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Nachtmahr

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03.04.2004
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Nachtmahr

Das Mondlicht spiegelt sich in den Pfützen, lässt sie silbern auf dem feuchten Steinboden leuchten.
Von den Stalaktiten, einige reichen fast bis zum Boden und geben der Höhle etwas labyrinthartiges, tropft kupferbraunes Wasser.

Der Klang wird von den Wänden zurückgeworfen und irrt, verdoppelt, verdreifacht, zwischen den Felsvorsprüngen und Schatten umher.
Da er den Ausgang niemals erreicht, ist mein Heim ständig mit dem Takt der Tropfen erfüllt, niemals wirklich still, niemals leer.
Der Herzschlag des Berges schweigt nie.
Während draußen die Zeit vergeht, lichtet sich mein Bewusstsein. Der Schlaf löst sich schwerfällig aus den Winkeln meines Geistes, lässt das ewige Lied der Höhle zu meinem Gehör dringen.

Ich öffne die Augen.

Obwohl gerade erst erwacht, sind meine Sinne geschärft. Ich rieche die Nacht, wittere, dass die Zeit gekommen ist mich aufzumachen.
Hinaus, hinaus aus den Tiefen des Berges, den ich als meinen Unterschlupf gewählt habe.
Ich strecke meine Glieder, die Gelenke der hauchdünnen Knochenstrukturen, die das Leder meiner Flügel durchziehen, knacken leise.
Ich kann sie nicht ausbreiten, zu eng bemessen der Platz in meiner Ruhestätte.
Und so beginne ich zu kriechen. Immer dem Ausgang entgegen. Ein paar der silbernen Lichtspiegel gehen zu Bruch, wenn ich meinen Leib über sie schiebe und das abgestandene Wasser sich in meinen langen Haaren verfängt.


Endlich der Ausgang. Der Mond am Himmel begrüßt mich, sein ältestes Kind.
Ich breite meine Flügel aus, stürze mich hinab.
Nach kurzem Fall erfasst mich eine Böe.
Ich beginne lautlos zu gleiten, werde zu einem der Geräusche, die der Nachtwind mit sich trägt. Während ich auf die Lichter zufliege, flüstert er mir seine Weisen zu, vertreibt den schalen Geschmack des Schlafes aus meinem Mund.

Und lässt den Hunger erwachen.

Ich lasse mich hinabsinken zwischen die Häuserzeilen, tief in den Dunst der Stadt.
Die elektrische Beleuchtung empfinde ich eher als störend. Nicht weil ich Angst habe, gesehen zu werden. In den Jahrhunderten meines Lebens bin ich nie gesehen worden, der Mensch schaut auf nichts, was über seiner Augenhöhe ist.
Doch das Licht ist zu künstlich, so kalt. Es vertreibt den Mond, lässt mich das Gefühl seiner Nähe verlieren; und eine Ahnung der Einsamkeit beschleicht mich.
Das Gefühl wird vertrieben, als ein süßer Hauch mein Gesicht streift. Ich ändere meine Bahn, folge dem verheißungsvollen Duft nah an den Häuserwänden entlang.
Der Hunger gräbt tief in meinen Eingeweiden, wird von der immer stärkeren Spur angefacht.
Schließlich sehe ich es.
Das offene Fenster. Die Gardinen im Wind. Und dazwischen der betörende Geruch eines Menschentraums.

Ich höre ihren Atem, bevor ich sie in ihrem Bett liegen sehe.
Endgültig mit dem Wind verschmolzen gleite ich lautlos durch ihr Fenster.

Dann lasse ich mich auf ihrer Brust nieder, lege langfingrige Hände auf ihre Schultern und beginne mit der Mahlzeit.
Ihr Atem fließt süß und jung in meinen weit geöffneten Schlund, ihre Gedanken, so hell und leicht, hüllen uns ein.

Während mein Gewicht ihr langsam den Atem nimmt, beginne ich ihren Traum zu betrachten. Er ist ebenso hell und leicht.
Ihre Augenlider flattern, die Brust hebt sich stoßweise gegen mein Gewicht ankämpfend. Ich öffne meinen Geist und lasse mein schwarzes Blut in ihren Traum fließen.
Sie keucht, ich trinke gierig, wissend, dass dies bereits die Nachspeise ist. Ihr schöner Traum zerfällt, hat alle meine dunklen Gedanken aufgesaugt, ist nun selber schwarz und schwer.

