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Monsieurs Pakete

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03.08.2002
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Monsieurs Pakete

Als es an der Tür schellte, saß Mark am Küchentisch und hatte eine Tasse frisch gekochten, starken Kaffee vor sich. Obwohl er längst damit gerechnet hatte, dass es bald klingeln würde, zuckte er unwillkürlich zusammen und gelangte dabei mit dem Unterarm an die Tasse, die daraufhin umkippte und ihren dunkelbraunen Inhalt über den Tisch ergoss. Mark störte sich nicht daran. Kein Fluch entfuhr seinen Lippen, wie es sonst bei kleinen Missgeschicken der Fall war. Stattdessen starrte er aus dem Fenster. Doch eigentlich war es die Leere, die seine Augen gefangen hielt.
Es schellte zum zweiten Mal. Mark gelang es, sich aus seiner Lethargie zu befreien. Unsicher erhob er sich und durchschritt barfuß die Küche. Seine Beine fühlten sich schwach an. Jeden Moment musste er ins Taumeln geraten und stürzen, kam es ihm in den Sinn. Ungeachtet dessen, setzte er einen Fuß vor den anderen ohne die Kälte, die die Fließen wiedergaben, wirklich wahrzunehmen.
Es schellte ein drittes und kurz darauf ein viertes Mal, als würde der Besucher langsam die Gedult verlieren.
"Sofort," sagte Mark und war sich noch nicht einmal sicher, ob das Wort seinen Mund laut genug verlassen hatte, um ins Ohr des Jungen zu dringen. So elend fühlte er sich. Doch der Junge musste ihn gehört haben; die Klingel ertönte kein weiteres Mal.
Mark kam vor der Tür zum Stehen. Nur ein alter Morgenmantel bedeckte seinen schmächtigen Körper, und der Rest Haare, den ihm seine Gene noch gönnten, lag verschwitz in einem Kranz auf seiner Kopfhaut. Die Wangen und das Kinn zierten ungepflegte Bartstoppeln von unterschiedlicher Länge. Doch das alles kümmerte ihn einen Dreck. Mit zittriger Hand ergriff er die Türklinge.
Es ist das letzte Mal...
Der Gedanke erschreckte ihn und ließ ihn für einen Augenblick mitten in der Bewegung verharren.
Das letzte Mal, das allerletzte...
Zumindest diese Tatsache war gewiss. Mark konnte nur nicht mit Gewissheit sagen, ob er sich über die wegfallende Last freuen, oder aus Angst vor dem letzten Mal, das sicherlich etwas Gewaltiges sein würde, zittern sollte. Er drückte den Griff hinunter und zog die Tür zur Hälfte auf.
Ein ungeduldiges Gesicht erwartete ihn. Es war das Gesicht, dem er fünf Mal in den letzten zwölf Monaten gegenübergestanden war.
"Hast du mir etwas zu überbringen?", fragte Mark und kam sich zugleich dümmlich vor; natürlich hatte der morgendliche Störenfried etwas zu überbringen - wie jedesmal.
Der Junge antwortete nicht, sondern streckte ihm stattdessen entgegen, was er in den Händen hielt. Ein würfelförmiges Packet, aus brauner Pappe. Weder Adressat noch Empfänger waren darauf notiert. Marks Augen weiteten sich. Wie zuvor zum Fenster hin, starrte er nun das kleine Quadrat in den Händen des vierzehnjährigen Raufboldes (denn nichts anderes war der Junge, der ihn so freundlich anlächelte, wenn er mit den kleinen Präsenten an der Türe stand; Mark hatte einiges über ihn in Erfahrung gebracht) an. Zeit verging und Mark wandte seinen Blick erst ab, als der Junge, Thomas mit Namen, ein leises Räuspern ausstieß.
"Ich habe noch einiges zu tun und wäre...", weiter kam der Bote nicht, denn Mark unterbrach ihn barsch.
"Schon gut, schon gut! Du hast dein Geld bekommen und möchtest dich nun schnell wieder nach Hause verpissen. Um dir billige Pornos an deinem PC anzuschauen, nehme ich an!"
Der Junge erwiderte nichts. Er kannte Marks Art, und fühlte sich durch seine Worte nicht im geringsten verletzt. Nur ein verschmitztes Lächeln wanderte auf seine Lippen.
"So ist es, obwohl ich glaube, dass sie mit billigen Pornos mehr Erfahrung haben als ich."
Mark spürte, dass das Spiel, dass sie jedesmal zu spielen pflegten seit sie notgedrungen Bekanntschaft mit einander gemacht hatten, wieder beginnen würde. Das wollte er um alles in der Welt vermeiden. Nicht an diesem Morgen, nicht nach dieser beschissenen Nacht, in der er sich von einer Seite seines Bettes auf die andere gewälzt hatte, nur um festzustellen, dass auch die neue Lage seines Körpers nicht beim Einschlafen half.
Deshalb tat er das erste, was ihm in den Sinn kam. Seine Arme schnellten nach vorne und entrissen dem Bastard das Päckchen. Er warf es hinter sich in die Wohnung ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass diesmal der Inhalt zerbrechlich sein könnte, und hatte schon die Hand an der Tür, um sie mit Wucht zuzuschlagen, als sich die Augen des Jungen plötzlich weiteten.
"Nein! Nein, warten sie!", rief er aufgeregt.
Mark hielt in der Bewegung inne. Er betrachtete den Jungen intensiv und las Furcht in dessen Gesicht.
"Weshalb?", fragte er.
"Ich habe ihnen noch etwas zu sagen."
Mark lächelte abfällig.
"So, du hast mir also noch etwas zu sagen? Dann schieß los, Bastard, und vergeude nicht meine Zeit!" Er hatte mit einem verbalen Gegenangriff des Jungen gerechnet, dem seine Lehrer aufgrund seines losen Mundwerks wohl ewig im Gedächtnis behalten würden. Es folgte keiner. Stattdessen sprach er ernst und Nervosität schwang in seiner Stimme mit.
"Monsieur hat mir gesagt, dass es wichtig für sie wäre, und dass ich auf keinen Fall auslassen soll, es ihnen zu erzählen."
Auslassen soll, dachte Mark und schmunzelte über das gehobene Vokabular, das wohl noch nie zuvor den Mund des Bengels verlassen hatte. Zweifellos musste er es vom Monsieur aufgeschnappt haben.
"Das hier", er deutete mit einer Kopfbewegung auf das Päckchen hinter Mark. "Das wird das letzte sein, das sie bekommen werden. Es ist vorbei, sie werden nie wieder etwas vom Monsieur hören. Er wird sich nie wieder bei ihnen melden. Er hat gesagt, dass der Inhalt des Päckchens sie nicht erfreuen wird, dass es aber von äußerster Wichtigkeit sei, zu tun, was man ihnen aufgetragen hat."
...wird das letzte sein...
"War das alles?", wollte Mark wissen. Der Junge nickte.
"Monsieur hat gesagt, dass sie alles weitere in dem Packet finden werden." Er wartete auf eine Reaktion des Mannes ihm gegenüber, als keine erfolgte, drehte er sich langsam um, und stieg dann die Treppe hinunter, die ihn zur Haustür bringen würde.

