- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Matz' Elend
Matz’ Kopf löste sich mit einem leisen Schmatzen von den Schultern und schoss in die Höhe. Seine Nasenspitze durchschnitt den allabendlichen Nebel wie ein Schiffsbug das Wasser und Matz genoss es - wie jedes Mal.
So etwas wurde auf der Akademie nicht gelehrt. Da musste er nur irgendwelche idiotischen Formeln aufsagen und Nachttöpfe in Rosen verwandeln.
Hier draußen konnte er die Magie tatsächlich fühlen. Während alle seine Meister ihm beibringen wollten, Sprücheklopfen und Zauberbücher machten die Magie aus, erkannte der Junge, dass da mehr war. Nichts schwarzes oder weißes, gutes oder böses.
Pure Energie, die wie die Luft im Blasebalg eines Schmiedes mit der Kraft der Gedanken komprimiert und – wenn nötig – zu einem gewaltigen Orkan werden konnte.
Matzsche Gedankenkraft war im Moment eher im Stadium eines gewaltigen Furzes, deshalb lernte er geduldig die Sprüche seiner Lehrer und versuchte, nicht aufzufallen. Außerdem duldeten die eitlen Alten keine vermeintlich mächtigen Schüler, vor allem nicht in der Ersten Stufe des Wissens. Der eine oder andere übermütige Besserwisser wurde schon mal bei einem kleinen Unfall im Labor auf die eine oder andere Weise „irreversibel beschädigt“, wie es immer so schön in den Unfallberichten hieß. Die Spannweite der Beschädigungen reichte von „Verlust der Zauberhand (inklusive Zauberstab)“ über „Verlust der Muttersprache aufgrund von plötzlichem Nichtvorhandensein der Zunge“ bis zu „Vollkommener Debilität infolge der Unauffindbarkeit des Gehirns“. So oder so, die Karriere war dann jedes Mal im Eimer.
Weiter oben verflogen die letzten Nebelschwaden und Matz konnte das kleine vergitterte Fenster im obersten Teil des Hohen Turmes sehen. Zielstrebig steuerte er seinen Kopf in diese Richtung.
Im Zimmer war es dunkel wie immer. Helfende Hände erschienen zwischen den Gitterstäben, packten den Jungen am Schopf und zogen den fliegenden Schädel mit viel Gefummel hinein.
Matz hasste diese Prozedur, war aber leider noch zu schwach, um seinen gesamten Körper in diese Höhe zu hieven und sich mit Hilfe der eigenen Arme und Beine durch die Gitter zu zwängen. Daher ließ er den Rest seiner Selbst gut versteckt im Gebüsch am Fuße des Turmes zurück.
Jedes Mal hatte er Schürfungen davongetragen, meistens an seinen abstehenden Ohren.
Die Sache war es aber wert, denn er hatte sich im Geheimen mit der Tochter des Königs Knut des Ersten, auch Knut der Halbe genannt (man munkelte, daß der diesen Beinamen von der Königin selbst erhalten hatte, aus welchen Gründen auch immer), getroffen. Die Treffen erfüllten ihn mit Stolz, auch wenn er niemendem davon erzählen konnte. Der alte König hatte seine jüngere und nun einzige Tochter Convalia im Turm eingesperrt, nachdem der älteren Tochter Ihre Hochzeit nicht bekommen war – irgendwie hatte sie kurz danach fliegen lernen wollen oder so; die Flugbahn war zwar steil gewesen, nur die Richtung hatte nicht gestimmt.
Es erschien Matz unlogisch, dass Convalia deswegen in einem Turm wohnen musste, aber eine schwachsinnige königliche Entscheidung war trotzdem eine königliche Entscheidung, basta.
Eine Kerze wurde angezündet und die Dunkelheit kroch davon. Und mit ihr die Gesichtsfarbe des jungen Zauberers.
„Mamamamamamama...“
„Ist schon gut, du brauchst nicht sofort auf die Knie zu fallen“.
„...jestät?“
Halb auf dem Bett sitzend, halb liegend verfolgte Königin Lexia mit ihren Augen den panikartig im Raum umhersurrenden Schädel des Zauberlehrlings. Die Situation schien sie zu amüsieren.
