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Mord um Mitternacht

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30.06.2004
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Mord um Mitternacht

Das kurze Leben Jana's und die Suche nach ihrem Mörder

Auf der Tanzfläche drängte sich jeder an jeden. Alle tanzten lebhaft zur Musik. Jana quetschte sich, völlig außer Atem, durch die Menge, um zur Bar zu kommen. Dort stand ihre Freundin Fanny. Es war schon halb 12. Um 12 Uhr sollten die Mädchen bei Fanny zu Hause sein. „Beeil dich mal ein bisschen“, drängte Fanny die Freundin. Sie konnte Discos nicht wirklich leiden und freute sich schon auf ihr Bett. Jana zog sich ihre Jeansjacke an und bezahlte ihre Getränke. „Ist ja gut, ich komme ja schon.“ Sie gingen zum Ausgang. Wenn man das Quetschen und geschoben werden gehen nennen konnte.

Draußen atmete Fanny erleichtert auf: „Partys sind echt nicht mein Ding“, sagte sie und strebte die Bushaltestelle ein paar Meter neben der Disco an. Jana trottete langsam hinter ihr her. Sie wäre gerne noch länger geblieben. Partys, Feiern und all das Zeug waren ihre Welt. Hier konnte sie den ganzen Schulkram am besten vergessen. Die ganze Nacht durchtanzen, neue Leute kennen lernen..., das war das schönste was sie sich vorstellen konnte.

Da war es ziemlich verwunderlich, dass sie so eine Freundin wie Fanny hatte. Fanny war eine Einzelgängerin, die am liebsten alleine zu Hause saß, Musik hörte und von allen in Ruhe gelassen werden wollte. Nur manchmal ließ sie sich von Jana überreden, mit ihr wegzugehen.

Die Beiden waren seit der Realschule unzertrennlich. Nach der Realschule waren sie zusammen weiter zum Gymnasium gegangen, hatten eine super Abiturnote geschafft und studierten nun gemeinsam Germanistik und Kunstgeschichte. Fanny wohnte noch bei ihrer Mutter, während Jana mit ihrem älteren Bruder in einer Art WG zusammen lebte. Doch ihr Bruder war für eine Woche weggefahren und da Janas Eltern woanders lebten und Jana nicht alleine und ohne ältere Aufsichtsperson wohnen sollte, hatte Fannys Mutter sich erbarmt und sie für die eine Woche aufgenommen. Frau Färber lebte etwas außerhalb der Stadt, weshalb die Mädchen auch einen Bus nehmen sollten. Jana lehnte sich an eine Straßenlaterne und zündete sich eine Zigarette an. Fanny runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Das einzige was sie an ihrer Freundin nicht leiden konnte war, dass sie rauchte.
Ihre Mutter tat es auch und mit zwei Rauchern in einer Wohnung leben zu müssen, und war es auch nur für eine Woche, war das Schrecklichste was sie sich vorstellen konnte. Man roch es in der ganzen Wohnung, selbst wenn man dafür nach draußen ging.

„Wann kommt denn der Bus?“, fragte Jana, um die Stille zu durchbrechen. Man hörte zwar noch leise die Musik aus der Disco, aber nur sehr undeutlich und schwach. Fanny, die den Plan schon auswendig kannte, antwortete: „Viertel vor 12.“ Gelangweilt drückte Jana die Zigarette am Mast der Straßenlaterne aus und ließ sie auf den Boden fallen. „Wieso sind wir dann schon so früh raus gegangen?“, fragte sie ärgerlich. Fanny verzichtete auf eine Antwort, denn sie wusste, dass Jana die Antwort kannte. Schon seit 8 Uhr hatten sie in diesem engen, stickigen Discoraum gehangen. Das waren 4,5 Stunden. Mehr hatte Jana von Fanny nicht erwarten können. Das wusste Jana allerdings. Fanny drehte an einer Strähne ihrer braunen, langen Haare. Jana wollte sich gerade eine neue Zigarette anstecken, als ein schwarz gekleideter Mann wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte. Erschrocken schrie Fanny auf. Jana ließ nur langsam das Feuerzeug sinken. Der Mann stand genau unter der Laterne, sodass man seine kalten Gesichtszüge, den schmalen Mund und die buschigen Augenbrauen sehen konnte. Er war glatt rasiert und trug zu der schwarzen Jeans und dem Pullover außerdem eine schwarze Mütze. „Warum denn so schreckhaft?“, fragte er mit einem schmalzigen Ton in der Stimme. Jana ging langsam zu Fanny unter den Plastikunterstand. „Was wollen Sie von uns?“, fragte Fanny. Sie konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken.

„Von euch“, der Mann lachte laut auf, „ von dir will ich gar nichts. Aber für Jana könnte ich interessant sein.“
„Sagen Sie mir was Sie auf dem Herzen haben und verschwinden Sie“, sagte Jana barsch. Sie wunderte sich nicht darüber, dass der Mann ihren Namen kannte.
„Tz tz tz, so unfreundlich zu dem Lebensretter ihres Bruders.“ Der Mann strich mir der rechten Hand über seine Mütze. Jana erstarrte: „Was ist mit meinem Bruder?“, fragte sie scharf. „Er liegt hier im Krankenhaus. Bein gebrochen, Lendenwirbel angeknackst, Rippen verschoben und frag mich nicht was sonst noch. Er hat mir deine Lieblingsdisco genannt wo ich dich wohl am ehesten finden werde. Er möchte das ich dich zu ihm bringe“ Er lächelte breit und entblösste eine Reihe weißer Zähne.
„Alles Quatsch Jana, der lügt doch wie gedruckt“, flüsterte Fanny.
Doch Jana wollte es auf einen Versuch ankommen lassen: „Wenn Sie meinen Bruder so gut kennen wie Sie behaupten, dann sollte Ihnen die Beantwortung der paar Fragen über ihn nichts ausmachen.“ Er nickte nur kurz. Dann ging es Schlag auf Schlag.
„Wie alt ist mein Bruder?“
„22.“
„Was hört er am liebsten für Musik?“
„Hauptsächlich Elvis Presley. Aber den Rock, den seine Schwester so gerne hört, tut er sich auch mal an.“
„Was guckt er jeden Donnerstagabend?“
„Um 20.15 Alarm für Cobra 11 auf RTL.“
Jana nickte. Sie war überzeugt. Aber Fanny nicht: „Du willst doch jetzt wohl nicht mit ihm zum Krankenhaus fahren!“, rief sie entsetzt, „die paar Fragen hätte jeder Idiot durch ein wenig Recherche beantworten können.“ Jana schüttelte den Kopf: „Wenn meinem Bruder wirklich was zugestoßen ist und er mich sehen will, dann fahre ich da doch selbstverständlich hin.“
„Du und deine Sturheit. Das ist ja nicht zum Aushalten!“, schrie Fanny. Aber sie war eher entsetzt über Janas Vertrauen dem Mann gegenüber. Da kam der Bus um die Ecke. Mit quietschenden Bremsen hielt er genau am Unterstand. „Also ich fahre nach Hause. Wenn du jetzt nicht mit kommst musst du gucken wo, du über Nacht bleibst.“ Fanny hoffte, dass sie so Jana zur Vernunft bringen konnte. Doch weit gefehlt. Jana zuckte nur mit den Schultern. „Ich werde schon ein Nachtlager finden, und wenn ich im Krankenhaus im Wartezimmer übernachten muss.“ Der Mann lächelte Fanny noch übertrieben freundlich zu, bevor sie in den Bus stieg. Dann nahm er einen Arm von Jana und zog sie zu einem dunkelblauen Ford Mondeo auf der anderen Straßenseite. Fanny beobachtete noch, wie er sich ans Steuer und Jana sich auf den Beifahrersitz setzte, bevor der Bus um die Ecke bog.

Fanny ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte Jana nur so dumm sein und sich zu einem fremden Mann ins Auto setzten? Aber wie konnte sie so dumm sein und Jana mit ihm fahren lassen? Sie hätte sie überreden müssen, wenn überhaupt dann mit dem Bus ins Krankenhaus zu fahren. Oh nein, wenn Jana was passierte, dann war es ihre Schuld. Fanny zitterte am ganzen Körper. Kaum hielt der Bus, sprang sie auch schon hinaus und rannte zum Haus ihrer Mutter, dass nur ein paar Meter weiter an der Ecke zum Maisweg stand. Mit klammen Fingern zog sie den Haustürschlüssel aus der Jackentasche. Wie sie erhofft hatte, saß Frau Färber in der Küche, um auf die Rückkehr der beiden Mädchen zu warten. Fanny erzählte ihr die Kurzfassung der Geschehnisse und kaum war sie damit fertig, saß die Mutter am Telefon, um die Polizei zu informieren.


Eine Stunde später saßen in der Küche der Färbers zwei Polizisten vom Nachtdienst. Fanny stand Fingernägel kauend neben ihrer Mutter und erzählte die Geschichte noch mal, diesmal allerdings ausführlicher. Der größere Polizist von den Beiden hatte einen Block vor sich liegen, auf dem er sich Notizen machte. Der andere wirkte etwas abwesend und wenn er Fanny Fragen stellte, schaute er in eine andere Richtung. „Wieso haben Sie nicht versucht, Frau Sommer aufzuhalten?“, fragte er bestimmt schon zum dritten Mal. „Hab ich ja, aber Sie kennen Jana nicht. Sie liebt ihren Bruder. Er bedeutet ihr mehr als alles andere. Da hätte wer weiß wer vorbei laufen können und sie wäre mitgegangen“, war Fannys wiederholte verzweifelte Antwort. „So kommen wir doch nicht weiter“, mischte Frau Färber sich nun ein,
„sollte man nicht einen Wagen zum Krankenhaus schicken und sich dort erkundigen. Vielleicht ist Jana wirklich mit diesem Mann dort.“ Der Polizist mit den Schreibblock sah von seinen Notizen auf: „Was glauben Sie denn was wir zuallererst gemacht haben? Glauben Sie wirklich, wir würden das hier alles durchziehen, wenn wir nicht längst wüssten, das niemand mit dem Namen Mike Sommer im Krankenhaus liegt.“ „Nein natürlich nicht, entschuldigen Sie.“ „Aber Mama hat Recht“, sagte Fanny, „wir können doch nicht einfach nur hier herum sitzen und abwarten. Vielleicht wird Jana gerade in diesem Moment vergewaltigt oder sogar noch Schlimmeres.“ „Wir können davon ausgehen, dass das nicht der Fall sein wird. Sie haben den Mann gesehen, können ihn bis aufs kleinste Detail beschreiben. Es wäre ziemlich dumm von ihm, wenn er das tun würde“, erklärte der andere Polizist. Diesmal guckte er Fanny in die Augen. Sie musste zugeben, dass das Dummheit wäre: „Aber man muss doch trotzdem was tun“, sagte sie verzweifelt. „Wir können nur abwarten“, sagte der größere Polizist entschuldigend. Frau Färber legte einen Arm um ihre Tochter: „Vielleicht solltest du dich ein bisschen hinlegen und versuchen zu schlafen. Wir wecken dich dann, wenn wir etwas Neues wissen.“ Fanny nickte. Sie wusste zwar, dass sie niemals jetzt schlafen könnte, trotzdem ließ sie sich von ihrer Mutter ins Wohnzimmer auf die Coach führen. Sie legte sich hin und schloss die Augen, mit dem Wissen, doch nicht schlafen zu können.