Eine Zigarette klemmte zwischen seinen Fingern, als er wieder am Küchentisch Platz genommen hatte. Vor ihm das Päckchen, so klein und unscheinbar und dennoch von unschätzbarem Wert. Mark betrachtete es, brachte aber den Mut, es zu öffnen, nicht auf. Der große Zeiger der Uhr, über ihm an der Wand, kroch weiter und weiter. Es waren Minuten, in denen er nur betrachtete und abundzu an seinen Zigaretten zog, wobei er den Rauch lange in sich behielt und nur langsam wieder ausströmen ließ. Außerhalb seines Fensters begann das hektische Stadtleben langsam zu erwachen. Wie ein Gegenpol zu Marks Lethargie trönten die Motoren der Autos, die innerhalb von zwanzig Minuten die Straße vor seinem Haus wieder als Hoheitsgebiet erklärt hatten. Im Gegensatz zu den meisten Sonntagmorgenden, die er in dieser Wohnung in einem belebten Düsseldorfer Stadtteil mitgemacht hatte, ließ ihm das am heutigen völlig kalt. Seine Gedanken drehten sich einzig und allein um das Päckchen vor ihm und um all jenem, das damit im Zusammenhang stand. Und so geriet er, ohne dass es ihm wirkich aufgefallen wäre, ein gutes Stück zurück in die Vergangenheit. Nämlich in die Anfangstage seiner Kindheit. Zu den ersten Metern seines Lebenwegs, an die er sich noch erinnern konnte.
Es waren keine schönen Bilder, die ihn in Empfang nahmen. Viel mehr Bilder der Einsamkeit und der Demütigung.
Es hatte zu früh begonnen, um ihm eine schöne Kindheit zu gewähren. Seine Eltern hatten ihn früh wissen lassen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Doch das hatte er selbst gewusst. Die Art, wie er dachte und das Verhalten, das daraus folgte, war anders, als er es bei Gleichaltrigen wahrnahm. Dies hatte ihn unweigerlich zum Aussenseiter gemacht. In den Pausen stand er alleine in einer Ecke des Schulhofs, möglichst weit von den kreischenden und raufenden Klassenkameraden entfernt. Es war nicht so, dass er sie zu fürchten hatte, nein, keiner legte in der Schulzeit je Hand an ihn, nicht einmal die aggressivsten und zurückgebliebensten Schläger. Keiner dieser Kerle gab dies natürlich zu, doch geschah es, weil sie ihn fürchteten. Der Junge war nicht von massiger Statur und besaß auch keine älteren Freunde, die wie eine wachende Hand, alle Anfeindungen hätten von ihm vernhalten können.
Doch besaß er etwas in seiner Ausstrahlungen, das den Schlägern Furcht einflöste. Nicht mehr, als eine kleine Nuance war anders, als bei den üblichen seiner Sorte. Hätte man nach der Benennung dieses Andersseins gefragt, hätte keiner eine Antwort daruf geben können. Mark selber allerdings wusste darum und konnte es sehr wohl beim Namen nennen: Das Talent.
Eine sehr allgemein gefasste Deutung, aber keinesfalls unzutreffend, sollte er im Erwachsenenalter darüber denken. Dieses Talent besaß er, seitdem er gelernt hatte, nicht mehr in die Windeln zu scheißen. Das heißt, wahrscheinlich war es schon von Geburt an ein Teil seines Ichs gewesen, doch dieser Zeitraum war der früheste, an den er sich erinnern konnte. Als Erwachsener nannte er es ein Mysterium, etwas Unergründliches, doch in seiner Kindheit war es nicht mehr, als eine Selbstverständlichkeit gewesen, auch wenn seinen Mitmenschen diese Gabe zu fehlen schien.
Dieses Talent erlaubte es ihm, das Böse in einem Menschen zu sehen. Eigentlich war es kein richtiges Sehen, auch wenn er es als solches bezeichnete, sondern ein Fühlen. Er nahm es war, traf es vielleicht am besten. Er nahm die böse Aura eines Menschen wahr. Doch das allein hätte natürlich wenig gegen die angestauten Aggressionen und Fäuste eines großgewachsenen Zwölfjährigen geholfen. Wenn nicht der zweite Teil seines Talentes darin bestanden hätte, eben jenen Menschen, deren Aura überwiegend Böses aufwies, Schmerzen zuzufügen. Eine ungeheuerliche Macht, von der viele Menschen träumen mochten, doch war sie gleichzeitig eine schwere Last in den 40 Jahren seines
bisherigen Lebens gewesen.
Das erste Erlebnis, an das er sich in diesem Zusammenhang erinnern konnte, war, wie er seiner älteren Schwester Kopfschmerzen zugefügt hatte. Es war keine bewusste, geplante Aktion gewesen, viel mehr etwas, das aus dem Untergrund seines Geistes gewachsen war. Es waren die Hassgefühle und die Erbarmungslosigkeit, die sie gegenüber ihrer Großmutter offenbart hatte. Damals war er vielleicht acht gewesen, sie vier Jahre älter. Es war auf jeden Fall kurz vor dem Tod seiner Großmutter gewesen, zu einem Zeitpunkt, an dem dieser der Krebs bereits nicht mehr erlaubt hatte, das Bett zu verlassen. Sie lebten gemeinsam im Haus der Großmutter, wo die Familie der alten Dame nur noch ein einziges Zimmer überlassen hatte, in dem sie ihr tristes Dasein führen durfte. In diesem Zimmer hatte Hildegart in ihrem Bett gelegen, hatte vor Schmerzen kaum sprechen können und hatte ihre Enkelin gebeten, ihr eine Episode aus der Bibel vorzulesen, ihrem bevorzugten Werk, was, so vermutete Mark, ihr Hoffnung im Angesicht des Todes vermittelt hatte. Höflich war die alte Frau an diesem Abend gewesen, wie immer. Doch Andrea, so der Name seiner Schwester, die mittlerweile verheiratet mit einem wohlhabenden Arzt ein luxuriöses Leben am Stahnberger See führte, war wütend über diese Bitte gewesen. Die Vorstellung, viel Zeit im Besein der nach Krankheit riechenden, hilflosen Alten verbringen zu müssen, hatte sie angewidert. Sie hatte die Bibel vom Nachttisch der Großmutter genommen und sie in einem Anfall von tiefherzigen Hass auf den Oberkörper der Großmutter geschmissen. Vor plötzlichem Schmerz hatte diese aufgestöhnt. Andrea war daraufhin aus dem Zimmer gerannt und hatte die Türe zugeknallt. Der alten Frau waren Tränen in die Augen geschossen und die seelische Wunde hatte sie stundenlang weinen lassen.
Das alles hatte Mark sehen können, obwohl er es nicht miterlebt hatte. In der Nacht war er in das Zimmer seiner Schwester geschlichen und hatte minutenlang auf der Türschwelle verharrt, um seine Schwester zu vergiften.
Es hatte nicht lange gedauert, und dieses Drecksstück hatte sich im Bett gerekelt. Er hatte die Intension verstärkt, ihr dank seines Talents mächtigere Kräfte übermittelt. Aus dem Rekeln war ein wildes hin und her an Bewegungen geworden, bald schon ein heftiges Zucken. Mark hatte sich an ihrem Elend ergötzt und sich erst entfernt, als er sicher gewesen war, dass sie aufwachen würde.
Wieder in der Sicherheit seines Zimmers hatte er sie dann schreien hören. Die ganze Nacht, waren ihre Eltern daraufhin damit beschäftigt gewesen, sich um ihre Tochter zu kümmern. Später, als das Mädchen nach Kopfschmerztabletten und anderen schmerzstillenden Mittelchen aus der Hausapotheke immer noch nicht mit dem Winseln und Weinen aufgehört hatte, waren sie zum Notarzt gefahren, der allerdings weder den Grund für die Kopfschmerzen herausfinden, noch etwas dagegen tun konnte. Erst am Morgen war alles wieder so gewesen, wie es hätte sein sollen.
Das Talent brachte ihm mächtige Vorteile, doch ebenso Nachteile, welche den Vorteilen in nichts nachstanden. So plagten ihn Visionen von Verbrechen, die ihn viele Nächte seines Lebens gekostet und aus ihm einen verbitterten Einzelgänger gemacht hatten, der sich von Menschen fern hielt, wenn es sich nicht anders machen ließ, da er ihre Bosheit kannte und bald schon seine ganze Rasse als widerwärtig einstufte. Dinge wie Freundschaft kannte er nur aus Romanen, Liebe nur aus den Erzählungen, die er mitangehört hatte, wenn er beispielsweise an der Bushaltestelle gewartet hatte.
Das Talent führte auch dazu, dass er ein verdammt schlechter Schüler geworden war, der seine Laufbahn noch nicht einmal mit einem Hauptschulabschluss krönen konnte. Das Lernen war ihm unwichtig erschienen, im Vergleich mit den schrecklichen Dingen in seinem Kopf, die ihn ständig zwangen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Der weitere Verlauf seines Weges war schon früh absehbar gewesen: Eine Ausbildung wurde frühzeitig abgebrochen, danach folgte die Arbeitslosigkeit, nur unterbrochen durch kurzfristige Hilfsarbeiterjobs. Nun war er dreiundvierzig und die Wohnung, in der er lebte, wurde vom Sozialamt finanziert.
Der einzige Lichtblick in seinem aus Leiden bestehenden Leben war Janin. Sie, die lebensfrohe Karrierefrau, hatte sich in ihn verliebt, nachdem sie sich in der U-Bahn über den Weg gelaufen waren. Es war eine kurze Begegnung gewesen, doch anders als sonst, hatte Mark sich nicht gescheut, auf eine Einladung ihrerseits einzugehen, nachdem sie ihn keck gefragt hatte. Sie waren ein paar geworden, einundhalb Jahre war das nun her und er liebte sie noch immer, wie am ersten Tag.
Nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, wie es sein würde, Liebe zu empfinden. Keine Frau hatte sein Herz entflammt, ebensowenig ein Mann. Bis sie in sein Leben trat.

