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Memento einer deutschen Liebe

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06.02.2002
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Memento einer deutschen Liebe

Ein gelblicher Kranz umringt deine Pupillen, ins Gräuliche hineinreichend. Eine Farbe, die einem das Beschreiben schwer macht, belagert vom Blau deiner Augen, die ich so sehr an dir schätze.
Meine Hand streicht durch dein dunkelblondes Haar, und unsere Lippen pressen sich in einer Mischung aus Gier und Verzweiflung aneinander. Wir lachen dem Wahnsinn ins Gesicht und zelebrieren ein letztes Mal unsere Liebe, während draußen auf den Straßen Schaufenster zerspringen und der Mob nach Vergeltung schreit.
Beethoven hat deine Finger geformt, nie werde ich das vergessen können. Mit der selben Eleganz, mit der deine Finger die Klaviersonaten des alten Meisters zum Leben erwecken, umspielst du meine Brust, und die aufkeimende Wärme vertreibt die Kälte der Zeit in mir.
Du flüsterst es mir ins Ohr, und mir läuft es kalt über den Rücken.
„Ich liebe dich“, sagst du, und es liegt eine Spur von Melancholie darin, die ich aus deinen Blicken kenne.

Man kann Erinnerungen nicht töten.
An diesem bleischweren Abend habe ich nicht gewusst, dass es ein Abschied werden sollte. Oft denke ich darüber nach, ob du es wusstest. Wir saßen mit umschlungenen Händen auf der Kante des frisch bezogenen Bettes, schlossen die Augen und ließen uns nach hinten fallen.
In diesem Moment wünschte ich, die alte Standuhr möge stehen bleiben.
Doch die Bettfedern gaben geräuschvoll nach, fingen uns auf, und es schlug zwölf Uhr.
Irgendwann fielen wir schließlich in die Dunkelheit. Noch während ich schlief, hast du mich verlassen, bist nach Hause gefahren. Hast einen Brief geschrieben, wie sie mir dann später ins Gesicht lachten. Einen Brief für mich, den ich niemals lesen werde.
In deiner Wohnung angekommen, ließest du einen alten französischen Geist aus der Flasche. Du nahmst ihn damals mit in die Heimat, hast ihn aber niemals angebrochen. Ich kannte die Geschichte dieses alten Cognacs genauso wie die Geschichte des Wahnsinns an der Marne.
Eines Herbstabends hast du sie mir erzählt. Sie handelte von deinem schweren Armeerevolver und Franzosen in deinem Graben.
Nur zu genau um seine Stärke wissend, hast du dein Glas ausgetrunken und ihn dir an die Schläfe gesetzt.

Als ich es erfuhr, fühlte ich mich verraten, zurückgelassen, rannte schreiend umher und stieß in wildem Wahn die Standuhr zu Boden. Das Holz zerbarst und winzige Zahnräder tanzten zu meinen Füßen.
Nur wenig später standen sie vor der Türe, trugen Hüte und Trenchcoat und den Schrecken ihres Amtes vor sich her.

Hier im Lager bist du ganz weit unten, Max, ganz weit unten als Homosexueller. Doch ich habe dir vergeben, empfinde keine Wut mehr über deine Flucht.
Über die Jahre hinweg habe ich verlernt, die Tage zu zählen, aber sie haben mich nicht brechen können. Sie wissen, dass sich das Ende ankündigt, und das bestärkt noch einmal ihren Wahn. Schon seit Stunden hallen Schüsse über den Hof. Ich werde aufrecht stehen, Max, dich wiedersehen und dir vergeben, denn ich weiß um die Gnade des Todes.

 

Hallo Paranova,

Ich bin beeindruckt, sogar sehr beeindruckt. Die Liebe kann man nicht töten, nicht einmal wenn mann es selbst versucht. Sie lässt sichin Lager einsperren, aber sie bleibt immer noch Liebe.
Du beschreibst diese Liebe vor dem Hintergrund schwärzester Zeiten, die um die Kraft der Liebe wissen und sie deshalb wahnhaft verfolgen und auszurotten versuchen. Du findest wundervolle Bilder und trotz der Kürze der Geschcihte liebevolle Details wie die Standuhr. Diese Geschichte wird lange nachhängen, da bin ich sicher.
Ein grammatikalischer Lapsus ist dir unterlaufen.

