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Mutterliebe

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04.01.2003
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Mutterliebe

Er schaut aus dem Fenster, eine warme Brise weht ihm entgegen. Er saugt die warme Sommerluft ein. Es riecht nach frischen Blumen und der Geruch von Essen steigt ihm in die Nase. Der Himmel ist wolkenlos blau und ihn durchfährt ein wohliger Schauer. Langsam dreht er sich um, sein Zimmer ist klein, aber er hat alles, was er braucht. Seine Briefmarkensammlung ist ordentlich in dem großen Ordner verstaut und liegt auf dem kleinen Schreibtisch. Das schmale Bett ist so gemacht, wie es sich gehört.
Er setzt sich an seinen Schreibtisch und öffnet das Briefmarkenalbum. Marke für Marke nimmt er vorsichtig mit der Pinzette heraus, um sie genau zu begutachten. Er liebt diese beruhigende, besinnliche Tätigkeit. Leise summt er dabei vor sich hin „Schlaf Kindchen Schlaf...“. Es ist das Lied, dass seine Mutter ihm immer zum Einschlafen vorgesungen hat. Jede Marke, die er begutachtet hat, legt er vorsichtig auf den Tisch und nimmt weitere heraus. Er fühlt sich ganz unbeschwert und entspannt. Das Summen des Liedes beruhigt ihn zusätzlich, genau wie damals, als er noch ein kleiner Junge war.
„Die Schuhe sind ja immer noch nicht geputzt!“ Die Stimme reißt ihn jäh aus seiner ruhigen Verfassung. Sein Gesicht verdüstert sich und weicht dann einem erschrockenen Ausdruck. Sein Herz pocht ihm vor Schreck bis zum Hals. Mutter ist wieder da und er hat es ihr wieder nicht recht machen können.

