.2003
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Liebster Andreas

Liebster Andreas,

Es tut mir so leid wegen Samstag; wenn du nicht an die Theke gekommen wärst um dir ein Bier zu holen, dann hätten wir uns noch nicht einmal begrüßt. Obwohl ich mir geschworen habe, mit dem Alkohol vorsichtiger zu sein, ging es mir an diesem Abend wieder total dreckig. Dabei habe ich doch gar nicht so viel getrunken; vielleicht hätte ich an diesem Tag doch etwas mehr essen sollen als eine Mahlzeit, mir pro Flasche mehr als eine viertel Stunde zeit lassen sollen. Stattdessen fand mich meine Mutter gegen 10 Uhr in einer Ecke schlafend wieder und brachte mich nach Hause. Dort ging jeder Handgriff automatisch von alleine. Erinnern kann ich mich allerdings nicht mehr daran, erst als ich am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen im Bett aufwachte, wurde mir so manches bewusst. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich schon wieder oben auf der Wiese sein müsste, zum aufräumen. Ich schloss meine Augen und schlief weiter, um die Kopfschmerzen zu ertragen.
Erst halb 1 Mittags quälte ich mich aus dem Bett und schaltete erst einmal eine Maschine mit der vollgekotzten Wäsche an. Zu diesem Zeitpunkt überkam mich dieses Gefühl, dass ich so einiges oben vergessen hatte. Ich überlegte: meine Dienstjacke, die ich mir aufgrund der Wärme auszog, meine volle Schachtel Zigaretten, meine CD und mein Handy. Aber das alles war nichts im Vergleich zu dem, was mir als letztes einfiel: Dich! Ich habe Dich vergessen; ich wollte, nein, ich musste an diesen Abend mit dir reden. Ich musste dich fragen, ob du zu meiner Geburtstagsfeier kommen würdest, denn an diesen Abend war die letzte Gelegenheit dazu. Bis zu meiner Feier werden wir uns sicher nicht wieder sehen. Aber das war noch nicht alles, ich wollte dir meine Wohnung zeigen, und meine Katze. Ja, ich habe eine kleine Katze. Magst du Haustiere? Du wirst sie mögen, sie ist so süß und witzig, wenn sie in der Wohnung herumtobt. Außerdem wollte ich dir noch etwas erzählen; ich wollte mich bei dir ausheulen, darüber, was ich die letzten Wochen durchgemacht habe. Ich sitze gerade wieder in der Schule und muss ihn den ganzen Tag sehen, weil er in meiner Klasse ist. Der Mensch, den du zum letzten Dorffest an meiner Seite gesehen hast. Der Mensch, den ich über alles liebte, der mir alles gab und der mich glücklich machte. vor 3 Wochen hat er, ganz unerwartet für mich, Schluss gemacht. In mir stürzte eine Welt zusammen, die sich bis heute noch nicht wieder aufbaute. Ich trank ab dato jeden Abend ein bis zwei Flaschen Bier und schnitt mir die Arme auf. Ich bereue die bleibenden Narben am Arm nicht, denn der Schmerz war wie eine kleine Befreiung meiner inneren Schmerzen. Nur ein wenig ging es mir dadurch besser, aber es war das einzige Mittel, was ich kannte, das überhaupt seine Wirkung zeigt. Ich tue es auch heute noch, solange, bis die Schmerzen in meiner Seele Vergangenheit sind. Aber mach dir keine Sorgen, ich weiß, dass ich damit aufhören kann. Wenn alles vorbei ist, all diese Schmerzen vorüber sind, dann, und erst dann lege ich die Klinge wieder zur Seite. Bereuen tue ich nur die Geldausgaben für das viele Bier, denn normalerweise trinke ich nur zu besonderen Anlässen Alkohol. Das macht sich dann schon ganz schön in der Haushaltskasse bemerkbar. Das Trinken kann ich allerdings nicht mehr so leicht stoppen wie das Ritzen meiner Arme. Aber mach dir auch darüber keine Sorgen, denn an zwei Flaschen Bier ist noch keiner gestorben.
Ich liebe ihn immer noch so sehr und ich kann ihn nicht so einfach vergessen. Jeden Abend, wenn ich die Klinge in der Hand halte, denke ich an die Zeit zurück, als er noch neben mir auf der Couch saß und seinen Arm über meine Schulter legte während wir fern sahen. Ab und an bekam ich einen Kuss von ihm. Oder wenn meine Freundin bei mir war, und wir uns ununterbrochen küssten, während sie sich langweilte. Beide mussten wir darüber lachen, weil sie sich ständig über uns aufregte. Wir haben so viel schönes gemeinsam erlebt, was ich dir gar nicht alles aufzählen kann. Ich weiß nicht, wer mir diese Zeit ersetzen kann. Öfters habe ich die Hoffnung, dass er wieder zu mir zurück kommt. Doch diese Hoffnung ist nur ein Licht in der Ferne, ein kleiner dunkler Stern am Himmel, nie erreichbar für des Mensches Hand. Ich muss ihn vergessen, doch ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Du bist nun die einzige Stütze die ich noch habe, der einzige Grund, warum ich noch lebe. Wenn du, lieber Andreas, nicht wärst, dann wäre ich schon längst nicht mehr hier. Ich weiß, du wirst es nicht verstehen; du wirst es niemals verstehen können, doch du sollst einfach wissen, wie sehr ich dich brauche.

