- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Netzwerk
Prolog
Als Txakv in das winzige, zigarrenförmige Landeschiff kroch, achtete er sorgfältig darauf, dass sich die Hautfalten zwischen seinen Körpersegmenten auch wieder vollständig schlossen. Sollten sich diese empfindlichen Stellen während der Reise auf den Planeten an der Innenwand des Schiffes reiben, gäbe es keine Möglichkeit für ihn diese Qual zu lindern bevor er angekommen war.
Großdenker rkTxakv glitt schwerfällig die Reihe der Landeschiffe auf und ab um sie zu inspizieren, als er sich an Txakv vorbeischob bekam seine tiefblaue Haut einen violetten Schimmer. Ein untrügliches Zeichen des bedingten Vertrauens oder Aufforderung sich seiner Verantwortung bewusst zu sein.
Txakv wusste, was von ihm erwartet wurde. Es war sein erstes Konzept für die Vernichtung einer Zivilisation, das angenommen worden war. Sollte es sich als erfolgreich erweisen, stand eine Beförderung in Aussicht und Beförderungen waren der erste Schritt zur Nachkommenschaft. Eine seiner Larven würde nicht als Futter für ihn und die anderen enden.
"Halt!", Txakv ermahnte sich selbst nicht zu träumen. Wobei der Aufschrei seiner Sekundärstimme ihm ein irritiertes Flackern des Großdenkers einbrachte, das ihn zur Zurückhaltung aufforderte oder seine Selbstkritik begrüßte.
Eine wichtige Aufgabe stand bevor. Es galt auf dem Planeten, dem die Bewohner den unaussprechlichen Namen "Erde" gegeben hatten, die dort wuchernde Zivilisation auf ein natürliches Maß zu verringern.
Die Aufgabe selbst war nicht ungewöhnlich. Es gab zahlreiche Kulturen, deren Entwicklung in die falsche Richtung verlaufen waren. Seine Rasse hatte schon viele solcher Welten angetroffen, analysiert und deren "Zivilisationen" einen neuen Anfang gewährt.
Es war eine Angelegenheit die Finesse verlangte. Man durfte nicht blindlings Zerstörung walten lassen. Die Aufgabenstellung verlangte, die technisch fortgeschrittenen Teile des Planeten auszumerzen, während der Rest möglichst unberührt bleiben sollte.
Für jeden Planeten gab es eine Ausschreibung. Die Kadetten konnten Ideen einreichen, wie dieses Ziel erreicht werden konnte. Effektivität und Wirtschaftlichkeit sollten dabei Hand in Hand gehen. Dabei gab es auch jedes Mal einen Witzbold der vorschlug die Bewohner des Planeten davon zu überzeugen diese Arbeit selbst zu erledigen. Aber durch zahlreiche vorausgegangene Misserfolge wurden diese Anregungen nun von vornherein abgelehnt.
Die Hauptvariante, das Bombardieren der Städte mit Meteoriten vom Weltraum aus, war für ein einziges Forschungsschiff zwar nicht unmöglich, aber aufwändig und zeitraubend. Deshalb war auch Txakvs unkonventioneller Vorschlag vorgezogen worden. Vorgezogen bedeutete, man gab ihm eine Chance, sollte er nicht funktionieren, konnte man später immer noch bombardieren.
Ein wichtiges Merkmal der zivilisierten Teile des Planeten waren die Infrastrukturen und ihre Netzwerke. Txakv hatte entdeckt, dass ein Spezielles dieser Netzwerke in fast sträflicher Weise errichtet worden war. Er hatte es analysiert und einen Virus erstellt, der, wenn er überraschend genug in das Netzwerk eingebracht würde, eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes zur Folge hätte und das Ende fast jeglicher Technologie auf diesem Planeten garantieren würde.