Wir lachen den Wahnsinn ins Gesicht und zelebrieren ein letztes Mal unsere Liebe, während draußen auf den Straßen Schaufenster zerspringen und der Mob nach Vergeltung schreit.
dem Wahnsinn

Liebe Grüße, sim

 

Vielen Dank, sim.
Ich war mir unsicher, ob die Geschichte funktioniert und bin dir deshalb für deine Antwort doppelt dankbar.
...para

 

Hmmm... sehr knapp, schon fast skizzenhaft - aber es berührt was in mir. Vielleicht gerade, weil es so reduziert ist. Weil die Gefühle isoliert werden, quasi scharf gestellt vor einem Hintergrund, der nun wirklich keiner großartigen Erläuterung mehr bedarf. Insofern gewissermaßen "kurz und schmerzhaft" - ein interessanter Kiesel, aus einem großen reißenden Fluß verrinnender Zeit gefischt. Fast lakonisch erzählt. Also, mir hat es jedenfalls gefallen. :)

 

Hallo Paranova,
harter Text, kurz und schmerzhaft, wie Horni sagt, trifft es ganz gut, finde ich. Schließe mich der Meinung meiner Vorkritiker an. Ein kurzer Text, der einen trifft, Atmosphäre aufbaut und einen schlucken lässt...
Kompliment, Andrea

 

hallo para. beim ersten lesen wollte ich mich den vorkritikern anschliessen und dich volle pulle loben. für die intensität und die schönheit der aussage.

nach dem zweiten lesen will ich dich auch loben, aber ich muss beanstanden, dass deine geschichte schon fast zu intensiv ist. ich habe das gefühl du hast da alles reingepackt was nur ging. für meine begriffe zu viel des guten.

 

Hi Papanova,
beim ersten Lesen hat mich der Text völlig im Griff gehabt. Beim zweiten Mal war der Eindruck noch stärker, bekam jedoch einen Beigeschmack. Es war wie im Fünfsterne-Restaurant. Die Vorspeise ist serviert, der erste Bissen versetzt dich in eine andere Welt. Dann, mit und mit, schmeckst du die Zutaten und Gewürze immer intensiver.
Die Kürze Deiner Geschichte verhindert aber das Gefühl einer zu mächtigen Mahlzeit. Mit dem 'letzten Happen' stellt sich Vorfreude auf das Kommende ein.

Gruß
Jadro

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo erstmal.
Ich danke euch für eure Antworten.
Ihr - insbesondere sim, Horni und Harkhov - habt mich ein wenig nachdenken lassen, und dafür bin ich euch besonders dankbar.
Übrigens, Jadro, habe ich nicht den Anspruch, ein "papanova" zu sein. Das wäre zuviel des Guten, nenn mich ruhig para.

Im Moment frage ich mich, ob das einhellige Lob auch davon kommen könnte, weil ich vier "Dinge" verwendet habe:

Erstens wäre da der Hintergrund des nationalsozialistischen Regimes.

Zweitens frage ich mich, ob man als Kritiker nicht davor zurückschreckt, eine Auseinandersetzung über diesen Text zu führen. Da er halt zu einem guten Teil auf einer ehemals verfolgten Minderheit basiert, welche heuzutage medial umkuschelt wird:
Nehmen wir mal diese marktschreierische Toleranz, die den Daily Soaps den Quotenschwulen bescherte, zum Beispiel.
Ist Kritik an Homosexualität heute noch gesellschaftlich vertretbar? Und, falls nicht, schadet das dem kritischen Blick auf meinen Text?
"Erstens" und "Zweitens" stehen möglicherweise gar im Schatten des DSS, des "Deutschen Schuldsyndroms".

