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Mutprobe

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12.08.2004
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Mutprobe

Mutprobe
© 2004 by shade

Schneidend pfiff der Ostwind über die Stadt; wer so spät noch hinausging, zog bereits die dicke Winterjacke, Handschuhe und Mütze an. In dieser Nacht war ich dran. Verdammt, ich war doch erst 13, noch ein Kind. Warum hatte ich die anderen angelogen? Sie glaubten, ich sei zwei Jahre älter. Nun stand ich vor dem schmiedeeisernen Gitter des alten Friedhofs und hatte Angst. Speerähnliche Spitzen auf der Oberseite reckten sich drohend in den dunklen Nachthimmel; Wolken verdeckten die Sterne. Nur einigen dutzend Kerzen leuchteten wie Glühwürmchen in der Finsternis. Trotz meiner dicken Jacke fror ich bis auf die Knochen. Mir schlotterten die Knie – nicht nur vor Kälte, mein Puls raste. Ich wollte am liebsten gleich wieder weglaufen, es war mir hier nicht geheuer. Aber ich durfte nicht, weil sie hinter mir standen und zuschauten. Ich spürte die Blicke in meinem Rücken, sie achteten darauf, ob ich Angst zeigte, denn das durfte ich nicht. Es war eine Mutprobe - meine Mutprobe.
Wer zur Gang gehören wollte, mußte sie ablegen. Für jeden dachten sie sich etwas Neues aus. Thomas kam auf die Idee mit dem Friedhof, weil er kürzlich erst einen Horrorfilm gesehen hatte, ich solle doch über den Friedhof laufen und alle Kerzen löschen, die zu Allerheiligen dort angezündet wurden. Michael mußte ihm verraten haben, daß ich Angst vor Friedhöfen hatte. Sie tuschelten immer wieder leise und lachten.
Es gab kein zurück. Ich faßte all meinen Mut zusammen und ging auf das Tor zu. Der Griff war wie Eis und die Kälte drang in mich, floß durch meinen Arm bis hinauf zum Nacken und ergoß sich in einem Schauer über meinen Rücken. Ich hoffte, daß abgeschlossen war, als ich die Klinke drückte. Ein Klicken, dann ein langgezogenes Quietschen, als der eine Flügel aufschwang. Hinter mir war es plötzlich still. Das hatten sie mir sicher nicht zugetraut. Oder hatten sie inzwischen auch Angst bekommen? Allein der Gedanke, daß sie vielleicht jetzt auch nervös wurden, erfüllt mich mit Kraft. Entschlossen schritt ich durch das Tor, den gepflasterten Weg entlang, auf dem meine Turnschuhe keine Geräusche machten. Die Grabsteine warfen im Schein der Kerzen gespenstische Schatten. Ein Rascheln neben mir, ließ mich erstarren. War da jemand? Langsam drehte ich den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Zuerst konnte ich nichts erkennen, dann sah ich auf einmal einen Umriß, der wie eine Person aussah. Hinter einem Busch, kauerte doch jemand. Erneut ein Rascheln, diesmal von der anderen Seite. Keine Regung! Statt dessen erklang gedämpftes Kichern von jenseits des Tores. Sie hatte mich reingelegt. Ich versuchte meinen Blick von dem Schatten abzuwenden und weiterzugehen, aber ich konnte nicht. Er sah zu wirklich aus – ein großes Tier vielleicht. Ich schloß die Augen und zählte bis zehn, so wie wir es immer beim Versteckspiel machten. Dann atmete ich tief durch und redete mir ein „Es ist nur eine Schatten!Als ich die Augen wieder öffnete, war er weg. ‚Du dämlicher Feigling!‘ , dachte ich bei mir, ‚Es war nur ein Schatten!‘
Ich schlich weiter. Warum eigentlich? Die Leute in den Gräbern waren tot und die andern von der Gang, mußten sich darüber kaputtlachen, wie ich mich hier bewegte. Ich ging aufrecht weiter hindurch zwischen dunklen Steinen, kurgeschnittenen Buchsbäumchen und kleine Büschen. Der Weg war schlecht zu erkennen, ich fühlte mich mit meinen Füßen voran. Schließlich erreichte die erste Kerze, bei deren Anblick mir ein wenig wohler wurde. Licht in der Dunkelheit. Sie brannte in einer kleinen Laterne, so konnte man den Grabstein aus weißem Marmor gut erkennen. Darauf stand in schwarzer Schrift: „Magdalena Kiesemann 12.04.1966 – 23.05.1979“ Mein Gott, das Mädchen war genauso alt gewesen, als es starb, wie ich jetzt. Woran war sie so jung gestorben? Die Hand bereits ausgestreckt zögerte ich, die Kerze zu löschen. Es war nicht richtig.
Das Tor quietschte und fiel ins Schloß. Bestimmt war es nur Michael, der mich wieder ärgern wollte. Ich würde ihm nicht den Gefallen tun und versagen. „Es ist nur eine Kerze!“, redete ich mir ein, „Es ist kein lebendiger Frosch, den du essen mußt. Kerzen auszupusten, ganz leicht, wie bei einer Geburtstagstorte!“ Ich wußte das, aber mein Körper wollte nicht. Ich mußte mich zwingen, mit zittriger Hand die Laterne zu öffnen. Dann blies ich das Licht aus. Es wurde noch dunkler, als es bereits war. Der helle Grabstein wurde schwarz wie alles hier, nur noch als Kontur zu erkennen. Mit dem Licht ging auch das bißchen Wärme, die es ausgestrahlt hatte.

