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Meine nicht abgeschlossene Stasi Akte

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18.09.2004
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Meine nicht abgeschlossene Stasi Akte

Vorweg gesagt, es ist eine ganz und gar unwichtige Akte. Aber ich habe einen grünen Aktenordner mit dieser Aufschrift in dem ansonst total langweiligen Aktenregal stehen, der mit Lohnsteuerausgleichsordnern und eben mit aufzuhebendem Kram gefüllt ist. Wie ich zur einer Stasi Akte komme?


Ganz einfach, ich habe aus dem Internet den Fragebogen abgerufen, eingeschickt und nach geraumer Zeit kamen Kopien von Aktenblätter angeflogen, die tatsächlich von Stasi Dienstsellen erstellt waren, meinen Namen tragen und von einer Unterabteilung 10/3 stammen. Als Leiter zeichnet ein Hauptmann K. und geschrieben wurde alles von einem Korvettenkapitän M. Diese Kombination von militärischen Gradenn zu See und zu Land kann ich nun nicht erklären. Im Anschreiben der berühmten Gauckbehörde steht noch:

Sollten sie eine Veröffentlichung personenbezogener Informationen aus den Stasi Unterlagen beabsichtigen, beachten Sie bitte §32 Abs. 3 Stasi-Unterlagen Gesetz.

Deshalb vorsichtshalber das K. und M. Wahnsinnig, was so ein Internet heute leisten kann. Ist es nicht schön, einmal von der Geschichte eingeholt zu werden und darin wühlen zu können? Für diesen Satz ernte ich vielleicht Widerspruch. Aber in der Welt des Widerspruchs haben wir – wo auch immer- alle ja gelebt. Zur besseren Erklärung, in der fraglichen Zeit seit Mauer und Todesstreifen habe ich zufällig westlich der sogenannten Demarkationslinie, Zonengrenze, Staatsgrenze oder schlicht nur Grenze gewohnt. Nur nebenbei bemerkt, alle diese aufgeführten Begriffe wurden schon einmal offiziell verwendet.


Was interessant ist, es wird heute noch alles ohne Computer in diesen alten Akten gefunden. Wer wollte diese auch digitalisieren. Es ist die preußische Gründlichkeit der einst die Daten aufnehmenden Behörde, die so etwas möglich macht. Ich habe lange nachgedacht, wie die Suche mit nur einem Namen in diesem Haufen handschriftlich gefertigter Listen vorsichgehen könnte?
Die Lösung sind die Übersichtslisten. Besagte Listen weisen auf Seitenzahlen im übergeordneten Sammelordner hin. Vor den Zahlen stehen die Begriffe mit Namen, scheinbar völlig zusammenhanglos:
So gibt es z.B. eine Spalte:

Aufstellung Brandenburg, Seite x- Seite y
Aufstellung Genthin
.........
K- Vorschlag Xname
Kontrollbericht Xname
Ermittlungsergebnis Xname,
usw.


Alles steht fein aufgereiht in solchen Listen.
Unter so einem K (=Kontakt) stand handschriftlich eingetragen auch mein Namen mit den Seitenzahlen 118 -119. Einfach toll! Warum also Computer, es geht doch einfach.

Damit kommen wir den Unterlagen einen Schritt näher. Unter den Seitenzahlen sind die persönlichen Akten sofort zu finden.

Einreise in die DDR
Zweck der Reise : Besuch- Familienfeier.
Verwandtschaftsverhältnis : S-Mutter.

( ist mit Schwiegermutter zu übersetzen.)

Aber was hat nun eine S-Mutter mit einer Stasi Akte zu tun?
Natürlich nichts. Die folgende Seite gibt Aufschluss:

Kontakt –Vorschlag.

Hinweis erhalten von: Abteilung Inneres beim Rat der Stadt Brandenburg.

Diese mußte also immer an die zuständige Stasi Stelle die Einreisenden melden. Abteilung Inneres war also das verlängerte geheime Schwert gewesen.

Begründung der Kontaktaufnahme:
Als promovierter …verfügt er über eine hohe fachliche Qualifikation. Seine konkrete Tätigkeit an der ..... muss erst ermittelt werden.


Sehr leichtsinnig, gleich Vorschußlorbeeren zu verteilen, ohne die Tätigkeit zu kennen Wer sagt denn, dass der Typ nicht den ganzen Tag die Beine auf dem Schreibtisch, über völlig nutzlose Dinge nachdachte und den Play-boy dabei gelesen hatte?