Drittens könnte es sein, dass der Leser sich diese Art von Happy End, dieses kitschige (?) Triumphieren von großen Gefühlen (man denkt an Liebe, nicht an Trotz, Würde oder sonstwas) zu sehr angewöhnt hat, bestätigt aufseufzt.

Viertens und abschließend kommt zu diesen Punkten hinzu, dass ich die Geschichte wohl mit einer gewissen Wortgewalt präsentiere.
Wäre sie sprachlich schlecht, würden vielleicht die ersten drei Punkte weniger wirken, da man seine Kritik hauptsächlich auf die sprachliche Ausführung stützen könnte.

Unsicher bin ich mir im Text bei:

Ich liebe dich“, sagst du, und es liegt eine Spur von Melancholie darin, die ich aus deinen Blicken kenne.
"Blicke" könnte zu oberflächig sein.
Andererseits habe ich für den Text kein besseres Wort gefunden, und die Beziehung an sich, ergibt sich aus dem Kontext ja, ist nicht oberflächig. Oder?

Sollte ein Selbstmordmotiv im Text auftauchen oder wäre das Bevormundung des Lesers?

Das Holz zerbarst und winzige Zahnrädchen tanzten zu meinen Füßen.
Ist die Verniedlichungsform "Zahnrädchen" passend?

Dem Ende, der Intention (s.o.)

Liebe Grüße,
...para

 

winzige zahnrädchen

rädchen= winziges rad.

winziges rädchen= winziges winziges rad.

notwendig? nein.

 

Hallo Paranova,

mir geht es eigentlich gerade andersherum. Gerade weil sich dein Text mit Nationalsozialismus und Homosexuellenverfolgung beschäftigt, wäre ich durchaus zu einer schlechten Kritik in der Lage, wenn ich sie denn für angebracht hielte. Wäre es reines Gutmenschentum, politisch korrekt aber oohne Bindung zu den Menschen, hätte isch sicher protestiert. Eine weitere Bedienung des DSS hätte mir Bauchschmerzen verursacht. Nein, die Geschichte hätte sicherlich auch vor dem Hintergrund einer anderen Diktatur funktioniert, die Menschen unterdrückt, oder vor den Hintergrund einer deutsch-jüdischen heterosexuellen Liebe.
Der Selbstmord als Bild war in dieser Geschichte wichtig, denn sschon zu seiner Liebe zu stehen kam eben oft einem Selbstmord gleich, auch wenn dein Prot ihn hier mit der Pistole ausführt. Insofern finde ich, dass der Suizid als solches in dieser Geschichte auch nicht weiter motiverklärt stattfinden sollte.
Die Zahnräder einer Standuhr kann man gerade im Verhältnis zu ihrer Größe zu der der Uhr durchaus als winzig bezeichnen.
Dein Drittens mag bei mir gewirkt haben, auch, wenn ich dein Ende nciht als reines Happy End sehe. Immerhin ist einer der Liebenden tot. Bei dem anderen ist es unklar, ob die im Hof hörbaren Schüsse auch ihn als Ziel erreichen werden.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Para!

Insgeasamt war die Geschichte sehr nett, hier mein Kritikpunkte:

belagert vom Blau deiner Augen, die ich so sehr an dir schätze.
"schätze" ist hier meiner Meinung nach zu schwach, ich würde entweder ein stärkeres Verb nehmen oder mit "fehlen" schon hier auf den Tod verweisen.

Ansonsten gefällt mir die Geschichte ganz gut, auch wenn die Story mir nicht wirklich neu vorkommt.
Schön wäre es, wenn du noch etwas hineinbringen würdest, was die beiden verbindet, so wie sim in "Verrat" den Hund... Diese Liebesszene ist meiner Meinung nach zu abstrakt, also zu körperlich bezogen, es wäre schöner, wenn sich auch geistige verbundenheit zeigen würde. (Zum beispiel ein gemeinsames Schachspiel, wo der Typ, der sich ermordet nicht mehr weiterzieht und das dann aufgebaut gelassen wird).