Eduard saß auf dem Boden. Der fensterlose Flur wirkte düster. Der dunkelbraune Teppich und den Garderobenständer aus Eiche hatten schon immer eine bedrückende und bedrohliche Wirkung auf ihn gehabt. Er war den Tränen nahe und ein leichtes Gefühl von Ohnmacht stieg in ihm auf. Mutter stand direkt hinter ihm, „Putz´ deine Schuhe vernünftig! Daß man dir auch alles zweimal sagen muß!“, sagte sie in einem schrillen, fast kreischenden Ton. Dabei gab sie ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf, der das Gefühl der Erniedrigung in Eduard noch verstärkte. Er putzte die Schuhe mit großer Sorgfalt. Seine Hände zitterten bei jeder Bewegung. Er wollte Mutter nicht noch mehr verärgern. Die Schuhe mussten glänzen. Heute war sein 55. Geburtstag und Mutter hatte ihm extra einen Kuchen gebacken. Er würde bestimmt nichts davon essen dürfen, wenn seine Schuhe nicht ordentlich geputzt sind. Ordnung musste eben sein. Seine Mutter ging in die Küche, „Ich werde jetzt den Tisch decken und bis dahin sind deine Schuhe geputzt!“, fuhr sie in dem selben Tonfall fort. Eduard atmete auf. Ohne Mutters stechenden Blick würde ihm die Arbeit leichter fallen. Während er präzise und so schnell es ging die Putzbewegungen ausführte, dachte er an seinen heutigen Arbeitstag bei der Post. Er konnte die Bilder nicht verdrängen und ihm schnürte es die Kehle zu bei dem Gedanken daran. Seine Kollegen hatten ihm eine Gummipuppe geschenkt und dabei schallend gelacht. Er solle doch mal ausprobieren, wie es mit einer Frau sein könnte. Er wäre am liebsten in Grund und Boden versunken. Ihm wurde heiß vor Scham, während er daran dachte. Seine Kollegen liebten es, ihn jeden Tag aufs neue zu schikanieren, nur weil er keine Frau hatte. Die Puppe hatte er direkt nach der Arbeit in einem Müllcontainer entsorgt. So eine schreckliche und schmutzige Sache hätte er nie mit nach Hause gebracht.
Eduard hatte seine Mutter nicht bemerkt, die nun wieder hinter ihm stand, „Schön hast du das gemacht, mein Schatz!“, sagte sie mit einer süßlichen Stimme, die einen seltsamen Unterton hatte und streichelte ihm dabei leicht über den Kopf. „Nun steh´ auf, räum´ die Schuhe weg und komm´ ins Wohnzimmer. Dort wartet dein Kuchen auf dich.“ Eduard beachtete diesen Unterton nicht weiter und stand langsam auf. Seine Knochen schmerzten. Das lange Sitzen auf dem Boden hatte ihm nicht gut getan. Er wurde eben doch alt. „Ja Mutter, ich komme schon.“, antwortete Eduard mit brüchiger Stimme. Er war froh, dass seine Mutter wieder milde gestimmt war. Er ging direkt ins Wohnzimmer. Dabei fiel ihm auf, wie alt sie geworden war. Sie ging leicht gekrümmt und langsam, aber sich hatte nichts von ihrer Autorität verloren. Das Wohnzimmer war wie der Flur sehr duster. Dicke, schwere Eichenschränke ließen den kleinen Raum noch dunkler und kleiner wirken als er ohnehin schon war. Das kleine Fenster mit Aussicht auf einen trostlosen, grauen Hof brachte nicht viel Licht in das Zimmer.
Eduard setzte sich an den Tisch und schaute voll freudiger Erwartung auf den noch warmen, nach Apfel duftenden Kuchen. Er war froh, dass es wenigstens etwas gab, das diesen Tag noch versüßen konnte, auch wenn es nur ein einfacher Kuchen war.
Seine Mutter setzte sich ihm gegenüber. Ihre Augen hatten sich zu kleinen, engen Schlitzen zusammengezogen und schienen Eduard zu fixieren.
Er spürte, dass er wieder etwas verkehrt gemacht haben musste. Er senkte seinen Blick und schämte sich, ohne wissen, was er getan hatte. Was würde wohl nun wieder kommen? „Eduard“, fing seine Mutter, „ich bin sehr böse auf dich. Du hast heute etwas sehr unartiges getan und dafür bekommst du heute keinen Kuchen!“. Ihre Stimme schien vor Wut zu zittern. „Zu so einem Menschen habe ich dich nicht erzogen!“ Ihre Stimme begann nun lauter zu werden. Eduard überlegte fieberhaft, was er denn getan haben könnte.
„Das was ich da vorhin auf deinem Bettlaken gefunden habe, als du seelenruhig deine Schuhe geputzt hast. Das ist das Schlimmste, was du je getan hast!“ Seine Mutter kreischte mittlerweile. Eduard lief rot an. Er schämte sich zutiefst. Er wusste, was seine Mutter entdeckt hatte. Er hatte doch immer so gut aufgepasst, dass Mutter nichts entdecken würde, aber er war wohl beim letzten Mal nicht vorsichtig genug gewesen. „Aber Mutter, ich habe...“, sagte Eduard mit brüchiger, zittriger Stimme. „Ich weiß was du getan hast!“, unterbrach ihn seine Mutter, „Und das wird Folgen für dich haben! Geh´ jetzt auf dein Zimmer und behalte deine Hände ja bei dir!“. Eduard schaute sehnsüchtig auf den Kuchen. Nicht einmal das sollte ihm heute gegönnt sein. Er war völlig aufgewühlt und ihm war heiß vor Scham. Er begann zu schwitzen. Er konnte sich nicht von der Stelle rühren, war wie gelähmt.
Wieder einmal hatte Mutter ihn zutiefst erniedrigt und er wusste nicht, wie er sich dagegen wehren sollte. Alles begann sich um ihn zu drehen. Plötzlich sah er wieder seine Kollegen vor sich, wie sie ihn auslachten und Muttersöhnchen nannten. Als er hochschaute, sah er in das Gesicht seiner Mutter und meinte ein höhnisches Grinsen in ihrem Gesicht zu erkennen. Sie schien etwas zu sagen, doch er verstand sie nicht. Er hörte nur noch dieses gemeine Lachen seiner Arbeitskollegen, seiner ehemaligen Schulkameraden und jetzt schien auch seine Mutter über ihn zu lachen. Krampfhaft presste Eduard die Hände an seine Ohren, er wollte nichts mehr hören. Er schwitzte immer stärker. Der Schweiß lief ihm am ganzen Körper hinunter. Sein Blick fiel auf den Wohnzimmertisch, auf dem dieses große, scharfe Küchenmesser lag. Er wusste nicht warum, aber er griff danach. Er konnte es nicht mehr ertragen, wollte nur noch seine Ruhe. Zitternd stand er auf, der ganze Boden schien sich unter ihm zu schwanken. Das Lachen ließ nicht nach, es wurde immer lauter und schneidender. Aus seiner Scham wurde Wut, Wut auf all die, die über ihn lachten.
Er ging einen Schritt auf seine Mutter zu, sie sollte endlich ruhig sein. Er begann laut und verzweifelt zu schreien, um das Lachen zu übertönen, doch es half nichts. Er wollte nur noch seine Ruhe. Seine Mutter war erschrocken zurückgewichen. Eduard schwankte auf sie zu, das Messer auf sie gerichtet. Dann stach er mit heftigen, sich wiederholenden Stößen auf seine Mutter ein, immer und immer wieder. Das Lachen hallte in seinem Kopf.
Plötzlich war alles still um ihn herum. Er schaute an sich hinunter, alles war voller Blut. Er richtete seinen Blick auf seine Mutter. Sie lag da, Blutüberströmt. Ihr Gesicht war von Angst verzerrt, die Augen blickten starr und leer an die Decke. Er wusste sofort, dass sie tot war. Er begann zu lachen, er lachte und lachte bis ihm der Bauch weh tat und sein Lachen einem herzzerreißenden Weinen wich.
Langsam beruhigte er sich. Er saß auf dem Boden und schaukelte seinen Körper hin und her, dabei sang er leise, „Schlaf Kindchen Schlaf...“.