Wach wurde Fanny durch Stimmen, die aus dem angrenzenden Flur kamen. Verschlafen rieb sie sich die Augen, als sie den Rest eines Satzes von ihrer Mutter hörte. „... oh Gott, wenn Fanny das erfährt.“ Sofort war sie hellwach. Langsam und leise stand sie auf und schlich zur halb offenen Wohnzimmertür. „Erst mal müssen wir uns Gedanken darum machen, wie wir das den Eltern beibringen“, sagte eine weitere bekannte Stimme. Fannys Mutter nannte die Nummer der Sommers. Fanny brach kalter Schweiß aus. Also war Jana wirklich tot. Wieso hatte ihr bloß niemand geglaubt? Sie schluchzte auf. In diesem Moment kam Frau Färber ins Zimmer. Sie sah ihre Tochter und nahm sie in die Arme. „Ist okay Schatz“, sagte sie leise. Fanny wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Die Mutter nahm sie mit in die Küche.

Verschwommen nahm Fanny die Polizisten und eine weitere ihr unbekannte Frau wahr. Sie setzte sich auf den nächstbesten Stuhl und nahm dankbar die Taschentücher, die die Mutter ihr anbot. Durch einen Spalt, den die Vorhänge frei ließen, fiel ein wenig Tageslicht. Also hatte sie länger geschlafen als sie gedacht hatte. Regentropfen perlten die Fensterscheibe hinunter. Der Himmel war dunkel. Das richtige Wetter zur Trauerstimmung, dachte Fanny. Sie putzt sich die Nase und trocknete ihre Augen. Nützen tat das nicht viel. Die Tränen waren nicht aufzuhalten. Die fremde Frau kam zu ihr und fragte vorsichtig: „Ihr habt euch gut gekannt, oder?“ Fanny nickte: „Wir waren seit der fünften Klasse Freundinnen.“ „Ich bin übrigens Gaby Jenrich, die Psychotherapeutin der Polizeistation“, stellte sie sich vor. „Ich kann dir leider auch keine Hoffnungen mehr machen, dass es nicht deine Freundin ist. Wir konnten sie eindeutig identifizieren“, fügte sie dann noch hinzu. „Wo habt ihr Jana gefunden?“ Fanny versuchte ihre Stimme halbwegs kräftig und nicht allzu zittrig klingen zu lassen, was ihr nicht gelang. „Keine 400 Meter von der Disco entfernt. Wir fanden sie hinter einem Gebüsch. Der Täter konnte fliehen. Aber du hast ihn ja auch gesehen. Meinst du, du kannst ihn mir noch mal beschreiben? Oder vielleicht sogar zeichnen?“ Fanny zuckte die Schultern: „Ja, ich denke schon.“ Frau Jenrich reichte ihr einen Bogen Papier und Fanny versuchte sich an sein Gesicht zu erinnern. Sie schloss die Augen und fing einfach an zu zeichnen: Diese buschigen Augenbrauen zuerst, sie fielen am meisten auf. Dann der markante Mund mit den schmalen Lippen, die hohen Wangenknochen und der harte, kalte Gesichtsausdruck. Die schwarzen Sachen durften nicht fehlen. Mit dem kräftig gebaute Körper sah er aus wie viele andere Männer, denen man jeden Tag begegnete. Doch Frau Jenrich war zufrieden. „Damit kann unser Computer ein richtig gutes Profil erstellen“, sagte sie und steckte das Bild in eine Aktentasche, die auf dem Tisch lag. Dann reichte sie den Färbers die Hand: „Ich rufe sie an wenn es etwas Neues gibt“, sagte sie. Die Polizisten erboten sich, die Sommers anzurufen. Danach verließen sie mit der Psychotherapeutin die Wohnung.

Die Beerdigung von Jana war knapp eine Woche später. Das Wetter war wie das ihres Todestages: Es regnete seit den frühen Morgenstunden. Der Himmel war Wolkenverhangen und Nebel lag über der Stadt. Als Janas Sarg in die Erde gelassen wurde, weinte nicht nur Fanny. Die Trauergemeinde war recht klein. Außer Jana und Frau Färber waren noch einige Studenten, Janas Eltern und ihr Bruder Mike, der übrigens nie in einem Krankenhaus war, alte Klassenkameraden und einige Lehrer da. Der Pfarrer schmiss Erde auf den Sarg. „Von der Erde bist du gekommen und von ihr wirst du wieder genommen...“ Danach durfte jeder ans Grab treten. Fanny schmiss eine einzige gelb- rote Tulpe und das Lieblingsfreundschaftsfoto Janas und ihrer auf den Sarg. „Ich werde deinen Tod rächen, Jana. Wir werden deinen Mörder finden!“


Das ist der erste Text den ich über Fanny und Jana geschrieben habe. Ein paar Tage später habe ich einen weiteren, eine Fortsetzung geschrieben, weil ich ihn so unfertig fand. Jetzt ist er allerdings fertig.

Mord um Mitternacht
Fortsetzung


Ein halbes Jahr seit Janas Tod war vergangen. Für Außenstehende schien das Leben von Fanny und Janas Familie wieder in normalen Bahnen zu verlaufen. Doch das tat es nicht. Fanny nahm zwar wieder an den Vorlesungen an der Uni teil und Janas Eltern gingen ihren Berufen nach, doch in ihnen drin sah es ganz anderes aus. Alles in ihnen schrie nach Jana und nach Rache an ihrem Mörder. Er war noch nicht gefunden, trotz deutschlandweiter Suche mit Phantombildern und Beschreibungen. Fanny musste immer an das letzte Versprechen denken, was sie ihrer Freundin gegeben hatte: Ihren Mörder zu finden. Sie hatte Leute aus der Disco befragt, Zettel an der Uni verteilt... Doch nichts war geschehen. Frau Jenrich hatte ihr, so gut wie sie es vermochte, versucht zu helfen. Nicht nur im psychischen Sinne. Fanny hatte bei ihr kurze Zeit wohnen dürfen, als sie mit ihrer Mutter Krach hatte und Gaby hatte ihr bei Behördengängen und bei Interviews geholfen, die sie zur Genüge kurz nach Janas Mord hatte geben müssen. Jetzt hatte Fanny Semesterferien. Sie langweilte sich und drehte fast durch, weil sie nicht helfen konnte. Weder ihrer Mutter im Haushalt, noch bei der Mördersuche, die sowieso schon fast eingestellt war. Dreimal am Tag besuchte sie Janas Grab, brachte Blumen und Kerzen. Manchmal besuchte sie auch Mike in seiner nun ziemlich leeren Wohnung. Zwar standen noch überall Janas Sachen und Möbel, aber sie selber als Person fehlte ungemein. Mike und Fanny saßen dann zusammen, erzählten von Jana und tranken Sekt oder Saft. Meistens hatten sie dann ein Foto von Jana zwischen zwei Kerzen auf dem Tisch stehen. Dann war es fast so, als sei sie mit dabei. In Janas Zimmer war nichts verändert worden und manchmal schlief Fanny dort, wenn es ihr besonders miserabel ging oder Frau Färber sie nervte.

Am Nachmittag ihres siebten Semesterferientages saß Fanny mit ihrer Mutter in der Küche und trank Tee, als Gaby Jenrich die Färbers besuchte. Sie wurde herzlich empfangen und während Frau Färber neuen Tee kochte und Kuchen aus der Tiefkühltruhe holte, machte Gaby Fanny einen Vorschlag. „Du siehst wirklich blaß und krank aus. Ich wette, eine Reise würde dir gut tun.“ Fanny nippte an ihrem Tee und zuckte die Schultern. Ganz so gut wie Frau Jenrich fand sie den Einfall nicht. „Das ist eine sehr gute Idee!“, rief dagegen Fannys Mutter, „dass wir da nicht selber drauf gekommen sind.“ Mit Schwung setzte sie der Polizeipsychotherapeutin eine Tasse vor die Nase. „Ich hätte auch schon eine Idee, wohin die Reise gehen soll“, sagte Gaby, „nach Lienz. Das ist ein kleiner Ort in Österreich in 1000 Meter Höhe. Freunde von mir waren letztes Jahr dort. Der Ort ist richtig schöne gelegen, die Luft ist phantastisch, die Verpflegung einmalig. In der Nähe des Ortes gibt es eine kleine Ferienanlage. Nur ein paar Häuser, klein, trotzdem anonym.“ Frau Jenrich sprühte nur so vor Begeisterung. „Warum fahren sie denn dann nicht dahin, wenn es so toll ist?“, fragte Fanny scharf. Ihre Mutter warf ihr einen bösen Blick zu, doch Gaby lachte nur: „Das tue ich auch, sobald ich Urlaub habe. Aber das ist erst in ein paar Monaten der Fall, sonst würde ich jetzt schon mit euch fahren.“ „Wer sagt, dass wir fahren?“, fragte Fanny leise. „Natürlich fahren wir.“ Frau Färber war total begeistert und holte den aufgebackenen Kuchen aus dem Ofen. Es duftete nun herrlich in der Küche. „Das wird uns allen gut tun. Ich werde gleich anrufen und fragen, ob noch Plätze frei sind.“

Beschlossene Sache. Am Abend musste Fanny ihre Sachen packen. Keine Drohung hatte ihre Mutter abschrecken können, doch nicht zu fahren. Und auch ihre letzte Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Im Feriendorf waren mehr als genug Häuser frei. Frau Färber hatte gleich eins für 3 Personen gemietet. Mike sollte nämlich mitfahren. Seufzend packte Fanny Wäsche für vier Wochen in 2 Koffer. Im Badezimmer pfefferte sie wütend Zahnbürste, Zahnpasta, Haarbürste und noch allerhand andere Sachen in ihren Kulturbeutel. Die gepackten Taschen stellte sie in den Flur. Morgen sollte es in aller Frühe losgehen.

