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Monotonie

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16.08.2003
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Monotonie

Piep. Die Gefriertruhe steht weit unter der vertrauten Erde, am Ende eines langen, schmalen Ganges. Sie gibt ohrenbetäubende, schrille Töne von sich. Eine monotone Roboterstimme sagt: „Die Truhe...“ Piep. Piep. Identische schrille Laute, immer wieder. Dann mach sie doch zu. Die Stimme sagt: „Reich mir mal das Eis“. Automatisch fassen meine lahmen Greifer nach den gelben Päckchen. Piep. Piep. Die Toilette neben der Gefriertruhe. Der Deckel hochgeklappt. Ein Bündel nasser, brauner Handtücher schimmelt auf dem kalten Boden. Piep. Piep. Durch das kleine Fenster dringt kein Licht. Existiert die Sonne oder ist sie nur Illusion, bloße Erinnerung? „Schalt das Licht ein“, knarrt die Stimme. Vier Silben in derselben Höhe, ohne Variation. Die träge Hand tastet zum Schalter. Piep. Piep. Das grelle Licht der Neonröhre fällt auf die Gefriertruhe, die Handtücher, die Toilette, die Stimme und mich, ohne etwas zu erhellen. Das Fenster ist vergittert. Ich kann nicht sehen, ob die Sonne existiert. Nicht, dass es einen Unterschied machen würde. Piep. Piep. „Liebst Du mich“, fragt die Stimme zwischen zwei Tönen. Kann man eine Stimme lieben? Ja, natürlich. Es gibt weder eine Wahlmöglichkeit, noch eine Alternative. Brauner Pullover, braune Hose, braunes Lächeln, braune Reste in der geöffneten Toilette. Dicke Staubschicht auf der Truhe. Die Heizung seit Jahren nicht mehr angestellt. Piep. Piep. Gänsehaut. Natürlich. Natürlich liebe ich die Gefriertruhe, die Handtücher, die Toilette, die Stimme. Mich nicht. Piep.

 

:hmm: bin schon wieder :confused:
Irgendwie schreibst Du für mich immer in Kreuzworträtseln :)

Love
Baphometha

 

Hallo Juschi,

ein Text über die Vereinsamung, die Langeweile, und die Beziehung zu Dingen wie einer Tiefkühltruhe aus Vereinsamung.
Das sichwiederholende Piep Piep nimmt dem Text für mein Gefühl ein bisschen die Traurigkeit. Aber das ist sicherlich Geschmacksache. Mich hat es etwas genervt, aber Monotonie ist ja auch nervend.
Die Geschichte ist kurz und gut. Das trockene mich nicht sagt alles notwendige über deinen Protagonisten. Das ist gelungen.
Ein paar Vorschläge und Hinweise kann ich mir trotzdem nicht verkneifen. ;)

Eine monotone Roboterstimme sagt: „Das Signal, dass sie zu lange geöffnet ist.“
Ist das an dieser Stelle tatsächlich der wörtliche Text, den die Truhe verwendet?
Die Stimme sagt: „Gib mir mal das Eis an“.
Mit dem an komme ich hier nicht klar. Möchte die Stimme Angaben über die Stärke des Eis haben oder möchte sie Eis ausgehändigt bekommen?
Ein Bündel nasser brauner Handtücher schimmeln auf dem kalten Boden neben der Truhe.
schimmelt

Liebe Grüße, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo sim,

danke für´s Lob und für´s Lesen meiner Geschichten. Deine Anregungen fand ich sehr hilfreich.

Anregungen zwei und drei haben direkt Eingang in die Geschichte gefunden. Zu Deinem ersten Hinweis: Hm, vielleicht ist das von mir etwas irritierend ausgedrückt. Die Erklärung stammt nicht von der Truhe, sondern der zweiten anwesenden Person. Aber Deine Auslegung finde ich interessant.

Noch zwei Sachen: die nervende Wirkung des "piep" ist tatsächlich beabsichtigt, da es in der Situation genauso auf den prot gewirkt hat. Und der Schluß gefällt mir übrigens auch am besten.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi!