Das Telefon läutete und riss ihn aus seinen Erinnerungen. Ein Weckruf, der ihn zurück in das, nicht weniger unangenehme, Hierundjetzt versetzte. Es war Janins Stimme, die ihn mit freundlichen Worten aus dem Hörer empfing.
"Morgen, mein Schatz", sagte sie.
"Hi, Janin. Du bist schon auf, ist etwas Besonderes?" Mark kannte ihre Gewohnheit, an den Wochenenden bis in den Nachmittag hinein auszuschlafen.
"Nein", sagte sie.
"Du hörst dich aber ganz danach an."
"Nein, es gibt nichts Ausergewöhnliches. Ich wollte nur fragen, ob ich nachher bei dir vorbei kommen kann. Wir könnten am Nachmittag ins Kino gehen und danach noch zum Italiener, oder so. Und vorher könnten wir es in deinem Bett treiben. Ich bin fast wahnsinnig vor Lust und meine Muschi fühlt sich etwas vernachlässigt. Na wie klingt das?"
Er hasste ihre obszöne Sprache, die sie häufig an den Tag legte, und die ihn ein ums andere Mal an die Schwelle des Ausrastens gebracht hatte. Den meisten Männern hätte sowas zweifellos gefallen, überlegte er oft. Doch bei ihm war es anders: Er empfand es als widerwertig.
"Hör' zu", sagte Mark, bemüht zu klingen, als fände er dieses Angebot äußerst verlockend.
"Mir geht es nicht so gut und..."
"Wieder diese schrecklichen Magenschmerzen?", fuhr sie dazwischen.
"Ja, diese verdammten Magenschmerzen!"
"Du solltest endlich zum Arzt gehen, Schatz. Es könnte was Schlimmes sein, vielleicht Krebs."
"Das werde ich tun", versichterte Mark. "Gleich morgen Vormittag werde ich Dr. Kollner aufsuchen."
Er konnte es nicht ausstehen zu lügen. Er hasste es, sie zu belügen. Aber er sah keine Chance, aus dieser Situation anders rauszukommen.
"Also wird nichts aus..."
Diesmal war er es, der ihr ins Wort fiel: "Nein, heute wird nichts aus unserem Treffen, so leid es mir tut. Deine Muschi muss auf Zuwendung noch eine Weile warten, fürchte ich." Die Bemerkung mit der Muschi war als kleiner, netter Scherz gedacht, der Janin etwas aufmuntern und gleichzeitig zeigen sollte, dass er wirklich bedauerte. Es kam aber nicht als ein solcher an. Er hörte nicht das erwartete Kichern vom anderen Ende der Leitung. Kein erlösendes, ehrliches Auflachen, das sein Gewissen auf abstruse Weise erleichtert hätte. Was folgte war Schweigen.
"Na gut", sagte sie schließlich und ließ einen enttäuschten Seufzer folgen. "Ruf mich Morgen an, ja? Und erzähl' mir, was der Arzt gesagt hat!"
"Ok, werd' ich tun."
Sie legte auf. Das Leerzeichen kündete vom Ende ihres Gesprächs, und Mark ließ bedrückt den Telefonhörer auf die Gabel sinken.