Matz kam sich vor wie ein riesiges Insekt, das gleich mit einer überdimensionalen Fliegenklatsche zu Strecke gebracht wird. Er wollte sich verstecken, am besten ganz verschwinden…
„Würdest du dich bitte beruhigen? Ich weiß schon seit längerer Zeit von dir und meiner Tochter. Selbst wenn du jetzt flüchten würdest, es hätte keinen Zweck, Matz von Schiefenbogen, Zauberlehrling in der Ersten Stufe des Wissens auf der Akademie der Künste Aller Art“.
Das Surren hörte auf.
„So“, sagte Lexia, „jetzt können wir uns wohl ein wenig unterhalten. Ich werde gleich zur Sache kommen: Als Mutter will ich jeden Verehrer meines Kindes einer Prüfung unterziehen. Und als Königin muss ich schließlich auch wissen, ob er einer Prinzessin würdig ist.“
Matz seufzte laut. „U-und wie sieht die Prüfung aus?“, fragte er aus sicherer Entfernung.
„Komm doch näher. Ich mag es nicht, wenn ich meinem Gesprächspartner nicht in die Augen blicken kann.“
Na klasse. Jetzt kommt bestimmt dieser Kram mit den drei Rätseln... Wie war das noch mal? Was kann gehen und hat dennoch keine Füße?
D a m i t hätte Matz nie im Leben gerechnet. Als er in ihre Reichweite kam, packte Lexia ihn blitzschnell an den Haaren. Mit der freien Hand zog sie ihr prachtvolles Kleid weit über die Knie, stopfte mit der anderen Matz’ Kopf dazwischen und schob alles wieder an seinen Platz.
Ein kurzes „Umph“ war alles, was der Lehrling noch hervorbringen konnte. Das, was er jetzt erblickte, waren nie und nimmer die königlichen Augen.
„Die Prüfung beginnt“, sagte die Königin und lächelte.
Als er fast schon glaubte ersticken zu müssen, ließ Lexia ihn endlich frei. Er wartete noch ein paar Augenblicke, bis sich ihr Atem beruhigt hatte.
„Majeftät, wenn daf allef war…“
„Das habe ich nicht gesagt.“ Sie blickte ihn aus ihren braunen Augen an. Ihre Wangen waren noch leicht gerötet.
Eigentlich ist sie noch ganz hübsch für ihr Alter, dachte Matz. Trotzdem fühlte er sich irgendwie schuldig.
„Du sollst an das andere Ende des Blauen Waldes gehen und mir das Silberhorn besorgen. Das ist der zweite Teil der Prüfung“.
„Waf?! Unmöglif!“ Zu den Schuldgefühlen kam jetzt blanke Wut.
Der Blaue Wald hatte seinen Namen nicht etwa wegen der Farbe seiner Blätter oder Bäume bekommen, sondern weil er am Horizont mit der Weite des Himmels verschmolz und azurblau schimmerte. Und dort sollte Matz jetzt hingehen und nach dem geheimnisvollen Silberhorn suchen, von dem kein Mensch wusste, wo es sich befand, wie es aussah und vor allem wofür es eigentlich gut war? Nö.
„Wenn Ihr daf von mir verlangt, werde if dem König von unserem Tête-a… Dingsda erzählen.“ Matz konnte so langsam seine Zunge wieder spüren.
„Mach dich nicht lächerlich“, Lexia grinste ihn gar nicht königlich an. „Das zwischen uns war doch eine reine, wie soll ich sagen, Kopfbeziehung. Außerdem könnte ich meinem Gemahl von dir und Convalia erzählen. Glaube mir, wenn er das erfährt, dann ist dein hübsches Köpfchen nicht der einzige deiner Körperteile, der auf Wanderschaft gehen kann.“
„Und meine Schule?“, fragte Matz mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in seiner Stimme.
„Darum kümmere ich mich höchstpersönlich! Ich werde dir auch eine Reisebegleitung besorgen. Na? Was sagst du? Ich würde sagen: Schach-Matz!“
Die wenigen Menschen, die sich um diese Uhrzeit noch auf der Straße befanden, drehten sich verwundert um als sie einen jungen Mann sahen, der sich beim Gehen ständig mit der Hand auf die Stirn schlug und die Worte: „Idiot, du verdammter Idiot!“ wiederholte. Aber sie wussten nicht, dass er soeben das Gefühl kennen gelernt hatte, eine – wenn auch zukünftige – Schwiegermutter zu haben.
Hinzu kam, dass er am nächsten Morgen die Stadt verlassen musste und das passte ihm ganz und gar nicht.