Plötzlich veränderte sich meine Umgebung. Es war heller Tag. Ich erblickte ein hübsches Mädchen mit einem blonden Pferdeschwanz in einem gelben Kleid. Sie spielte in einem Garten mit einer Freundin Ball. Fröhliches Kinderlachen war zu hören. Sie liefen über den Rasen und warfen sich den schönen, roten Ball zu. Plötzlich versprang der Ball und rollte er auf die Straße, auf eine Gruppe Jugendlicher zu. Einer hob ihn auf. Die Mädchen riefen zu ihnen hinüber, er solle ihn zurückwerfen. Ein gehässiges Grinsen spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder. Angestachelt von den anderen nahm er Anlauf und schoß den Ball in die Luft. Immer höher stieg er, bis er schließlich in Wipfel eines Baumes im Nachbargarten hängen blieb. Wildes Hundegebell ertönte von jenseits einer dicken Kiefernhecke. Die Freundin sprang ein Stück von der Hecke weg. Die Jugendlichen drehten sich um und lachten, so wie Michael und die anderen jetzt über ihn lachten. Aber das Mädchen blickte hoch zu ihren Ball. Kurz entschlossen ergriff es einen herunterhängenden Ast und kletterte behende in den Baum. Von oben konnte sie den Rottweiler gut erkennen, der auf dem anderen Grundstück am Baumstamm hochsprangen. Sie machte ihm eine lagen Nase und kletterte weiter. Ihre Freundin im Garten rief, sie solle wieder herunterkommen. Aber sie hörte nicht und stieg weiter. Sie war ungefähr auf acht Meter Höhe, als ein dicker Ast, auf dem sie gerade stand, nachgab. Sie fiel dem zähnefletschenden Tier entgegen. Ich ahnte, was passieren würde.
„Neeeeeeeiiiinnn!“, mein Schrei riß mich in das Hier und Jetzt zurück. Stille. Was hatte ich da gerade gesehen? Schweiß war trotz der Kälte auf meine Stirn getreten. Mein Puls raste wieder. Hektisch sah ich mich um. Ich erblickte Michael, der tatsächlich am Tor stand. Er starre an mir vorbei, dann drehte er sich auf dem Absatz und verschwand. Und da spürte ich plötzlich, daß ich nicht mehr allein war. Ein tiefes, kehliges Knurren war zu hören. Ein Hund. Von irgendwo hörte ich Magdalenas Stimme: "Lauf! Rette Dich!"
Ohne weiter Nachzudenken, rannte ich los – zur Seite mitten zwischen die Gräber. Er folgte mir. Vor meinem geistigen Auge sah ich den Rottweiler das Mädchen angreifen, sabbernde Leftzen mit riesigen Zähnen. Ich rannte keuchend weiter nach links und das Getrappel von Pfoten kam näher. Ich schlug hinter einem Grabstein einen Haken und fühlte etwas knapp an mir vorbeispringen. Panik, nackte Angst trieben mich voran, ich rannte um mein Leben. Wieder kam das Geräusch näher. Ich schlug noch einen Haken, und noch einen. Meine Brust begann bereits zu stechen , als ich wieder das eiserne Tor erblickte. Michael war nirgends zu sehen, auch die anderen nicht. Ich mußte es schaffen, aus vollem Lauf. Ich sprang. Kühles Eisen unter meinen Fingern. Das Geräusch von Krallen auf Stein kam schnell näher. Ich kletterte, erreichte die Spitzen, fast war ich darüber hinweg, da rutschte ich ab, Kaltes rostige Eisen drang in meinen Bauch. Ich sah Magdalena, sie hatte mein Gesicht. Sie fiel einem aufgerissenes Maul entgegen, das sich um ihre Kehle schloß. Knurren dröhnte in meine Ohren, dann sah ich nichts mehr.

