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Lilith
Lilith saß auf einem glänzenden, samtbestickten Stuhl aus seltsam geformtem, mir unbekanntem Material auf der mir gegenüber liegenden Seite des riesigen Tisches. Sie spielte mit der silbernen Gabel, rutschte ungeduldig hin und her und warf mir ab und zu einen verstohlenen, schüchternen Blick zu. Ihre meeresblauen Augen funkelten, als flackerte eine gleißend helle Kerze in ihrem Innern, wenn sie mir, mit gesenktem Kopf, unschuldige und doch auf eine Weise verlangende Blicke unter dem Schutze ihres flammend roten Haares zuwarf. Ein Lächeln umspielte immer wieder ihre Lippen, ein durchaus verführerisches Lächeln, und ich konnte kaum sagen, ob sie es tatsächlich so meinte, oder nur versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen.
Lilith war vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich und von großer, erhabener Statur, für ihr Alter ganz und gar ungewöhnlich. Genau genommen paßte sie gar nicht zu ihrem Alter - ihr Körper mußte auf halbem Wege ihrer Entwicklung stehen geblieben sein, denn er war kaum gealtert, sah immer noch jung und schlank aus, unglaublich schön und anziehend. Ihr Gesicht war so anmutig wie das einer Feenkönigin; milchigweiße, zarte Haut umgab ihre dunkelroten Lippen und tiefblauen Augen, verlieh ihr einen majestätischen Glanz, einen Hauch von Unsterblichkeit und ließ mich meinen Blick nicht mehr von ihr abwenden. Das seidene Haar fiel mit blendendem Funkeln hinunter, umspielte ihre zarten Züge und ließ ihr süßes Antlitz noch anmutiger erscheinen. Ich glaubte eine Prinzessin vor mir zu haben, eine, wie sie nur in den allerwenigsten und schönsten Märchen vorkommt, und nicht die schüchterne Tochter eines reichen, und gefühlslosen Adligen, die unschuldig wie am ersten Tage in ihrem Schloße, das mehr ein Gefängnis schien, ihren Sünder erwartete. Nicht nur, daß sie viel zarter gebaut und eigentlich das krasse Gegenteil zu ihres Vaters Grobheit war, ich konnte selbst im Detail keine verwandten Wesenszüge ausmachen. Und diesen entwaffnenden, bittersüßen Blick, den sie ohne große Gedanken daran ständig benutzte, und mit dem sie mich im Moment auch betrachtete, hatte tatsächlich gar nichts mit irgendeinem anderen Familienmitglied hier im Schloß zu tun.
Die große Tür, die über einen ewig langen Flur in die Küche führte, schwang mit einem leisen Knarren auf, und der Butler, eine durchweg abstoßende, unheimliche Erscheinung, trat ein. In seinem Gefolge hatte er eine ganze Schar von Bediensteten, die funkelnde Silberplatten, belegt mit allen erdenklichen und unerdenklichen, teuren Speisen und etliche Amphoren wild duftenden Weins ins Zimmer schleppten und in sekundenschnelle ein üppiges Festmahl aufgetischt hatten. Feinste Fische, Krebse und Hummer schienen sich vor mir auf ihren Silbertafeln zu räkeln, dazwischen Salate und Obst, saftige rote Äpfel in der Hauptsache, ein dickes Spanferkel in der Mitte und alles reichlich verziert mit einer dicken, süßen, roten Soße, deren Farbe mit der von Lilith’ Lippen zu spielen und ständig auf seltsame Weise mit ihr zu wechseln schien. Von diesem Farbspiel betört wartete ich benommen auf das Eintreffen der restlichen Familienmitglieder. Unpünktlichkeit hatte man ihnen bisher nicht vorwerfen können. Der Graf selbst hatte mich hierher gebeten und mir mitgeteilt, daß ich heute zum ersten Male seit meinem Eintreffen mit seiner Familie speisen solle. Nur Lilith hatte schon im Speisesaal gewartet, und sich in seltsamer Glückseligkeit auf ihrem Stuhl geräkelt als sie mein neugieriges Gesicht in der Türe sah.
Nachdem die Bediensteten aufgetragen hatten verließen sie den Saal durch eine kleine Türe neben dem großen, steinernen Kamin in eine, mir noch unbekannte Richtung. Die schwere Holztüre fiel hinter dem unansehnlichen Butler krachend ins Schloß und wieder kehrte Ruhe in unsere unheimliche Zweisamkeit.