Fanny wurde um drei Uhr von ihrer Mutter geweckt. „Du musst dich nur noch anziehen, dann kann es losgehen?“, flüsterte die Mutter, „ich habe schon alles fertig vorbereitet.“ Fanny gähnte und hangelte nach ihren Klamotten. Verschlafen tappte sie ins Bad, wusch sich. Wenig später ging sie in die Küche. Zu ihrem Erstaunen war Mike auch schon da. Er trank Kaffee und reichte ihr auch eine Tasse. „Guten Morgen Fanny“, begrüßte er sie, „na, ausgeschlafen und reisefertig?“ Sie seufzte. Mike schien sich auch glatt auf die Reise zu freuen. Da kam Frau Färber: „So ihr Beiden. Trinkt schnell aus, dann können wir los.“ Mike stand auf und spülte seine Tasse. Fanny tat es ihm kurze Zeit später nach. Dann konnten sie endlich losfahren.

Fanny wachte erst wieder auf, als das Auto anhielt. Verschlafen rieb sie sich die Augen und spähte aus dem Fenster. Die vertraute Umgebung hatten sie längst verlassen. Die Landschaft draußen war hügeliger als zu Hause und der Himmel war wunderbar klar und blau und die Sonne schien. „So, auf auf zum zweiten Frühstück!“, rief Frau Färber und schnallte sich aus. Erst jetzt sah sie, dass ihre Tochter wach war: „Na, endgültig ausgeschlafen?“, fragte sie lachend. Fanny grinste trotzig. „Nein, was dagegen wenn ich den ganzen Urlaub verschlafe?“ Darauf sagte die Mutter nichts mehr. Mike war schon ausgestiegen und trank eine Cola. Auch Fanny stieg mit steifen Gliedern aus dem Wagen und reckte sich. „Wo sind wir eigentlich?“, fragte sie. Mike beugte sich über die Karte, die auf der Motorhaube lag, und fuhr mit dem Finger einen Weg nach. Ein prüfender Blick auf seine Armbanduhr und ein erstaunter Gesichtsausdruck übermächtigte seine Miene. „Wir sind in einer verdammt kurzen Zeit ziemlich weit gekommen. Entweder ich habe auch die ganze Fahrt bis hierhin verschlafen so wie du ohne es gemerkt zu haben oder deine Mutter fährt so raffiniert schnell, dass niemand es merkt.“ Frau Färber gesellte sich zu den beiden und amüsierte sich über Mikes These. „Ich würde eher sagen, dass ich schnell gefahren bin und du es trotzdem nicht mitbekommen hast“, war ihre Meinung. Fanny trat neben Mike und suchte den Punkt im Atlas, wo sie jetzt waren. Hinter München schon! Dann waren sie ja mindestens seit 8 Stunden unterwegs und sie hatte die ganze Zeit geschlafen. „Noch knapp 150 km, dann sind wir da“, sagte Frau Färber und steckte sich munter eine Zigarette an. Aus Protest setzte Fanny sich wieder in den Wagen. Sie hasste diese Angewohnheit der Mutter. Doch schon kurze Zeit später konnte es weitergehen, denn zur Kaffeezeit wollte Frau Färber da sein. „Wäre doch gelacht, wenn wir nicht um 2 Uhr da wären.“

Punkt 2 Uhr fuhr der Wagen auf den Parkplatz der Anlage. Fanny stieg aus und vertrat sich die Beine, während Frau Färber zur Anmeldung hastete. Mike blieb im Wagen. Er war eingeschlafen. Nach 10 Minuten später war Frau Färber mit den Anmeldepapierkram fertig und hatte einen Parkplan und ein Etikett erhalten, welches sie in die Frontscheibe des Autos kleben musste. Inzwischen hatte Fanny Mike geweckt und es konnte losgehen. Die Schranken am Eingang des Ferienparks konnten sie mit Hilfe einer Karte passieren. Staunend beobachtete Fanny ihre neue Umgebung. Der Park war aufs schönste gelegen: Keine Schnellstraße in der Nähe, zwischen den Häusern war unerdenklich viel Platz und es gab ein Restaurant, ein Hallenbad mit dazugehörendem Freibad, eine Disco, einen Supermarkt und Spielplätze für die Kleinen. Alles in einheitlichen Farben gestrichen. Vor den Gebäuden waren herrliche Blumenbeete und Plätze, wo man einfach nur sitzen und die Sonne genießen konnte. Hier ließ es sich vielleicht doch vier Wochen aushalten. Auch Mike blieb der Mund vor Staunen offen stehen. „Was haben sie für das Haus hier hingeblättert?“, wollte er von Frau Färber wissen. Die guckte abwechselnd auf den Plan und die Straße und versuchte, den ihr zugeteilten Bungalow zu finden. „Das war eigentlich ein ganz annehmbarer Preis, wir sind ja noch nicht in der Hauptsaison“, beruhigte sie Mike. Drei Minuten später fuhren sie auf eine kiesbestreute Auffahrt hinauf. Sogar eine Garage und ein großer Vorgarten gehörte zu ihrem Ferienambiente. Mike kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Das sind doch schon keine Ferienhäuser mehr“, sagte er, „in den Dingern kann man wohnen.“ Fanny gab ihm recht. Man fühlte sich eher in einem Wohngebiet als in einem Feriendorf. Nur das es hier auch noch Reinemachefrauen gab, die jeden Tag kamen und putzten, Betten machten und sogar die Wäsche wuschen. Zumindest hatte Frau Jenrich so was erzählt. Fanny ließ sich von ihrer Mutter den Hausschlüssel geben und schloss auf. Innen sah es noch eindrucksvoller aus: Große helle Räume, Möbel aus Leder, moderne Elektrogeräte bis zum Abwinken und und und. Solch einen Luxus hatte Fanny noch nie gesehen geschweige denn selbst genießen dürfen. Auch Mike und Frau Färber staunten nicht schlecht. Für jeden von ihnen gab es ein eigenes Schlafzimmer, das so groß war, dass locker eine 2 Meter breites Bett, ein großer Schrank, ein Schreibtisch und eine Sitzecke hineinpassten. Die zwei Bäder waren genauso groß wie die Küche und, wie die Schlafzimmer, im oberen Stockwerk. Unten gab es die Küche, einen Salon, ein Wohnzimmer, die Eingangshalle und einen Pool. Frau Färber schien über ihr Feriendomizil selber ganz erstaunt. Aber begeistert waren sie alle nach dem Hausrundgang. Da klingelte das vergoldete Telefon, das auf einem Mahagonitischchen neben der Haustüre stand. Zögernd ging Mike darauf zu und hob ab. Die Stimme am anderen Ende ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, er konnte nur „Ja“ und „Wir haben uns schon gewundert“ sagen. Endlich legte er auf. „Und, was war?“, fragte Fanny. Mike grinste: „Es wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein“, war sein Kommentar und Frau Färber fing an zu lachen: „Sag nicht, die haben uns die falsche Nummer gegeben!“ „Doch. Unser Apartment hat die Nummer 252 und nicht 525.“ Jetzt mussten sie alle drei lachen. Schnell stiegen sie wieder ins Auto und verließen die Auffahrt.

„Ich weiß auch nicht, ob ich mich zwischen dem ganzen Schnickschnack und Luxus so wohl gefühlt hätte“, gab Fanny zu, „da hatte man ja Angst alles kaputt zu machen und überhaupt was anzufassen.“ Die Mutter nickte und bog rechts ab. Hier standen die Häuser schon näher zusammen und waren auch nicht mehr so groß. „Das ist eindeutig unsere Klasse“, sagte Mike und suchte die Nummern an den Haustüren. „248,249, 250, 251- stopp, hier ist es!“, rief er und Frau Färber und hielt den Wagen vor einem dunkelblau gestrichenem Bungalow an. Die Haustüre war hellbraun, die Fensterläden in einem dunklerem braun- das alles wirkte sehr rustikal und einladend. Der Rasen vor dem Haus war gepflegt und hier und da sprossen Blumen in den unterschiedlichsten Farben. „Hier ist es eindeutig besser“, sagte Fanny und stieg aus. Mike tat es ihr nach, nur Frau Färber blieb sitzen. „Guckt ihr euch ruhig schon mal um, ich fahre zur Rezeption und hole den anderen Schlüssel.“

Und weg war sie. „Stimmt ja, wir haben ja noch den alten“, fiel Fanny ein. „Das kann jetzt wieder dauern“, ächzte Mike und ließ sich auf den Rasen fallen. Fanny legte sich neben ihn. „Schade das Jana nicht dabei ist.“, sagte sie traurig. Mike fing an zu feixen: „Überleg doch mal du Trantüte. Ohne Jana wären wir gar nicht hier.“ Fanny schlug sich an die Stirn: „Oh yes, stimmt ja.“ Dann stand sie auf und befreite ihre Hose von Grashalmen und Gänseblümchenblütenblättern. „Ich lauf ein wenig rum, kannst du das Mama sagen?“ Mike lag mit geschlossenen Augen da. Jetzt öffnete er sie. Immer wenn Fanny in seine Augen schaute, meinte sie, genau in Janas Gesicht zu blicken. Diese Augenblicke liebte sie. Es war, als würde Jana ihr Botschaften durch ihren Bruder schicken. Er nickte und schloss sie wieder: „Wenn ich bis dahin nicht eingeschlafen bin, klar.“

Fanny wandte sich ab und verließ das Grundstück. Mit langen Schritten ging sie die Straße entlang. Kaum ein Haus war besetzt. Es war ja auch keine reguläre Ferienzeit. Und wenn Fanny ehrlich war, war ihr das auch ganz recht. Die Häuser sahen alle gleich aus. Dunkelblau, hellbraun, braun. Dunkelblau, hellbraun, braun. Ihre Wanderung endete an einer Eisdiele mit integriertem Kiosk. Gegenüber befanden sich Tennisplätze. Auf denen war, im Gegensatz zur Wohnsiedlung, die Hölle los. Alle vier Plätze waren besetzt. Auf den meisten spielten nicht nur zwei sondern vier oder noch mehr. Auf einem Platz fand Unterricht statt. Eine ältere Frau schlug ungekonnt Bälle ins Netz oder knapp darüber. Der Tennislehrer erklärte ihr den Schlag und holte die Bälle wieder. Er war nicht sehr viel älter als Fanny. Zumindest sah er nicht so aus. Er sah gut aus in den Sportshorts und dem weißen T-Shirt. Fanny riss ihren Blick von ihm los. Keine Zeit für Schwärmereinen. Das brachte außerdem meistens Ärger und Unannehmlichkeiten. Außerdem war so ein Mann wie er bestimmt nicht solo. Sie kaufte sich ein Eis und ging weiter. Sie kam in das etwas reichere Viertel, wo die Häuser wieder größer und eindrucksvoller wurden. Anscheinend war das Feriendorf in Abschnitte eingeteilt. In dem einen wohnten Leute, die ganz viel Geld hatten, dann kamen die mit dem mittleren Einkommen und zum Schluss die, die sich einmal in Jahr einen Urlaub leisten konnten. Und dann auch nur mit eiserner Sparerei.
Fanny war froh, dass ihre Mutter genug Geld verdiente, sodass sie nicht jeden Penny dreimal umdrehen mussten, bevor sie ihn ausgaben. Bei der nächsten Kreuzung bog Fanny wieder nach rechts ab und hoffte, so wieder zu ihrem Haus zurückzufinden. Es gab zwar Schilder, aber woher sollte sie wissen, ob ihr Ferienhaus zum Viertel „Dona Mabellé“ oder „Vista Donata“ gehörte? Intuitiv schlug sie den Weg zu „Dona Mabellé“ ein und kurze Zeit später entdeckte sie den Wagen der Mutter.