Ein räuspern reißt ihn aus seinen Gedanken. „Hören Sie nicht? Sie müssen ihre Schuhe noch putzen.“
„Ja Mutter ich mache es sofort.“, antwortet Eduard mit zittriger Stimme. Er schämt sich, dass er wieder etwas vergessen hat. Langsam schaut er noch oben. Er nimmt seine Umgebung nur schemenhaft wahr. Er sieht die Person nur ganz verschwommen. „Wenn Sie Ihre Schuhe geputzt haben, bringe ich ihnen ihr Mittagessen. Danach können wir einen Spaziergang durch den Park der Klinik machen.“ Das Bild wird klarer. Es ist nicht seine Mutter. Es ist die Krankenschwester, die ihn freundlich anlächelt. Oder ist es doch ein höhnisches Grinsen?

 

Hallo jesa,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Du hast die unterschiedlichen Situationen schön beschrieben, den Kontrast zwischen der idyllischen Stimmung zu Beginn und dem ersten Auftreten der Mutter zum Beispiel.
Du beschreibst einen psychisch gestörten Menschen, dem es nie gelungen ist sich von seiner Mutter und der Gewalt die sie auf ihn ausübt zu lösen und somit erwachsen zu werden. Ungewöhnlich, dass er dann mit 55 dennoch wagt sich zu befreien und keinen anderen Weg sieht, als sie umzubringen.

Bis zum Schluss war ich übrigens irritiert über den Zeitensprung im zweiten Absatz. Erst gegen Ende wird ja deutlich, was für einen Sinn er hat. Vielleicht kannst Du zu Beginn des zweiten Absatzes eine Zeitenangabe einbauen, wie zum Beispiel "Es war erst eine Woche her" ?

Ich hab Dir mal ein paar Fehler aus der Geschichte rausgesucht:

Der dunkelbraune Teppich und der Garderobenständer aus Eiche hatten schon immer eine bedrückende und bedrohliche Wirkung auf ihn gehabt.
„Ja Mutter, ich komme schon.“, antwortete Eduard mit brüchiger Stimme.
Das Komma vor dem Ende der wörtlichen Rede ist zuviel
„Eduard“, fing seine Mutter an, „ich bin sehr böse auf dich.
Zitternd stand er auf, der ganze Boden schien sich unter ihm zu schwanken.
Das "sich" ist zuviel
Sie lag da, blutüberströmt.
Ein Räuspern reißt ihn aus seinen Gedanken.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo juschi,

es freut mich sehr, dass Dir meine Geschichte gefallen hat.

Nun, warum Eduard sich erst nach 55 Jahren gegen seine Mutter wehrt.....die menschliche Psyche ist unergründlich.....man könnte natürlich diverse Psychologische Theorien hineininterpretieren wie zum
Beispiel die völlig veraltete "Dampfkesseltheorie", was nicht heissen soll das ich diese vertrete.

Zu dem Zeitsprung.....den möchte ich erst mal so belassen. Oder findest Du das dieser den Lesefluss erheblich stört?

Danke das Du mir die Fehler rausgefischt hast-ich werde sie in nächster Zeit schleuigst korrigieren

So dann mach es erst mal gut..
Bis denne und lieben gruss Jesa :shy:

 

Hallo jesa,

auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Ich finde, Du hast die Beziehung zwischen dem "Muttersöhnchen" und der autoritären Mutter gut dargestellt, genauso wie der plötzliche Ausbruch, der zum Ermorden der Mutter führt. Irgendwie musste ich an zwischendurch an "Psycho" denken, auch wenn die Ähnlichkeit gar nicht so groß ist.

Liebe Grüße,
gori

 

hi jesa,

auch ich finde die story beeindruckend und gut umgesetzt. zugegeben, ich fühlte mich auch an 'psycho' erinnert, und die thematik finde ich jedesmal wieder faszinierend.
ich weiss zwar nicht, ob das jetzt hier erlaubt ist, aber ich sags jetzt trotzdem: ich hab auch eine geschichte zu diesem thema geschrieben ('in der dämmerung'), vielleicht magst du sie ja mal lesen...?

alles liebe,
*sissi*

 

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