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In Liebe, Deine Stella

 

Ich denke diese Geschichte hat eine Kritik verdient, und ich finde es schade, dass sich bisher noch niemand gemeldet hat.

Zunächst möchte ich meinen Verdacht vorweg schicken, dass es sich bei dieser Geschichte in den Grundelementen um eine wahre Begebenheit aus deinem Leben oder deiner näherem Umfeld handelt. In diesem Fall reagierst du auf Kritik gereizter als bei einer normalen Geschichte, die du aus der Distanz beschrieben hast und nicht selber Protagonist bist. Ich möchte dies vorweg schicken, da ich bei meiner Geschichte "Ein Tag im Leben eines Mobbingopfers" ähnlich reagiert habe.

Nun zum Wesentlichen:
Deine Geschichte hat mir in ihren Grundzügen sehr gefallen, da sie ein interessantes Thema aufgreift. Die Briefform und der in ihr enthaltene Stil ist sehr passend, man zweifelt nie daran, dass Stella dies tatsächlich während des Unterrichts schreibt. Du gehst dabei ordentlich auf die möglichen Ursache für diese Art der Selbstverstümmelung ein, wobei hier auch der erste Kritikpunkt anzusetzen ist: Da Andreas in seiner Rolle als letzter Halt des Mädchens schon genug über die kaputte Beziehung wissen wird, wird zu wenig auf deine wahren Beweggründe, deren wegen du diese Geschichte geschrieben hast, eingegangen. Sie spart dem Leser Details aus die wichtig sind um zu verstehen, weshalb Stella dem Alkohol immer öfter immer näher kommt und zu ritzen beginnt. Im Umkehrschluss wird zu sehr auf die aktuellen Geschehnisse der letzten durchzechten Nacht und des nächsten Tages eingegangen. Für Andreas mag dies interessanter sein, aus der Sicht des Lesers verkaufst du damit die Milch bevor du die Kuh gemolken hast und erreichst nicht dein Ziel, über diese psychische Störung aufzuklären.

Dieses Problem hast du an einer Stelle jedoch sehr gut gelöst.

Stattdessen fand mich meine Mutter gegen 10 Uhr in einer Ecke schlafend wieder und brachte mich nach Hause. Dort ging jeder Handgriff automatisch von alleine.
Andreas interessiert die Tatsache, dass Stellas Mutter sie schon wieder nach Hause schaffen musste.
Dem Leser wird deutlicher, inwiefern das Mädchen sich und ihre Familie unglücklich macht und in welchem Stadium sich ihre Gefühle befinden.
(Nebenbei: "automatisch von alleine" ist doppelt gemoppelt und klingt etwas eigenartig, passt sich dadurch jedoch dem Schülermädchen-Brief-Stil an.)

Schlechter gelöst ist dies z.B. hier:

Der Mensch, den du zum letzten Dorffest an meiner Seite gesehen hast.
Dies ist wiederrum nur interessant für den Leser, Andreas würde im echten Leben auch so sofort begeriffen, um wen es sich handelt. Die Passage klingt dadurch wie ein Fremdkörper in deiner Geschichte.

Apropos Andreas, seine Figur wird meiner Meinung nach zu schwammig beschrieben. Man weiß zwar weshalb er für Stella so wichtig ist, jedoch nicht wer er ist. Sicher, zum Ende hin kann man sich selbst zusammen reimen, dass es sich um eine neue Liebe handeln wird, es könnte jedoch genauso gut ein normaler Freund, Cousin, Bruder oder - noch abwegiger - (Stief)Vater sein. Manche Andeutungen geben zu viel Raum für Spekulationen. Eigentlich ist dies auch nebensächlicher Natur, da der Brief jedoch an ihn gerichtet ist, sollte es erklärt werden.

Alles in allem eine lesenswerte Geschichte mit wichtiger Thematik.

 

erst mal vornweg:
oh, hab doch glatt die beiden zeilen vergessen drunter zu schreiben:
„das war eine ausgedachte geschichte, sie spiegelt das wieder, was ich oft denke.. aber nicht wie ich handel“
„das sind nur worte auf dem papier“!

zweitens:
ja, mein freund hat vor einiger zeit schluss gemacht, und diesen Andreas gibt es wirklich. er ist mehr oder weniger ein guter kumpel von mir. auch das angesprochene fest ist wahr, wo mich meine mutter heimschaffte und ich deshalb nicht mit ihm reden konnte.
aber dinge wie z.B. das ritzen habe ich mir natürlich ausgedacht!

meine geschichten beinhalten alle stücke aus meinem leben. nur ganz wenige meiner geschichten haben nichts mit demselben zu tun (und das sind dann i.d.r. die älteren).


drittens: an hoEyo ein dankeschön für die kritik! ich war schon im festen glauben, dass gar keiner mehr hier antworten wird.


viertens: @lukas:
keine angst, du brauchst diesen Andreas keinen brief schreiben.. weil ich ihm auch keine briefe mehr schreibe, seitdem er es mir verboten hat. aber den grund dafür muss ich jetzt nicht wirklich hier nennen!
ja, ich habe mich schon 1-2 mal geritzt. aber das ist lange her. und bei weitem nicht so doll wie meine freundin, dessen arm total vernarbt ist.
aber ich denke "kontakt mit borderline" hat jeder teen mal. iss halt nur unterschiedlich, wie lange diese phase ist. bei mir war sie auf jeden fall sehr kurz!

 

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