nacht
Irgendwo hab ich mal was gelesen, so hochwissenschafltich, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnern kann. Es ging darum, welche Auswirkungen der Flügelschlag eines Schmetterlings auf die Welt haben kann. Ich kann nicht mehr genau erklären, wie dies funktionieren soll, aber das Entscheidende, und für mich Beeindruckende, an dieser Schmetterlingstheorie ist auch, welche gravierenden Veränderungen manchmal die kleinsten Dinge herbeiführen. So wie eine einzige Nacht zwischen uns alles verändert hat.
Eine Nacht, nach der wir uns beide eigentlich versicherten, dass sie nichts zu bedeuten hatte und dass sie nichts an unserer Freundschaft ändern würde. Eine Nacht, von der ich schon vorher hätte wissen müssen, welche Konsequenzen sie haben würde. Aber manchmal will man nicht mehr nachdenken, sondern nur noch fühlen.
Und so passieren solche Nächte. Und so zerstört man Freundschaften.
Ich habe mir schon oft gewünscht ich würde erst denken und dann handeln. Aber dafür ist es mal wieder zu spät. Zu spät um es rückgängig zu machen, zu spät um etwas zu retten, sogar zu spät um noch darüber zu reden.
Es ist ja nicht so, dass wir gar nicht mehr miteinander reden würden. Natürlich tun wir das, es hat sich ja auch nichts zwischen uns verändert. Wir reden miteinander wenn wir uns in der Vorlesung sehn, auf dem Campus oder im Wohnheim. Wann immer wir uns zufällig über den Weg laufen, reden wir. Ein bis zweimal die Woche, ein paar Minuten. Darüber wie das Wochenende war, was wir heute noch zu tun habe, dass wir mal Cafe trinken gehn sollten, irgendwann wenn mal Zeit ist. Irgendwann werden wir das vielleicht auch tun, da sitzen, Cafe trinken und über Belanglosigkeiten reden. Als hätte es diese Nacht nie gegeben. Und obwohl wir es beide totschweigen, hat es das, es ist passiert. Und obwohl wir so tun als wäre alles noch wie davor, hat sich doch alles verändert. Davor haben wir uns doch täglich gesehn. Davor bist du auch einfach mal so bei mir vorbeigekommen, ich hab dich besucht wenn mir danach war. Es war alles ganz normal und natürlich zwischen uns. Jetzt ist diese Leichtigkeit aus unsrer Beziehung verschwunden.
Ich glaube, dir ist noch nicht einmal bewusst, wie verkrampft die Situation zwischen uns ist. Aber ich kann dir nicht mehr in die Augen schaun. Ich habe Angst, Angst davor was du dann sehn würdest. Dass, wenn ich bei dir bin alles in mir schreit, ganz laut, dass diese Nacht geschehen ist, dass ich sie nicht vergessen will, dass ich gar nicht so tun will als wäre nichts passiert. Dass ich mir nur noch wünsche es könnte wieder so sein.
Doch dann sitzt ich bloß wieder still da und versuche zu vermeiden dich anzusehn. Ich habe nicht den Mut es dir zu sagen, nicht mal den Mut es dich sehn zu lassen. Wenn eine Nacht soviel zerstört hatte, was könnte dieses Wissen dann anrichten?
Die Angst davor lässt mich schweigen. Obwohl ich diesen Zustand unerträglich finde, schweige ich lieber. Und hoffe darauf, dass du es ansprechen wirst. Aber wieso solltest du das noch tun. Du warst es doch der mir am nächsten Tag sofort erklärt hat, du hättest kein Problem damit. Für dich ist alles geklärt. Weitere Gespräche überflüssig. Entweder du merkst einfach nicht wie sich alles verändert hat oder du willst es gar nicht merken, bist froh, dass es jetzt so ist, willst gar nicht mehr, dass es wird wie zuvor.
Ich will ja auch nicht, dass es wieder wird wie vor dieser Nacht. Damals warn wir nur Freunde. Aber das bist du nun nicht mehr für mich, nur ein Freund. Auf einmal ist es wichtig, gut auszusehen, wenn ich dich treffe. Auf einmal ist dein Lächeln strahlender als alle anderen. Auf einmal klopft mein Herz schneller, wenn ich dich sehe. Auf einmal bist du ein Grund aufzustehen. Auf einmal ist alles anders.
Aber nur für mich. Nur mir hat diese Nacht so viel bedeutet, nur für mich hat sie alles verändert. Deswegen wirst du es auch nicht erfahren. Weil es ja doch bloß einseitig ist.
Und solange du es nicht weißt, und mir diese Einseitigkeit nicht bestätigen musst, bleiben mir immer noch meine Träume. Träume in denen du mich im Arm hältst und ich dir endlos lange in die Augen schauen kann. Weil du in meinen Träumen alles sehn und wissen darfst. Weil ich in meinen Träumen deine Augen nur Spiegel meiner sind, in denen ich die selben Gefühle sehe. Träume sind nur eine Flucht aus der Realität. Aber das bist du ja auch. Ein Platz, an den ich vor dieser Welt fliehen will.
Warum sind es immer nur Nächte die mein Leben so verändern? Noch nie hat ein Tag, selbst ein besonderer Tag, solche Gefühle in mir ausgelöst. Aber eine Nacht, eine durchtanzte Nacht, eine durchquatschte Nacht, eine durchwachte Nacht. Eine Nacht wie mit dir. Ein Tag ist nur ein Tag, nicht viel im Vergleich zu einem Leben. Aber eine einzige Nacht kann eine solche Macht haben.
In dieser Nacht war es nur wichtig nicht alleine zu sein. Ich wollte dich spüren um jemand anderen zu vergessen. Und den Schmerz den er mir zugefügt hat. Ich wollte dich nur benützten um diese eine unerträgliche Nacht zu überstehen. Auch das unterscheidet die Nacht vom Tag, sie kann so unerträglich unendlich sein. Nachts tut alles viel mehr weh.
Am Fenster zu stehen und das Licht in deinem Fenster zu sehn. Den Wunsch zu spüren, zu dir zu gehen. Und gleichzeitig diese lähmende Angst, die mich davon abhält. Die paar Meter die uns trennen erscheinen mir unüberwindbar. Weil eine Nacht es geschafft hat, dass nun Welten zwischen uns liegen.