Mike war gerade dabei, die Koffer und Taschen auszuladen. Frau Färber war nirgendwo zu sehen. Fanny beeilte sich ihm zu helfen und schaffte die Sachen in den Flur. Das Haus sah von innen genauso rustikal aus wie von außen. Bequeme Möbel, viel Holz und knarrende Dielenbretter. Eine schmale Stiege führte ins obere Stockwerk. Schnaufend brachte Mike den letzten Koffer ins Haus: „Mensch, was habt ihr alles mitgenommen?“, fragte er und hielt sich den Rücken. „Erstens ist meine Mutter diejenige, die immer zuviel mitnimmt und zweitens ist statistisch bewiesen, dass Männer meistens genauso viel Gepäck haben wie Frauen“, belehrte Fanny ihn. „Aber die Betonung liegt dabei auf meistens“, beharrte Mike und ließ sich auf ein Sofa fallen. Fanny tappte die Treppe hoch. Die Stiegen knarrten und knirschten bei jedem Schritt. Im Flur oben lagen bunte Flickenteppiche und an den Wänden hingen Aquarelle, die schneebedeckte Berge und Pferdefuhrwerke zeigten. Wirklich, der Ferienort hatte alle Stilrichtungen die es gab. Von antiquariat bis modern, von rustikal bis uralt und doch noch verwendbar. Aber gemütlich und einladend wirkte alles. Die Schlafzimmer konnte man mit kleinen Kammern vergleichen. In jedes passte ein daunenbezogenes Bett, ein Nachtschränkchen und eine kleine Kommode für die Klamotten. Auch hier fand Fanny Aquarelle und Teppiche. „Hmm, sind zwei Schlafzimmer nicht ein bisschen wenig?“, fragte auf einmal eine bekannte Stimme hinter ihr. Erschrocken wirbelte Fanny herum. Natürlich, Mike. Doch bevor Fanny sich bei ihm beschweren konnte, sagte er: „Na ja, ich schlafe gerne unten auf dem Sofa. Das würde mir nichts ausmachen. Dann garantiere ich den Damen wenigstens einen ruhigen und angenehmen Schlaf.“ „Ha ha, wohl heute sehr zu Späßen aufgelegt, was?“, fragte Fanny. Doch statt einer Antwort ging Mike pfeifend nach unten. Fanny seufzte, denn in einem Punkt musste sie Mike recht geben: Es gab wirklich nur zwei Schlafzimmer. Wahrscheinlich gab es aber unten ein extra Schlafsofa. So schlief er wenigstens nicht ganz so unbequem. „Fanny, kannst du die Koffer nach oben bringen?“, rief da die Mutter vom Flur aus. „Klar!“, schrie sie zurück und auf einmal war sie froh, doch hierher gekommen zu sein. Ein bisschen Abwechslung und Ablenkung tat ihr ganz bestimmt gut.


Am Abend machten sie sich zu dritt auf den Weg zur Siedlungserkundung. Die Anlage war wirklich riesig und ohne Plan hätten sie sich garantiert verlaufen. Sie fanden die Bäder, die Sportplätze und das Restaurant, in dem sie zu Abend aßen. Um halb 12 gingen sie zum Haus zurück. Müde und geschafft, trotzdem voller guter Dinge. „Also ich gehe morgen nach Lienz, mir das Dorf angucken und Lebensmittel einkaufen. Wir können schließlich nicht jeden Abend essen gehen“, plauderte Frau Färber. Sie hatte eine ziemlich gute Laune, was vielleicht auch mit dem einen Liter Wein zusammenhing, den sie getrunken hatte. Mike war dagegen ziemlich schweigsam. Er ging langsam und kurz vorm Haus sagte er: „Geht ruhig schon ins Bett, ich laufe noch ein wenig herum.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und drehte um. Im Haus angekommen ging Frau Färber sofort ins Bad und danach ins Bett. Doch Fanny war auf einmal nicht mehr müde. Wieso war Mike nicht direkt mitgekommen? Er konnte sich doch noch morgen früh hier umsehen. Ratlos schaltete sie den Fernseher an, zappte durch die Programme. Nirgendwo lief was Vernünftiges. Bei einer Talkshow blieb sie aber dann doch hängen. Es ging um das Plötzliche Sterben von guten Freunden und Verwandten. Eine Frau erzählte weinend von dem Krebstod ihrer Tochter. Ein Mann von dem Autounfall seines besten Freundes, mit dem er seit dem Kindergarten dick befreundet war und so ging es die ganze Palette durch. Fanny konnte sich nur zu gut an das Gefühl erinnern, was die Leute dort auf der Mattscheibe versuchten zu erklären. Dieses Gefühl von Leere, einem großen schwarzen Loch. Man fühlte am und im ganzen Körper die Sehnsucht nach diesem Menschen. Wollte, dass er bei einem war, sonst hatte man das Gefühl, gar nicht mehr zu existieren. Langsam sackte Fannys Kopf auf ihre Brust und sie schlief ein.

„Fanny, aufwachen!“ Von einem unsanften Rütteln wurde sie von Mike aus dem Schlaf gerissen. „Mensch, nur noch 5 Minuten“, bettelte Fanny und drehte sich um. Doch Mike ließ die Ausrede nicht zu: „Ach Quatsch, nun komm schon. Die Sonne scheint und der Tag wird wunderschön. Deine Mutter hat schon Brötchen geholt und der Tisch ist auch schon gedeckt.“ Müde richtete Fanny sich auf. Kaffeeduft erreichte ihre Nase und prompt meldete sich ihr Magen. Das klang nur zu gut, was Mike da erzählte. Schnell stand sie auf und machte sich im Bad fertig. Frau Färber und Mike saßen schon am Küchentisch und vertilgten Brötchen, als sie dazu stoß. Die Mutter goss ihr Tee in eine Tasse und Mike reichte ihr den Brötchenkorb. Lange Zeit hörte man nur Schlürfen und Kaugeräusche am Küchentisch. „Und was wollt ihr heute machen?“, fragte Frau Färber dann interessiert. Mike zuckte die Schultern und schluckte den letzten Bissen hinunter: „Keine Ahnung. Mal schauen.“ Fanny antwortete dasselbe. „Und, wie war dein abendlicher Rundgang gestern noch?“, fragte sie Mike. Der war schon aufgestanden und sein Geschirr am Aufräumen. „Ach, ganz okay“, wich er aus. Fanny wollte noch nachhaken, aber sie wusste, dass das nicht mehr viel bringen würde. Wenn Mike über etwas nicht sprechen wollte, dann tat er das auch nicht. Frau Färber nahm sich noch ein Brötchen: „Lass nur Mike, ich mache nachher den Abwasch. Genieße du ruhig deinen ersten Tag hier.“ Mike wollte widersprechen, doch Frau Färber winkte ab. Er bedankte sich und verließ kurz darauf das Haus. Fanny beeilte sich ihr Brötchen zu essen und stand rasch auf. Die Mutter war immer noch nicht fertig. Sie hatte sich in einer Urlaubslektüre vertieft und merkte gar nicht, wie auch ihre Tochter 5 Minuten später ging.

Das Wetter war genauso schön wie am vorherigen Tag. An den Tennisplätzen war allerdings nicht soviel los wie gestern. Nur der Tennislehrer war mit zwei vielleicht sechzehnjährigen Schülerinnen da. Die Mädchen himmelten ihn an und waren eher mit flirten als Tennisspielen beschäftigt. Wenn die gewusst hätten, wie bescheuert ihre Turtelei aussah, hätten sie es wahrscheinlich gelassen. Fanny schmunzelte und setzte sich an einen der wenigen Tische vor die Eisdiele. Sie bestellte sich einen Früchtebecher und sah dem Tennislehrer und seinen ziemlich vergeblichen Bemühungen zu. Der einen versuchte er, den richtigen Aufschlag beizubringen. Die andere hatte schon so manches Mal einen Tennisschläger in der Hand gehalten, allerdings musste das Jahre her gewesen sein. Sie beherrschte nur die Vorhand und was Schmetterbälle waren wusste sie auch nicht.