Außerdem finde ich, dass die erzählperspektive nicht gut gewählt ist. Solch eine Geschichte sollte meiner Meinung nach aus der dritten Person erzählt werden. So kommt es einem so vor, als erzählte der Protagonist einem das alles am Gartenzaun als kurzge Zusammenfassung der Geschehnisse und von Gefühlen. Das wirkt lächerlich, weil es sich um sehr intime Gefühle handelt.

Insgesamt aber eine sehr schöne Geschichte.
Gruß,
Popla

 

Hi Para,

da spitze ich mal unvermutet in Deine kleine Ecke hinein und werde gleich von geballter rhetorischer Wut, interessanten Themen, 'großen' Gefühlen ( ergo ausgeprägt, net nur Liebe ), und einer wohlgeführten Diskussion überrumpelt. Geht das bei Euch in Gesellschaft immer so zivilisiert daher ;D?
Da muß ich jetzt auch noch meinen Senf hinzugeben.

Themenwahl
Da mir trotz aller homosexuellen medienpräsenz immernoch nur sehr vereinzelt gute, ehrliche Texte über schwule/lesbische Liebe über den Weg laufen +

Die meisten Texte die in der NS-Zeit spielen sind entweder an den Haaren herbeigezogene Horrorstorys, Lanzergeschichten, oder so übertrieben mit dem moralischen Zeigefinger geschrieben, daß aller künstlerischer Ausdruck im Keim erstick ist.
Bei Dir nicht. +

Du rückst den Menschen in den Mittelpunkt. Dafür immer ein +

Sprache/Aufbau
Die Mischung aus Verluststimmung, ungemein starker adjektivischer Rückendeckung, Anspielungen auf Zeit und Vergänglichkeit, feine Kunst, mehrfacher Tod ( Mord am Franzosen, Selbstmord, Krieg im allgemeinen, Hinrichtungen der Mitgefangenen und drohender (eben nur drohender!) Tod des Protagonisten, wirkt mir der Text auf dieser bescheidenen Kürze auch wagnerisch völlig überladen! Zumal Du das alles noch in nur vier(!) kurze Erzählabschnitten zwängst.
Ein sehr, sehr sauber durchdachter, konzipierter, oft überarbeiter, zeitaufwendiger, handwerklich fast perfekter Text. Beispielhaft für junge Autoren, weil Du wirklich von fast allem etwas untergebracht hast, nur Du selbst fehlst mir ein bißchen. Meiner Meinung nach - Geschmäcker sind verschieden - solltest Du dem Text mehr Luft zum Atmen geben, in dem Du z.B. die einzelnen Bilder ein wenig länger beschreibst, dem Leser Zeit läßt die jeweilige Stimmung in sich aufzunehmen, ohne ihn weiter zu treiben. Insgesamt,

zu klassisch, zu durchdacht -

technisch ausgereift +

Sonstiges

@Popla, ich glaube, daß jeder Hund, oder jegliches, künstlich Hinzugefügtes das Bild zerkratzen würden.
Zur Liebe braucht es lediglich zwei Menschen und das stellt Para, meines Erachtens nach, vorallem durch Körperlichkeit heraus. Außerdem glaube ich, daß es ungleich viel schwieriger ist in der dritten Person Nähe zu erzeugen ( von der dieser Text lebt ), als in der ersten. Und am Gartenzaun würde heißen, ohne Anspruch, platt, dahingesülzt. Ich denke das ist dieser Text ganz und gar nicht.

Lieben Gruß,
Leif2

PS: Du solltest Dir vielleicht nochmal die ersten beiden Sätze vornehem, sind außerordentlich dick aufgetragen ;)

 

Tach!

Da schau ich doch noch mal rein...