Ich ziehe mich von ihr zurück, wieder auf die Fensterbank. Bevor ich mich fallen lasse, wende ich mich noch einmal um. Sie liegt noch immer auf dem Rücken, den Mund geöffnet, doch kein süßer Atem fließt mehr daraus hervor. Sie dünstet nun meinen Gestank aus. Ein Geruch von Fäule und Kupfer erfüllt das Zimmer. Wie ein Leichentuch hüllen sie meine schwarzen Phantasien ein, lasten als Erinnerung an mein Gewicht sicher noch ein paar Stunden auf der Brust der Schlafenden.

Ich hingegen bin berauscht, mein Kopf ist voller heller Gedanken, der Atem der durch meine Brust fließt so süß.

Der Tauschhandel ist abgeschlossen.
Ich tauche wieder in die Nacht.
Gesättigt und zufrieden begebe ich mich auf den Weg nach Haus.
Ich werde mich den Rest der Nacht und den nächsten Tag wieder tief in meinen Berg zurückziehen -
neue Alpträume spinnen.

 

hi mike_thompson,

ich finde die geschichte inhaltlich schön und stilistisch einwandfrei :)
ich kann dir eigentlich nur gratulieren. mir sind keine rechtschreibe- oder grammattikfehler aufgefallen.

glg, cherry

 

Dankeschön, Cherry :)
Ich habe in einem Sagen- und Mythenbuch etwas über den Nachtmahr gelesen und
fand diese Figur so interessant, dass ich einfach etwas über einen schreiben musste :D

 

Hallo Mike,

ich beginne mit kritischen Bemerkungen, dann haben wir das hinter uns:

Als widersprüchlich empfinde ich, dass der Klang der Tropfen niemals den Ausgang der Höhle erreicht, obwohl Du mit dem eindringenden Mondlicht die Geschichte eröffnest.
- Das vielfache Echo ist genügende Stütze für die Stetigkeit der Geräusche, und
- der Fall neuer Tropfen sorgt für ständig neue Echos usw.

Stilistisch:
Da er den Ausgang niemals erreicht, ist mein Heim ständig mit dem Takt der Tropfen erfüllt, niemals wirklich still, niemals leer.
Der Herzschlag des Berges schweigt nie.

Ich weiß nicht, ob du bewusst auf diese Häufung von nie/niemals abgestellt hast, um etwas ganz Besonderes auszudrücken. Für mich war es ein kleiner Stolperstein. Vielleicht schreibst du so oder ähnlich:
Da er den Ausgang nur zögernd erreicht, ist mein Heim ständig mit dem Takt (vielleicht passt Ton oder Geräusch besser als Takt) der Tropfen erfüllt, nicht wirklich still, niemals leer.
Der Herzschlag des Berges ist immer zu hören.


„Obwohl gerade erst erwacht sind meine Sinne geschärft.“
– Komma hinter erwacht lässt den Satz sofort verständlich erscheinen.

„Ein paar der silbernen Lichtspiegel gehen zu Bruch“
- zu Bruch gehen ist arg umgangssprachlich; sie können entzwei gehen, zerstört werden, durcheinander geraten, sich verzerren oder was weiß ich noch alles ...

das mit dem „Funken Müdigkeit“ sehe ich genauso wie Illu, Widerspruch zu den geschärften Sinnen

„Der Hunger gräbt tief in meinen Eingeweiden, wird von der immer stärkeren Spur angeheizt.“
- angeheizt empfinde ich auch zu umgangssprachlich im Zusammenhang mit Hunger; lass ihn stärker oder mächtiger, oder lass ihn zur Gier werden, halt was anderes

„Ein Geruch von Fäule und Kupfer erfüllt das Zimmer“
- Fäule ist gut, aber Kupfer ist zu rein dafür, nimm besser Grünspan, das ist immer noch Kupfer, aber an der Luft verrottet (oxidiert)

„Gesättigt und zufrieden begebe ich mich auf den Flug nach Haus.“
- Hört sich an, als nähme der Nachtmahr die nächste Maschine :D; lass ihn einfach nach Hause fliegen, nicht „sich auf den Flug begeben“

Jetzt zur Geschichte selbst:
Du hast eine nicht so abgegriffene Figur gewählt und die Fantasiewelt mit Abwechselung erfüllt, gefällt mir gut. Das Drumherum, Wohnsitz usw. hast du ausdrucksvoll beschrieben, mit gut nachvollziehbaren Bildern. Eindrucksvoll war für mich die Beschreibung der Transfusion der Träume – nicht ein Tropfen Blut fließt, und dennoch kommt das Leichentuch zu seinem Recht. Super!