Seit dreiundhalb Jahren bekam er, in unregelmäßigen Abständen, Packete vom Monsieur geschickt.
Und immer war es ein Junge, der sie brachte, und immer geschah dies an einem Sonntagmorgen. Der Junge, der sie die erste Zeit geliefert hatte, hatte Mark erzählt, dass er einen Anruf von einem Mann, der sich als Monsieur ausgab, bekommen habe. Demnach würde er einige Male ein Packet vor der Haustür finden, was er noch am selben Morgen zu Marks Adresse bringen sollte. Dafür, so habe der Mann versprochen, würde er am Morgen darauf einen Umschlag mit 200 Euro unter seinem Fenster finden. Dieses Angebot habe er zwar nicht ernst genommen, so der Junge weiter, aber als das erste Packet an einem Sonntagmorgen eingeroffen war, habe er getan, was von ihm verlangt worden war, und habe tatsächlich den Lohn erhalten.
Der Inhalt der Packete war stets gleich: Ein persönlicher Gegenstand eines Menschen, den Mark nicht kannte, und ein Zettel auf dem Adresse und der Zeitpunkt, an dem Mark handeln sollte, angegeben waren. Marks Aufgabe bestand darin, den Menschen zu töten. Durch den Gegenstand kam er ihm näher, beschwor die Bilder der Tat, die dieser begehen würde herrauf. Grausame Taten, die Mark dazu bewogen, den Auftrag zu erfüllen. Er konnte nach dem Anfassen des Gegenstandes in dem Packet gar nicht anders, als zu töten. Solch barbarische Greuel sah er dann, dass es ihm den Verstand gekostet hätte, sie geschehen zu lassen. Siebzehn Packete waren eingetroffen, das heutige stellte das Achtzehnte dar. Achtzehn Menschen hatte er umgebracht, anfangs durch seine Gabe, indem er sich seinen Opfern gegenübergestellt und ihnen durch seine Kraft die Organe hatte versagen lassen. Das letzte Mal aber, hatte er mit einem Messer getötet, weil er es hatte besonders grausam machen wollen.
Warum der seltsame Monsieur ausgerechnet ihn dazu auserwählt hatte, diese schrecklichen Menschen umzubringen, und wer dieser überhaupt war, hatte er in all der Zeit nicht in Erfahrung bringen können.
Nur ein einziges Mal hatte er Monsieur persönlich gegenüber gestanden. Es war wie ein dummer Scherz, dass er selbst damals, vor knapp drei Jahren, nicht das Gesicht des Mannes gesehen hatte, der sein Leben auf so entscheidente Weise verändert hatte.
Dass er auf Monsieur gestoßen war, war reiner Zufall gewesen. Es war ein Sonntagabend gewesen. Am Morgen hatte er erneut ein Packet zugestellt bekommen. Und wie am heutigen Tag, war er auch damals stundenlang in der Küche gesessen, war auf und ab gegangen, als er zum Fenster gekommen war, und dort einen auffälligen Wagen gesehen hatte, der auf der anderen Straßenseite geparkt hatte. In der Dunkelheit hatte er nur Konturen des Gefährts erkennen können, keine Marke. Seine Vernunft hätte ihm gesagt, dass dies das Auto eines Anwohners war, hätte er ihr Gehör geschenkt. Doch auf sie hatte er in dieser Nacht geschissen; Intuition war das Zauberwort, und die hatte förmlich aufgeschrien. Mark hatte wie ein Blitz seine Wohnung verlassen und war nur mit Socken an den Füßen auf die Straße getreten. Als er die andere Seite erreicht hatte, hatte er mit Schrecken das Geräusch eines angehenden Motors vernommen. Das schwarze Gefährt (ohne Nummerschildern und ohne Zeichen eines Autoherstellers) hatte sich wenige Meter neben ihm zum Losfahren bereitgemacht. Mark war gerannt, als ginge es um sein Leben. Sein Lohn: Er bekam den Unterarm, aus dem offenen Fenster gelehnt, des Mannes auf dem Beifahrersitz zu Gesicht. Er besaß die Hand eines alten Mannes, die von deutlich hervorstehenden blauen Adern durchzogen war. Am Zeigefinger hatte ein silberner Ring gesessen, mit einer Gravierung, die für Mark aber nicht zu lesen gewesen war. Der Arm war vom Stoff eines Jacketts umhüllt. Vergoldete Manschettenknöpfe verrieten Wohlstand.
Das war alles gewesen, und doch war sich Mark ganz sicher, dass es sich dabei um den Monsieur gehandelt hatte.