Vorraussetzung für das Gelingen dieses Vorhabens war es, den Virus an verschiedenen Stellen über den Globus verteilt zeitgleich einzubringen, damit keiner der Erdteile vorgewarnt würde und Maßnahmen ergreifen konnte. Deshalb lag auch ein ganzes Kdrak von bemannten Landeschiffen bereit, um auf den Planeten hinunterzustürzen.
Es war soweit, der Oberdenker war in die Schleuse gegangen und betrachtete sie alle nun durch die Glassscheibe um ihnen mit zuckenden Bewegungen seines Maullappens Mut oder Erfolg zu wünschen. Dann klappte der vordere Verschlussdeckel des Landeschiffs nach oben. Txakv bemühte sich seine Atemöffnungen schnell über die angebrachten Zapfen zu stülpen, dann drückte ihn der Verschluss tief in das Innere. Seine Aussenhaut wurde gegen die Schiffswände gepresst, damit sein weicher Körper nicht herumgeschleudert würde. Txakv spürte, wie seine Kapsel zu fallen begann.
Log
Txakv war nachdenklich oder entsetzt. Er war an einem Punkt angekommen an dem seine Vorstellung nicht mehr ausreichte um sich eine Verschlimmerung seiner Lage auszumalen. Die Steuerung seiner Kapsel hatte versagt. Er konnte seine Landestelle nicht erreichen und bei seiner nicht zu vermeidenden Bruchlandung waren alle Tarnmechanismen und technischen Hilfsmittel die ihm seine Mission erleichtern sollten, zerstört worden.
Das Virus war das einzige das ihm noch geblieben war. In seinem Körper integriert, genetisch kodiert war das Virus an das Leben und Sterben von Txakv gebunden. Sein Virus unterschied sich von all den anderen in einem wichtigen Punkt. Sein Virus würde, wenn es erst eingebracht und aktiviert war, ein Signal an alle anderen Viren senden um diese zur gleichen Zeit anzuregen. Die Katastrophe würde global auf diese Zivilisation hereinbrechen. Alles hing von ihm ab, seine Aufgabe zu erfüllen und dieser Gedanke machte ihn stolz oder verzagt.
So kroch er nun durch eine Einöde, weitab von jedem Kontakt mit dem Netzwerk und stellte fest, dass die Einöde zu seinem Unglück nicht verlassen war. In der Ferne erkannte er ein Fahrzeug. Dieser Anblick erfüllte ihn mit Hoffnung oder Zorn.
Ein Fahrzeug bedeutete, Zivilisation. Zivilisation bedeutete Anschluss an Netzwerk. Das Netzwerk bedeutete er könnte den Virus einbringen.
Das Fahrzeug näherte sich. Txakv sah nirgends eine Deckung die ihm Schutz geben konnte, also beschloss er reglos zu verharren.
Das Fahrzeug bedeutete möglicherweise, dass sein Unglück ein Ende gefunden hatte. Aber, er würde entscheiden müssen in welche Richtung er den Spuren folgen sollte, um zum Netzwerk zu gelangen.
Als das Fahrzeug vor ihm hielt, entschied Txakv dass sein Unglück möglicherweise noch nicht zu Ende war.
"Boah, ne blaue Riesenraupe", gröhlte Jack, der aus dem Wagen gesprungen war und sich nicht entscheiden konnte ob er von der Whiskeyflasche in seiner Hand trinken, oder damit auf das seltsame Wesen einschlagen sollte.
"Mann, was'n das für'n Ding?" lallte Otis, der Jack die Flasche und somit die Entscheidung abnahm. "Das Ding bewegt sich gar nich, ob das tot is?"
Die Einheimischen gaben quäkende Laute von sich und Txakv war verängstigt oder enttäuscht. Ohne seinen Universalübersetzer konnte er nicht feststellen worüber sie sprachen. Sie konnten versuchen sich mit ihm zu verständigen, oder darüber diskutieren, wie sie ihn zubereiten sollten.