Lies weiter Sagen und Mythen und berichte uns darüber. Ich freu mich drauf ;)

@ !lln – „seine Weisen“ sind nicht die aus dem Morgenland, sondern es sind die Weisen (Melodien) des Windes – PP äh... dd :D

Gruß Pied Piper

 

also, nochmals danke für das lob und natürlich auch für eure vorschläge!
mit dem komma habt ihr natürlich recht, da war auch irgendwie mal eins, muss irgendwie verlustigt gegangen sein :D
das mit den weisen hat pied piper ja schon geklärt ;) die sache mit dem kupfer lässt
sich mit persönlichen aversionen begründen: ich kann den geruch von kupfer nicht
ausstehen :sick: da schüttelts mich. aber vielleicht sollte man nicht von sich auf
andere schließen ;)
mh, das mit dem "niemals" war eigentlich beabsichtigt.
noch irgendetwas..mh, ach ja, der nächste flug nach hause *g* jetzt wo
du das gesagt hast, denke ich auch jedesmal an american airlines, wenn ich den
satz lese (obwohl ich gehört habe, die flugverbindungen zu verborgenen
berghöhlen sollen gan mieserabel sein ;) ). ich werde versuchen, eine
bessere formulierung zu finden.

schönen dank nochmals,
mt

 

Hallo, deine Geschichte ist wirklich toll geschrieben.

Ich habe sie förmlich verschlungen.
(Was ein sehr großes Kompliment ist, denn ich verliere schnell das Interesse wenn der Autor keine Spannung rüberbringt)

Dann noch was, mir ist eingefallen, dass es von Anne Rice ein Buch gibt, das Nachtmahr heisst. Und natürlich auch von Vampiren handelt. :)

 

Danke Luzi :)

Das Buch habe ich mir gestern aus der Bücherei ausgelihen :-D
Lustiger Zufall

 

Servus!

Grandioso! Bravo, Bravissimo! Und jetzt hör ich damit lieber auf, ich kann eigentlich gar kein italienisch :Pfeif:
Nee, super spannend geschildert, sprachlich filligran und funkelnd... Tolle Geschichte, besonders weil ich Geschichten mag, in der Mythologische Gestalten, die sonst immer ganz anders dargestellt oder gar so gut wie immer vergessen werden, vorkommen. Find ich also doppelt super!
Was isn das für ein Buch, in dem du was über den Nachtmahrn (bleah, wie grammatikalisch unbequem dieses Wort ist) gelesen hast??? Ich suche verzweifelt nach Mythologiebüchern, die irgendwas taugen, aber so richtig fündig werd ich nie...

Grüße,
Artnuwo

 

Hallo Mike_Thompson!

Beim Lesen Deiner atmosphärisch dicht geschriebenen Geschichte, kam mir spontan dieses Bild in den Sinn. Genau so stelle ich mir die von Dir geschilderte Szene in dem Schlafzimmer der jungen Frau vor.

Mir gefallen Stil und Sprache des Textes ausgesprochen gut und die von Pied Piper angemerkte Häufung des Wortes niemals halte ich für ein mit Bedacht eingesetztes Stilmittel.

Ein Fehler, über den ich gestolpert bin (ich suche nie danach :D):

Ich strecke meine Glieder, die Gelenke der hauchdünnen Knochstrukturen, die das Leder meiner Flügel durchziehen, knacken leise.
... Knochenstrukturen ...

Sehr schöner Text! Kompliment!


Ciao
Antonia

 

Hallo Mike und Antonia,

ich habe mir das Bild mal angeschaut. Die Qualität ist nicht besonders :(, und es wurde 1802 von Johann Heinrich Füssli (geb. 06.02.1741 in Zürich, gestorben 16.04.1825 in Putney Hill bei London) gemalt (in guter Qualität!). Schade, dass diese Angaben auf der web site fehlen (oder es ist irgendwo versteckt, unter dem Bild ist kein Hinweis zu finden). Füssli hat einige Nachtmahre gemalt.
Gruß PP

 

Hi Mike,

es ist eigentlich schon alles gesagt.
Eine schöne, stlistisch einwandfreie Story. Hat mir gut gefallen. :)

@ !lln

:heul:

Gruß
Jörg

 

Danke, für den Hinweis, Pied Piper! Ich werde mir die Gemälde von J. H. Füssli gerne anschauen.

Der von mir benutzte Link stammt übrigens aus dem Film "Gothic".

 

@ antonia das bild passt wirklich gut :) und danke fürs auf den fehler aufmerksam machen, ich vergess gern mal ein paar buchstaben und überles das
dann später :D

@artnuwo das buch heißt "monster, geister, schattnwesen - das buch der dämonen" von tabea rosenzweig und sergej koenig

 

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