Er nahm das Küchenmesser, um das Klebeband, das das Päckchen verschloss, zu durchdrennen. Er brauchte nicht einmal zu sägen; als er die Spitze hineingerammt hatte, fuhr er am Streifen entlang und spaltete ihn so entzwei. Nun musste er nur noch die beiden Pappseiten aufklappen und der Inhalt und damit das letzte große Rätsel würde preisgegeben werden. Doch er zögerte, wie er zuvor gezögert hatte, als das Klingeln des Jungen ihn aufgefordert hatte, dem unausweichlichen Schicksal wortwörtlich die Türe zu öffnen.
Marks Finger hatten schon die Pappe berührt, als er seine Hand zurückzog und sie stattdessen zur Marlboro-Schachtel langte, die hinter dem Päckchen auf dem Tisch lag. Mit zittrigen Fingern gelang es ihm, eine der Kippen aus der Schachtel zu fischen und sie sich zwischen die Lippen zu stecken.
Das Feuerzeug anzubekommen stellte sich allerdings als schwieriger heraus: Er drehte solange an dem Rädchen, bis sein Daumen schmerzte, doch es wollte keine Flamme erscheinen.
"Verdammte Scheiße!", fluchte er und warf das Feuerzeug gegen die Fensterscheibe, die darauf hin ein ein dumpfes Geräusch von sich gab.
Die nächsten zehn Minuten verbrachte Mark mit dem Suchen einer Streichholzschachtel, von der er glaubte, sie vor einiger Zeit in irgendeiner Ecke seiner Wohnung gesehen zu haben. Er fand sie schließlich unter dem Sofa. Als er davor knieend, es hervorzog, entstand ein Bild in seinem Kopf. Wie eine Vision brach es über ihn herein. So unerwartet, dass es ihm den Atem raubte.
Er sah einen Raum voller Blut. Zwei bis zur Unkenntlichkeit geschundene Körper lagen halb übereinander auf dem Boden, umgeben von einer Lache aus Blut, die den halben Raum bedeckte. Mark wusste um die Identität der Körper: Zwei Mädchen waren es gewesen. Geschwister kaum älter als zehn. Hanna und Julia mit Namen. Unschuldig hatten sie zu Lebzeiten drein geblickt, Meister im Täuschen ihrer Umgebung. Immer gut gelaunt, immer brav gegenüber Autoritäten, immer gute Noten...
Mark hatte in ihr wahres Ich geblickt, und es hatte ihn fast den Verstand gekostet. Monsieur hatte ihm dieses wahre Ich offen gelegt. Eine Barbie-Puppe und eine Kasette, mit Kuschelliedern damals aktueller Popbands, waren der Inhalt des Packetes gewesen, das bei Mark eines Novembermorgens eingetroffen war. Denn diese Gegenstände hatten ihm gezeigt, dass die Schwestern später ihre Ehemänner und Kinder umbringen würden.
Keine Gnade hatte er wallten lassen. Monsieur hatte ihm Zeit und Ort genannt. Als Mark zu dem großen Haus, in einem der reicheren Viertel Frankfurts, am späten Abend eingetroffen war, war alles so gewesen, wie der Brief, der im Packet beigelegen hatte, verlautet hatte: Keine Eltern, die Haustür offen gelassen. Die Mädchen waren im Wohnzimmer gewesen und hatten Karten gespielt, als er hereingestürmt war, bewaffnet mit einem Küchenmesser. Ein kurzer Aufschrei und die 40cm Klinge hatte sich in die Brust einer von ihnen gebohrt. Es war zu einem Schlachtfest ausgeartet. Mark hatte etliche Male auf die jungen Körper eingestochen, stets im Bewusstsein, der Menschheit einen Dienst zu erweisen.
Die Bilder quälten ihn. Er war unfähig wahrzuhaben, dass er in der Lage gewesen war, so etwas zu tun. Und trotzdem war er froh darüber, sogar stolz darauf. Es war das einzig Richtige gewesen.
Nachdem die Bilder verblassten und er sich einigermaßen erholt hatte, war das erste, was er tat, sich eine Zigarette anzuzünden.
Rauchend setzte er sich an den Küchentisch und öffnete, ohne es weiter aufzuschieben, das Packet. Er schaute hinein und ein neuer Schock ergriff ihn. Ein metallener Gegenstand empfing ihn, den er nur zu gut kannte. Es war der Lippenstift seiner Geliebten. Viele Male hatte er gesehen, wie sie mit ihm über den Mund gefahren war. Einen Moment lang konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Es war, als wäre sein Hirn gelähmt. Nachdem dieser Zustand überwunden war, war das einzige, das Mark durch den Kopf ging, die drei Worte: Nein, nicht sie!
Immer wieder dieser eine Satz. Er konnte es nicht fassen. Die Liebe seines Lebens, die einzige Liebe, die er je verspürt hatte, sollte das Böse in sich tragen? Ein Irrtum musste vorliegen! Sein Talent hatte geschwiegen, ein sicheres Zeichen...
Oder war er es etwa, der versagt hatte?
Sein Blick fiel auf den Zettel, der unter dem Lippenstift am Boden des Packets lag. In sauberer, bestens bekannter Schrift stand dort geschrieben:

Mark, ich weiß, dass es sie schockieren wird, und sie können sich gar nicht vorstellen, wie leid sie mir tun, doch jetzt müssen sie Stärke beweißen, wie sie es zuvor noch nie getan haben, und von der sie vielleicht annehmen, sie besäßen sie nicht.
Nein, Mark, sie besitzen sie!
Dies ist ihr letzter Auftrag, dies ist das letzte Mal, dass ich mich bei ihnen melde. Hiernach wird ihre Pflicht erfüllt sein und sie werden nie wieder etwas von mir hören. Ich möchte mich bei ihnen bedanken, sie haben uns und der gesamten Menschheit einen großen Dienst erwiesen. Wir werden sie ewig in Erinnerung behalten und ihrer Taten bis zu unserem Tode gedenken!
In Hochachtung
Monsieur

Nachdem er zu ende gelesen hatte, erschien ein Bild in seinem Kopf, das ihm zeigte, wie seine große Liebe in der Küche einer kirchlichen Organisation stand und Chemikalien in die Suppe kippte, von der fast hundert Obdachlose trinken würden.

Sein Zeigefinger tippte die nötigen Ziffern am Telefon ein. Ein irres Lächeln zierte seine Lippen und er war froh, dass er sich nicht so sehen musste. Unweigerlich würde sein Gesicht, das eines Wahnsinnigen sein.
Das Läuten begann. Bei jedem Signalton spürte er sein Herz härter in der Brust hämmern. Er wartete und fuhr sich dabei mit der freien Hand immer wieder durchs verschwitzte Haar.
Verdammte Nutte, dachte er. Hast mich solange täuschen können, doch das ist jetzt vorbei. Und er schwor sich, mit seinem Werk nicht eher aufzuhören, bevor sie nicht zur Unkenntlichkeit entstellt war.
Je länger die Leitung am anderen Ende stumm blieb, desto größer wurde seine Wut. Wie hatte sie ihn so täuschen können? Vor allem das war es, was ihn so rasend machte. Sein Talent hatte versagt, ihn feige im Stich gelassen, bei einer Sache, die so bedeutend für ihn war.
Meine Güte, ich habe dieser Frau mein Herz geschenkt, dachte er und das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand. Stattdessen erschien die Fratze eines Dämons.
"Janin Muhlner", meldete sich endlich eine Stimme.
"Hi, Schatz. Ich bin's! Heute Abend um sechs Uhr, wenn 's dir recht ist!"
"Aber dein Magen... ich dachte..."
"Hat sich erledigt. Es geht mir gut. Sechs Uhr?"
"Ja, okay, aber..."
"Bis dann!" Er legte auf, bevor sie noch etwas erwidern konnte.

