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Loras Wahn

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18.05.2004
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Loras Wahn

Der gestirnte Himmel lag über uns. Unter uns, direkt unter unseren baumelnden Füßen, gähnende Leere, kilometertiefer Abgrund. Der Mond stand heute so voll und leuchtend am Himmel, dass uns ganz warm um die schwarzen Herzen wurde. Vielleicht lag das aber auch am Whiskey. Lora räusperte sich. In der nächtlichen Stille klang es wie ein Kratzen über die raue Gesteinswand. Sie trank einen Schluck aus ihrer Flasche. Ihre Lippen schimmerten im Sternenlicht. „Weißt du, Sean, “, sagte sie und klemmte die schmale Glasflasche zwischen ihre Oberschenkel, „Heute Nacht ist, glaube ich, der richtige Zeitpunkt.“ Ich nickte bloß. Wie ein stetiger Beat pulsierten meine Adern und ließen meinen Kopf dröhnen. Lora stützte sich auf ihre dünnen Arme und hob ein Bein in die Luft. Sie betrachtete ihre bemalten Fußnägel. „Heute ist es perfekt. Heute ist Vollmond.“ Ich trank einen Schluck Whiskey. Heiß rann er in meine Kehle. Sie hatte Recht. Ich wusste es und wollte es auch und trotzdem hatte ich solche Angst, dass sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Lora setzte wieder die Flasche an die Lippen. Sie lehnte ihren Kopf in den Nacken und trank. Sie trank und trank, bis die Flasche leer war. Ich dachte, jetzt müsste ihr ganzer Hals von innen weggebrannt sein. Doch als sie ihre Flasche über den Abgrund davon warf und sie aufprallslos verschwand lachte sie ihr lautes betrunkenes Lachen, dass alle Felswände kratzend und fürchterlich wiederholten. „Ich bin so froh, Sean, so froh!“, lallte sie und krallte mit ihren langen Fingernägeln in meinen Arm. „Ich bin so froh, dass wir es zusammen tun werden!“, sie grinste mich an. Ihre Schminke war verwischt. Schwarzer Schatten lag auf ihren Lidern. Schwarz wie unsere Herzen, schwarz wie unsere Absicht. Sie sah schrecklich aus. Ihr zerzaustes blondes Haar klebte an ihrer Stirn und ich begann mich vor ihrem Wahn zu fürchten. Aber warum? Warum? Ich war doch selber wahnsinnig. Lora nahm ihre Hand von meinem Arm. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich noch tun wollte. Ich musste noch mehr trinken. „Sean, Sean, freust du dich nicht auch?“ Ich nickte, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Was würde danach kommen? Würde wirklich alles besser werden? Lora strich mir mit ihren kalten Fingern über die Wange. „Mach dich bereit, mein Kleiner. Mach dich bereit für die Sonne.“ Jetzt spürte ich das Pochen ganz deutlich in meinem Kopf. Doch es kam nicht vom Alkohol. Es war die Angst. Die nackte Angst vor Lora. Angst um Lora. Angst um mich. Eine graue Wolke zog sich vor den hellen Mond. „Es wird jetzt auch Zeit, darling.“, sagte sie und lächelte mich schielend, betrunken und völlig wahnsinnig an. „Aber vorher musst du noch austrinken. Weißt du, der Whiskey ist wirklich gut. Es wäre schade! Trink schon.“ Ich trank, mit geschlossenen Augen und mir vorstellend, wie wir in wenigen Sekunden fliegen würden. Fliegen würden über den Abhang, immer weiter, vom Alkohol und Wahnsinn betäubt und unten wieder aufstehen würden und der Sonne, Hand in Hand, entgegen würden. Ich öffnete die Augen. Meine Flasche war leer. Lora klatschte begeistert in die Hände, riss mir die Flasche aus der Hand und warf sie weit, weit fort. Ich sah ihr nach. Das war ich. Diese leere, ausgesoffene Flasche war ich. Und Lora war es, die mich warf. Sie war es, der es egal war, dass ich flog und flog, aber keine Flügel hatte. Sie, die wusste, dass ich irgendwann, wenn ich längst begriffen hatte nicht fliegen zu können, zerbrechen würde. Ich starrte den dunklen Abhang hinunter, blickte zurück zu Lora und ich glaube, ich weinte sogar ein bisschen. Doch die Tränen vermischten sich mit meinem Angstschweiß und so bemerkte sie es nicht. Wahrscheinlich war sie zu betrunken, um irgendetwas zu merken. Ihre knochigen Finger packten meine Hand. „Jetzt“; hauchte sie und ihre Augen leuchteten. Sie ließ meine Hand los. „Bist du bereit?“, fragte sie und sah dabei starr nach vorne. Ich musterte sie von der Seite, wie sie da saß, kerzengrade und gespannt. Sie wartete. Wartete auf das Signal. Auf den Gnadenschuss. Ihre dünnen Arme zitterten, sie wippte hin und her. „Ja“, sagte ich leise und mit zittriger Stimme. Unter mir der Abgrund in meinem schwarzen Blut der Alkohol. Ich sah noch auf Loras dünne Lippen. Sie lächelte. „Zusammen…“, flüsterte sie und flog über die Klippe. Ich starrte ihr nach, gelähmt, unfähig mich zu rühren. Wie eine leere, ausgesoffene Whiskeyflasche verschwand Lora aus meinem Leben. Ohne das dumpfe Geräusch eines Aufpralls. Ich stand auf und ging langsam torkelnd weg. Weg von der Klippe.