@Para:

Ich glaub, ich versteh dich nicht ganz - ist dir meine Kritik zu positiv? :susp:

Um auf ganz kurz auf die Aspekte zu kommen, die du ansprachst:

Für mich persönlich gibt es sowas wie eine "Homosexuellen-Problematik" (oder wie auch immer man das nennen will...) nicht wirklich. Deshalb hab ich das auch in keinster Weise thematisiert. Weil es da eigentlich nicht viel zu thematisieren gibt. Und ich war dankbar, dass die Geschichte es ebenfalls mit einer gewissen Selbstverständlichkeit tut. Oder hab ich das nur überlesen, dass du eine große Sache draus machst?

Es geht ja primär um zwei Menschen, die sich lieben und aufgrund von Umständen, auf die keiner von beiden Einfluß hat, nimmt diese Liebe ein tragisches Ende, einer bleibt zurück.

Der Hintergund NS-Regime ist genau das: Hintergund. Eine historische Leinwand, die den Grund für das tragische Ende liefert. Wärest du ein Russe, wären es evtl. die stalinistischen Säeberungen gewesen. In Rumänien das Caucescu-Regime. usw. Manchmal bedient man sich eben solcher Elemente, ohne dass alles gleich politisch werden muss. Und da die Geschichte nun mal von einer deutschen Liebe handelt, ist es eben deutsche Historie. So seh ich das zumindest.

Wenn du natürlich anderes im Sinn hattest, dann...äh... hab ich es wohl schlicht überlesen. :shy:

Denn im Grunde sind diese Dinge alle mehr oder weniger an mir vorbei gegangen. Ich hab mich von den emotionalen Aspekten ansprechen lassen - der Rest ist für mich nur ein verschwommenes Dingsbums, das irgendwie dazugehört.

 
Zuletzt bearbeitet:

Super, Leute, vielen, vielen Dank für eure sehr intensive Beschäftigung mit dem Text!
:thumbsup:
Das braucht mehr Zeit und Denkleistung, als ich heute abend zur Verfügung habe, deshalb werde ich in den nächsten Tagen noch mal Stellung beziehen, versprochen. Hoffe, das ist in Ordnung für euch.
...para

 

So,
viele Grüße aus Leipzig!

Fangen wir mal von vorne an:
sim und Horni,
vielen Dank für eure Rückantworten.
Mir war es wichtig, noch genauer zu erfahren, was man sich als Leser zu den von mir angesprochenen Aspekten denkt.
Horni, eine "große Sache" sollte aus dem Aspekt der Homosexualität nicht gemacht werden, aber es war durchaus eine geplante Pointe.
Natürlich ist der emotionale der Hauptaspekt.
Wenn dir der Rahmen als "verschwommenes Dingsbums" vorkommt, ist das dein gutes Recht, aber ich hoffe, es ist wenigstens durchdachtes Dingsbums. Ein gutes Bild bleibt zwar auch gut, wenn es einen schlecht gezimmerten Rahmen hat; das gilt für Prosa meines Erachtens nach auch, aber mich würde es bei einem Text vielleicht stärker stören.
:bla: :)

Hallo popla,
deine Kritik ist voll berechtigt, auch wenn ich den Gartenzaunvergleich ein wenig übertrieben finde.
Wie Leif2 gesagt hat, ohne Verwendung der ersten Person wäre zu viel Atmosphäre verloren gegangen.
Zudem ist ja klar, dass der Text keine historische Quelle ist, sondern etwas künstliches.
Natürlich stößt man bei dieser Erzählperspektive an seine Grenzen, verwendet man keinen authentischen Stil, d.h., schreibt man gekünstelt.

"schätze" ist wahrscheinlich wirklich das falsche Wort, da muss mal schaun.