Die Ärzte sagten, ich hätte wahnsinniges Glück gehabt. Die Speerspitze der Toren hatte sich durch meinen Bauch in meine Lunge gebohrt. Sie hatte das Herz nur um wenige Zentimeter verfehlt. Mein Vater hat mich gefunden. Ich war nicht um zehn zu Hause, also ist er losgegangen, um mich zu suchen. Er hat sofort den Notarzt gerufen, aber man gab mir nicht viel Chancen. Ich hatte viel Blut verloren. Aber sie haben mich wieder zusammengeflickt. Ich habe von der Operation, den Wochen im Koma nichts mitbekommen. Meine Eltern haben mir jeden Tag Blumen gebracht und an meinen Bett geweint. Ich bemerkte sie nicht. Ich bin in den Garten gegangen zu Magdalena. Sie hat auf mich gewartet. Wir haben Ball gespielt.

Ich bin heute nicht mehr in der Gang, mag einfach nicht mehr dazugehören. Ich gehe jeden Tag auf den Friedhof und lege Blumen auf das Grab von Magdalena. Oft bleibe ich stundenlang dort und rede mit ihr, erzähle ihr, was ich erlebt habe. Und zu Allerheiligen werde ich dort eine Kerze entzünden...

...noch ein Kommentar:
"Hab' lange überlegt, ob das unter Grusel gehört, aber wenn man selbst Kinder hat, dann ist der Gedanke an abends nicht nach Hause kommende Kinder richtig übel! Schlimmer als irgendetwas, daß einen direkt betrifft."

 

hallöchen shade!

huh, so schnell schon wieder da?

ich hoffe, es stört dich nicht, dass ichs schon wieder bin...

zitierendes:

Wer so spät noch hinausging, zog bereit die dicke Winterjacke, Handschuhe und Mütze an.
musst du nicht so explizit erwähnen, da es ein schneidender wind ist

Warum hatte ich die anderen angelogen.
. > ?

Nur einigen dutzend Kerzen leuchteten wie Glühwürmchen gegen die Finsternis an.
leuchteten gegen an? ich glaube nicht, dass man das so sagen kann.
entweder kämpften gegen an
oder einfach nur beleuchteten
oder versuchten der finsternis zu trotzen

Ich spürte die Blicke hinter meinem Rücken, sie achteten darauf, ob ich Angst zeigte, denn das durfte ich nicht.
in meinem Rücken

Der Griff war wie Eis und die Kälte drang in mich, floß durch meinen Arm bis hinauf zum Nacken und ergoß sich in einem Schauer über meinen Rücken.
ein sehr schönes bild!

auf dem meine Turnschuhe keine Geräusch machten.
keine Geräusche machten

Die Grabsteine warfen im Schein der Kerzen gespenstische Schatten. Ein Rascheln neben mir, lies mich erstarren
lies > ließ

Ich ging aufrecht weiter hindurch zwischen Dunklen Steinen
dunklen

Es wurde noch dunkler, als es eh schon war.
oh, weg mit dem eh. gefällt mir gar nicht, ist viel, viel zu umgangssprachlich. ;)

Mit dem Licht ging das bißchen Wärme, die es ausgestrahlt hatte.
hier würde ich noch ein auch einfügen, klingt dann schöner

Da erblickte ich plötzlich ein hübsches Mädchen mit einem blonden Pferdeschwanz in einem gelben Kleid. Sie spielte im Garten mit einer Freundin Ball. Fröhliches Kinderlachen war zu hören. Es war ein schöner roter Ball. Sie liefen durch einen Garten und warfen ich sich zu.
der erste garten klingt, als wäre es ein bestimmter garten, der garten des mädchens.
der zweite klingt jedoch wie der von irgendwem. mach beim zweiten aus dem einen ein den.
ich > ihn

Trotz des schwachen Lichts und der gut 20 Meter, konnte ich erkennen
zahlen würde ich in geschichten immer ausschreiben.