Eine halbe Stunde später gab der Lehrer auf und verabschiedete die Beiden. Fanny hatte ihren Eisbecher geleert und wollte gerade gehen, als der Tennislehrer auf sie zukam. Unter dem linken Arm trug er eine Tasche mit Tennisschlägern, in der rechten Hand hielt er eine Dose mit 6 Tennisbällen. „Guten Morgen“, begrüßte er sie wie eine gute alte Bekannte. Langsam ließ er die Tasche und die Dose auf den Boden sinken. „Ich hoffe Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich zu ihnen setzte?“, fragte er. Unfähig eine Wort zu sagen nickte Fanny nur. Der Tennislehrer ließ sich auf einen Stuhl ihr gegenüber nieder und griff zur Karte. Er studierte sie gründlich und entschied sich für einen großen Joghurtbecher und ein Wasser. „Heinz, schreibst du das auf meine Karte“, bat er den Kioskbesitzer, als der ihm das Gewünschte brachte. Der dickbauchige freundliche ältere Mann nickte und ging in sein Kabuff zurück. Mit Heißhunger machte der Lehrer sich über das Eis her. Fanny konnte ihren Blick nicht von ihm wenden. Er war groß, braun gebrannt, gut gebaut, hatte schwarze Haare und braune Augen. Sein Stimme war herzig, hatte allerdings keinen österreichischen Akzent. Erst als er den halben Becher geleert hatte, sagte er: „Entschuldigen Sie, dass ich mich noch gar nicht vorgestellt habe.“ Lachend reichte er ihr die Hand: „Ben Weber. Und wie heißen Sie?“ Fanny räusperte sich und nannte ihren Namen. „Einen schöner Name ist das. Und sie heißen wirklich so oder ist Fanny nur eine Abkürzung für Vanessa?“ „Fanny ist mein richtiger Name.“ „Sie sind mir gestern schon aufgefallen. Da sind sie auch schon hier rumgelaufen“, berichtete er, ohne das Essen zu unterbrechen. Fanny wurde rot: „Ja, kann schon sein. Wir sind gestern erst angekommen und ich war mich ein wenig am Umschauen.“ Er nickte: „Ja, das ist nicht verkehrt. Und, wo wohnen Sie?“ Fanny zögerte. Sollte sie ihm wirklich ihre Hausnummer sagen? Seit Janas Tod war sie sehr vorsichtig mit fremden Männern. Andererseits: Er arbeitete hier und vielleicht war es auch seine Pflicht. Oder reines Interesse. „Nummer 252 im „Dona Mabellé““, erzählte sie deshalb. Wissend nickte Ben Weber abermals: „Ja, die rustikalen Häuser. Gute Wahl“, sagte er. Dann schob er den Eisbecher zur Seite und trank sein Glas Wasser in langen Zügen auf einmal aus. „Und mit wem sind sie hier?“, ging das Kreuzverhör weiter. „Mit meiner Mutter und einem Bekannten“, erzählte Fanny. Sie erwähnte nicht, wie sie zu Mike stand. Wenn sie sagen würde, dass er der Bruder ihrer Freundin war, wäre Ben im Stande zu fragen, wieso ihre Freundin nicht mitgekommen wäre. Das wollte sie vermeiden. Herr Weber stand auf und nahm seine Tasche und die Tennisbälle: „Wir sehen uns dann bestimmt noch mal. Und wenn Sie Tennisstunden nehmen möchten, fragen sie einfach Heinz“, er deutet auf den Kioskbesitzer, der an der Kabufftür lehnte und Pfeife rauchte, „er sagt mir dann Bescheid und ich setzte mich mit ihnen in Verbindung. Oder Sie sprechen mich direkt mal an. Ciao“

Noch ehe Fanny sich auch von ihm verabschieden konnte, war es verschwunden. Wie in Trance stand sie auf, bezahlte ihr Eis und machte sich auf den Weg zum Haus zurück. Tennisstunden! Wieso nicht? Ihre Mutter hätte bestimmt nichts dagegen, wenn sie Tennis spielen würde. Sie wäre vermutlich sogar begeistert. Schließlich waren sie ja auch zur Ablenkung hierhin gefahren. Und Sport war doch eine sehr gute Alternative. Sie würde sofort fragen. Mehr als Nein sagen konnte sie eh nicht. Doch zu Fannys Enttäuschung war nur Mike im Bungalow. Er saß mampfend vor dem Fernseher. „Du hast nichts besseres zu tun als in deinen Ferien vor dem Fernseher zu hocken?“, fragte Fanny vorwurfsvoll, „mensch, was machst du denn dann den ganzen Tag zu Hause, wo du nicht so tolle Sachen machen kannst wie hier?“ Mike antwortete, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden: „Deine Mutter ist nach Lienz. Ich sollte so lange hier bleiben und gucken, dass du ins Haus kommst, denn sonst hättest du jetzt vor verschlossener Türe gestanden.“ „Ach, das ist aber liebenswürdig von dir“, sagte Fanny feixend und setzte sich neben ihn. Doch Mike stand auf, stellte den Fernseher aus und sagte ernst: „Jetzt kann ich auch was anderes unternehmen als blöde vor der Glotze zu hängen. So wie die Prinzessin es wünscht.“ Er war sauer. Doch Fanny unternahm nichts zu seiner Besänftigung. Stattdessen tat sie so, als hätte er den Kommentar nie gesagt und ging ins obere Stockwerk. Sie hatte zwar letzte Nacht auf der Coach geschlafen, hatte aber nicht vor, das die ganzen 4 Wochen zu tun. Im hinteren der beiden Schlafzimmer fand sie ihre zwei Koffer. Mike hatte sich nicht häuslich eingerichtet, also konnte man davon ausgehen, dass er im Wohnzimmer bleiben würde. Hastig raffte Fanny Badezeug, Sonnenmilch, ihre Geldbörse und ein Buch zusammen, stopfte alles in ihren Stoffrucksack und ging wieder nach unten. Der Mittag versprach heiß zu werden. Dann konnte man die Zeit besser zum schwimmen als zu einer Stadtbesichtigung nutzen. Mike war bereits gegangen. Fanny nahm noch eine Rolle Plätzchen aus dem Vorratsschrank und machte sich, diesmal mit Schlüssel, auf den Weg zum Freibad.

Den gesamten Resttag bis sieben Uhr blieb sie dort. Ging schwimmen, aß zwischendurch die Plätzchen und ein Eis und las im Buch. Zum ersten Mal seit Janas Tod ging es ihr richtig gut und sie hatte nicht einmal binnen eines Nachmittags an sie gedacht. Weder ihre Mutter noch Mike waren im Bungalow. Nur ein Zettel von Frau Färber fand Fanny auf dem Küchentisch. „Bin in Lienz essen und voraussichtlich um 11 Uhr wieder da. In Liebe, Mama!“
Guter Laune machte Fanny einfach Bugetts im Backofen warm und aß sie vor dem Fernseher. Um halb 10 erschien Mike. Er sagte keinen Ton, aß nur seine mitgebrachte Pizza und verschwand dann wieder. Frau Färber kam nicht um 11, auch nicht um halb 12. Um 12 Uhr wollte Fanny nicht mehr warten. Sie war müde und geschafft. Kurze Zeit später im Bett hörte sie noch, wie jemand die Türe aufschloss. Doch sie hatte keine Lust zu gucken, wer es war. Entweder Mike oder die Mutter, kein anderer besaß den Schlüssel zum Haus. Als die Mutter 5 Minuten später ins Zimmer schaute, hörte sie nur noch die regelmäßigen Atemzüge ihrer schlafenden Tochter.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Kaum einer sah den anderen, jeder machte das was er wollte. Fanny hatte ihre Mutter doch nicht wegen Tennisstunden gefragt. Sie wollte nicht das Wagnis einer Urlaubsaffäre eingehen. Frau Färber besuchte die umliegenden Städte und machte unzählige Kulturbesuche mit einem alten Bekannten, den sie hier in der Anlage getroffen hatte. Mike erzählte nie, was er den ganzen Tag getrieben hatte. Das lag wohl daran, dass er morgens, wenn Fanny und Frau Färber aufstanden, schon wieder weg war und die Beiden schon schliefen, wenn er abends nach Hause kam. Fanny lümmelte die meiste Zeit am Kiosk herum oder ging schwimmen. Sie dachte kaum noch an Jana und von Tag zu Tag sah sie besser und erholter aus. Eine Woche nach ihrer Ankunft schlug das Wetter über Nacht um. Es goss wie aus Kübeln, der Himmel war wolkenverhangen und man war ans Haus gefesselt. Am Nachmittag des zweiten Regentages hatte Fanny schon keine Lust mehr, im Bungalow rumzuhängen. Deshalb machte sie sich nach dem Mittagessen im Regenmantel und mit Regenschirm auf den Weg nach Lienz. Der Wind pfiff ihr gehörig um die Ohren und es war kälter als sie gedacht hatte. Deshalb suchte sie, kaum in Lienz angekommen, ein Café auf.

Das nächstbeste was ihr unter die Augen kam nahm sie. Es war klein, aber gemütlich, mit Petroleumlampen auf den Tischen. Sie verbreiteten allerdings einen starken Geruch, an den man sich aber schnell gewöhnte. Es war warm, das war die Hauptsache. Fanny besetzte einen Einzeltisch am Fenster. Der Regen trommelte gegen die Scheibe und einzelne Tropfen perlten hinunter. Ein untersetzter dunkelhäutiger Mann kam und fragte nach ihren Wünschen. Sie bestellte einen Früchtetee mit viel Zucker und ein Stück Apfelstrudel mit Vanilleeis. Er schrieb alles auf einen Block, machte eine höfliche Verbeugung, wobei ihm sein langes schwarzes Haar in die Stirn fiel, und verschwand. Fanny sah sich im Café um. Es gab nur ungefähr 10 Tische. Die waren dafür auch alle besetzt. Die Stühle waren mit purpurrotem Samt gepolstert. Mit demselben Samt, allerdings in dunkelgrün, war die Decke bedeckt. Die Wände waren in einem ganz dunklen orange gestrichen und mit Ornamenten verziert. Der Tresen war aus demselben dunklen Holz gefertigt wie die Stühle und Tische. Und was Fanny am besten gefiel: Man war nicht vom blauen Zigarettendunst eingehüllt, der die ganze Atmosphäre störte und einen kaum atmen ließ. Endlich kam ihre Bestellung. Mit Heißhunger fing sie an den Kuchen zu essen. Zwischendurch warf sie einen Blick nach draußen. Es regnete weiterhin, sogar noch stärker als auf dem Weg in die Stadt. Der letzte Bissen blieb ihr vor Schreck im Hals stecken, als sie kauend in den Regen hinausschaute.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lief ein Mann. Man konnte ihn nur schlecht erkennen durch den dichten Regen, aber für Fanny genügte es. Er sah aus wie viele andere Männer, aber gerade das ließ Fanny das Blut in den Adern gefrieren. Sie klebte nun fast mit dem Gesicht an der Scheibe, um ihn besser sehen zu können. Er trug diesmal keine schwarzen Sachen, sondern Blue Jeans und ein buntes Hawaiihemd. Seine Regenjacke hatte er nur locker um den Bauch geknüpft. Anscheinend war es seine Absicht, sich nass regnen zu lassen. Er war kräftig gebaut und trug eine Brille. Mehr konnte Fanny aus der Entfernung nicht ausmachen. Aber sie war sich fast sicher, dass er der Mann war, den sie vor einem halben Jahr so genau der Polizeipsychotherapeutin Gaby Jenrich beschrieben hatte: Janas Mörder! Aber das konnte doch nicht sein. Nein, das war unmöglich. Fanny schüttelte entschieden den Kopf und drehte ihr Gesicht weg. Nein, sie litt eindeutig unter Halluzinationen. Um ganz sicher zu gehen, sah sie noch mal in den Regen hinaus. Die mysteriöse Person war verschwunden. Na, da hatte sie es doch. Nichts als eingebildet hatte sie sich diese Person. Bei ihren Nerven war das ja auch kein Wunder. Zu Hause hatte sie sich wochenlang nicht aus dem Haus getraut, weil sie befürchtet hatte, der Kerl würde wiederkommen und sie auch umbringen, was ja auch nicht ganz unwahrscheinlich war. Schließlich kannte sie ihn und sein Aussehen, dass wusste er.
Doch es war nichts geschehen. Und jetzt versetzte sie ein Mann in Panik, der wahrscheinlich hier wohnte und arbeitete und noch nie jemandem ein Haar gekrümmt hatte. Fanny schluckte den Bissen hinunter und schlürfte ihren Tee. Eine halbe Stunde später bezahlte sie. Der nette Mann von vorhin nahm ihr Geld entgegen. „Haben Sie etwas?“, fragte er besorgt, als er ihr das Wechselgeld in die Hand drückte, „Sie sehen so blaß aus.“ Fanny lächelte höflich: „Nein, es ist nichts. Ich dachte nur gerade ich hätte einen Mann gesehen, den ich früher mal gekannt habe.“ Wieso erzählte sie ihm das? Das ging ihn doch gar nichts an. Und helfen konnte er sowieso nicht. Der Kellner guckte sie fragend an, sagte aber nichts mehr. Schnell verließ Fanny das Café.