Es war erst gegen Mittag und somit hatte Mark allerlei Zeit auszufüllen, bis das große - das letzte - Zusammentreffen mit seiner einzigen und nun ehemaligen Liebe stattfinden würde. Er überlegte, was er tun solle, kam aber zu dem Entschluss, dass keinerlei Vorbereitungen von Nöten waren. Das war schlecht. Denn eine Vorbereitung hätte alle Konzentration für sich in Anspruch genommen und es seinen Gedanken nicht ermöglicht, sich immer wieder damit zu beschäftigen, wie es hatte kommen können, dass diese Hure ihn getäuscht hatte. Nach einiger Zeit, so befürchtete er, würde sich diese Wut legen und etwas weit schlimmerem platz machen: Der Liebe.
Und das brachte ihm zu einer weiteren Frage: War es ihm überhaupt möglich, Janin auf so grausame Weise, wie es von ihm verlangt wurde, zu töten? Konnte er seine Gefühle unterdrücken (denn die waren vorhanden, selbst nach Monsieurs Nachricht. Ein Bollwerk, dem kein Sturm gewachsen war)?
Nie hatte er zuvor gedacht, wenn er seine Aufträge erfüllt hatte; wie eine tödliche Maschine, hatte er einfach nur gehandelt. Selbst beim ersten Mal hatten seine Hände nicht vor Aufregung gezittert.

Sie traf pünktlich um sechs Uhr ein. Er hörte das Drehen des Schlüssels im Schloss, als er gerade die vorletzte Kippe der Zigarettenschachtel im Aschenbecher ausdrückte. Er saß im Wohnzimmer in seinem alten Sessel und starrte geistesabwesend auf den toten Bildschirm des Fernsehers, der in seiner Wohnung so wie so mehr als Dekorationsgegenstand diente.
Vor einem halben Jahr, hatte er ihr einen eigenen Schlüssel für seine Wohnung zum Geburtstag geschenkt. Als Zeichen des Vertrauens...
Ihre Gestalt war atemberaubend und er spürte einen Schwall tiefer Liebe sein Herz erfassen, als sie in einem schlichten, aber eleganten schwarzen Kleid den Raum betrat. Ihr braunes Haar hing in perfekter Symmetrie mit ihrem schmalen Gesicht auf ihren Schultern. Ringe glänzten an ihren Ohrläppchen. Es war kein sexuelles Ansprechen, das dieser Anblick auf Mark bewirkte, es war mehr die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter.
"Du bist schön", stammelte er und hörte sich wie ein Idiot an. Er spürte wie seine Hände feucht wurden und ihm der Schweiß auf die Stirn kroch, als sie ein Lächeln erkennen ließ.
Weil er das Verlangen spürte, irgendetwas zun zu müssen, stand er reflexartig auf und schlang die Arme um sie. Er nahm ihr erstauntes Oh nicht wahr, sondern versuchte verbissen, sie mit seinem Talent abzutasten. Er durchforstete ihre Aura, ihr Inneres, auf der Suche nach dem Bösen, das die bevorstehende Tat rechtfertigen würde. Und er fand...
Sie nahm seinen Kopf in die Hände und zwang Mark, ihr ins Gesicht zu schauen.
"Küss mich, bitte!", hauchte sie. Er tat es. Er steckte ihr die Zunge in den Hals, und spürte das Triumph-Gefühl in sich aufsteigen, denn es war da! Das Böse war für ihn zu fassen, und dessen Stärke durchfuhr seinen Körper. Sein Talent war nicht versiegt, hatte nicht versagt, war nur von der Liebe für einige Zeit geblendet worden.
Sie ließ von ihm ab, nicht wissend, dass dies der letzte Kuss ihres Lebens gewesen war. Bald würde er ihr ein Ende bereiten. Das es dazu kommen würde, stand ohnehin fest, seitdem er das Packet geöffnet und ihren Lippenstift vorgefunden hatte. Nun kam es nur noch auf den richtigen Zeitpunkt an.
"Willst du es treiben?", fragte sie. Die Antwort, die Janin erhielt, war ein Schlag mit der Faust mitten ins Gesicht. Sie taumelte und fiel dann zu Boden. Benommen fasste sie sich an die getroffene Stelle. Als sie die Hand vor Augen hielt, sah sie Blut an ihren Fingern. Es stammte aus ihrer Nase. Verstört schaute sie zu Mark auf.
"Du elende Schlampe!", schrie er. "Du kannst mich nicht mehr täuschen. Ich weiß jetzt, was du bist, Drecksstück!"
"Von was redest..."
"Halt's Maul!" Er machte ein paar Schritte auf sie zu und trat ihr dann mit voller Wucht in die Rippen. Ein Schrei entfuhr ihr, und sie krümte sich in eine Fötus-Stellung. Er trat noch einmal zu. Diesmal in den Rücken. Ein Knacken ertönte. Die Hure schrie sich die Seele aus dem Leib und wandte sich von einer Seite auf die andere.
Er schaute auf den hilflosen Körper, den er einst geliebt hatte. Dann schaute er zum Wohnzimmertisch, auf dem er das Küchenmesser niedergelegt hatte. Die Klinge funkelte ihn an. Er schaute wieder zu Janin. Dort waren es die Augen, die ihn anfunkelten. Tränen standen in ihnen und das Fragen nach dem Warum.
Seine Seele riss in diesem Moment entzwei, gespalten von der noch immer endlosen Liebe und dem Auftrag, von dem er wusste, dass es richtig war, ihn zu vollenden.
Er schritt zum Wohnzimmertisch. Als er das Heft des Messers ergriff, sammelten sich auch in seinen Augen Tränen. Nun würde es kein Zurück mehr geben. Erledige es deshalb möglichst schnell, sagte er sich.
Seine Finger verkrampften sich um den Griff und er ging mit schnellen Schritten auf sie zu. In der Sekunde, die er benötigte, um zu ihrem Standort zu gelangen, zwang er sich, ihr Geschrei nicht wahrzunehmen. Er ließ keinen Gedanken an ihre gemeinsam verbrachte, glückliche Zeit zu.
"Warum tust du das?", fragte er, als er sich über sie beugte und dachte dabei an die vielen Obdachlosen, die durch sie den Tod gefunden hätten, wenn nicht...
Er ließ die Klinge ins Fleisch niederfahren. Sie hinterließ eine klaffende Wunde zwischen ihren Schulterblättern, als er sie herrauszog, um wieder zuzustechen. Diesmal in den Mittelpunkt ihres gekrümmten Rückens. Blut quoll wie reißende Flüsse aus beiden Wunden und färbte den Teppichboden rot. Mark sah, wie sich ihre Finger krampfhaft in eben diesen krallten, dann war es vorbei. Alle Lebenszeichen erloschen. Kein Atem verließ mehr ihren Mund, kein Herzschlag war mehr unter ihrem Busen.
Trotzdem stach er weiter auf sie ein, in einer Mischung aus Wut und Ekstase, aus Schmerz und Erfüllung. Immer und immer wieder.