Inzwischen hatte sich Lilith einen der goldroten Äpfel genommen und wog ihn prüfend in der Hand, wobei sie ihren sonderbaren, suchenden Blick auf mich heftete und mich nicht mehr losließ. Auf diese Weise auf meinem Stuhl gefangen, beobachtete ich sie, wie sie sich mit unglaublich langsamen, vorsichtigen Bewegungen ihres Apfels annahm, als hielte sie ein Kind in ihrem Arm. Wie in Zeitlupe sah ich dieses seltsame Schauspiel vor meinen Augen, unfähig sie auf einen anderen Gegenstand zu lenken. Ich errötete, weil ich mir vorwarf, sie auf’s unhöflichste anzustarren, wenn ich auch einigermaßen sicher war, daß ich gar nicht anders konnte, daß mein Blick ein plötzliches Eigenleben unabhängig von mir führte, daß Lilith im Besitz meiner Augen war und sie an meiner statt benutzte.
Sie spielte minutenlang mit dem Apfel, ehe sie ihn, wieder mit einer unmöglich langsamen Bewegung, in meine Richtung hielt, einer wortlosen Aufforderung gleich, die Frucht, ihr Spielzeug, anzunehmen. In diesem Augenblick überkam mich ein durchdringendes Gefühl der Verwirrung, des unbekannten Wahnsinns, daß mich durchfuhr, wie ein Blitz, der die Nacht durchschneidet, und ließ mich in völliger Orientierungslosigkeit zurück. Wo mein Geist in diesem Augenblicke war, vermochte ich wirklich nicht zu sagen, jedenfalls befahl irgendeine fremde Seele meinem verlassenen Körper, nach dem dargebotenen Apfel zu greifen, was mich, von meiner neuen, unbestimmten Beobachterposition aus erschauern ließ und mir die Eiseskälte den Rücken hinunterjagte, ohne, daß ich dafür einen Grund benennen könnte. Nur einen Schlag meines flimmernden Herzens später, hatte meine zitternde Gestalt die Frucht, die sich in meine Hand brannte, als stünde sie in Flammen, in ihrer Hand und umschlang sie in einem eigenartig verzerrten, begierigen Griff. Wie der Apfel die Distanz über die ewig lange Tafel hinweg, von Lilith’ Hand in die meine, überwunden hatte, kann unmöglich erklärt werden. Er schwebte nicht und er flog nicht, er war einfach plötzlich da, und duldete keinen Widerspruch, so sehr sich mein Verstand auch wehrte.
Die grauenhaft unrealistische Szene bot sich mir inzwischen aus einer unmöglichen Perspektive dar, die zu beschreiben es der menschlichen Sprache an Dimensionen fehlt. Mir war, als sah ich meinen Körper zur gleichen Zeit von oben und von unten, wie in einem, sich viel zu schnell drehenden Karussell, daß mir ständig eine andere, den Tatsachen widersprechende Perspektive zeigte, ohne jemals einen klaren Blick zu gestatten. Von diesem wirren Perspektivenwechsel in scheinbar unüberwindbare Entfernung von meinem Körper geschleudert, bot sich mir das weitere Geschehen dar, welches immer verrückter, immer grotesker wurde, wie ein einziger Hohngesang auf die Realität.
Der große Tisch begann zu wackeln, Teller und Silberbesteck fielen krachend zu Boden, bedeckten die Holzdielen mit abertausend Scherben, vermischten sich mit der blutigen, roten Flüssigkeit, die in einem, entschieden zu gigantischen Ausmaß, von der schweren, zitternden Holzplatte floß. Die goldenen Kronleuchter stürzten zu Boden und verschütteten ihr Feuer über die ganze, in grelles Licht getauchte Szene. Der Tisch selbst fing, wie von Geisterhand entzündet, Feuer und stand nach wenigen Sekunden brennend inmitten eines drohend lachenden Flammenmeeres.