 

Hallo Zieth und herzlich Willkommen auf KG.de!

Deine Geschichte ist ja megadüster :) Mir hat sie ganz gut gefallen, obwohl ich gerne wüßte, warum sie sich das Leben nehmen wollten...was denn nach dem Tod besser werden sollte, etc.

"Doch als sie die Flasche über den Abgrund davon war und sie aufprallslos verschwand lachte sie ihr lautes betrunkenes Lachen"
(..über den Abgrund davon warf...)
Vielleicht solltest Du schreiben, das sie ihre Flasche davon warf, denn später soll er ja seine ganz austrinken und man wird stutzig erstmal :)

LG Joker

 

Hallo Joker!

Vielen Dank für deine Antwort und deinen Verbesserungsvorschlag! :)
Ja, es verwirrt wirklich etwas, glaube ich. Ich änder es.
Den Grund für ihren Selbstmord kannst du dir selbst ausdenken.
Ich glaube, Er wurde da eher mit reingezogen.
tschüssi :cool:
Zith

 

Hallo Zith!

Deine Premierengeschichte hat mir wirklich gefallen.
Ich finde nicht, dass es nötig ist, den Grund für Loras Selbstmord genau darzulegen. Ich bekam den Eindruck, sie ist einfach "ein bisschen" verrückt und sieht das als eine Art "extreme Mutprobe" an oder will bloss etwas "total Abgefahrenes" tun. Meiner Meinung nach reicht das. (Damit meine ich natürlich nicht, man sollte sich wirklich aus diesem Grund umbringen! :messer: )

Kleine kritik:

Wahrscheinlich war sie eh zu betrunken, als irgendetwas zu merken.
Hier gehört ein "um" statt "als". Außerdem finde ich, das "eh" passt hier nicht richtig zum restlichen Sprachstil, klingt zu umgangssprachlich in einem Text, in dem sogar die Besoffene ziemlich "vornehm" spricht.

 

Hallo!

Freut mich echt total, dass euch die Geschichte gefallen hat!!! :D
@Wood: Ja, hab es mir ungefähr genauso gedacht wie du! :)
Danke für deine Kritik, ich seh mal, dass ich's verbessere!

:cool: Zith

 

Hi Zith,
eine gute Geschichte hast du da geschrieben, die ein wenig heraussticht aus der Masse an Selbstmordgeschichten, die man hier so findet. Was mich nur gestört hat, war die zweifache Erwähnung, dass beide Prots schwarze Herzen in ihrer Brust tragen. Warum das? Ein wenig mehr hätte ich schon gern über sie gewusst. Ansonsten kann man eigentlich alles so stehen lassen.
Ordentlich!

Grüße...
morti

 

Hi morti!

Viieelen Dank für das Lob! :D

Das mit den schwarzen Herzen hab ich mir in etwa so gedacht:
Jimmy denkt, dass der Selbstmord eine "schlechte" und "böse" Sache ist. Darum beschreibt er Loras Herz als "schwarz". Es war schließlich ihre Idee.
Aber da er mitmacht findet er sich selbst nicht besser und deshalb ist auch sein Herz "schwarz". So ungefähr...

Über die Prots soll man gar nicht so viel wissen. Es ist nicht so wichtig für die Geschichte, denn es geht im Wesentlichen um den "Augenblick"

Greetz :cool:

Zith

 

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