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Markiert
Nach dem ersten Schnitt quoll Blut. Hässlich die Wunden beiderseits der Augen. Sie würde mich nie wieder sehen.
Doch noch war die Arbeit nicht vollendet, die Markierung war noch nicht entfernt.
Rasch trennten geschickte Finger Haut, Muskeln und Knochen.
Irgendwo in ihrem Körper hatte sie meine Mordanklage versteckt.
Weitersuchen: Schneiden, öffnen, beleuchten.
Wo hatte sie es sich machen lassen?
Kaum noch Zeit, kaum noch Kraft.
Was hatte ich erwartet? Seit der großen Entdeckung war ich nicht mehr ihr Mann gewesen, hatte meine Zeit ausschließlich mit mir verbracht.
Wenige Monate lag es erst zurück, dass die Technik Marktreife erreicht hatte, aber das Echo der Menschheit war grandios gewesen.
Mit der Anerkennung kam der Ruhm und mit ihm das Geld. Und die Frauen. Und meine Probleme mit den Frauen.
Ihre überstürzte Reise nach Osteuropa brachte die Gewissheit, unterschrieb das Todesurteil.
Jetzt hatte ich sie getötet, geöffnet und durchsucht, weil ich sicher war, dass sie mich verraten würde. Sie würde mir alles wieder wegnehmen, was ich so liebgewonnen hatte. Sie würde mich nie freigeben, ganz bestimmt nicht.
Was hatte ich also erwartet zu finden?
Eine Anklage in der Form:
„Nach 25 Jahren einfach verstoßen...“ oder „Mein Mann plant meine Ermordung...“
Das wäre alles wahr gewesen. Deswegen durfte es auch keiner finden. Aber bei einer Obduktion entging einem Arzt selten ein Knochentatoo, selbst nicht an so ungewöhnlicher Stelle. Also musste ich es finden und entfernen!
Endlich schimmerte das bläuliche Mal durch die Flut des Blutes. Zumindest ein Teil:„amor“, ein Wort das ich zwar lesen, aber nicht verstehen konnte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Die schnörkellose Schrift, der saubere Absatz, all das erinnerte an einen rumänischen Kollegen, der meine Arbeit in Lizenz übernommen hatte.
Sorgsam entfernte ich die Knochenhaut, um alles lesen zu können. Auf dem Beckenknochen hatte ich es bisher noch nie gesehen. Sehr außergewöhnlich, sehr schmerzhaft, wunderschön.
Ich begann die Markierung zu studieren und unwillkürlich füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich drehte mich um und begann zu laufen.
„Können wir die Spurensicherung hereinlassen, Herr Kommissar?“ fragte eine grüne Uniform in Richtung Obduktionstisch.
„Ja.“
„Was ist hier passiert, Doc?“ wollte Kommissar Frederik wissen.
„Nun, bei der ersten Leiche handelt es sich um Magret Mendelfaust. Sie war gestern unschuldig in einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht verwickelt worden und ist verstorben.
Der Mann, Dr. Mendelfaust, ist offenbar erstickt. Die Spuren deuten daraufhin, dass er auf den blutigen Fliesen ausgerutscht ist. Schließlich muss er unglücklich auf seinem Skalpell gelandet sein. Es steckt noch in seinem Hals.“
„Was hat die Frau da auf ihrem Becken?“
„Das ist ein Knochentatoo, eine Erfindung von Mendelfaust. Unvergänglich und sehr kostspielig. Sehr beliebt in der High Society.“
„Was steht drauf, ich kann es nicht lesen?“
„Es ist lateinisch: ’Trotz Trauer und Schmerz über die verlorenen Gemeinsamkeiten, empfinde ich nur eins für Dich: Liebe!’“
„Was für eine Tragödie“, Frederik drehte sich um und ging.
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BrOdIn-04