Dann durchbrach ein schwarzer Blitz die Decke und verdunkelte das hell erleuchtete Zimmer für den Bruchteil einer grausigen Sekunde und tauchte die Szenerie in ein Licht des Unmöglichen. In der unbeschreibbar kurzen Zwischenzeit verschwand Lilith, die sich das brennende Schauspiel teilnahmslos angeschaut hatte, von ihrem Stuhl, der sich augenblicklich in eine riesige Flammenzunge verwandelte. Als der dunkle Blitz weniger als einen Herzschlag nach seinem ersten Eintreffen noch einmal das blendende Flackern des Feuers verdunkelte, saß Lilith auf dem Schoß meines hilflosen, verlassenen Körpers und beugte sich gierig und voll unsagbarem Verlangen über meinen Mund, um mich endgültig zu verschlingen. In meiner entrückten Position spürte ich plötzlich ihre glühenden Lippen auf meinem imaginären Mund, versuchte mich zu wehren, doch konnte nicht verhindern, daß sich der Flammenkuß tief in meine Seele einbrannte und irgend etwas in meinem Innern versengte, um mich so bis in alle Ewigkeit zu brandmarken. Lilith’ Abendkleid war gänzlich den zuschnappenden Feuerzungen zum Opfer gefallen und so preßte sie ihren nackten Körper an den meinen, getrieben von einem unbändigen Verlangen, daß ich in seiner reinsten Form in meinem, vor Angst rotierenden Geiste fühlen konnte. Ihre Finger fuhren unablässig über meinen wehrlosen Körper, gruben sich unter höllischem Schmerz in meine bebende, schmelzende Haut, brannten jeden Widerstand hinfort, und steigerten meine Erregung in eine schier unbeschreibliche Lust, deren Gipfel in blutigem Rot in Lilith’ wahnsinnigen, vor Wollust flackernden Augen leuchtete. Ihre Zunge fuhr von meinem Mund über meine naß geschwitzte Brust zwischen meine Beine, leckte in teuflischster Wollust das letzte bißchen Gegenwehr auf, schürte das innere Feuer mit magisch kreisenden Bewegungen, und flog ohne abzulassen wieder hinauf zu meinem, vor tiefstem Verlangen bebenden Gesicht, und steuerte mit heißen Küssen auf meine Ohren zu. Nie gehörte Worte der Wollust flüsterte Lilith mir ein, brachte mich zum Erbeben, wieder und wieder, entflammte die dunkelsten Abgründe mit dem, alles verschlingenden Feuer der Lust, und trieb meine Erregung nach oben, wie kochende Lava emporsteigt um einen kalten Berg in einem einzigen, vernichtenden Ausbruch in einen lüsternen, heiß züngelnden Vulkan zu verwandeln. Sie drückte ihren warmen Schoß auf den meinen, verschlang mich endgültig, saugte jeden Widerstand voller Genuß in sich auf, trieb meine Lust an den äußersten Rand der Realität und küßte mich mit reiner, ungezügelter Begierde, nahm mir jeden Atem, brannte mir die Zunge aus dem Mund. Ihre Augen blitzten in wahnsinnigem Licht, zeigten mir die berauschendsten Bilder zügelloser Orgien, unbekannter, lüsterner Feiern auf das menschliche Fleisch, daß von brennender Liebe auseinander gerissen wurde, um die größte Lust zu den rasenden Herzen vor zu lassen. Ich hörte auf, mich zu wehren, ergab mich ihr in völliger Konsequenz und überließ ihr meinen geschundenen Verstand, der den Kampf gegen meinen unbändigen Willen verloren hatte und sich nun den menschlichsten Trieben unterordnen mußte. Lilith ließ nicht von mir ab, steigerte ihre Leidenschaft noch mehr, trieb es mit mir inmitten der drohenden Feuersbrunst, zwischen krachendem Holz und schmelzendem Silber, ohne Ablaß, ohne Zurückhaltung, als Sklavin der menschlichen Lust, als Dienerin der dunkelsten Wünsche eines von heuchlerischer Moral geplagten Geistes. Ihr Stöhnen hämmerte in meinem Schädel, schlug gegen mein Herz und ließ mich ihre Bewegungen in rasender Tollwut erwidern. Ihre feuchten Lippen benetzten meine zitternde Haut, fuhren die abenteuerlichsten Bahnen über meinen Körper und schrieben mit dem lodernden Feuer der Leidenschaft die reine Gier auf ihn. Auf dem Höhepunkt, dem blutroten Gipfel der Lust stöhnte Lilith ein letztes mal, so daß es mich völlig betäubte und sich all meine Spannung in ihren verlangenden Körper entlud. Sie blies mir sanft über das verschwitzte Gesicht und strich mir mit ihren zarten Fingern über die Augenlider.
Ein neuer Blitz zischte durch den Raum und meine neue Gebieterin war verschwunden. Wann ich wieder in meinen Körper zurückgefunden hatte, kann ich nicht sagen. Ich zuckte noch wie in Trance als ich meine Besinnung wieder fand, meinen Verstand wieder aufnahm, jedoch nicht ohne das verbotene, blutig rote Zeichen der Lust darauf zu finden.