Ja, lieber Sim, vor der Diskussion sollte die Bedeutung des Begriffes, oder besser gesagt, der aktuelle Stand der Begriffsentwicklung festgestellt werden.
Ansatzweise hatte ich das mit meiner Sternchen-Anmerkung probiert. Einfach aus dem Bauchgefühl heraus, hier ein weitläufiges Minenfeld zu betreten. Ich bin mir jetzt aber nicht mehr sicher, ob das überhaupt nötig ist. Mal schauen.
Zunächst muss man unterscheiden zwischen Sprache (Wortwahl) und Inhalt.
Matussek würfelt diese beiden Aspekte munter durcheinander, wobei ich mich frage, was gedrechselter Satzbau mit PC (political correctness) zu tun haben könnte. Ich denke da eher an Reizwörter wie Volk*, Behinderte, Zigeuner und geschlechtsspezifische Begriffe.
Dions Frage zielt aber nicht auf die Sprache, sondern auf den Inhalt und die Aussage einer KG. Um nun meine Meinung über das (Un-)Wesen der politisch korrekten Kritik aufzuzeigen: direkt zu Dions Untertitel:
„Was ist schon kirchliche oder stalinistische Zensur von einst gegen die politisch korrekte von heute!"
Ich meine, die kirchliche und stalinistische Zensur ist/war ein Diktat von „Oben“, daher sind Quelle und Motiv leicht erkennbar. Ganz im Gegensatz zur PC , die eine Entwicklung innerhalb des Volkes ist. Ich möchte es nicht mal eine Bewegung nennen, weil nicht eindeutig feststellbar ist, wer sich überhaupt warum und wohin bewegt.
Die PC zieht vieler Leute Karren und ist deshalb bedrohlicher als z.B. kirchliche Zensur. Das Kritiker-Urteil: „Dieser Text ist nicht politisch korrekt“ kann von allen Seiten kommen und wird, obwohl durch jahrzehntelange Verwurstung sinnentleert, von einer breiten Masse ernst genommen. So entsteht ein beklemmendes Klima innerhalb der schreibenden Zunft. Dabei denke ich besonders an Redakteure, die um die Zahl ihrer Leser, sprich Umsätze fürchten. Eine Furcht, die zu seichten Artikeln, simpler Berichterstattung und zur Meidung kontroverser Themen führt. Letzteres gilt besonders für Buchverlage und - Achtung: pure Provokation und keine Kritik! - einige Kurzgeschichtenschreiber.
Im MM Video wird am Ende angedeutet, wo diese Entwicklung hinführen kann: Es gibt bald nur noch hübsche, sinnlose Bücher, die mit jungen, frechen, fröhlich sich in pubertärem Seelenschmerz suhlenden, dem aktuellen Trend frönenden und billigen Szene-Voyeurismus befriedigenden Texten daherkommen, die marktschreierisch propagiert, Andersartiges, sprich Kontroverses, den Blick Öffnendes, die Perspektive des Lesers Verschiebendes und somit Hilfreiches vom Markt drängen.
Das ist eine Entwicklung, an deren grauslichem Ende die Musikindustrie und ihre ergebenen Musikdudelsender längst angekommen sind. Entsprechend hören sich die Top-Ten an!
Man übertrage diesen Zustand mal auf den Buchmarkt, oder auf dieses Forum und frage sich: Will ich das wirklich haben?!
So gesehen ist es müßig, sich über die Bedeutung und der Herkunft der "political correctness" zu unterhalten. PC schadet der Vielfalt und Meinungsfreiheit wie jeder andere Kritik-Trend.
Was ist also zu tun, als Kritikschreibender?
Nicht viel: Nur die eigene Meinung äußern und vertreten, egal was andere schon vorher zu der Kurzgeschichte geschrieben haben.
Dann erhalten wir hier eine Vielfalt, die aus hilfreichen, nicht hilfreichen, politisch korrekten und nicht politisch korrekten, konservativen und progressiven und aggressiven, harmlosen und niedlichen, nüchternen und schwärmerischen Texten besteht.
*Ab 1946 war es für die Zeitungsschreiber nicht mehr politisch korrekt, die Deutschen als „Volk“ zu bezeichnen. Das Wort war durch den inflationären und oft herrenrassisch gefärbten Gebrauch während der Nazi zeit zu negativ aufgeladen. Man benutzt seit dem den Hilfsbegriff „Bevölkerung“, obwohl vollkommen unsinnig, da Bevölkerung, nach deutscher Semantik, keine Gruppe von Menschen sein kann, sondern einen Vorgang beschreibt.
Das diese Selbstzensur der Journalisten hilfreich war, wage ich zu bezweifeln.