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Morgengedanken
Morgengedanken
Niemand versteht mich! So kommt es mir zumindest vor. Warum? Nur weil ich über Dinge nachdenke, die alltäglich sind? Weil es keinen interessiert, was ich über die Welt meine?
Egal, wieder sitze ich allein auf dem Doppelsitz im Bus. Hinter mir, vor mir, fröhliches Gelächter. Leute, vertieft in Gespräche und schweigende, aus dem Fenster starrende Personen. Zu letzteren würde ein Beobachter mich sicherlich auch zählen. Aber ich sehe mir die Natur an, die mir doch so bekannte Umgebung. Jeden Tag sehe ich dasselbe. Aber immer anders. Heute geht die Sonne in einem wunderschönen Magentarot über dem See auf, welcher ihre freundlichen, ruhigen Strahlen mit leichten Wellen zurückwirft. Was morgen kommt weiß ich nicht. Vielleicht ist der azurblaue Himmel morgen mit grauen, tristen Wolken verhangen. Ein Schwarm von Wildgänsen fliegt durch mein Bild. Ständig ändern sie ihre Formation. Nur ein Vogel fliegt allein, strikt den anderen hinterher. Doch dann gesellt sich ein zweiter zu ihm, umkreist ihn und scheint ihn zu mögen.
An der nächsten Haltestelle wird der leere Platz neben mir besetzt. Bis auf die Anfrage, ob sie sich setzen dürfe, schweigt sie. Genau wie ich. Ich lasse mich nicht abbringen. Weiter schaue ich in Gedanken versunken aus dem Fenster. Aber etwas ist anders als erst. Dieses Mädchen. Sie beobachtet mich! Ich weiß es. Ich spür es. Warum tut sie das? Es ist doch normal aus dem Fenster zu sehen. Ich drehe mich zu ihr um. Wider meines Erwarten ist sie weder überrascht noch erschreckt. Stattdessen blickt sie mir fest in die Augen. Was soll das? Ein Lächeln spielte um ihren Mund. Soll ich etwas sagen? Anstatt weiter darüber nachzudenken, drehe ich mich verwirrt wieder zum Fenster. Aber ich kann nicht einfach weiter so spielen, als wäre sie Luft. Das ist doch gemein. Obwohl, das hab ich bisher immer so gemacht. Mädchen hin oder her. Aber sie ist noch so jung, so unschuldig. Vielleicht erst acht oder neun.
„Du?“
Wieder unterbricht sie meine Gedanken. Und ohne Überlegen antworte ich:
„Äh...Ja? Was kann ich für dich tun?“
Sie schenkt mir abermals ein Lächeln, was mir im Unterbewusstsein ein seltsames Glücksgefühl beschert.
„Magst du die Sonne?“
„Ja. Warum? Wer mag sie nicht?“
Ich habe keine Idee, was ihre Frage bezwecken soll.
„Sie ist heute wunderschön.“
„Ja. Rot, wie ein Feuerball.“
„Brennt sie?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht. Auf jeden Fall ist sie sehr heiß. Siehst du die Vögel?“
Und in diesem Moment, ohne dass ich es wissen könnte, fällt der anscheinend leblose Körper der einsamen Ente hinunter.
Mit aufgerissenen Augen starrt sie durch das Fenster. Dabei nickt sie. Aber so ruckartig. Ängstlich.
„Was ist mit dem Vogel geschehen?“
„Er wurde wahrscheinlich abgeschossen. Vielleicht war er krank.“
„Aber wenn ich krank bin, werde ich dann auch erschossen?“
„Nein. Warum sollte man dich erschießen?“
„Und warum erschießen die dann einen Vogel?“