Noch ein Nebenmotiv (neben z.B. der Standuhr) einzubauen, würde den Text wohl zerreißen, er ist ja schon ziemlich beladen.
Außerdem kam es mir auf Verdichtung an: Wie viel kannst du wie ausdrücken, auf einer knappen A4- Seite?
ich habe sims "Verrat" auch gelesen. Er hat einen anderen Ansatz gewählt, erzählt ja auch ausführlicher.
die Idee das Schachspieles ist aber trotzdem gut
:)

Guten Abend, Leif2,
deine "Positivliste" (über die ich mich sehr gefreut habe) lasse ich mal unkommentiert, und widme mich den angesprochenen Schwachstellen:
"wagnerisch überladen": sicherlich, du zählst es ja eindrucksvoll auf, was alles in den Text passen musste.
Das ist ein Problem des Themas und der gewählten Verdichtung (ich wollte keinen längeren oder gar epischen Text schreiben), natürlich, aber lieber so rum als auf mehreren Seiten fast nichts zu sagen, oder?
Apropos Wagner: höre ich gerne, aber beim Schreiben dieses Textes habe ich lieber Mahlers Zweite, die "Wiederauferstehung" gehört.
:wein:

Natürlich habe ich viele Adjektive gewählt, das ist eine Macke von mir. Solange ich dem Leser nichts übermäßig vorgebe, halte ich das aber für legitim.

Sollte ich bei den ersten beiden Sätzen zu "außerordentlich dick aufgetragen" haben - nun, dann hat das immerhin den Vorteil, dass der Leser
den schlimmsten Schwulst gleich am Anfang überstanden hat...
:D

Zu klassisch und durchdacht: popla meinte ja auch, dass eine große Diskrepanz zwischen Erzählperspektive und stil herrscht. Es ging halt nicht anders, denke ich. Selbes Argument wie bei popla: Der Text ist ja ein künstliches Gebilde, nichts anderes.
:bla: :)


Ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend,
...para

 

Hallo Paranova,
auch wenn die Geschichte schon etwas älter ist, gebe ich mal meinen bescheidenen Senf dazu. Ich gebe ihn dazu, weil ich diese Geschichte absolut Klasse finde. Sie ist einfühlsam, ich finde sie spannend, d.h. man liest und ist auf den nächsten Satz schon gespannt und das Thema finde ich absolut Klasse. Was mir noch gefällt, sie ist kurz und doch sagt sie viel. So solte eine Kurzgeschichte eigentlich sein, finde ich.
glg
carrie

 

Hallo carrie,
über deine Antwort freue ich mich gleich aus zweierlei Hinsicht.
Erstens ob des Lobes.
Aber zweitens auch, weil mich seit letzter Woche der Film "Der Untergang" ziemlich bewegt. Deshalb habe ich ihn auch mit dieser Geschichte verglichen und mich gefragt, ob sie noch Bestand hat.
Liebe Grüße,
...para

 

Hallo Paranova
Gestolpert bin ich über den Begriff
-eine deutsche Liebe-
Also schaute ich einmal hinein. Ich bin eben etwas sensitiv was nach –national- klingt.

Die Kombination Homosexualität und Nationalsozialismus – wirklich eine gewagte Sache – komplett überrascht.
Von der ersten Sache verstehe ich zu wenig, bei der zweiten schon mehr. Die vorgetragenen Reflexionen sind gekonnt vorgetragen. angehen. Plötzlich bemerke ich, dass sehr wenig bekannt ist, wie das Lagerleben von jenen, die einen rosa Winkel, trugen aussah.
Ich habe im persönlichen Gespräch noch einige Alltagsgeschichten von jenen, die einen roten Winkel trugen, aus Buchenwald mitbekommen. Es war in einem Lungentuberkulose Sanatorium nach dem Krieg( ich, der Zuhörer war damals Oberschüler), nie erzählten sie etwas über die rosa Winkel. Dein Satz - hier stehen wir ganz weit unten- hat mich aufgeweckt. Es trifft den Kern, denn die grüne, violette und die rote Winkel tragenden Häftlinge hatten es in dieser Hölle sicherlich etwas besser? Die von den Schwarzgestiefelten fein ausgetüffelte Farfabstufung wies den Grad der auszuübenden Diskriminierung aus.
Literatur über die rosa Winkel in diesen Lagern? – ich kenne keine. Deine Geschichte mahnt, diesen Schleier des Vergessens nicht einfach so zu belassen wie er gerade ist. Aber ich glaube, es leben keine authentischen Zeugen mehr- und Überlebende haben nach dem Krieg wahrscheinlich geschwiegen.