"Fass es mal an!", meine Jack
"Nein, fass du zuerst", entgegnete Otis
Jack ging zurück zum Wagen um nach einem Gegenstand zu suchen mit dem er das Ding berühren konnte. Kurz darauf wankte er, triumphierend einen Kugelschreiber schwenkend, zurück und begann damit an dem seltsamen Fund herumzustochern.
Txakv verharrte ruhig, auch als eines der Wesen anfing ihn zu berühren. Erst, als es mit einem spitzen Gegenstand in die empfindlichen Stellen zwischen den Hautfalten seiner Körpersegmente eindrang, bäumte er sich vor Schmerzen auf.
"Woah! Das Ding lebt!", schrie Jack und wich erschrocken zurück, wobei er stolperte und auf seinem Hintern landete.
Otis schien zu überlegen, denn er hatte die Unterlippe nach vorne geschoben und rieb sein stoppeliges Kinn. "Wir nehmen's mit", meine er dann.
"Was? Du spinnst doch!" entgegnete Jack "Das Ding is drei Meter lang und einen hoch, wie willst du denn das auf den Pick-up kriegen?"
"Na, ganz einfach, wir rollen es drauf."
Kurze Zeit später fand sich Txakv auf der Ladefläche des Fahrzeuges wieder. Er lag auf dem Rücken und war mit einer Plane bedeckt, wobei die Stricke, mit denen sie ihn festgezurrt hatten, schmerzhaft in seine Hautfalten eindrangen. Jedes mal, wenn das Fahrzeug eine Unebenheit überquerte, strömte eine Welle des Schmerzes durch seinen Körper. Erst nach einer scheinbaren Ewigkeit hörte das Schwanken auf und das Fahrzeug glitt sanft dahin.
Txakv war aufgeregt oder erleichtert. Endlich war er wieder in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Die ruhige Fahrt bedeutete Zivilisation und gleichzeitig Netzwerk. Er musste sich irgendwie befreien, um von diesem Fahrzeug zu entkommen.
Er überlegte. Sein Körper war im Zustand der Larvenbildung auf diese Mission geschickt worden, damit er auch in Notfällen ausreichend Nahrung hatte. Wenn er nun sämtliche Larven zur gleichen Zeit herauspresste, würde sich sein Umfang vielleicht ausreichend verringern, um seinen Körper aus der schmerzhaften Umklammerung der Stricke herauswinden zu können.
"Verdammt, die Cops!" jammerte Jack "Wir haben doch gar nichts gemacht."
Otis warf ihm einen genervten Blick zu und meinte: "Los, versteck die Flasche und versuch nüchtern auszusehen."
Sie fuhren an den Rand und warteten im Wagen. Einer der Polizisten kam langsam von hinten heran. Otis bemerkte im Rückspiegel, dass er misstrauisch auf die Plane starrte.
"Aussteigen!", forderte er die beiden auf.
"Gibt es ein Problem, Officer?" fragte Otis scheinheilig.
"Was haben sie da auf der Ladefläche?" wollte der Polizist wissen. Sein Kollege war inzwischen aus dem Streifenwagen gestiegen und hielt die Pump-Gun griffbereit.
"Das, das is äh, son Zeug, das wir in der Wüste gefunden haben..." stammelte Otis.
"Da bewegt sich doch was", meinte der Polizist.
"Is'n Ameisenhaufen aus der Wüste" meldete sich Jack nun zu Wort.
"Ja, Ja, 'n Ameisenhaufen" bestätigte Otis.
Der Officer schien nicht überzeugt: "Aufmachen", verlangte er.
Otis gehorchte, er machte sich keine allzu großen Sorgen. Sie hatten gelogen, aber wenn die Polizisten sahen was da auf der Ladefläche war, würden sie das wahrscheinlich verstehen. Und, so dachte er, es würde von der Tatsache ablenken, dass sie betrunken waren.