Der Regen hatte etwas nachgelassen und sie wurde kaum nass auf dem Rückweg. Und wenn dann hätte sie es nicht bemerkt, so sehr war sie am Nachdenken. Angenommen, es war wirklich Janas Mörder. Dann hätte er direkt nach dem Mord flüchten müssen, um hier nach Österreich zu gelangen, obwohl die Grenzen nicht gut kontrolliert wurden. Aber das war ja auch nicht schwer, es hat ja noch mindestens eine Stunde gedauert bis Polizisten auf der Suche nach ihm waren. In Österreich stand er ja auch nicht auf der Fahndungsliste. Man vermutete ihn ja nur in Deutschland. Aber er brauchte trotzdem einen neuen Pass, einen neuen Namen und eine neue Lebensgeschichte. Wo bekam er das alles her?
Fanny schüttelte energisch den Kopf. Das war alles Quatsch was sie da zusammenreimte. Janas Mörder war, im Moment zumindest, unauffindbar. Und egal ob er in Deutschland, Österreich oder woanders untergetaucht war, irgendwann würde man ihn finden. Aber fest stand: Den Mann vorhin im Regen hatte sie sich entweder nur eingebildet oder er hatte eine sehr große Ähnlichkeit mit dem Mörder. Was anderes kam nicht in Frage.

In der Anlage angekommen hoffte Fanny nicht, dass ihre Mutter oder Mike etwas bemerkten würden so wie der Kellner im Café. Und sie hatte Glück. Mike war nicht da und die Mutter war so mit Schönmachen beschäftigt, dass sie Fanny nur ein „Hallo Schatz!“ zurufen konnte.
Schnell verschwand Fanny in ihrem Zimmer. Wie gut das sie noch vor den Ferien in der Bibliothek gewesen war. Dort hatte sie sich genügend Lernbücher zugelegt, in die sie sich bis zum Abendessen vertiefte. So konnte sie den komischen Mann bestimmt bald vergessen.

Zum Essen kam der Bekannte von Frau Färber. Jetzt wusste Fanny auch, wieso die Mutter vor dem Spiegel gestanden hatte und nun toll zurechtgemacht im Abendkleid am Tisch saß. Sie himmelte diesen Markus Berger regelrecht an. Ob das wohl schon die ganzen Treffen so ging? Markus war recht groß, gerade mal 29 Jahre alt und ebenfalls Student, wie Fanny. Er hätte ihr Bruder sein können. Aber der große Altersunterschied zwischen ihm und Frau Färber fiel nicht so stark auf, da Fannys Mutter jünger aussah als ihre wirklichen 45 Jahre. Er unterhielt sich blendend mit Frau Färber und wendete sich erst beim Dessert an Fanny:„Deine Mutter hat mir erzählt, dass du Germanistik und Kunstgeschichte studierst“, sagte er. Fanny nickte und nahm die Schüssel mit Quark an, die die Mutter ihr reichte. Sie tat sich nur einen kleinen Klecks in die Schale. „Ja, das stimmt. Aber ich bin bald fertig. Was ich danach machen will weiß ich noch nicht.“ Markus leerte fast die halbe Quarkschüssel. Das ging schon das ganze Essen so. Nichts war übrig, wenn er sich bedient hatte. Frau Färber sah großzügig darüber hinweg. Sie musste wirklich ziemlich in ihn verschossen sein, denn nichts hasste sie mehr als Egoismus und Selbstliebe. Und Markus liebt sich selbst, dass war nicht zu übersehen. Er erzählte nur von sich und lachte über seine Witze, die einen eher zum Weinen brachten weil sie entweder grottenschlecht oder schon uralt waren. Frau Färber hatte sich vor lauter Lachen zwischendurch nicht mehr eingekriegt. Fanny fragte sich langsam, ob sie eine gute Schauspielerin war oder ihm damit eine Freude machen wollte. Sie vermutete von beidem etwas. Markus hatte seine Schale geleert und lehnte sich mit freudigem Gesicht in den Stuhl zurück: „Und, hat Helene dir schon erzählt wo wir uns kennen gelernt haben.“ Fanny verneinte, fügt aber hinzu, dass sie sich wahnsinnig freuen würde, wenn er ihr davon berichten würde. Das verlangte ihre gute Erziehung. Markus fing an und erwähnte noch jedes so kleinste Detail. Er hörte sich selber gerne erzählen. Nach 10 Minuten drohte Fanny fast auf dem Stuhl einzuschlafen, doch da rettete Mike sie unverhofft, indem er ins Haus gestürmt kam. Er brachte einen Schwall kühlen Wind mit ins Wohnzimmer und zog eine nasse Spur hinter sich her. „Guten Abend allerseits.“ Der Gast interessierte ihn nicht im Geringsten. „Mensch, was für ein Wetter draußen. Am besten bleibt man im Warmen und wartet ab.“ Mit Schwung setzte er sich neben Markus, der prompt ein paar Regentropfen abbekam. Der bemühte sich, die mit einer Serviette zu trocknen, was aber nicht so recht gelang. Deshalb stand er auf und holte seine Jacke: „Ich schlage dir vor, dass wir in meine Villa gehen“, sagte er an Helene gewandt. Fanny hörte ihn noch leise hintersagen: „Da sind wir wenigstens ungestört und müssen uns nicht von unreifen Tölpeln nassmachen lassen.“ Oh Gott, stellte sich der an. Frau Färber nickte, warf Mike noch einen nicht gerade netten Blick zu und verschwand mit Markus im Regen.

„Puh, endlich“, seufzte Fanny erleichtert. Mike grinste: „Ich weiß wie schlimm der Typ ist, deshalb habe ich auch gemacht, dass ich nach Hause kam.“ Fanny bedankte sich und fing an den Tisch abzuräumen: „Woher wusstest du überhaupt das Markus heute hier ist.“ Mike stellte die Töpfe in einen Karton aus Styropor und deutete ihr, es ihm nachzutun. „Ich sollte das beste Essen im Restaurant bestellen und hierhin bringen. Das ist wohl so´n Service den die anbieten. Das einzig gute ist, dass die auch den Abwasch übernehmen. Na ja, und da habe ich eben gedacht, dass sie nicht ohne Grund das beste Essen mit Kaviar und Sekt bestellt.“ Fanny verschloss den Karton und übergab ihn Mike: „Tja, dann darfst du ihn bestimmt auch wegbringen.“ Übertrieben lieb lächelnd. Mike zog eine Grimasse und schüttelte den Kopf: „Nicht jetzt Prinzessin, das mache ich morgen.“ Lachend setzten sie sich vor den Fernseher. Die wenigen harten Worte die zwischen ihnen gefallen waren hatten sie sich schon gegenseitig verziehen. Fanny überlegte, ihm von dem rätselhaften Mann zu erzählen, ließ es dann doch. Es würde nur den Urlaub stören und alle in Panik versetzten. Außerdem war es ja gar nicht Janas Mörder gewesen, sondern nur irgendein anderer ihm ähnlicher Mann. Zumindest redete sie sich das die ganze Zeit ein. Aber es war bestimmt so. Im Abendprogramm lief nichts Gutes und so gingen sie bald ins Bett.

Vier weitere Tage vergingen, ohne dass was Besonderes passierte. Das Wetter besserte sich und Fanny verbrachte die Tage im Freibad oder in Lienz. Frau Färber war nur noch mit Markus Berger unterwegs und Mike blieb meistens zu Hause oder spielte Tennis. Der Tennislehrer war geradezu begeistert von ihm und gab ihm sogar Stunden ohne Bezahlung. Knapp 2 Wochen waren sie schon hier und Fanny beschloss, am 14. Tag nach Italien zum Monte Cristallo zu fahren. Das Wetter war herrlich, nicht zu heiß oder zu kalt und die Aussicht wäre bestimmt gut. Also mietete sie sich ein Taxi mit Fahrer und fuhr um 6 Uhr morgens los. Schon 2 Stunden später war sie da. Die Aussicht war berauschend schön. Lange Zeit stand sie einfach nur auf der Plattform und genoss den sanften Wind, der ihr einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht wehte und die warmen Sonnenstrahlen, die ihre gebräunte Haut erwärmten. Es gab ein gemütliches Café mit Ausblick ins Tal auf der Spitze des Berges. Dort nahm Fanny ihr zweites Frühstück ein. Sie wollte gerade herzhaft in ihr Brötchen beißen, als sie einen Mann erblickte, der ihr mehr als bekannt vorkam. Er stand im Profil zu ihr, hatte seinen rechten Arm um die Hüfte einer hübschen Frau gelegt und unterhielt sich angeregt mit ihr. Mit dem linken freien Arm zeigte er ins Tal. Wahrscheinlich erläuterte er ihr gerade die Umgebung. Er hatte ein harten Gesichtsausdruck, obwohl er lache und strahlte. Fanny wurde richtig schlecht. Er WAR es, da gab es keinen Zweifel mehr. Auch wenn er jetzt ein Brille trug, keine dichten Augenbrauen mehr hatte, dafür einen Bart und längere Haare und ausgeflippte Sachen trug... Sie hatte sich ihn nicht eingebildet am Regentag im Lienzer Café. Er war es gewesen und jetzt stand er nur wenige Meter vor ihr: Janas Mörder!

