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Nachtmahr
Das Mondlicht spiegelt sich in den Pfützen, lässt sie silbern auf dem feuchten Steinboden leuchten.
Von den Stalaktiten, einige reichen fast bis zum Boden und geben der Höhle etwas labyrinthartiges, tropft kupferbraunes Wasser.
Der Klang wird von den Wänden zurückgeworfen und irrt, verdoppelt, verdreifacht, zwischen den Felsvorsprüngen und Schatten umher.
Da er den Ausgang niemals erreicht, ist mein Heim ständig mit dem Takt der Tropfen erfüllt, niemals wirklich still, niemals leer.
Der Herzschlag des Berges schweigt nie.
Während draußen die Zeit vergeht, lichtet sich mein Bewusstsein. Der Schlaf löst sich schwerfällig aus den Winkeln meines Geistes, lässt das ewige Lied der Höhle zu meinem Gehör dringen.
Ich öffne die Augen.
Obwohl gerade erst erwacht, sind meine Sinne geschärft. Ich rieche die Nacht, wittere, dass die Zeit gekommen ist mich aufzumachen.
Hinaus, hinaus aus den Tiefen des Berges, den ich als meinen Unterschlupf gewählt habe.
Ich strecke meine Glieder, die Gelenke der hauchdünnen Knochenstrukturen, die das Leder meiner Flügel durchziehen, knacken leise.
Ich kann sie nicht ausbreiten, zu eng bemessen der Platz in meiner Ruhestätte.
Und so beginne ich zu kriechen. Immer dem Ausgang entgegen. Ein paar der silbernen Lichtspiegel gehen zu Bruch, wenn ich meinen Leib über sie schiebe und das abgestandene Wasser sich in meinen langen Haaren verfängt.
Endlich der Ausgang. Der Mond am Himmel begrüßt mich, sein ältestes Kind.
Ich breite meine Flügel aus, stürze mich hinab.
Nach kurzem Fall erfasst mich eine Böe.
Ich beginne lautlos zu gleiten, werde zu einem der Geräusche, die der Nachtwind mit sich trägt. Während ich auf die Lichter zufliege, flüstert er mir seine Weisen zu, vertreibt den schalen Geschmack des Schlafes aus meinem Mund.
Und lässt den Hunger erwachen.
Ich lasse mich hinabsinken zwischen die Häuserzeilen, tief in den Dunst der Stadt.
Die elektrische Beleuchtung empfinde ich eher als störend. Nicht weil ich Angst habe, gesehen zu werden. In den Jahrhunderten meines Lebens bin ich nie gesehen worden, der Mensch schaut auf nichts, was über seiner Augenhöhe ist.
Doch das Licht ist zu künstlich, so kalt. Es vertreibt den Mond, lässt mich das Gefühl seiner Nähe verlieren; und eine Ahnung der Einsamkeit beschleicht mich.
Das Gefühl wird vertrieben, als ein süßer Hauch mein Gesicht streift. Ich ändere meine Bahn, folge dem verheißungsvollen Duft nah an den Häuserwänden entlang.
Der Hunger gräbt tief in meinen Eingeweiden, wird von der immer stärkeren Spur angefacht.
Schließlich sehe ich es.
Das offene Fenster. Die Gardinen im Wind. Und dazwischen der betörende Geruch eines Menschentraums.
Ich höre ihren Atem, bevor ich sie in ihrem Bett liegen sehe.
Endgültig mit dem Wind verschmolzen gleite ich lautlos durch ihr Fenster.
Dann lasse ich mich auf ihrer Brust nieder, lege langfingrige Hände auf ihre Schultern und beginne mit der Mahlzeit.
Ihr Atem fließt süß und jung in meinen weit geöffneten Schlund, ihre Gedanken, so hell und leicht, hüllen uns ein.
Während mein Gewicht ihr langsam den Atem nimmt, beginne ich ihren Traum zu betrachten. Er ist ebenso hell und leicht.
Ihre Augenlider flattern, die Brust hebt sich stoßweise gegen mein Gewicht ankämpfend. Ich öffne meinen Geist und lasse mein schwarzes Blut in ihren Traum fließen.
Sie keucht, ich trinke gierig, wissend, dass dies bereits die Nachspeise ist. Ihr schöner Traum zerfällt, hat alle meine dunklen Gedanken aufgesaugt, ist nun selber schwarz und schwer.
Ich ziehe mich von ihr zurück, wieder auf die Fensterbank. Bevor ich mich fallen lasse, wende ich mich noch einmal um. Sie liegt noch immer auf dem Rücken, den Mund geöffnet, doch kein süßer Atem fließt mehr daraus hervor. Sie dünstet nun meinen Gestank aus. Ein Geruch von Fäule und Kupfer erfüllt das Zimmer. Wie ein Leichentuch hüllen sie meine schwarzen Phantasien ein, lasten als Erinnerung an mein Gewicht sicher noch ein paar Stunden auf der Brust der Schlafenden.
Ich hingegen bin berauscht, mein Kopf ist voller heller Gedanken, der Atem der durch meine Brust fließt so süß.
Der Tauschhandel ist abgeschlossen.
Ich tauche wieder in die Nacht.
Gesättigt und zufrieden begebe ich mich auf den Weg nach Haus.
Ich werde mich den Rest der Nacht und den nächsten Tag wieder tief in meinen Berg zurückziehen -
neue Alpträume spinnen.