Ich gehe heute nicht mehr in der Gang,
klingt ein bisserl komisch
gehöre nicht mehr wär vielleicht besser

so, wie ich sehe, hast du dir unsre komms zu herzen genommen, denn diese geschichte hat mir um einiges besser gefallen.
was mir gefallen hat, ist, dass du eine sehr schön atmosphäre erschaffst, sowas mag ich.
außerdem glaubt man dem jungen, weil ich denke, jeder kennt den wunsch vom dazugehören.
was ich mich noch frage: in welchem jahr spielt die geschichte? war die bande jungs, die den ball auf den baum geworfen hat, dieselbe wie am friedhof und nur eine andere, jedoch identische?

so, hat mir großen spaß gemacht und hoffentlich bis bald

Tama

 

Hi shade,

diese verdammten Mutproben. Würden die Kinder doch nur die Erfahrungen der Eltern annehmen. Aber dies nur nebenbei.

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
Dein Prot hatte am Grab des Mädchens eine Wahrnehmung.
Sie ist vom Baum gefallen, acht Meter in die Tiefe. Da hätte der Hund doch auch platt sein müssen? Oder stand er nicht genau unter ihr?

Ich habe den Hund auf dem Friedhof als Geisterscheinung gesehen.
Was macht sonst ein Hund um diese Zeit dort?
Allerdings hat der Freund deines Prots, das Tier auch gesehen. :hmm:
Auf der anderen Seite, erwähnst du den Hund nach dem Unfall nicht mehr.

Ach ... nun bin ich etwas verwirrt :schiel:
Klärst du mich auf?

Eine schöne Geschichte, habe sie gerne gelesen.

lieben Gruß, coleratio

 

Moin Tamira Samir, coleratio!

Moin Tamira Samir, coleratio!

Danke Euch beiden und, Tamira, ich finde es sogar gut, daß Du es wieder bist :kuss: . Das heißt, ich stehe nicht nach meiner ersten Geschichte auf Deiner Ignorierliste. :D

Die leidigen Schreibfehler. :crying: Ich habe es wer-weiß-wie-oft durchgelesen und sie nicht gefunden.
Tja, die selektive Wahrnehmung der Männer. ;)
Ich baue sie noch aus.

Und zu der Story:

Ich habe die Verknüpfung der Gang mit den Jugendlichen, die den Ball weggeschossen haben, bewußt offen gelassen. Das darf sich jeder selbst überlegen.

Und lieber coleratio, ob ein Hund platt ist, wenn jemand aus 8m Höhe drauf fällt, ist technisch zwar richtig, aber das ist nicht der Punkt. Wichtig ist die Wahrnehmung des Kindes in dem Moment. Und das hat sich gewaltig gegraust vor dem Bild in einen offenen Rachen zu fallen.

Der Hund auf dem Friedhof ist selbstverständlich eine Einbildung des Jungen. Warum die andern geflohen sind, sollte ein dezenter Hinweis darauf sein, daß auch sie es mit der Angst zu tun bekommen haben. Sie müssen den Hund nicht gesehen haben. Stelle Dir die Geschichte aus ihrer Sicht vor. Sie schicken jemand für die Mutprobe auf den Friedhof, verarschen ihn gewaltig und schließlich hockt er sich doch hin, hält inne und dann pustet er das Licht aus, dann der Schrei. Die anderen sind geflohen und konnten nicht berichten, was wirklich vorgefallen ist. So ist das aber. Vielleicht sollte ich im Abspann hierfür noch einen Satz investieren.

Tschüß

shade :cool:

 

Sorry

Sorry coleratio,:shy:

das habe ich von Deinem Synonym nicht schließen können. :schiel:

Tschüß

shade :cool:

 

Update

So, die ersten Fehler artig ausgebaut.

Tamira, nochmals danke. :thumbsup:

Gruß

shade

 

Moin Jo_oder_so

Tach auch!

Danke auch Dir, daß Du die Geschichte gelesen hast, auch wenn es nicht Dein Fall war. :shy:

An meinem Schreibstil muß ich wohl noch feilen, vor allem der Rechtschreibung. :Pfeif:

Die Geschichte, nun ja, der Grusel hier kommt eher durch die eigenen Position, die man hat. Macht nix, für Dich wird auch mal wieder was dabei sein. Ich bin ja noch nicht lange in diesen Gefilden. :D

Tschüß

shade :cool:

 

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