Er klappte die hintere Ladebordwand hinunter und eine schleimige Woge blauer Riesenmaden schwappte heraus. Otis begann zu schreien.
Txakv hatte sich befreit und war berechnend oder tollkühn. Die Erdenmenschen hatten sich vermehrt, schon waren es vier. Auch ihr Fahrzeug hatte sich verdoppelt. Es gab keinen Zweifel, sie planten ihn aufzuessen.
Er bäumte sich auf und schimmerte in allen Farben. Er ließ seinen Oberkörper auf den Nächststehenden herunterfallen um ihn zur Seite zu schleudern. Dann begann er von dem Fahrzeug herunter zu kriechen.
Otis war in dem Madenhaufen gelandet und schrie noch immer wie am Spieß. Die riesige blaue Raupe kam vom Wagen direkt auf ihn heruntergekrochen.
Jack begann zu schreien: "Schießt, schießt doch endlich! Das Ding will ihn auffressen!"
Der Polizist hatte seine Waffe gezogen und begann zu feuern. Die Patronen zeigten kaum Wirkung. Txakv kroch über Otis hinweg auf die Straße zu. Jetzt war der zweite Polizist herangekommen und feuerte ebenfalls. Die Schrotladungen rissen große Stücke aus dem blauen Körper. Eine zähflüssige dunkle Substanz tropfte aus den Wunden.
Als die letzte Schrotladung verschossen war hielt das Wesen an, bäumte sich ein letztes mal auf und brach schließlich zusammen.
Jack hatte inzwischen den schreienden Otis aus dem Madenhaufen befreit und gemeinsam traten sie nun ohne Gnade auf die Nachkommen von Txakv ein.
"Was zum Teufel war das?" brüllten die Polizisten sie, mit vorgehaltenen Waffen, an.
"Keine Ahnung, keine Ahnung, Mann. Wir haben das Ding in der Wüste gefunden", erklärte Jack, der inzwischen von den Maden abgelassen hatte und vorsichtshalber die Hände nach oben streckte.
"Na, da werdet ihr beiden wohl einiges zu erklären haben. Ihr kommt jetzt jedenfalls mit." Dann wandte er sich an seinen Kollegen: "Ruf mal im HQ an und frag, was wir mit dem Ding machen sollen."
Otis, der noch immer damit beschäftigt war, die Maden zu zertreten, hielt plötzlich inne und rief: "Verdammt, was is'n da los?"
An den Stellen, wo die Flüssigkeit aus Txakvs Kadaver Kontakt mit der Straße hatte, begann der Asphalt sich zu verflüssigen. Die kleinen Lachen, die sich gebildet hatten blubberten und rauchten, als wären sie brodelnd heiß. Dann brach Txakv in Flammen aus.
Epilog
Txakv lag neben Oberdenker rkTxakv im Beobachtungszentrum. Eine große Ehre oder Vermeidung öffentlicher Demütigung.
Der Oberdenker schien zufrieden oder überrascht.
"Sehr gut, Txakv ihr Klon hat die Prüfung bestanden. Wir manipulierten die Kapsel so, dass er dort unten nichts hatte als sein Leben und den Virus. Trotzdem ist es ihm gelungen seine Mission zu erfüllen. Ihre Gene sind wertvoll für unsere Rasse." Dann presste er eine Larve heraus und reichte sie Txakv zum Verzehr. Txakv bedankte sich höflich oder unterwürfig und tat dasselbe.
Auf dem Bildschirm konnten sie sehen wie das Feuer sich ausbreitete. Auf allen Kontinenten das selbe Bild. Der Virus brachte den Asphalt der Straßen zum Brennen. Je mehr sie brannten, desto mehr Viren wurden ausgestoßen, desto schneller breitete sich das Feuer aus. Wie auf Zündschnüren rasten die Flammen auf die Städte zu. Das Netzwerk führte sie überall hin.
Txakv war stolz oder froh