Bekanntes Motiv, (stand schon wieder): muss erst ermittelt werden.

Aber den Korvettenkapitän störte nicht, dass alles erst zu ermitteln ist. Er schrieb nun eine Legende für die Kontaktaufnahme. Die Legende besitzt Ähnlichkeit mit einem bekannten Loriot-Sketch (finde ich zumindest):

(Zitat: ) Ich gebe mich als Mitarbeiter des „Zentralen Arbeitskreises für Forschung und Technik“ mit dem Sitz in Berlin aus. Eine der Aufgaben dieses Arbeitskreises ist es, für einen guten Kontakt zwischen Hoch- und Fachschule und der ortsansässigen führenden Industrie zu sorgen, um beide Forschungspotentiale zu vereinen zur Lösung gemeinsamer Aufgaben. Zum anderen sind die Anforderungen der Industrie an erforderlichen Nachwuchskader in qualitativer und quantitativer Hinsicht den Schulen darzulegen und durchzusetzen. Uns interessiert, welche Reformbestrebungen für die Ausbildungsprogramme es an den Hoch- und Fachschulen der BRD gibt (vollkommen verspätete Gegenfrage: Reformen? Welche Reformen? Alle warten immer noch darauf–, lieber Käptn-) und wie die theoretische Ausbildung mit der praktischen verbunden wird. Wir sind bereit, ihn über unsere Hochschul- und Wirtschaftspolitik zu informieren.


Der zu Beauftragende konnte jedoch nicht wissen, dass der zu Befragende an einer ' 'Hochschule Ost' sein Diplom erworben hatte. Was hätte der Befragte also erwidern sollen? Schon wieder diese Reformen, es gibt doch die einfache Bauernregel, "kräht der Hahn auf dem Mist, die Reform bleibt versteckt, wo sie ist". Lediglich promoviert hat er nicht mehr im Land der aufgehenden Sonne, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Die Akten wiesen ihn aber als einen schon immer im Westen Ansässigen aus. Offenbar herrschte auch bei der Stasi in manchen Punkten noch ein Informationsdefizit.


Der Stasibeauftragte ist jedoch nicht beim Westbesucher erschienen. Auf dieser Akte stand am unteren Rand noch der Vermerk gekritzelt. "Ermittlungsergebnis des Gastgebers negativ. Daher kein Kontakt." Die gute S-Mutter hatte dem Boten wohl die richtige Antwort gegeben oder die beiden kannten sich. Schließlich war sie im städtischen Krankenhaus als Krankenschwester sehr bekannt. Sie wollte sicherlich nicht, sich ihren Besuch vergrämen lassen. Umgekehrt betrachtet, hatte der Beauftragte sich gesagt, jeder braucht manchmal das Krankenhaus. Leider wird man nie erfahren, was die Schwester nun zu ihm gesagt hat. Damit blieb die Akte eine schlafende Stasi-Akte. Bei weiteren Besuchen in die 'Ostzone' ist dann nie ein Versuch unternommen worden, irgendwelche Fragesteller anzusetzen. Die Kontrollen an der Zonengrenze verliefen ohne Zwischenfälle, d.h. Motor- und Kofferhaube öffnen und die obligatorischen Fragen beantworten, ob man Zeitschriften,Funkgeräte oder Schußwaffen mitführen würde. ( Das Handy-Zeitalter war noch nicht angebrochen - wäre ein echtes Problem geworden!).


Doch die Akte schlief bis 1988. In diesem Jahr entstand plötzlich eine so genannte KK-Akte? Im Klartext hieß dieses:

Durch eine KK-Erfassung (Kerblochkartei) werden Personen erfasst, an denen der Staatssicherdienst wegen ihrer politischen Einstellung und zu erwartender negativer Verhaltensweise oder Handlungen Interesse hat. usw.


In zwei Jahren darf man aber erst nach diesen Akten fragen. Die Ursache für diese neue Aufzeichnung ist dem Aktenbesitzer vorderhand unbekannt. Das herbeigerufene Gespenst der Stasi wird man also nicht so schnell los.

Die ich rief, die Geister
Werd ich nun nicht los

, aber dieses Thema kann man schon bei Goethe in seinem Zauberlehrling finden.