"Wir melden uns mit einer wichtigen und zugleich traurigen Neuigkeit!"
Mark gefror das Blut in den Adern, als er die laute Stimme hinter sich hörte. Er fuhr herum und blickte ungläubig auf den Fernsehbildschirm, der einen Nachrichtensprecher zeigte. Wie zum Henker...
"Eben gerade wurde Janin Muhlner mit mehreren Messerstichen brutal ermordet. Sie wurde..."
Was hat das zu bedeuten?
"... von ihrem Liebhaber Mark Walter, in dessen Wohnung..."
Das ist nicht real!
"...in eine Falle gelockt. Der Fall ist besonders tragisch, da Frau Muhlner, zu jeder Zeit hilfsbereit, sich aufopferungsvoll um Hilfe für Kinder in der Dritten Welt bemühend, in 18 Jahren ein Attentat auf den Mediziner Korn verhindert hätte, welcher..."
Hilfsbereit? Spenden für Kinder?
"...drei Jahre später das Mittel zur vollständigen Abtötung des HI - Virus fertiggestellt hätte."
Nein, eine Lüge!
Mark rannte schreiend zum Fernseher und warf ihn herunter. Der Bildschirm zersprang, als das Gerät auf dem Boden aufschlug. Der eingebildete Nachrichtensprecher und seine Lügen waren verstummt.
Doch die Ruhe währtenicht lange, denn das Radio in der Küche ging an, und erneut war ein Nachrichtensprecher zu hören.
"Mark Walter hat außerdem acht weitere Morde begangen. Darunter Michael Möller, der in dreißig Jahren das Amt des Bundespräsidenten übernommen und der Republik ein Wirtschaftswunder verschafft hätte, nach Jahrzehnten der Armut. Außerdem zwei Schwestern, noch nicht einmal..."
Mark stieß einen Schrei aus und rannte in die Küche. Mit bloßen Händen drosch er auf das Radio ein, bis sie bluteten, und das Gehäuse zerdellt war. Endlich verstummte der Sprecher.
Doch war es bereits zu spät, denn der Zweifel hatte sich in Marks Kopf eingeschlichen und quälte ihn. Heulend und weinend rannte er durch die Wohnung, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben.
Das konnte nicht sein! Er hatte ihr Böses doch gespürt und Monsieur...
Mark stand in der Küche und sein Blick fiel auf das Packet. Mit unsicheren Schritten bewegte er sich darauf zu, als wollten seine Beine ihn vor der schrecklichen Realität bewahren. Er griff nach dem Packet, doch seine Hände zitterten so stark, dass er es vom Tisch stieß. Im Fall lößte sich der Zettel daraus und schwebte direkt in Marks Hände. Die Nachricht darauf war nun nicht mehr mit Tinte geschrieben; Blut hob sich von dem weißen Papier ab. Sie bestand aus nur fünf Worten:

Glaube es und verzweifle!
Monsieur

 

Taach...

wo ist eigentlich die alte Version? Wollte erst mal deren Kommentare lesen, bevor ich mich auf diesen Buchstabenberg stürze.
Na ja, jetzt isses zu spät.

Obwohl er (längst) damit gerechnet hatte, dass es (bald) klingeln würde, zuckte er (unwillkürlich) zusammen und gelangte dabei mit dem Unterarm an die Tasse, die (daraufhin) umkippte und ihren (dunkelbraunen) Inhalt über den Tisch ergoss
Füllwörteritis permagna. - Sollen wir darüber diskutieren, warum die in Klammern gesetzten Wörter "zuviel" sind oder ist es auch so schon einleuchtend?
Jeden Moment musste er ins Taumeln geraten und stürzen, kam es ihm in den Sinn.
Der nachgeschobene Nebensatz müßte vom Lese- und Verständnisfluß her zuerst kommen. Außerdem ist "in den Sinn kommen" nicht der richtige Ausdruck, weil es ungefähr soviel wie "Idee haben" bzw. "sich erinnern" bedeutet. Und wenn die Beine zu schwach sind, stürzt man ohne zu taumeln.
Besser und prägnanter wäre z.B.: Er glaubte, jeden Moment stürzen zu müssen.
Ungeachtet dessen, setzte er einen Fuß vor den anderen ohne die Kälte, die die Fliesen wiedergaben, (wirklich) wahrzunehmen
Sehr umständlich formuliert. Insbesondere da jedermann weiß, daß man zum Gehen einen Fuß vor den anderen setzt.
Vorschlag: Die kalten Fliesen nahm er dabei nicht wahr.
Es schellte ein drittes und (kurz darauf ein) viertes Mal, als würde der Besucher langsam die Geduld verlieren
um ins Ohr des Jungen zu dringen
Des Jungen? Das geht so nicht. Der Klingler ist bis jetzt nicht in Erscheinung getreten. Du mußt ihn schon danach benennen, als was er vorgestellt wurde.
trönten
Meinst du tönten oder dröhnten? (oder etwas dazwischen?)
Arbeitslosigkeit, nur unterbrochen durch kurzfristige Hilfsarbeiterjobs. Nun war er dreiundvierzig und die Wohnung, in der er lebte, wurde vom Sozialamt finanziert.
Der einzige Lichtblick in seinem aus Leiden bestehenden Leben war Janin. Sie, die lebensfrohe Karrierefrau, hatte sich in ihn verliebt, nachdem sie sich in der U-Bahn über den Weg gelaufen waren. Es war eine kurze Begegnung gewesen, doch anders als sonst, hatte Mark sich nicht gescheut, auf eine Einladung ihrerseits einzugehen, nachdem sie ihn keck gefragt hatte. Sie waren ein paar geworden,
Daß sich eine Karrierefrau für einen Sozialhilfeempfänger interessiert, der überdies noch nicht richtig im Kopf zu sein scheint, kommt mir im Text etwas zu selbstverständlich daher.
Das Leerzeichen kündete vom Ende ihres Gesprächs
Leerzeichen hab ich auf dem Computer, wenn ich schreibe, aber im Telefon ...?
Siebzehn Packete waren eingetroffen, das heutige stellte das Achtzehnte dar. Achtzehn Menschen hatte er umgebracht
Irgendwas schein in dieser Rechnung nicht zu stimmen ...
Warum der seltsame Monsieur ausgerechnet ihn dazu auserwählt hatte, diese schrecklichen Menschen umzubringen, und wer dieser überhaupt war, hatte er in all der Zeit nicht in Erfahrung bringen können
Also ich schon. Immerhn kann er das, was er tut, ja exzellent und ohne Spuren zu hinterlassen. Das mit dem Messer fand ich allerdings nicht schön, es machte mir den Prot. deutlich unsympathischer. Im übrigen wird man auf diese Weise leichte Beute für die Justiz, also was soll das?
Sind 18 x 200 Euro nicht etwas wenig? Nur so eine Frage.
Er brauchte nicht einmal zu sägen; als er die Spitze hineingerammt hatte, fuhr er am Streifen entlang und spaltete ihn so entzwei. Nun musste er nur noch die beiden Pappseiten aufklappen und
Bist du sicher, daß der Leser wissen will, wie ein Paket geöffnet wird?
Sein Talent hatte versagt, ihn feige im Stich gelassen, bei einer Sache, die so bedeutend für ihn war.
Sollte das nicht stutzig machen?
War es ihm überhaupt möglich, Janin auf so grausame Weise, wie es von ihm verlangt wurde, zu töten?
Ich fand nirgends einen Hinweis darauf, das die Grausamkeit vom Auftraggeber gewünscht sei.