Nachdenkliche Grüsse
vialata

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo vialata,
ich habe einige Schwierigkeiten damit, auf deine Stellungnahme direkt (und für jeden einsehbar) zu reagieren. Will es aber, auch wenn es mich einige Anläufe gekostet hat- Ich versuche, mich möglichst ehrlich als auch verständlich auszudrücken. Zuerst einmal möchte ich mich für deine Stellungnahme bedanken.
Du solltest vielleicht wissen, dass ich während des ersten Lesens deiner Antwort erschrocken bin: Als du erwähntest, du wärest Zeitzeuge. Denn ich fürchte plötzlich, einen Fehler aufgrund mangelnder Recherche, Leichtfertigkeit begangen zu haben.
Die Geschichte ist für mich Verdichtung, Vermischung von nicht selbst Erlebtem, daher Unfassbaren - im Wortsinne. Mahnung, bezüglich katalogisierenden Denkens.
Durch deine Antwort wird sie vielleicht geerdet. Das hört sich möglicherweise sehr geschwafelt an. Ich wollte das nur sagen. Ich muss deine Antwort überschlafen.
Mit freundlichen Grüßen,
...para

Nachtrag:
Rechtfertigt der Zweck die Mittel?
Habe ich durch die Einbindung einer möglicherweise klischeehaften Liebesbeziehung in den Text das Elend Anderer künsterisch beschönert, überhöht? Und wenn ja, ist es ethisch vertretbar, nicht im Sinne von Zeitgeistethik, sondern im Sinne von langfristigen, dauerhaften, relativ unbeeinflussbaren moralischen Werten?

Nachtrag als Moderator:
Wenn sich die Fragen wie eine Aufforderung zur Diskussion anhören sollten: Ich bin mir recht sicher, dass dieses Forum nicht der geeignete Rahmen dafür ist.

 

Hallo Kristin,
danke für deine Kritik! Schade, dass du bemängelst, die Geschichte würde zu stark auf die Pointe zulaufen. Ich mag offentsichtliche Pointengeschichten auch gar nicht. Ignoriere deshalb zumeist auch vor dem Lesen einer Geschichte die Kritiken der anderen, denn es ist ziemlich ätzend, bereits die Pointe vor dem Lesen zu wissen.

Andererseits liegt ergibt sich hier ein schwieriges Problem: der Text ist bewusst möglichst kurz gehalten- viel mehr passt einfach nicht mehr rein, auf eine knappe Textseite. Angesichts der Verdichtung ist es schwierig, den Text offener zu gestalten, mehrere Wendepunkte einzubauen oder ähnliches. Es bleibt auch nicht viel Platz für die Entwicklung der Protagonisten oder für die Darlegung ihrer Gefühlswelten und Ansichten, das muss zum Großteil im Dunkeln bleiben bzw. der Phantasie des Lesers überlassen - so abgedroschen das klingt. Es gibt nur Wegmarken.
Wo du zum Beispiel diesen Punkt anführst: Warum sollte ich unbedingt einen Grund für den Selbstmord des Protagonisten vorsetzen? Ist sein Verhalten wirklich unnachvollziehbar, angesichts der gesellschaftlichen ( historischen, normativen...) Hintergründe der späten 30er Jahre?
Mit dem Brief verhält es sich ähnlich - weiß der Erzähler genau, ob es ihn gibt, oder zitiert er nur? Weiß er genau, wie er zustande kam, oder erwähnt er nur den Revolver und den Cognac, zwei Punkte, zwischen denen vieles möglich ist?

Kurzum: Die von dir bemängelten Punkte ergeben sich aus dem Ansatz der starken Verdichtung des Textes. Er soll und kann nicht episch schildern und erzählen.

Soviel zuerstmal zu deiner Kritik, ich brauch noch ein bisserl Zeit für die von dir zitierten Textstellen.

 

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