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Nichts als die Wahrheit
William Blake saß an seinem Schreibtisch in seinem provisorischen Büro. Er kippelte mir dem Stuhl und lehnte dabei seine Beine am Tisch an. So wie er da saß, dachte er über sein Leben und seine bisher nicht grade erfolgreiche Karriere als Privatdetektiv nach. In seinen Händen hielt er das Kündigungsschreiben von seiner, ehemaligen, Sekretärin und Assistentin. Es sah nicht so aus, als würde sich sein Leben in der nächsten Zeit positiv verändern. Sein letzter Kunde hatte ihn betrogen, genauso wie seine Frau und auch sonst war sein Leben im Arsch.
Er würde alles tun, wirklich alles, um einen Auftrag oder auch nur eine Spur von Abwechslung zu bekommen. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, klopfte es plötzlich an der Tür.
„Es ist offen!“, rief er. In der Tat war sein Büro niemals abgeschlossen. Das Schloss hatte ihn schon vor Wochen im Stich gelassen. Da es ihn nicht störte, ließ er es, mangelnd Geld und Lust, so wie es war.
Die Tür wurde geöffnet und ein junger Mann, Blake schätzte ihn auf Anfang Zwanzig, kam herein. Das Büro, falls man es so nennen konnte, bot nur eine spärliche Beleuchtung, was eine angenehme aber auch leicht geheimnisvolle Atmosphäre schuf und das Gesicht des jungen Fremden leicht verschleierte.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte Blake, der irgendwie daran zweifelte, dass der Fremde ein potentieller Kunde werden würde.
„Die Frage ist eher was ich für Sie tun kann!“, antwortete der Fremde und kam nun ein wenig näher.
Super, dachte Blake, noch so ein Spinner! Aber was soll´s? Schließlich hatte er sich doch etwas Abwechslung gewünscht.
„Wer sind Sie? Und was wollen Sie?“, fragte Blake in seinem gewohnt barschen Tonfall.
Der Fremde lächelte. Obwohl er ihn für einen Spinner hielt, wurde ihm der Junge sympathisch.
„Nun, das ist schwer zu erklären. Vor allem anderen ist es wirklich schwer zu erklären und es wird noch schwerer zu glauben sein!“
„Versuchen Sie es!“, forderte Blake.
Eine kurze Weile herrschte Stille zwischen den beiden. Blake musterte die Augen des jungen Mannes.
„Ich bin ihr, wie soll ich es sagen, ich bin ihr Schöpfer!“, sagte der Fremde ernst und Blake erkannte das er auf eine Reaktion wartete. Also doch ein Spinner, dachte er sich, und zwar einer der besonderen Art, der hält sich doch glatt für Gott!
„Ich halte mich keineswegs für Gott, William!“, sagte der Fremde plötzlich. Blake war sich sicher nicht laut gedacht zu haben. Was war das bloß für ein komischer Kauz?
„Ich bin weder Gott noch ein komischer Kauz! Ich sagte ich sei ihr Schöpfer, damit meinte ich dass ich sie erfunden habe. Sie sind eine Figur in einer meiner Kurzgeschichten!“
Das war´s! Jetzt geht er zu weit!
„Gehen Sie! Gehen Sie und lassen sie mich mit ihrer Scheiße in Ruhe!“, sagte Blake und war bereit seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Er hatte genug von Spinnern. Sein ganzes Leben war er umgeben von ihnen. Er wurde sie scheinbar nie los.
„Das geht leider nicht. Der Logik nach und falls meine Geschichte wahr ist, können Sie mich gar nicht rauswerfen!“
„Wetten das ich dass doch kann, Junge?!“
„Wetten das nicht?!“, sagte der Fremde mit beunruhigender Sicherheit. In diesem Moment hätte er ihm gerne einen Tritt verpasst, das dieser Depp bis nach Timbuktu fliegt. Aber es war irgendetwas an dem Fremden, das Blake davon abhielt. Er verlor die Wette. Scheinbar hatte er heute einen weichen Tag. Er würde sich anhören, was der Fremde erzählen wollte und dann würde er schon von selbst verschwinden.
„Na gut, ich höre zu. Legen Sie los!“
„Sie glauben mir immer noch nicht, aber das ist ein Paradoxon, das ich selbst erschaffen habe. Ich muss mich berichtigen, ich habe Sie nicht erschaffen, sondern derjenige den ich darstelle. Ich heiße Raphael und Sie existieren gar nicht. Ich meine, ich auch nicht. Wir beide, unsere Handlungen und das was wir gerade denken, werden gerade von meinem Alter Ego auf dem Computer erfunden. Ich könnte z.B. schreiben, dass Sie mir sofort alles glauben und sich dann in eine mittlere Identitätskrise stürzen, aber dann wäre meine Kurzgeschichte etwas zu kurz.“
Plötzlich interessierte Blake das Thema, doch konnte er sich sein Interesse nicht erklären.