Fanny brach der Schweiß aus. Was war, wenn er sie erkannte? Würde er sie auf offener Straße ermorden? Ach Quatsch, schalt Fanny sich selber. Er wäre schön dumm, wenn er das tun würde. Außerdem, wer sagt, dass er sie erkannte? Sie hatte sich zwar nicht sonderlich verändert, aber ihr Gesicht musste er sich ja auch nicht gemerkt haben. Schließlich hatte er sich nur einmal kurz intensiv angesehen. Langsam stand sie auf, legte das Geld fürs Frühstück auf den Tisch und verließ das Café. Mit zitternden Knien ging sie langsam an der Plattform vorbei. Was für ein Glück, dass sie nicht zur selben Zeit wie er auf der Plattform gewesen war. Sie wäre garantiert in Ohnmacht gefallen. Schnell lief sie zu ihrem Taxi zurück, was nur in kurzer Entfernung neben der Plattform geparkt hatte. Der Fahrer wollte losfahren, als sie ins Auto stieg, doch Fanny bat ihn, noch nicht loszufahren. Sie wollte den fremden Mann noch beobachten und gucken, ob er wirklich Janas Mörder war, obgleich sie daran schon fast keinen Zweifel mehr hatte. Es dauerte nicht lange und er wandte sich von der Landschaft unter ihm ab und küsste die Frau. Die lächelte und Fanny lief ein heißer Schauer den Rücken hinunter. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, als ob sie unter Strom stände. Wenn die Frau wüsste, dass sie einen Mörder küsste... Fanny bekam fast einen Würgeanfall.
Doch die Freundin des Mörders warf mit Schwung ihre langen blonden Haare nach hinten und winkte ihm zu, bevor sie auf ihren hochhackigen Schuhen zu einem Mercedes ein paar Autos neben Fannys Taxi stolzierte. Sie schloss den Wagen auf und stieg ein.

„Bitte, können sie dem Wagen hinterherfahren?“, bat Fanny den Fahrer und deutete auf den silbernen Mercedes. Der nickte kurz und startete den Motor. Unauffällig fuhren sie hinter der unbekannten Frau her, den Berg hinunter und durch die Grenze wieder nach Österreich. Allerdings steuerte sie nicht Lienz, sondern den kleinen Ort Matrei an, der nur 25 km von Lienz entfernt war. Die Frau hatte sie immer noch nicht bemerkt. So schien es zumindest. Ruhig und sicher lenkte sie den Wagen zu einer alten Villa etwas außerhalb der Stadt. Das Haus war groß, hatte zwei Garagen und einen großen Garten. Fanny gebot dem Taxifahrer, einmal langsam am Haus vorbeizufahren und dann zurück in die Anlage. Nach Fannys Meinung musste die Freundin des Mörders entweder sehr reich sein oder einen reichen Mann haben. Das würde bedeuten, dass entweder der Mörder reich war oder sie ein außereheliches Verhältnis hatte. Das Haus war geradezu gigantisch und protzig. Auf Kredit konnte man so eine Bleibe bestimmt nicht kaufen. Und erst recht nicht auf so einer Straße, wo anscheinend nur Leute mit dicker Brieftasche wohnten. Fanny seufzte und überlegte. Jetzt musste sie es ihrer Mutter oder Mike erzählen. Sie konnte es nicht verheimlichen. Vielleicht wusste die Beiden Rat. Sollte man die Polizei zu Hause informieren? Oder Gaby Jenrich? Fanny war froh, als sie kurze Zeit später wieder zu Hause war.

Und sie hatte Glück: Mike war auch da. Atemlos und unter Spannung erzählte sie ihm die irre Geschichte, die alles andere als wahr und gewöhnlich klang. „Und du bist dir da ganz sicher?“, fragte Mike immer wieder, „nachher geben wir noch falschen Alarm.“ Fanny nickte empört: „Aber Hallo, klar ist er’s. Er hat sich zwar ziemlich verändert, aber wer würde das nicht tun. Seine Freundin wohnt in Matrei.“ „Hast du dir wenigstens die Straße gemerkt?“, fragte Mike, immer noch misstrauisch. Fanny schüttelte den Kopf. Mike wollte gerade aufstöhnen, als sie schnell hinzufügte: „Aber Matrei ist nicht groß. Die Straße finde ich ohne große Probleme wieder.“ Mike schien das als Ausrede zu halten, er sagte aber nur noch: „Wir erzählen das alles erst mal deiner Mutter. Die wird dann schon eine Lösung finden.“ Fanny nickte und auf einmal waren Angst, Spannung und Ratlosigkeit verschwunden. Jetzt wusste wenigstens einer Bescheid und der Mörder wusste nicht, dass sie hier war und konnte ihr nichts antun. Sie war im Vorteil, egal wie man es drehte.

Den Rest des Tages saß Fanny auf heißen Kohlen. Frau Färber tauchte erst am späten Abend auf. Auch sie glaubte die Geschichte zuerst nicht, doch Fanny hatte Mike auf ihrer Seite. Er war nun auch überzeugt, dass Fanny keinen Sehfehler hatte oder unter Halluzinationen litt. Daraufhin ging alles blitzschnell. Frau Färber rief Gaby Jenrich an und Fanny erzählte zum dritten mal die Geschichte. Frau Jenrich ließ sich recht schnell überzeugen und sie versprach, sofort die Sachen zu packen und den nächsten Flieger nach Wien zu nehmen. Von dort würde sie zur Anlage kommen. Frohen Mutes legte Fanny auf. Das Schwein kam hinter Gitter, da war sie sich nun sicher! Obwohl alle fürchterlich aufgeregt waren, gingen sie ins Bett. Doch schlafen konnte keiner. Fanny stand hellwach wie noch nie zuvor in ihrem Leben um halb vier auf und ging in die Küche, kochte Kaffee und setzte auf den Tisch. Gaby würde bestimmt Hunger haben, wenn sie ankam. Sie hatte versprochen, gleich den Hauptkommissar mitzubringen. Den Mann, der sich um den Mordfall „Jana“ kümmerte. Ob sie ihn wohl überredete bekommen hatte, trotz der nicht ganz eindeutigen Lage. Hoffendlich. Aber was war, wenn er es wirklich nicht war, sondern irgendein anderer Mann, der ziemliche Ähnlichkeit mit ihm hatte? Dann hatte Fanny ein Problem. Aber soweit wollte sie nicht denken. Kaum hatte sich der Kaffeeduft ein wenig im Haus ausgebreitet, wachte Mike auf. Er war auf dem Sofa eingeschlafen vor gar nicht allzu langer Zeit. Doch auch er war hellwach und aufgeregt. Wie wollte man feststellen, ob der fremde Mann wirklich der Mörder war und wie bekam man seinen Namen raus und wo er nun wohnte? Mikes Kopf war voller Fragen. Er wollte wissen, wer das Schwein war, das seine Schwester umgebracht hatte. Und vor allem wie, so schrecklich es auch gewesen sein muss. Er wünschte ihm einen noch schmerzvolleren Tod. Der Autopsiebericht hatte nur ergeben, dass sie vor ihrem Tod vergewaltigt worden war, aber viel mehr hatte man nicht feststellen können. Mike wünschte ihm die lebenslange Haftstrafe. Fanny und er aßen wortlos. Beide hingen ihre Gedanken nach. Fanny brachte kaum was runter. Sie trank nur eine Tasse Tee und schmierte sich ein Brot, von dem sie nur zweimal abbiss. Endlich klingelte das Haustelefon. Fanny war als erste dran. Eine nette, allerdings reservierte Stimme meldete sich. „Gaby Jenrich und Kommissar Werner sind da“, meldete sie. „Ja, schicken Sie sie bitte zu uns“, sagte Fanny hastig und legte auf. Mike grinst breit: „Ohne ein Tschüß, wie unhöflich.“
Fanny war zu aufgeregt um auf seine Neckerei einzugehen. Stattdessen überlegte sie laut: „Am besten ich wecke Mama. Und dann sollte ich frischen Kaffee kochen, du hast ja fast alles aufgetrunken und dann...“ Wirbelwindartig lief sie durchs Haus. Frau Färber wurde automatisch von dem Lärm geweckt, den ihre Tochter verursachte.

10 Minuten später klingelte es an der Türe. Gaby Jenrich kam guter Laune hereingeschneit, nachdem Mike geöffnet hatte. Wie immer in flippigen Klamotten und einer Mütze auf dem Kopf. Kommissar Werner trottete hinter ihr her. Er sah einer Bulldoge ähnlich. Dick, Doppelkinn, große Nase. Er wirkte müde und abgekämpft. Erleichtert ließ er sich auf den angebotenen Stuhl fallen und trank Kaffee. Frau Färber war fertig angezogen und saß ihm gegenüber. Frau Jenrich hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht und kritzelte auf einem Block herum. Mike saß neben ihr und Fanny tigerte zwischen Tisch und Sofa hin und her, auf und ab. Niemanden schien es zu stören. Dabei erzählte sie die Geschichte noch mal ganz ausführlich. Wie sie ihn zum ersten Mal im Café getroffen und sie geglaubt hatte, sich ihn nur eingebildet zu haben. Dann beim zweiten Mal auf dem Berg. Sie war sich jetzt ganz sicher, dass er es war. „Du würdest die Straße so wieder finden, wo seine Freundin wohnt?“, fragte der Kommissar. Mit jeder Tasse Kaffee wurde er wacher. Nun saß er schon vor seiner fünften. Er trank in einem sehr rasanten Tempo. Fanny nickte heftig: „Ja klar. Ich denke, es wäre auch eine gute Idee, wenn wir den Kellner des Cafés befragen würden. Wer weiß, vielleicht kennt er ihn weil er mal da war und kann uns den neuen Namen nennen.“ Gaby Jenrich nickte: „Das übernehme ich mit dir, Fanny. Der Taxifahrer der dich gefahren hat, soll Werner begleiten.“ „Und was machen wir?“, fragten Mike und Frau Färber empört. Frau Jenrich zuckte die Schultern. „Sie Mike, könnten den Kommissar begleiten, wenn er es erlaubt.“ Werner nickte nur. Er hatte den Mund voller Kaffee. Frau Färber erbot sich, die Telefonbücher von Lienz und den umliegenden Orten zu durchforsten, wenn Frau Jenrich und der Kommissar den richtigen Namen herausfanden. Kommissar Werner trank die siebte Tasse Kaffee leer und erhob sich. Mit Mike im Schlepptau verließ er das Haus, um bei der Rezeption nach dem Mann zu fragen, mit dem Fanny gestern gefahren war. Fanny unterdessen war unendlich erleichtert. Sie fühlte sich jetzt nicht mehr so schutzlos und ausgeliefert wie vorher. Sie unterhielt sich noch ein wenig mit Gaby Jenrich und erzählte ihr vom bisherigen Urlaub. Um sieben machten sich auch die zwei auf den Weg nach Lienz, ins Café. Währenddessen ging Frau Färber wieder zu ihrem Angebeteten Markus Berger, da es für sie noch nichts anderes zu tun gab.