Diese Idee mit dem Talent und was daraus gemacht wurde, finde ich erstaunlich gut. Es war spannend und interessant zu lesen.
Allerdings wurde es gegen Ende dann etwas wirr. Dieser Nachrichtensprecher vor allem ergibt keinen Sinn. Kommt mir vor wie der Deus ex machina, der den Leser schnell noch darüber aufklärt, daß alles anders war als bisher geglaubt. Da hätte ich mir schon etwas mehr Mühe vom Autor gewünscht, das "richtig" aufzulösen.

r

 

Hallo Relysium, danke fürs kommentieren!

Die alte Version ist gelöscht. Ich hatte sie unter anderem Namen hier reingestellt, wollte sie aber gerne unter dem alten veröffentlicht wissen. Der Unterschied von dieser, zur anderen ist der Teil, in dem das Kennenlernen von Mark und Janin beschrieben wird, und das der Aufbau ein anderer ist und die Sätze wurden noch einmal überarbeitet.

Mit deinen Verbesserungsvorschlägen liegst du meiner Meinung nach fast immer richtig, und ich finds gut, dass du dir solche Arbeit machst. Auch wenns viele als kleinlich ansehen werden, sind solche Fehler oft der Unterschied von einer mittelmäßigen zu einer guten Geschichte. Und wer gute abliefern will, muss halt auch auf Kleinigkeiten achtgeben.

Das das Kennenlernen der beiden unrealistisch rüber kommt, hast du bemängelt und das sehe ich genau so. Habs wohl nicht geschaft das wie gewollt rüberzukriegen.

Beim Ende sehe ich das aber anders als du. Das gefällt mir ziemlich gut, auch die Idee mit dem Nachrichtensprecher halte ich für äußerst gelungen. Außerdem fällt mir nicht ein, wie man die Poente andsers hätte rüber bringen können, ohne das Außmaß von 50 Seiten zu unterschreiten.

Alles Gute...

 

auch die Idee mit dem Nachrichtensprecher halte ich für äußerst gelungen
Wer ist das denn überhaupt und wo kommt er her? Und warum hat er sich nicht schon vorher zu Wort gemeldet?
Außerdem fällt mir nicht ein, wie man die Poente andsers hätte rüber bringen können, ohne das Außmaß von 50 Seiten zu unterschreiten
Mir schon. Zum Beispiel, wenn er seine Freundin nicht sofort umbringen kann, einmal weil er sie liebt und einmal weil ihm wegen der fehlenden Aura Zweifel kommen, und es bis zum Abend herauszögert, wo tatsächlich die Suppe ausgegeben wird. Aber dann stellt sich heraus, daß sie gar nicht vergiftet ist.
Er stellt Monsieur zur Rede und der klärt ihn dann selber auf.

r

 

Zu 1: Ein ganz normaler Nachrichten-Sprecher, der sich plötzlich zu Wort meldet. Vielleicht ein Zauberkunststück des Monsieurs, wer weiß?
Die Arbeit ist scheinbar erledigt, aus irgendeinem Grund braucht er Mark nicht mehr, und da er nun mal etwas Böses darstellt könnte es doch gut sein, dass er Gefallen daran findet, Mark mit dieser Auflösung zur Verzweiflung zu treiben. Gerade das so viel im Unklaren bleibt fasziniert mich an der Geschichte.

Zu 2: Hhmm. Natürlich würde sie in seinem Beisein niemals die Suppe vergiften, dass funktioniert glaube ich nicht. Außerdem hätte ich dann noch das Problem, dass sich nie hätte beweißen lassen, dass die anderen Ermordeten keine schlechten Menschen waren. Und das mit dem Zuredestellen: Monsieur soll im Dunkeln bleiben. Ich glaub es würde der Geschichte viel nehmen, trete er in Erscheinung und wird dann noch von Mark gestellt. Er soll einfach kein klares Gesicht bekommen, man soll viel in diese Gestallt hinein interpretieren können, genauso in seine Beweggründe.

Also mir gefällts so besser, und vielleicht konnte ich dich ja auch überzeugen. Mal sehen, wie das andere empfinden.

 

Hallo, Kevin2 (Gibt es auch Kevin1?)

Ich kann mich nicht entscheiden: gefällt mir deine Geschichte oder nicht? Also die Idee vom Sonderling, der glaubt, das Böse spüren zu können und dabei nur manipuliert wird, ist schon erste Sahne. Aber die Umsetzung wirkt irgendwie ... so konstruiert. Ich hatte beim Lesen ständig das Gefühl, dieser Mark macht das deshalb so, weil der Autor (du) das cool fand, und nicht, weil es das Naheliegendste ist.
Schon diese Leidenschaft, mit der er seine Opfer tötet, kann ich nicht nachvollziehen. Und dann auch noch mit dem Messer. Du hättest ihn lieber als verängstigten traurigen Aussenseiter darstellen sollen, der mit der Situation überfordert ist und nicht damit umgehen kann.
Na ja, ob das jetzt hilfreich war, weiß ich nicht, aber es war das, was mir dazu einfiel.

Liebe Grüsse
Arry

 

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