„Sehen Sie?“, sagte Raphael, „Ich habe Ihnen ein wenig Interesse an der Geschichte verliehen. Ich will Ihnen damit sagen, dass ich es beweisen kann!“
„Warte mal!“, warf Blake ein. „Wenn alle meine Handlungen von dir kontrolliert werden, dann führst du gerade ein Selbstgespräch, weil du mir ja alle Worte in den Mund legst!“ Er freute sich diesen Fehler bemerkt zu haben, fragte sich aber gleichzeitig ob seine Freude echt war.
„Ja und Nein. Deine Worte sind zwar von mir erdacht, aber ich bemühe mich deinen ursprünglichen Charakter zu erhalten und mich dir anzupassen!“
„Ich glaube dir immer noch nicht. Beweise es!“, forderte Blake ernst. Er sah Raphael streng ins Gesicht und dachte an….
„Sieh aus dem Fenster!“, sagte Raphael.
William Blake stand erst jetzt von seinem Stuhl auf, wobei seine Knie knackten und ging dann ans Fenster. Was er dann sah, konnte er im Grunde gar nicht glauben. Aber dann begriff er dass Raphael kein Spinner war. Der grünlich schimmernde Himmel erstreckte sich unter einem regenbogenfarbenen Baldachin aus aufblitzenden Sternen. Vor ihm ragten majestätische Gebäude auf, deren Konstruktion allen Gesetzen der Architektur trotzen und welche von unglaublichen Kreaturen umflogen wurden, die man am ehesten mit Drachen titulieren würde.
„Glaubst du mir jetzt? Obwohl ja ich zum größten Teil bestimme was du glaubst. Also, was kann ich für dich tun?“, sagte Raphael.
Blake riss sich regelrecht vom Ausblick aus dem Fenster weg und war irritiert.
„Wie meinst du das?“, fragte er.
„Nun, die Grundidee dieser Aktion war es, das ich ein wenig gute Fee spiele! Ich werde deinen Wunsch nach Abwechslung erfüllen!“, antwortete Raphael. Er schnippte mit den Fingern und die Welt um sie herum verschwand. Es gab nur noch sie beide in einer Unendlichkeit aus strahlendem Weiß. Eine einfache, hölzerne Tür erschien.
„Was ist das hier?“, fragte Blake und deutet um sie herum.
„Alles was du willst, es gibt praktisch keine Begrenzung. Ich zeige es dir.“
Er schnippte wieder und das Weiß verschwand, die hölzerne Tür jedoch blieb. Sie befanden sich in einem wunderschönen Wald, die Sonne schien, Vögel zwitscherten und der Himmel war von einem unnatürlichen Dunkelblau.
„Also, wenn du willst“, fuhr Raphael fort, „kannst du die erstaunlichsten Abenteuer erleben, als Held oder als Bösewicht. Je nach dem was du willst!“
Blake fühlte sich unwohl. Angst stieg in ihm auf. Er wollte nicht kontrolliert werden. Er wollte keine Figur sein, wollte frei sein, er selbst bleiben, selber die Kontrolle über sein Denken haben!
„Ich will nach Hause und ich möchte dass du für immer verschwindest!“, rief er bitter heraus.
Plötzlich war alles weg. Er saß wieder auf seinem Stuhl in seinem Büro. Blake fragte sich ob das alles nur ein dummer Traum war, als es an der Tür klopfte.
Er sprang regelrecht zur Tür und riss sie mit einem heftigen Ruck auf. Er stellte erleichtert fest, dass es nicht Raphael war. Keine Menschenseele stand vor der Tür. Er blickte sich auf dem Flur um und gerade als er die Tür wieder schließen wollte, bemerkte er ein kleines Paket mit einem Zettel, das auf dem Boden lag. William Blake hob es hoch und las:
Die Wahrheit und das was möglich gewesen wäre!
Er riss das Paket auf und hielt zu seinem Erstaunen ein Buch in der Hand. Es hatte keinen Titel und war schön umbunden. Er schlug die erste Seite auf und hätte beinahe aufgeschrieen. Die ersten Sätze im buch lauteten:
William Blake saß an seinem Schreibtisch in seinem provisorischen Büro. Er kippelte mir dem Stuhl und lehnte dabei seine Beine am Tisch an. So wie er da saß, dachte er über sein Leben und seine bisher nicht grade erfolgreiche Karriere als Privatdetektiv nach. In seinen Händen hielt er das Kündigungsschreiben von seiner, ehemaligen, Sekretärin und Assistentin. Es sah nicht so aus, als würde sich sein Leben in der nächsten Zeit positiv verändern. Sein letzter Kunde hatte ihn betrogen, genauso wie seine Frau und auch sonst war sein Leben im Arsch.