Im Café war zum Glück noch nichts los. Außer ein paar alten Damen war kein Gast zu sehen. Fanny entdeckte den Kellner vom letzen Mal rasch. Er stand diesmal hinterm Tresen. Kein anderer Abgestellte war zu sehen. Fanny deutete auf ihn und Gaby Jenrich kramte das Phantombild von Janas Mörder aus ihrer Jackentasche. Es war zwar noch das Bild mit dem alten Aussehen, aber wie Fanny versichert hatte, konnte man ihn mühelos erkennen. Mit dem Bild in der Hand ging sie auf ihn zu. Fanny hielt sich im Hintergrund, beobachtete aber ganz genau das Geschehen. Der Kellner lächelte Frau Jenrich freundlich an, als sie zu ihm trat. Sie erzählte ein wenig, wahrscheinlich die Geschichte dass sie einen weltweitengesuchten Mörder finden musste und man glaubte, er sein hier irgendwo. Sie dramatisierte das Ganze immer eine wenig, dann rückten die Leute eher mit der Sprache heraus. Dann zeigt sie ihm das Bild. Sein Gesichtsausdruck erstarrte prompt und gefror wie Eis. Er wurde leichenfahl und rang nach Luft. Seine linke Hand fuhr in seine Hosentasche und beförderte ein Asthmaspray ans Tageslicht. Er inhalierte tief und sein Gesicht wurde wieder rosa. Trotzdem sah er nicht besser aus. Die Gäste im Café hatten sich mächtig erschrocken, wie auch Gaby und Fanny. Doch der Kellner lächelte tapfer: „Keine Sorge meine Damen, es ist alles in Ordnung.“ Frau Jenrich wurde nun hellhörig: „Sie kennen ihn also?“, vermutete sie aus seiner Reaktion. Er nickte und fuhr sich mit der linken Hand über die Stirn. Kleine Schweißtröpfchen hatten sich auf ihr gebildet, die nun in die Haut seiner Hand eindrangen. „Wollen wir uns kurz hinsetzten?“, fragte Fanny. Sie machte sich Sorgen, dass der Kellner sonst noch umkippen würde. Doch er schüttelte den Kopf und nickte etwas von Arbeitszeit und unmöglich. Dann sagte er schnell: „Das ist der Verlobte meiner Halbschwester. Er wohnt drüben bei ihr in Matrei. Er kam vor einem halben Jahr hier nach Lienz.“ Gaby Jenrich strahlte und nickte: „Tausend Dank. Würden sie über ihn vor Gericht aussagen, falls das gewünscht wird?“ Der Kellner nickte und er schloss langsam die Augen. Fanny dachte schon, er würde jetzt in Ohnmacht fallen, doch dann riss er sie ruckartig auf und fragte: „Können sie jetzt meine Schwester darüber informieren?“ Frau Jenrich hatte bereits ihr Handy aus der Jacke gekramt um den Kommissar anzurufen. Fanny nickte: „Gaby informiert den Beamten, der bereits auf dem Weg zu ihrer Schwester ist. Er wird sie bestimmt mitnehmen“, sagte sie an den Kellner gewandt. Genauso schnell wie sie aufgetaucht waren verschwanden Frau Jenrich und Fanny auch wieder, nicht ohne die Adresse des Kellners und ein paar Gästen im Café.

Sie machten sich auf den Weg nach Matrei. Dort erwarteten sie bereits ein festgenommener Mörder und eine verweinte und völlig verzweifelte Frau, wahrscheinlich die Verlobte des Mannes, mit der er gestern auch auf dem Berg war, außerdem noch Mike und den Kommissar. Fanny erkannte Janas Mörder wieder. Er war es, ganz klar. Auch wenn er noch soviel an seinem Aussehen geändert hatte. Diesen Gesichtsausdruck konnte man nicht vertuschen. So kalt, abweisend, hart. Er war einmalig. Unter tausenden wäre er Fanny aufgefallen. Auch jetzt war der Ausdruck nicht gewichen, obwohl er jämmerlich aussah. Man sah ihm an, dass er geknickt war über sein Auffliegen. Hatte sich wohl für ganz schlau gehalten. Auf dem Küchentisch der modernen und luxuriösen Küche lagen seine gefälschten Papiere. Pass, Reisepapiere und der ganze Kram. Sein neuer Name war Max Wenger gewesen. 36, männlich, ledig. Fanny wandte den Blick von den Papieren ab. Dafür schaute sie ihn an. Er schaute ihr ebenfalls fest in die Augen und sagte keinen Ton. „Sie werden für das verantwortlich gemacht, was Sie meiner Freundin angetan haben, dafür werde ich sorgen!“, sagte Fanny mit erstaunlich fester Stimme, „so wie ich auch wahr gemacht habe, dass wir sie finden werden.“ Mit überheblichen Grinsen drehte sie sich weg und verließ, in Begleitung von Mike, der Max noch einen letzten bösen Blick zugeworfen hatte, das Haus. Zu Fuß machten sie sich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle: „Was du alles mit knapp 22 durchmachen musst“, meinte Mike und legte einen Arm um Fanny. Sie lachte: „Ach, das macht fast gar nichts. Hauptsache das Schwein ist gestellt. Erfahrungen prägen außerdem das Leben, wie Mama immer sagt. Sie sind wichtig, sonst würde man zu oft zu Grunde gehen. Also kann das alles ja nur gut sein.“ Mike guckte sie verständnislos an. „Irgendwo“, fügte Fanny dann noch leise hinzu.

 

Hallo Leana,

ich glaube, einer der Gründe, warum noch keiner was zu Deiner Geschichte geschrieben hat, ist ihre Länge. Ich muss zugeben, dass ich am Ende ein oder zwei Absätze nur noch überflogen habe :shy:

Ich denke, es gibt viele Stellen, die Du einfach streichen könntest, ohne, dass es Deiner Geschichte schadet. Das ist wahrscheinlich schwer, weil ich mir sicher bin, dass Du eine Menge Arbeit in die Geschichte gesteckt hast, aber viele Details kamen mir unwichtig vor.
Der Tennislehrer und der Freund der Mutter, zum Beispiel, im zweiten Abschnitt. Die haben eigentlich nichts mit Deiner Geschichte zu tun. Die ganze Beschreibung des Ferienorts ist zwar schön, aber ist sooo viele Details sind gar nicht nötig.
Das sind nur ein paar Beispiele. Muss nicht heißen, dass sie ganz wegfallen müssen, aber ich denke, es wäre auch kürzer gegangen

Besonders spannend fand ich persönlich die Geschichte jetzt nicht, aber durch Deinen Stil flüssig zu lesen :)
Manchmal fehlten bei den Dialogen die Absätze, vielleicht siehst Du Dir den Text daraufhin nochmal an.

Ein paar Gedanken, die mir beim Lesen kamen. Wie immer nur meine Meinung, kann sein, dass andere es anders sehen :)


„Von euch“, der Mann lachte laut auf, „ von dir will ich gar nichts. Aber für Jana könnte ich interessant sein.“
„Sagen Sie mir was Sie auf dem Herzen haben und verschwinden Sie“, sagte Jana barsch. Sie wunderte sich nicht darüber, dass der Mann ihren Namen kannte.
„Tz tz tz, so unfreundlich zu dem Lebensretter ihres Bruders.“ Der Mann strich mir der rechten Hand über seine Mütze. Jana erstarrte: „Was ist mit meinem Bruder?“, fragte sie scharf. „Er liegt hier im Krankenhaus. Bein gebrochen, Lendenwirbel angeknackst, Rippen verschoben und frag mich nicht was sonst noch. Er hat mir deine Lieblingsdisco genannt wo ich dich wohl am ehesten finden werde. Er möchte das ich dich zu ihm bringe“ Er lächelte breit und entblösste eine Reihe weißer Zähne.

Also, ehrlich gesagt, ich kenne die meisten Bekannten meiner Schwestern und wenn da irgendein Typ, noch dazu mitten in der Nacht, auftaucht und sich so auffällig benimmt, würde ich ihm kein Wort glauben. Dass Jana einfach so mitgeht ist schon sehr... naiv

„Was guckt er jeden Donnerstagabend?“
„Um 20.15 Alarm für Cobra 11 auf RTL.“

:rolleyes:


„Du willst doch jetzt wohl nicht mit ihm zum Krankenhaus fahren!“, rief sie entsetzt, „die paar Fragen hätte jeder Idiot durch ein wenig Recherche beantworten können.“

Und trotzdem lässt sie ihre Freundin mit diesem Kerl alleine? Wer solche Freunde hat, braucht wohl wirklich keine Feinde mehr.
Das klingt vielleicht hart, aber das passt eben einfach nicht zu der so tiefen Freundschaft, die Du weiter oben beschrieben hast. Ich habe Bekannte, mit denen mich nicht soviel verbindet wie die beiden Mädchen in Deiner Geschichte, die, wenn sie mich nachts vor der Haustür absetzen, darauf bestehen zu warten, bis ich drinnen bin. Ich denke, Du verstehst schon, worauf ich hinaus will ;)

Dass man Jana dann ermordet auffindet, wunderte mich wirklich nicht :dozey:

Der zweite Teil, wie schon gesagt, den fand ich persönlich viel zu lang. Ich hätte es schöner gefunden, wenn Du Dich mehr auf die „Jagd“ auf den Mörder konzentriert hättest. Insgesamt hatte ich mir davon nämlich mehr erhofft, aber plötzlich war die Geschichte vorbei und der Mörder problemlos verhaftet.

Ich hoffe Du nimmst es mir nicht allzu übel. Ist, wie gesagt, nur meine Meinung. Ich bewundere auf jeden Fall Dein Durchhaltevermögen, so etwas langes zu schreiben ;)

Liebe Grüße,
gori

 
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Hi Gori
Danke für deine Comments. :D Und das du es dir angetan und sie durchgelesen hast. :) Na ja, es war mein erster Versuch so etwas krimiähnliches zu schreiben. Obwohl, mit Krimi hat es net viel zu tun. :Pfeif: Du hast recht, manche Stellen sind wirklich komisch und unvorstellbar. :sealed: Allerdings war sie mit ihrem Bruder nur gut befreundet, denn sie war selten zu Hause, weil sie ein Partymädchen ist und immer Fun braucht. Deshalb kennt sie die Freunde ihres Bruders nicht oder kaum. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen. Ihr Bruder geht ihr über alles, weshalb sie einfach mitgefahren ist. Na ja, das soll jetzt keine Ausrede sein. Es ist net meine längste. Werde sie mir nochmal im Bezug auf deine Kritiken ansehen und überarbeiten. :cool: Danke.

 

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