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Miri
Dies ist die Geschichte von Miri. Miri war eine Wolke. Eine recht kleine zwar noch, aber schön weiß und flauschig.
Miri liebte das Leben als Wolke. Sie konnte die ganze Zeit gemütlich mit ihren unzähligen Verwandten über den Himmel streifen und dabei die kleinen Punkte auf der Erde beobachten. Manchmal, aber wirklich nur manchmal, ärgerte Miri diese Punkte auch ein bisschen. Wenn sie nämlich vor der Sonne war, konnte man diese unten auf der Erde nicht mehr sehen und das mochten die Punkte überhaupt nicht.
Von der Sonne wurde auch immer schön Miris Rücken gewärmt. Und hatte sie einmal genug davon, konnte Miri sich einfach ein Stück hinunter lassen und die Punkte gleich noch besser beobachten. Obwohl die Punkte dann meistens gar keine Punkte mehr, sondern richtig groß waren. Ihre Mutter hatte ihr einmal erklärt, dass man sie Menschen nannte. Aber Miri war es eigentlich egal, wie sie hießen. Hauptsache sie konnte ihnen zuschauen, denn das fand sie einfach toll.
Doch eines Tages musste Miri eine Erfahrung machen, die sie gar nicht so toll fand. Sie hatte ja eigentlich geglaubt, dass es an dem Leben einer Wolke nichts auszusetzen gab, doch da hatte sie eben noch nicht alles gewusst. Denn obwohl sie damals noch so klein war, wurde sie immer größer und ihr mussten wohl oder übel die Pflichten einer Wolke erklärt werden. Ja, auch Wolken müssen lernen.
An diesem einen Tag kam also ihre Mutter zu ihr und sagte langsam und ruhig: „Miri, meine kleine Wolke, ich muss dir etwas sagen, das dich wahrscheinlich nicht sehr glücklich machen wird.“
„Was ist denn?“ fragte Miri besorgt.
„Nun, es gibt eine Aufgabe, die jede Wolke zu erfüllen hat, eine Aufgabe wegen der wir hier überhaupt am Himmel sind. Und auch du wirst diese Aufgabe erfüllen müssen“, antwortete ihre Mutter.
„Was ist das denn für eine Aufgabe?“ Miri war nicht ganz wohl bei der Sache. Etwas sagte ihr, dass sie diese Aufgabe wirklich nicht mochte.
„Miri“, sagte ihre Mutter immer noch langsam und sanft, „du musst regnen.“
Erschrocken wich Miri zurück. Regnen? Davon hatte sie schon gehört und das gefiel ihr gar nicht. Regnen bedeutete, dass sie Tropfen, sehr viele Tropfen, auf die Erde fallen lassen musste, aber das mochten die Menschen doch noch weniger, als wenn Miri ihnen die Sonne verdeckte. Sie wollte sie doch nicht so stark ärgern, sie hatte diese Punkte doch lieb.
Sie versuchte das zu erklären, aber ihre Mutter wollte es nicht einsehen. „Du bist eine Wolke, Miri. Du musst tun, was eine Wolke tun muss“, war ihre einzige Antwort.
„Am besten fangen wir gleich mit dem Üben an“, sagte plötzlich eine Stimme hinter Miri. Es war ihr Onkel, doch heute war er gar nicht so weiß wie sonst. Er hatte sich eigenartig dunkel gefärbt.
Als Miri sich umsah, entdecke sie, dass sich fast ihre ganze Familie um sie versammelt hatte, alle so dunkel wie ihr Onkel. Erstarrt musste Miri mit ansehen, wie sie alle näher kamen, direkt auf sie zu. Immer näher und näher kamen sie, immer mehr und mehr wurde sie zusammengedrückt. Miri wurde ganz schwindlig. Sie wusste nicht was hier passiert. Sie wollte das nicht!
Von allen Seiten riefen ihr ihre Verwandten zu, sie solle sich ein bisschen mehr Mühe geben. Mit ein wenig mehr Anstrengung würde es funktionieren, sagten sie.
Miri nahm all ihre Kraft zusammen. Sie machte sich immer kleiner, drückte sich, wo immer sie sich zusammendrücken konnte und umgeben von Jubelrufen – schwebte sie nach oben, über ihre Familie hinweg, und ließ die Sonne wieder auf die Erde strahlen. Miris Verwandten waren sichtlich enttäuscht von ihr.
„Was hast du dir bloß dabei gedacht“, schimpfte sie ihr Vater.
Miri war immer noch etwas verwirrt. Drei kleine Tränen tropften hinunter auf die Erde. Sie wusste nicht, was genau gerade passiert war, aber sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte…
Das alles ist vor langer Zeit passiert. Ob Miri inzwischen geregnet hat? Du kannst ja einmal auf den Himmel schauen vielleicht kannst du sie entdecken. Und wenn du sie einmal beim Regnen erwischt, dann sei ihr nicht böse. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht gern getan hat.