 

Hallo vialata,

inhaltlich finde ich deine Geschichte makaberhumorig. Da hat sie mir gefallen. Stilistisch empfinde ich sie als etwas zusammengeschustert. Natürlich ist mir klar, dass es dir weniger auf einen dramaturgischen Bogen ankam. Trotzdem denke ich, er hätte sie aufwerten können. So ist es leider für mich bei aller Vorstellungskraft nur das halbe Lesevergnügen, auch wenn sehr schöne Passagen drin sind.

Einige Details noch:

Aber ich habe einen grünen Aktenordner mit dieser Aufschrift in dem ansonst total langweiligen Aktenregal jetzt stehen,
Das "jetzt" scheint mir ungünstig platziert zu sein
Der Grund bildet die preußische Gründlichkeit der einst die Daten aufnehmenden Behörde.
Diesen Satz finde unglücklich formuliert. Mit "bildet" müsste der Grund mE im Akussativ stehen, also Den, allerdings würde ich auch dan anmerken, dass der Grund eher in der preußischen Gründlichkeit liegt, nicht, dass sie ihn bildet.
Doch die eigentliche kk-Akte wurde dann 1988 erst erstellt.
rein gefühlsmäßig würde ich "erst" vor die Jahreszahl setzen.
Wer sagt denn, dass der Typ nicht den ganzen Tag die Beine auf dem Schreibtisch hatte und über völlig nutzlose Dinge nachdachte und den play-boy dabei gelesen hat?
Vorschlag: Schreibtisch hatte, über völlig ... und den Playboy dabei gelesen hat
Klingt etwas nach einem Loriot-Sketch:
diesen wertenden Satz würde ich fortlassen.
Wir sind bereit, ihn über unsere Hochschule- und Wirtschaftspolitik
Hochschul- und ... (ohne e)
Oder stand das in dem zitierten Text tatsächlich falsch? Dann muss es natürlich bleiben.
Mein Gott, der Arme konnte ja nicht wissen, .dass er den so zu Befragenden
ein einfacher Tipfehler
Aber solche Menschen landen immer in irgendwelchen Akten- wo auch immer
Das "aber" erscheint mir unplausibel, da es dem "aber" im Satz zuvor entgegenläuft. Schon von der Sprachmelodie her würde ich es weglassen.

Lieben Gruß, sim

 

Friedvolle Grüße

Ich kann mich der Kritik von Sim anschließen. Der zynisch-makabere Tonfall gefällt und ist dem Thema voll und ganz angemessen. Inhaltlich wirkt die Geschichte aber etwas unaufgeräumt, vor allem zum Ende hin, wo sich die Kommentare nicht mehr nur auf den Tonfall beschränken.

Der letzte Abschnitt enttäuscht, da hier der bissige Humor gänzlich aufgegeben wird zugunsten einer vordergründigen Anklage staatlicher Methoden. Hier würde ich es besser finden, wenn Du das zuvor geschilderte noch einmal bissig kommentierst.

Kane

 

Hallo lieber Sim und lieber Brother Kane ,

es stimmt - es ist ein wenig heruntergeraspelt. Ich war mir nicht ganz schlüssig, ob diese Thema nicht schon
zu sehr überstrapaziert ist. Doch dann sagte ich mir, warum diese Informationen im Schreibtisch lassen.

Ich habe den Schluss mit der Staatsschelte weggelassen, wie Brother Kane richtig es gesehen hat.
Den Abschreibfehler im Originaltext Hochschul- und nicht Hochschule habe ich korrigiert.
Der Stasi Text ist fehlerfrei- nur ich habe geschlammt.

Zu dem Loriot Vergleich? - ich wollte nicht die Leistung von Loriot damit herabsetzen - im Gegenteil!
Loriot hat solche politischen Sachen- auch wenn nicht mit der Stasi - schon gemacht. Ich habe da einen ganz bestimmten Sketch vor meinem geistigen Auge - also eventuell drüber weglesen.

Der Sketch ist übrigens ja noch nicht zu Ende - ich wäre sehr gespannt, diese NVA Abwehr Akte nun lesen zu können - denn irgendwie scheint mir alles wie ein Schwank zu
sein. Eine Erklärung für mich wäre, dass die unterste Erfassungsstelle beim Rat der Stadt
im blinden Übereifer irgendeinen Blödsinn für meine Begriffe nach oben gemeldet haben könnte?


LG und vielen Dank für die Hinweise
vialata

 

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