Find ich stark, wie Du die Monotonie zu zweit hier beschreibst. Die Monotonie kommt so gut rüber, daß man doch wirklich glatt die Stimme der Gefriertruhe zurechnen möchte... :D Aber ich denke, es kommt vor allem auch durch die Bezeichnung "Roboterstimme" - die rechnet man einfach eher einer Maschine zu. Aber auch die Aussage selbst tut das Ihre zu dieser Verwechslung: "Das Signal, dass sie zu lange geöffnet ist" - jemand, der in so einer Hoffnungslosigkeit dahinvegetiert, würde wohl nicht so viel Energie aufwenden, den Satz so zu formulieren. Ein einfaches, kurzes "Die Truhe ..." würde meiner Meinung nach vollkommen reichen und realistischer wirken.

Ansonsten finde ich die Geschichte gelungen, und den Schluß ganz besonders. :)

Ach ja, hier würd ich ein Fragezeichen machen:
„Liebst Du mich?“, fragt die Stimme

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,
etwas verspätet meine Reaktion, dennoch: vielen Dank für´s Lesen, für die Anregungen und natürlich für Dein Lob.
Deine Idee, den Satz "Das Signal, dass sie zu lange geöffnet ist" auszutauschen, fand ich sehr gut und habe ich übernommen.
Zu Deinem Vorschlag in Bezug auf das Fragezeichen: ich finde, dass ohne das Fragezeichen die Eintönigkeit auch dieser Frage deutlicher wird und habe den Punkt deshalb beibehalten.
Danke nochmal & liebe Grüße,
Juschi

 

Hallo Marius,

als erstes Mal ein herzliches Dankeschön fürs Ausgraben dieser alten Geschichte und deinen Kommentar :)

Und nun versuche ich mal, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Ich glaube, du hast einfach viel mehr hinter der Geschichte vermutet, als ich eigentlich ausdrücken wollte. Es geht darum, dass ein Paar sich im Keller befindet, um Eis aus der Gefriertruhe zu holen. Das ist das einzige, was de Fakto passiert.
Ausgehend von der Situation im Keller (Kälte, Dunkelheit, nerviges Gepiepe der Gefriertruhe...) wollte ich dem Leser verdeutlichen, dass es Paralellen zu der Beziehung der beiden gibt - eintönig, ohne Wärme, etc. Dies erkennt der Ich-Erzähler auch, lehnt sich aber nicht gegen diese Monotonie auf sondern ergibt sich sozusagen ihrem Schicksal: "Was auch sonst, es gibt keine Alternative." In Bezug auf die "Greifer" - hierdurch wollte ich einfach die Distanz der Erzählerin zu ihrem Leben, ihrem Körper, deutlich machen.

Du hast natürlich Recht, dieser Text muss wohl allein schon aufgrund seiner Kürze Fragen offen lassen. Ich hoffe, dass er jetzt für dich klarer ist.

Liebe Grüße
Juschi

 

Eine Geschichte von Dir, die mir einmal nicht gefällt? Offensichtlich. Und zwar einzig deshalb, weil es sich nicht erschließt, nicht aus dem Text erschließen läßt. Der Text weckte Assoziationen in mir; wie ist das unterirdische Leben nach dem dritten Weltkrieg? Oder: unterirdisch eingekerkert, das Licht der Sonne niemals wiedersehen? Die andere Stimme habe ich eher aus einem Lautsprecher vermutet. Oder aus einer Maschine, was sich zwar nicht mit dem "reichen" fügte, aber das Bild blieb. Vielleicht ist das ja auch gar nicht so schlecht. Vielleicht lassen sich langjährige Beziehungen ja auf diese Vergleiche bringen. Gut, Scherz am Rande. Vielleicht willst Du alles so, wie es sich präsentiert.

 

Hallo Claus,

bald hast du alle durch :D Danke für´s Lesen und Kommentieren.
Ach, ist das schön - 6 Leser (die sich auch zu Wort gemeldet haben), dreien erschließt sich die Geschichte ohne Erklärung, dreien nicht. Find ich gut.

Vielleicht willst Du alles so, wie es sich präsentiert.
Natürlich ist die Geschichte etwas kryptisch und deutet allein aufgrund ihrer Kürze vieles nur an. Insofern hast du Recht, denn das ist natürlich von mir gewollt.
Wenn sie Assoziationen in dir geweckt hat, ist das schön - sie sind ja natürlich nicht falsch, nur weil es nicht die sind die ich im Kopf hatte ;)

Liebe Grüße
Juschi

 

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